Kriminologische Astrophysik: Unterschied zwischen den Versionen

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== Kriminologie und Astrophysik ==
== Kriminologie und Astrophysik ==


Die Kriminologie wird auf dem Planeten Erde betrieben. Die Erde ist 4,5 Milliarden Jahre alt und hätte noch eine Lebenserwartung von weiteren 7,5 Milliarden Jahren. Allerdings rast die Galaxie, zu der die Erde gehört (Milchstraße), momentan mit großer Geschwindigkeit (500 000 km/h) auf die Galaxie namens Andromedanebel zu. Bei der in zwei Milliarden Jahren zu erwartenden Kollision der Galaxien wird die Milchstraße in stark verbeulter Form im Andromedanebel aufgehen. Das genaue Schicksal der Kriminologie ist auch schon bekannt. Denn bereits in 0,5 Milliarden Jahren, also lange vor der Kollision, wird das Leben von Pflanzen und Tieren auf der Erde (das es auch erst seit 0,5 Milliarden Jahren gibt) schon wieder beendet sein. Ohne die als Menschen bezeichneten Tiere ist aber das Betreiben der Kriminologie, wie wir sie kennen, einfach unmöglich.  
Die Kriminologie wird auf dem Planeten Erde betrieben. Obwohl unser Universum als solches rund 13 Milliarden Jahre alt ist, entstand der Planet Erde erst vor etwa 4,5 Milliarden Jahren, also vor vergleichsweise kurzer Zeit. Bis der Planet Erde verglüht, dürften noch einmal 7,5 Milliarden Jahre ins Land gehen.


Allerdings rast die Erde innerhalb ihrer Galaxie (= Milchstraße) mit großer Geschwindigkeit (500 000 km/h) auf ihre große Nachbargalaxie zu (= Andromedanebel). Die nächste Mutprobe steht schon in zwei Milliarden Jahren an, wenn die beiden Galaxien kollidieren. Aus diesem Ereignis wird wahrscheinlich der Andromedanebel als Sieger hervorgehen. Die Milchstraße dürfte stark verbeult in der Nachbargalaxie aufgehen.
Die Kriminologie wird schon vorher (in 0,5 Milliarden Jahren) das Zeitliche segnen. Dann wird hitzebedingt weder pflanzliches noch tierisches oder menschliches Leben möglich sein. Tiere und Pflanzen gibt es übrigens auch erst seit 0,5 Milliarden Jahren. Für sie ist jetzt sozusagen Halbzeit.
Wann die Halbzeit speziell für die Menschen war oder sein wird, lässt sich daraus nicht ermitteln. Denn Menschen gibt es erst seit sehr kurzer Zeit. Allerdings ist Kriminologie ohne Menschen nach bisherigem Wissen weder möglich noch nötig. Und dass irgendwelche Menschen bis zum Hitzetod allen Lebens durchhalten können, ist unwahrscheinlich.
== Irgendwann ist auch Schluß mit dem Andromedanebel ==
Nicht einmal Galaxien leben ewig. In grossen Galaxienhaufen finden sich veritable Friedhöfe von ausgebrannten Welteninseln.
:Tritt man im kosmischen Massstab gedanklich einen Schritt zurück, so verliert sich unsere Sonne schnell inmitten der 10 Milliarden Sterne, die mit ihr zusammen den gewaltigen Spiralnebel der Milchstrasse ausmachen. Einen weiteren Schritt zurück, und die Milchstrasse selbst verschwindet unter den Milliarden von anderen Galaxien, die unseren Teil des Universums bevölkern – Inseln des Lichts aus unzähligen Sternen im sonst dunklen All. So zeitlos dieser Kosmos aus Menschensicht auch scheinen mag: Die Ära der Galaxienentstehung hat ihren Höhepunkt bereits überschritten; immer mehr Galaxien sterben (Weinmann 2012).
=== Zweiklassengesellschaft ===
Die einen sind majestätisch mit ihren blau-weißen Spiralarmen. Sie sind gesund. Wie unsere Milchstraße. Die anderen sind rot und tot.
