Leipziger Prozesse: Unterschied zwischen den Versionen

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Als '''Leipziger Prozesse''' wurden die 17 Gerichtsverfahren bekannt, die 1921-27 zur Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen während des Ersten Weltkriegs vor dem Reichsgericht geführt wurden. Die gravierenden Unzulänglichkeiten dieser Prozesse reflektierten die breite Ablehnung, auf die die Tatsache und die Umstände ihrer Durchführung in der deutschen Öffentlichkeit gestoßen waren. Rückblickend lassen sie Zweifel daran aufkommen, dass es gelingen kann, die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in die Hände der jeweiligen Staaten zu legen, aus denen die Tatverdächtigen stammen.   
Die in den Jahren 1921-1927 auf Geheiß der Siegermächte vor dem Reichsgericht geführten '''Leipziger Prozesse''' dienten der Ahndung deutscher Kriegsverbrechen. Ihr Ergebnis war so unbefriedigend wie spätere Versuche, die Bestrafung von Kriegsverbrechen den Staaten der Tatverdächtigen zu überantworten.   




== Vorgeschichte ==
== Vorgeschichte ==
=== Innovation und Diskriminierung ===
=== Innovation und Diskriminierung ===
Bis zum Ersten Weltkrieg war es üblich gewesen, die juristischen Konsequenzen von Kriegen auf Schadensersatzverpflichtungen der Besiegten zu beschränken. Die im Versailler Vertrag (Artikel 227-230) niedergelegte Verpflichtung der deutschen Regierung, die für Kriegsverbrechen verantwortlichen Deutschen zwecks Durchführung von Militärgerichtsverfahren an die verschiedenen Siegermächte auszuliefern, wurde in der deutschen Öffentlichkeit nicht als Fortschritt des Völkerrechts, sondern als ein schikanöses Novum empfunden. Dieser Eindruck verstärkte sich, als am 3.2.1920 bekannt wurde, dass sich auf der Liste der 890 890 auszuliefernden Einzelpersonen und Personengruppen neben den Namen einfacher Soldaten auch diejenigen des ehemaligen Reichskanzlers Bethmann Hollweg, der Feldmarschälle von Hindenburg und von Mackensen, der Generale Ludendorff, von Gallwitz und von Bülow sowie des Großadmirals Tirpitz befanden. Die brisante Empörung in der deutschen Öffentlichkeit einerseits und die Uneinigkeit der Alliierten über das weitere Vorgehen andererseits führten allerdings schon elf Tage nach Übergabe der Auslieferungsliste zum Verzicht der Alliierten auf deren Durchsetzung. Mitte Februar 1920 wurde auf Initiative Italiens der deutsche Kompromissvorschlag akzeptiert, die Ahndung der deutschen Kriegsverbrechen dem obersten deutschen Gericht anzuvertrauen - mit dem Vorbehalt, dass die Alliierten die Angelegenheit im Falle eines nicht befriedigenden Ausgangs der Prozesse vor dem Reichsgericht notfalls auch selbst wieder in die Hand nehmen würden.  
Bis zum Ersten Weltkrieg war es üblich gewesen, die juristischen Konsequenzen von Kriegen auf Schadensersatzverpflichtungen der Besiegten zu beschränken. Die im Versailler Vertrag (Artikel 227-230) niedergelegte Verpflichtung der deutschen Regierung, die für Kriegsverbrechen verantwortlichen Deutschen zwecks Durchführung von Militärgerichtsverfahren an die verschiedenen Siegermächte auszuliefern, wurde in der deutschen Öffentlichkeit nicht als Fortschritt des Völkerrechts, sondern als ein schikanöses Novum empfunden. Dieser Eindruck verstärkte sich, als am 3.2.1920 bekannt wurde, dass sich auf der Liste der 890 auszuliefernden Einzelpersonen und Personengruppen neben den Namen einfacher Soldaten auch diejenigen des ehemaligen Reichskanzlers Bethmann Hollweg, der Feldmarschälle von Hindenburg und von Mackensen, der Generale Ludendorff, von Gallwitz und von Bülow sowie des Großadmirals Tirpitz befanden. Die Empörung der deutschen Öffentlichkeit einerseits und die Uneinigkeit der Alliierten über das weitere Vorgehen andererseits führte zum Verzicht auf die Auslieferungsforderung. Schon Mitte Februar 1920 entschied man sich zur Annahme des deutschen Angebots, die Ahndung der deutschen Kriegsverbrechen dem obersten deutschen Gericht anzuvertrauen - mit dem Vorbehalt, dass die Alliierten die Angelegenheit im Falle eines unbefriedigenden Prozessausgangs wieder an sich ziehen könnten.  


