Leipziger Prozesse: Unterschied zwischen den Versionen

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Bis zum Ersten Weltkrieg war es üblich gewesen, die juristischen Konsequenzen von Kriegen auf Schadensersatzverpflichtungen der Besiegten zu beschränken. Die im Versailler Vertrag (Artikel 227-230) niedergelegte Verpflichtung der deutschen Regierung, die für Kriegsverbrechen verantwortlichen Deutschen zwecks Durchführung von Militärgerichtsverfahren an die verschiedenen Siegermächte auszuliefern, wurde in der deutschen Öffentlichkeit nicht als Fortschritt des Völkerrechts, sondern als ein schikanöses Novum empfunden. Dieser Eindruck verstärkte sich, als am 3.2.1920 bekannt wurde, dass sich auf der Liste der 890 890 auszuliefernden Einzelpersonen und Personengruppen neben den Namen einfacher Soldaten auch diejenigen des ehemaligen Reichskanzlers Bethmann Hollweg, der Feldmarschälle von Hindenburg und von Mackensen, der Generale Ludendorff, von Gallwitz und von Bülow sowie des Großadmirals Tirpitz befanden. Die brisante Empörung in der deutschen Öffentlichkeit einerseits und die Uneinigkeit der Alliierten über das weitere Vorgehen andererseits führten allerdings schon elf Tage nach Übergabe der Auslieferungsliste zum Verzicht der Alliierten auf deren Durchsetzung. Mitte Februar 1920 wurde auf Initiative Italiens der deutsche Kompromissvorschlag akzeptiert, die Ahndung der deutschen Kriegsverbrechen dem obersten deutschen Gericht anzuvertrauen - mit dem Vorbehalt, dass die Alliierten die Angelegenheit im Falle eines nicht befriedigenden Ausgangs der Prozesse vor dem Reichsgericht notfalls auch selbst wieder in die Hand nehmen würden.  
Bis zum Ersten Weltkrieg war es üblich gewesen, die juristischen Konsequenzen von Kriegen auf Schadensersatzverpflichtungen der Besiegten zu beschränken. Die im Versailler Vertrag (Artikel 227-230) niedergelegte Verpflichtung der deutschen Regierung, die für Kriegsverbrechen verantwortlichen Deutschen zwecks Durchführung von Militärgerichtsverfahren an die verschiedenen Siegermächte auszuliefern, wurde in der deutschen Öffentlichkeit nicht als Fortschritt des Völkerrechts, sondern als ein schikanöses Novum empfunden. Dieser Eindruck verstärkte sich, als am 3.2.1920 bekannt wurde, dass sich auf der Liste der 890 890 auszuliefernden Einzelpersonen und Personengruppen neben den Namen einfacher Soldaten auch diejenigen des ehemaligen Reichskanzlers Bethmann Hollweg, der Feldmarschälle von Hindenburg und von Mackensen, der Generale Ludendorff, von Gallwitz und von Bülow sowie des Großadmirals Tirpitz befanden. Die brisante Empörung in der deutschen Öffentlichkeit einerseits und die Uneinigkeit der Alliierten über das weitere Vorgehen andererseits führten allerdings schon elf Tage nach Übergabe der Auslieferungsliste zum Verzicht der Alliierten auf deren Durchsetzung. Mitte Februar 1920 wurde auf Initiative Italiens der deutsche Kompromissvorschlag akzeptiert, die Ahndung der deutschen Kriegsverbrechen dem obersten deutschen Gericht anzuvertrauen - mit dem Vorbehalt, dass die Alliierten die Angelegenheit im Falle eines nicht befriedigenden Ausgangs der Prozesse vor dem Reichsgericht notfalls auch selbst wieder in die Hand nehmen würden.  


=== Probelauf ==
=== Probelauf ===
Um die deutsche Fähigkeit und Bereitschaft zur Durchführung solcher Prozesse zu signalisieren, hatte das Reichsgericht schon vor dem alliierten Auslieferungsverzicht mit vorbereitenden Arbeiten begonnen. Als am 7. Mai 1920 eine sogenannte Probeliste mit 45 Personennamen eintraf, die einem Test der deutschen Justiz diente, wies diese zwei Besonderheiten auf: Erstens fehlten alle prominenten Namen. Zweitens handelte es sich um "eindeutige Fälle", die nach Ansicht der Alliierten weder juristische Tatbestands- noch faktische Beweisschwierigkeiten enthielt, so dass in allen Fällen mit einer Verurteilung gerechnet wurde. Die der Ausfindigmachung der Genannten dienende Veröffentlichung der Namen auf der Probeliste fand ein negatives Echo in der Öffentlichkeit: statt in der Verlagerung der Prozesse ins Inland den Erfolg einer ersten geglückten Revision des Vertrages von Versailles zu sehen, wurden die angehenden Verfahren in Leipzig als  weitere politische Demütigung Deutschlands verstanden.
Um die deutsche Fähigkeit und Bereitschaft zur Durchführung solcher Prozesse zu signalisieren, hatte das Reichsgericht schon vor dem alliierten Auslieferungsverzicht mit vorbereitenden Arbeiten begonnen. Als am 7. Mai 1920 eine sogenannte Probeliste mit 45 Personennamen eintraf, die einem Test der deutschen Justiz diente, wies diese zwei Besonderheiten auf: Erstens fehlten alle prominenten Namen. Zweitens handelte es sich um "eindeutige Fälle", die nach Ansicht der Alliierten weder juristische Tatbestands- noch faktische Beweisschwierigkeiten enthielt, so dass in allen Fällen mit einer Verurteilung gerechnet wurde. Die der Ausfindigmachung der Genannten dienende Veröffentlichung der Namen auf der Probeliste fand ein negatives Echo in der Öffentlichkeit: statt in der Verlagerung der Prozesse ins Inland den Erfolg einer ersten geglückten Revision des Vertrages von Versailles zu sehen, wurden die angehenden Verfahren in Leipzig als  weitere politische Demütigung Deutschlands verstanden.


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