Weinmann erklärt:
:Um die Bedeutung dieser Dichotomie zu verstehen, bedarf es eines Exkurses ins Leben und Sterben der Sterne, die eine Galaxie ausmachen. Sterne werden aus interstellaren Gaswolken geboren, die sich unter ihrer Schwerkraft verdichten. Die massiveren Sterne leuchten grell und blauweiss, brennen aber schon nach kurzer Zeit aus. Die Leichtgewichte unter den Sternen gehen hingegen sparsamer mit ihrem Brennstoff um und können so ihr verhältnismässig schwaches, rotes Glühen über viele Milliarden Jahre aufrechterhalten. In aktiven, «gesunden» Galaxien werden laufend neue Sterne gebildet, mit denen die alten, ausgebrannten Sterne ersetzt werden. Darum erscheinen diese Galaxien insgesamt bläulich – die jüngste Generation von massiven Sternen überstrahlt die schwächere Mehrheit der älteren Sterne. In den roten Galaxien ist der Prozess der Sternentstehung hingegen zum Erliegen gekommen. Ihr Licht ist von roten, alten Sternen dominiert. Solch eine Galaxie ist tot, im Fachjargon «red and dead». Hubbles Klassifikation von Galaxien ist also eine Unterscheidung zwischen «lebendigen» und «toten» Galaxien. - In unserem modernen Verständnis erscheinen «lebendige» Galaxien wie atmende Wesen. Neues Gas strömt aus dem intergalaktischen Raum in die Galaxie hinein, ballt sich zu hoher Dichte zusammen und formt neue Sterne. Alte Sterne sterben und geben verbrauchtes Gas ab, das ebenfalls wieder zu neuen Sternen wird. Der Nettoeffekt ist Wachstum: Unsere Milchstrasse wächst zum Beispiel pro Jahr etwa um die Masse eines Sterns. Ein typisches Beispiel einer toten Galaxie ist hingegen die gewaltige elliptische Galaxie M87 im Zentrum des nahen Virgo-Galaxienhaufens. Sie besteht ausschliesslich aus alten Sternen; da es sehr leicht ist, helle und neue Sterne zu sehen, können wir so gut wie ausschliessen, dass sie in der letzten Milliarde Jahre neue Sterne hervorgebracht hat. Die Galaxie enthält auch kein Gas; es scheint, als sei ihr die Luft zum Atmen ausgegangen. - Wieso Galaxien sterben, ist eines der grossen Rätsel der Galaxienforschung. Denn eigentlich gibt es keinen Grund, warum die lebensnotwendige Gaszufuhr unterbunden werden sollte. Laut der Theorie der Galaxienentstehung sollte die Schwerkraft beständig neues Gas aus dem intergalaktischen Raum in M87 hineinströmen lassen. Dies ist ganz einfach ein Nebeneffekt des Wachstums von Strukturen im Universum, das vom heutigen, sehr gut getesteten kosmologischen Modell vorausgesagt wird. Dieses neu hereinströmende Gas müsste in der Galaxie Sterne formen. Wieso geschieht das in M87 nicht mehr? - Fortschritt in dieser Frage kommt hauptsächlich von zwei Quellen: Die erste sind moderne Durchmusterungen des Himmels wie der Sloan Digital Sky Survey (SDSS). Mit einem bescheidenen 2,5-Meter-Teleskop haben Astronomen in den vergangenen Jahren Millionen von Galaxien katalogisiert. Damit ist der SDSS zu einer der wichtigsten Unternehmungen in der extragalaktischen Astronomie der letzten Jahre geworden. - Die zweite wichtige Quelle ist die Weiterentwicklung der sogenannten Spektralanalyse. Galaxien sind am Himmel auch mit den modernsten Teleskopen nicht in ihre einzelnen Sterne auflösbar, dafür sind sie alle zu weit entfernt und enthalten zu viele Sterne. Aus dem Spektrum einer Galaxie – also aus der Verteilung ihres Lichts über einen breiten Wellenlängenbereich – lassen sich jedoch ihre Masse, ihr Alter und ihre chemische Zusammensetzung abschätzen. Das ist so wichtig, weil die Leuchtkraft und Farbe allein wenig über die wahren physikalischen Eigenschaften der Galaxien aussagt. Eine Galaxie könnte beispielsweise rot sein, weil sie viel intergalaktischen Staub enthält oder eben weil sie alt und tot ist. -Die Anwendung der Spektralanalyse auf den Sloan Digital Sky Survey hat es in den letzten Jahren möglich gemacht, physikalische Eigenschaften von Millionen von Galaxien miteinander zu vergleichen und herauszufinden, was die toten Galaxien miteinander gemeinsam haben. Dabei haben sich zwei wichtige Erkenntnisse herauskristallisiert.
