Kritik der Prohibition: Unterschied zwischen den Versionen

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Zu Beginn der 1930er Jahre kam es zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung. Erstens traten die negativen Folgen der Prohibition in das öffentliche Bewusstsein. Zweitens etablierte sich eine organisierte Opposition gegen die Prohibition. Zentral war die 1926 gegründete ''Association Against the Prohibition Amendment (AAPA)''. Sie arbeitete wie die ''Anti-Saloon-League'' von 1893 - nur mit umgekehrtem Vorzeichen.
Zu Beginn der 1930er Jahre kam es zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung. Erstens traten die negativen Folgen der Prohibition in das öffentliche Bewusstsein. Zweitens etablierte sich eine organisierte Opposition gegen die Prohibition. Zentral war die 1926 gegründete ''Association Against the Prohibition Amendment (AAPA)''. Sie arbeitete wie die ''Anti-Saloon-League'' von 1893 - nur mit umgekehrtem Vorzeichen.


Entscheidend war allerdings der Meinungsumschwung der (Wirtschafts-) Elite. Schon für die Einführung der Prohibition war die Unterstützung durch den Geldadel von höchster Bedeutung gewesen. Für ihre Aufhebung galt das genauso. Die AAPA bestand aus den reichsten der Reichen. Den Verwaltungsrat leitete Pierre Du Pont von Dupont Chemicals in Zusammenarbeit mit John J. Raskob von General Motors. Als einfache Mitglieder im Aufsichtsrat vertreten waren die Präsidenten und Generaldirektoren von Boeing, Anaconda Copper, General Electric, US Steel, AT&T und viele andere. - Sie waren der Ansicht, dass die Wiederbelebung der Alkoholindustrie auf mehreren Wegen die Konjunktur ankurbeln würde. Mit anderen Worten: «So wie man sich einst von der Einführung des Alkoholverbots eine Ära neuer Produktivität und Wohlstand versprochen hatte, so versprach man sich nun von der Aufhebung genau das gleiche» (Levine).
5. Konvertiten in der Elite


Der ''tipping point'' war der 7. Juni 1932. Am Vorabend des Parteitags der Republikaner machte der "geborene Prohibitionist" John D. Rockefeller Jr. öffentlich seinen Sinneswandel bekannt. Er erinnerte an seinen und seines Vaters Einsatz für die Anti-Saloon-League und erklärte, wie er «langsam und widerstrebend» zu der Überzeugung gelangt sei, dass die seit der Prohibition aufgetauchten Nachteile inzwischen alle Vorteile nicht nur auf-, sondern überwögen. Deshalb müsse der 18. Zusatzartikel zur Verfassung, das Totalverbot von Alkohol, wieder abgeschafft werden.
Entscheidend war der Meinungsumschwung innerhalb der konservativen Elite in Wirtschaft und Politik. Schon für die Einführung der Prohibition war die Unterstützung durch den Geldadel von höchster Bedeutung gewesen. Für ihre Aufhebung galt das genauso. Die AAPA bestand aus den reichsten der Reichen. Den Verwaltungsrat leitete Pierre Du Pont von Dupont Chemicals in Zusammenarbeit mit John J. Raskob von General Motors. Als einfache Mitglieder im Aufsichtsrat vertreten waren die Präsidenten und Generaldirektoren von Boeing, Anaconda Copper, General Electric, US Steel, AT&T und viele andere. - Sie waren der Ansicht, dass die Wiederbelebung der Alkoholindustrie auf mehreren Wegen die Konjunktur ankurbeln würde. Mit anderen Worten: «So wie man sich einst von der Einführung des Alkoholverbots eine Ära neuer Produktivität und Wohlstand versprochen hatte, so versprach man sich nun von der Aufhebung genau das gleiche» (Levine).


Rockefellers Erklärung schlug wie eine Bombe ein. Für die «New York Times» war sie «die grösste politische Sensation in der Hauptstadt seit Jahren». Die meisten Kommentatoren waren begeistert; viele Politiker schienen nur auf diesen Tag gewartet zu haben, um sich ebenfalls als Prohibitionsgegner zu erkennen zu geben. Rockefellers Mut wurde gepriesen. Der entscheidende Punkt seiner Argumentation hieß ''lawlessness'': das Totalverbot habe Millionen von Amerikanern nicht davon abhalten können, weiter Alkohol zu trinken - darunter «viele unserer besten Bürger, die darüber verärgert sind, wie der Staat in ihre Privatsphäre eingreift». Der millionenfache und regelmässige Ungehorsam gegenüber diesem einen Gesetz habe aber unweigerlich zu einem generellen Niedergang des Vertrauens in das Gesetz und des Respekts vor den Gesetzen geführt, was wiederum die Kriminalität insgesamt habe ansteigen lassen. Wenn dagegen jetzt nichts unternommen werde - und das erste müsse die Aufhebung der Prohibition sein -, dann würden die Verhältnisse im Lande «unaussprechbar schlimmer als jene, die vor dem Alkoholverbot herrschten». Das war die letzte Symmetrie: So wie man einst befürchtet hatte, dass es ohne die Einführung eines Totalverbots zu immer unerträglicheren Zuständen kommen würde, so glaubte man nun, dass diese einträten, wenn man es nicht sofort aufhöbe.
6. Tipping Point
 
Am Vorabend des Parteitags der Republikaner - im Juni 1932 - sorgte der öffentlich bekannt gemachte Sinneswandel des "geborenen Prohibitionisten" John D. Rockefeller Jr. zum Befürworter der Abschaffung des 18. Zusatzartikels zur Verfassung für «die grösste politische Sensation in der Hauptstadt seit Jahren» (NYT). Das schlug wie eine Bombe ein. Man lobte den Mut Rockefellers; viele Politiker stimmten ihm nun plötzlich zu. Die seit der Prohibition zutage getretenen Nachteile hätten ihn «langsam und widerstrebend» zu der Einsicht gebracht, dass das Alkoholverbot wieder abgeschafft werden solle. Das Verbot habe Millionen von Amerikanern nicht davon abhalten können, weiter Alkohol zu trinken - darunter «viele unserer besten Bürger, die darüber verärgert sind, wie der Staat in ihre Privatsphäre eingreift». Das gefährde aber den Respekt vor allen Gesetzen, ließe die Kriminalitätsraten steigen und lassen Verhältnisse befürchten, «unaussprechbar schlimmer als jene, die vor dem Alkoholverbot herrschten». Das war die letzte Symmetrie: So wie man einst befürchtet hatte, dass es ohne die Einführung eines Totalverbots zu immer unerträglicheren Zuständen kommen würde, so glaubte man nun, dass diese einträten, wenn man es nicht sofort aufhöbe.


=== Belege ===
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