Leipziger Prozesse: Unterschied zwischen den Versionen

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Das Reichsgericht hatte schon vor dem alliierten Auslieferungsverzicht mit vorbereitenden Arbeiten für die Prozesse begonnen, um so nach außen hin die Fähigkeit und Bereitschaft der deutschen Justiz zur eigenständigen Aufarbeitung zu signalisieren. Die Veröffentlichung der Namen, die auf der Probeliste standen (27.2.1920), diente zwar dazu, die genannten Personen ausfindig zu machen und sie vor Gericht zu bringen, doch war das öffentliche Echo darauf negativ: statt in der Verlagerung der Prozesse ins Inland den Erfolg einer ersten geglückten Revision des Vertrages von Versailles zu sehen, wurden die angehenden Verfahren in Leipzig als  weitere politische Demütigung Deutschlands verstanden. Der Kapp-Putsch vom März 1920 brachte dem Reichsgericht zudem eine Fülle von Verfahren ein. Um dennoch mit den Kriegsverbrecher-Prozessen voran zu kommen, wurde Mitte 1920 eigens dafür zusätzliches Personal eingestellt. All das half jedoch wenig: die Alliierten gaben oft nur zögerlich oder fragmentarisch Informationen an die deutsche Justiz weiter - und diese selbst war wenig geneigt, die Ermittlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Die im Reichswehrministerium angesiedelte „Zentralstelle für Völkerrechtsverletzungen und andere Anschuldigungen militärischer Art“ unterstützte eher die Verteidigung als die Anklage. Die mit der Anklage betrauten Mitglieder der Reichsanwaltschaft nebst Oberreichsanwalt Ludwig Ebermayer standen den Prozessen kritisch gegenüber und praktizierten eine Art "Dienst nach Vorschrift", der gerade genügte, um den Alliierten keine Handhabe zu geben, die Verfahren als Scheinprozesse zu kritisieren.
Das Reichsgericht hatte schon vor dem alliierten Auslieferungsverzicht mit vorbereitenden Arbeiten für die Prozesse begonnen, um so nach außen hin die Fähigkeit und Bereitschaft der deutschen Justiz zur eigenständigen Aufarbeitung zu signalisieren. Die Veröffentlichung der Namen, die auf der Probeliste standen (27.2.1920), diente zwar dazu, die genannten Personen ausfindig zu machen und sie vor Gericht zu bringen, doch war das öffentliche Echo darauf negativ: statt in der Verlagerung der Prozesse ins Inland den Erfolg einer ersten geglückten Revision des Vertrages von Versailles zu sehen, wurden die angehenden Verfahren in Leipzig als  weitere politische Demütigung Deutschlands verstanden. Der Kapp-Putsch vom März 1920 brachte dem Reichsgericht zudem eine Fülle von Verfahren ein. Um dennoch mit den Kriegsverbrecher-Prozessen voran zu kommen, wurde Mitte 1920 eigens dafür zusätzliches Personal eingestellt. All das half jedoch wenig: die Alliierten gaben oft nur zögerlich oder fragmentarisch Informationen an die deutsche Justiz weiter - und diese selbst war wenig geneigt, die Ermittlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Die im Reichswehrministerium angesiedelte „Zentralstelle für Völkerrechtsverletzungen und andere Anschuldigungen militärischer Art“ unterstützte eher die Verteidigung als die Anklage. Die mit der Anklage betrauten Mitglieder der Reichsanwaltschaft nebst Oberreichsanwalt Ludwig Ebermayer standen den Prozessen kritisch gegenüber und praktizierten eine Art "Dienst nach Vorschrift", der gerade genügte, um den Alliierten keine Handhabe zu geben, die Verfahren als Scheinprozesse zu kritisieren.


=== Die Aufhebung des Verbots der Doppelbestrafung ===
Zur Ermöglichung der Prozesse bedurfte das „Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen“ gewisser Ergänzungen: das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) musste aufgehoben und die Einstellung der Verfahren musste erschwert werden. Das war der Inhalt des ersten Ergänzungsgesetzes, das im März 1920 von der Verfassunggebenden Nationalversammlung verabschiedet wurde. Im Mai 1921 folgte eine zweite Novellierung, die dem Oberreichsanwalt die Möglichkeit eröffnete, "auch in den Fällen, in denen nach seiner Überzeugung kein genügender Anlaß zur Anklageerhebung bestand, […] alternativ dazu einen Antrag auf Eröffnung der Hauptverhandlung zu stellen“ (Hankel 2003: 66). Die Chance, auch solche Verfahren einzuleiten, die von vornherein offensichtlich mit einem Freispruch enden würden, diente der Entschärfung innen- und außenpolitischer Probleme und war u.a. die Basis einer Absprache zwischen Justiz- und Wehrministerium, dass sich Prozesse, die wahrscheinlich mit einer Verurteilung ausgingen, mit Prozessen abwechseln sollten, in denen Freisprüche zu erwarten war.
Zur Ermöglichung der Prozesse bedurfte das „Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen“ gewisser Ergänzungen: das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) musste aufgehoben und die Einstellung der Verfahren musste erschwert werden. Das war der Inhalt des ersten Ergänzungsgesetzes, das im März 1920 von der Verfassunggebenden Nationalversammlung verabschiedet wurde. Im Mai 1921 folgte eine zweite Novellierung, die dem Oberreichsanwalt die Möglichkeit eröffnete, "auch in den Fällen, in denen nach seiner Überzeugung kein genügender Anlaß zur Anklageerhebung bestand, […] alternativ dazu einen Antrag auf Eröffnung der Hauptverhandlung zu stellen“ (Hankel 2003: 66). Die Chance, auch solche Verfahren einzuleiten, die von vornherein offensichtlich mit einem Freispruch enden würden, diente der Entschärfung innen- und außenpolitischer Probleme und war u.a. die Basis einer Absprache zwischen Justiz- und Wehrministerium, dass sich Prozesse, die wahrscheinlich mit einer Verurteilung ausgingen, mit Prozessen abwechseln sollten, in denen Freisprüche zu erwarten war.


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