:Die tödlichste aller Galaxieneigenschaften ist offenbar ihre Masse. Wenn man die Masse einer Galaxie kennt, kann man sehr gut voraussagen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie bereits tot ist. Die massereichsten Galaxien sind grundsätzlich alle tot. Interessanterweise bedeutet das auch, dass es für Galaxien ein Masselimit gibt: Sie werden bei weitem nicht so gross, wie sie könnten, sondern hören spätestens bei einer Masse von ungefähr hundert Mal der Masse der Milchstrasse auf zu wachsen. Schon bei der Masse der Milchstrasse fängt das Sterben langsam an; vielleicht eine von zehn Galaxien ihrer Grösse enthält bereits keine jungen Sterne mehr. Auch unsere Milchstrasse ist laut neusten Erkenntnissen vermutlich schon dabei, langsam ihre Sternentstehungsrate herunterzufahren. Starkes Übergewicht scheint nicht nur für Menschen ungesund zu sein. Der SDSS bestätigte auch eine jahrzehntealte Vermutung über das Sterben von Galaxien, nämlich dass Galaxien von ihrer Umwelt beeinflusst werden. Auch leichte Galaxien können sterben, wenn sie sich in dichten Regionen des Universums aufhalten, zum Beispiel wenn sie in einem Galaxienhaufen mit hoher Geschwindigkeit um eine zentrale massive Galaxie herumfliegen. Der nahe Virgo-Haufen enthält viele dieser kleineren Galaxien, die einen vorzeitigen Tod gestorben sind. Dies könnte man als frühen Tod durch extremen Stress umschreiben. In der extragalaktischen Astronomie gibt es viele blumige Begriffe, um diesen Stress, dem kleine Galaxien in Galaxienhaufen ausgesetzt sind, zu beschreiben. Sie werden erwürgt, erstickt, kannibalisiert oder auch einfach belästigt. Es scheint fast ein Überangebot an Effekten zu geben, die diese Galaxien stören könnten; ihr Gasreservoir, aus dem sich neue Sterne formen könnten, wird vom heissen Gas im Galaxienhaufen weggeblasen oder verdampft, oder es wird von Gezeiteneffekten entfernt. In Galaxienhaufen sollten diese Effekte besonders effizient sein, da sich die Galaxien aufgrund der hohen Schwerkraft sehr schnell bewegen.
:Aber kommen wir zurück zu den Titanen unter den Galaxien. Was bringt sie um? Die Schwarzen Löcher, lautet heute der Tenor an den meisten Fachkongressen zum Thema. Werden Galaxien von innen, durch die extremen Kräfte in Verbindung mit ihrem supermassiven Schwarzen Loch, von der lebenswichtigen Gaszufuhr abgeschnitten? - Nach heutigen Erkenntnissen hat jede Galaxie ein supermassives Schwarzes Loch in ihrem Zentrum: ihr verborgenes tödliches Herz. Auch die Milchstrasse hat ein solches Schwarzes Loch, mit einer Masse von Millionen Sonnenmassen. Kein Stern, der dem Schwarzen Loch zu nahe kommt, kann entkommen: Er wird von den extremen Kräften zerrissen. Gas, das in Richtung eines Schwarzen Lochs strömt, erlebt ebenfalls extreme Kräfte und Schocks, die es enorm erhitzen und es im Röntgen- und Radiobereich leuchten lassen. Kann es sein, dass diese hochenergetischen Prozesse im Umfeld von Schwarzen Löchern die Gaszufuhr der massiven Galaxien zerstören? Rein quantitativ gesehen scheint die Idee aufzugehen. Berechnungen zeigen, dass die Schwarzen Löcher im Idealfall durchaus genug Energie freisetzen könnten, um alles neu hereinströmende Gas so weit zu erhitzen, dass keine neuen Sterne mehr entstehen können – aber eben nur im Idealfall. - Während das Szenario «Tod durch Schwarzes Loch» in den letzten Jahren unter Astronomen enorm populär geworden ist, gibt es auch viele kritische Stimmen. Wieso kehrt das herausgeschleuderte Gas nicht zurück? Wie ist es möglich, dass die Sternentstehung so vollkommen aufhört, dass in toten Galaxien nicht einmal das Gas von sterbenden alten Sternen zu neuen Sternen wird? Wie gut können diese Energien, die um das Schwarze Loch entstehen sollten, mit dem einfliessenden neuen Gas wechselwirken? Und schliesslich ist es unklar, wieso dieser Effekt offenbar nur für massive Galaxien eine so dramatische Wirkung haben sollte. Auch kleinere Galaxien, wie die Milchstrasse, enthalten schliesslich Schwarze Löcher und scheinen davon für den Moment noch nicht merklich gestört zu sein. -Es gibt noch viele offene Fragen um das Sterben von Galaxien, und es ist unklar, ob wir uns bereits der richtigen Erklärung annähern oder ob wir uns vollkommen irren. Natürlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass das Universum als Ganzes noch weitaus grössere Rätsel enthält: Wir können den Hauptteil der Materie im Universum, die dunkle Materie, nicht sehen, und wir wissen immer noch nicht, woraus sie überhaupt besteht. Auch der Hauptteil der «normalen» intergalaktischen Materie ist für uns nicht sichtbar. Es ist deshalb gut möglich, dass Effekte in diesem unsichtbaren Teil des Universums einen Einfluss auf das Sterben von massereichen Galaxien haben.


==Eigentlich heißt der Begriff "Astrologische Kriminalphysik"==
==Eigentlich heißt der Begriff "Astrologische Kriminalphysik"==
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== Weblinks ==
== Weblinks ==
*[http://www.nzz.ch/wissen/wissenschaft/vom-raetselhaften-sterben-der-welteninseln-1.17683048 Vom rätselhaften Sterben der Welteninseln, NZZ 18.10.2012]
*[http://www.nzz.ch/wissen/wissenschaft/vom-raetselhaften-sterben-der-welteninseln-1.17683048 Weinmann, Simone (2012) Vom rätselhaften Sterben der Welteninseln, NZZ 18.10.2012]
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