=== Probelauf ===
=== Probelauf ===
Um die deutsche Fähigkeit und Bereitschaft zur Durchführung solcher Prozesse zu signalisieren, hatte das Reichsgericht schon vor dem alliierten Auslieferungsverzicht mit vorbereitenden Arbeiten begonnen. Als am 7. Mai 1920 eine sogenannte Probeliste mit 45 Personennamen eintraf, die einem Test der deutschen Justiz diente, wies diese zwei Besonderheiten auf: Erstens fehlten alle prominenten Namen. Zweitens handelte es sich um "eindeutige Fälle", die nach Ansicht der Alliierten weder juristische Tatbestands- noch faktische Beweisschwierigkeiten enthielt, so dass in allen Fällen mit einer Verurteilung gerechnet wurde. Die der Ausfindigmachung der Genannten dienende Veröffentlichung der Namen auf der Probeliste fand ein negatives Echo in der Öffentlichkeit: statt in der Verlagerung der Prozesse ins Inland den Erfolg einer ersten geglückten Revision des Vertrages von Versailles zu sehen, wurden die angehenden Verfahren in Leipzig als  weitere politische Demütigung Deutschlands verstanden.
Zur Demonstration der Fähigkeit und Bereitschaft des Deutschen Reiches zur selbständigen Durchführung solcher Prozesse hatte das Reichsgericht schon vor dem alliierten Auslieferungsverzicht mit der Schaffung der Voraussetzungen für solche Verfahren begonnen. Am 7.5.1920 wurde dem Deutschen Reich eine sogenannte Probeliste mit 45 Personennamen übergeben. Diese Liste, auf der keine der prominenten Namen auftauchten und die nach Einschätzung der Alliierten nur eindeutige Fälle enthielt, bei denen auf jeden Fall mit einer Verurteilung zu rechnen war, diente der Überprüfung des Funktionierens der deutschen Justiz. Im Erfolgsfall sollte dann die endgültige Liste folgen.  


Die Verfahren standen unter einem schlechten Stern: die Öffentlichkeit war empört darüber, dass sie überhaupt stattfinden sollten, die Alliierten waren wenig kooperativ, was die Weitergabe von Informationen anging, und die im Reichswehrministerium angesiedelte „Zentralstelle für Völkerrechtsverletzungen und andere Anschuldigungen militärischer Art“ unterstützte eher die Verteidigung als die Anklage. Die Anklagevertreter selbst standen den Prozessen kritisch gegenüber und praktizierten eine Art Minimalstrategie.
Die Verfahren standen unter einem schlechten Stern:
 
*die Öffentlichkeit war empört über die Nötigung der deutschen Justiz zur Verfolgung deutscher Kriegsverbrechen: erstens, weil derlei bis dato völlig unbekannt gewesen war, zweitens, weil die Kriegsverbrechen der Alliierten straflos blieben
Schließlich musste auch noch ein Grundpfeiler des Rechtsstaats geopfert werden, um die Prozesse zu ermöglichen: es galt, das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) aufzuheben und die Einstellung von Verfahren zu erschweren. Das war der Inhalt des ersten Ergänzungsgesetzes, das im März 1920 von der Verfassunggebenden Nationalversammlung verabschiedet wurde. Im Mai 1921 folgte eine zweite Novellierung, die dem Oberreichsanwalt die Möglichkeit eröffnete, "auch in den Fällen, in denen nach seiner Überzeugung kein genügender Anlaß zur Anklageerhebung bestand, […] alternativ dazu einen Antrag auf Eröffnung der Hauptverhandlung zu stellen“ (Hankel 2003: 66). Von vornherein aussichtslose Prozesse gleichwohl eröffnen zu können, diente der Entschärfung innen- und außenpolitischer Probleme und war u.a. die Basis einer Absprache zwischen Justiz- und Wehrministerium, dass sich Prozesse, die wahrscheinlich mit einer Verurteilung ausgingen, mit Prozessen abwechseln sollten, in denen Freisprüche zu erwarten war.
*die Alliierten waren hinsichtlich der Weitergabe relevanter Informationen eher unkooperativ
*die im Reichswehrministerium angesiedelte „Zentralstelle für Völkerrechtsverletzungen und andere Anschuldigungen militärischer Art“ unterstützte eher die Verteidigung als die Anklage; die Anklagevertreter selbst standen den Prozessen kritisch gegenüber und praktizierten eine Art Minimalstrategie.
*die Prozesse litten an erheblichen rechtsstaatlichen Defiziten: um sie überhaupt durchführen zu können, mussten erstens die Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung beschnitten und zweitens das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) aufgehoben werden - was mit dem ersten Ergänzungsgesetzes getan wurde, das im März 1920 von der Verfassunggebenden Nationalversammlung verabschiedet wurde.
*eine Schaukelpolitik, die der Entschärfung innen- und außenpolitischer Probleme dienen sollte, ging ebenfalls auf Kosten des Rechts. So eröffnete die im Mai 1921 verabschiedete zweite Novellierung dem Oberreichsanwalt die Möglichkeit, "auch in den Fällen, in denen nach seiner Überzeugung kein genügender Anlaß zur Anklageerhebung bestand, […] alternativ dazu einen Antrag auf Eröffnung der Hauptverhandlung zu stellen“ (Hankel 2003: 66). Diese Kompromisslösung diente dann u.a. als Basis für die Absprache zwischen Justiz- und Wehrministerium, dass sich Prozesse, die wahrscheinlich mit einer Verurteilung ausgingen, mit Prozessen abwechseln sollten, in denen Freisprüche zu erwarten war.


== Die Hauptverhandlungen ==
== Die Hauptverhandlungen ==
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