Kriminologie und Geschichte: Unterschied zwischen den Versionen

Zeile 26: Zeile 26:
== Geschichte des Gegenstands ==
== Geschichte des Gegenstands ==


Bei diesem Nicht-Verhältnis zwischen Geschichte und Kriminologie sollte es auch über die Epoche Lombrosos hinaus bleiben. Die einzigen, die sich der Geschichte der Kriminalität gelegentlich annahmen, waren die Rechtsgeschichtler. Man denke an den Kölner Professor für Strafrecht, Zivil- und Strafprozessrecht und zeitweiligen Rektor der Albertus-Magnus-Universität, [[Gotthold Bohne]] (1890-1957) und seine 1922 und 1925 veröffentlichte Habilitationsschrift über die ''Freiheitsstrafe in den italienischen Stadtrechten des 12. bis 16. Jahrhunderts'' - oder an [[Gustav Radbruch]] und seine postum 1951 von Heinrich Gwinner publizierte [http://books.google.de/books?id=-9xJKHLJ_7wC&pg=PA19&lpg=PA19&dq=Geschichte+des+Verbrechens.+Versuch+einer&source=bl&ots=PddZL7yhTh&sig=07OeZkhpOT7WG4EX3839bijBmAs&hl=en&sa=X&ei=tF3IUdjzG_PQ4QSq4YGABw&ved=0CGgQ6AEwBzgK#v=onepage&q=Geschichte%20des%20Verbrechens.%20Versuch%20einer&f=false ''Geschichte des Verbrechens''] mit dem Zusatztitel: ''Versuch einer historischen Kriminologie.''
Bei diesem Nicht-Verhältnis zwischen Geschichte und Kriminologie sollte es auch über die Epoche Lombrosos hinaus bleiben. Die einzigen, die sich der Geschichte der Kriminalität gelegentlich annahmen, waren die Rechtsgeschichtler. Man denke an den Kölner Professor für Strafrecht, Zivil- und Strafprozessrecht und zeitweiligen Rektor der Albertus-Magnus-Universität, [[Gotthold Bohne]] (1890-1957) und seine 1922 und 1925 veröffentlichte Habilitationsschrift über die ''Freiheitsstrafe in den italienischen Stadtrechten des 12. bis 16. Jahrhunderts'' - oder an [[Gustav Radbruch]] und seine postum 1951 von Heinrich Gwinner publizierte [http://books.google.de/books?id=-9xJKHLJ_7wC&pg=PA19&lpg=PA19&dq=Geschichte+des+Verbrechens.+Versuch+einer&source=bl&ots=PddZL7yhTh&sig=07OeZkhpOT7WG4EX3839bijBmAs&hl=en&sa=X&ei=tF3IUdjzG_PQ4QSq4YGABw&ved=0CGgQ6AEwBzgK#v=onepage&q=Geschichte%20des%20Verbrechens.%20Versuch%20einer&f=false ''Geschichte des Verbrechens''] mit dem Zusatztitel: ''Versuch einer historischen Kriminologie.'' Ebenfalls 1951 erschien auch das Buch "Geburt der Strafe" des Kölner rechtswissenschaftlichen Privatdozenten und späteren außerordentlichen Professors [http://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Achter_(Jurist) Viktor Achter], in dem es um den Übergang von der Automatik der Sühne zur Bestrafung des Täters (im Hochmittelalter in Südfrankreich) ging.


Diese ''historische Kriminologie'' befand sich damals und dann noch für längere Zeit ''in statu nascendi''. Die Geburtsmetapher liegt auch wegen der Merkwürdigkeit nahe, dass zwei wichtige Werke sie in ihrem Titel bzw. Zusatztitel selbst verwenden. Nämlich im Jahre 1951 das Buch "Geburt der Strafe" des Kölner rechtswissenschaftlichen Privatdozenten und späteren außerordentlichen Professors [http://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Achter_(Jurist) Viktor Achter], in dem es um den Übergang von der Automatik der Sühne zur Bestrafung des Täters (im Hochmittelalter in Südfrankreich) ging - und dann, mit einem ganz anderen Donnerschlag, im Jahre 1975 das Buch "Überwachen und Strafen" des Philosophen und Psychologen Michel Foucault, dessen Zusatztitel bekanntlich "Die Geburt des Gefängnisses" lautete. Es war im Anschluss an den epochalen Erfolg dieses Werkes, dass sich Quantität und Qualität im Diskurs der historischen Kriminologie auf höchst erfreuliche Art zu mausern begannen. Wobei dahingestellt bleiben muss, inwiefern ''post hoc'' hier auch tatsächlich auf ein ''propter hoc'' verweist.
Die Geburtsmetapher in Viktor Achters Buch ruft allerdings assoziativ eine weitere Publikation ins Gedächtnis, in der sie ebenfalls vorkommt. Gemeint ist natürlich "Überwachen und Strafen" des Philosophen und Psychologen Michel Foucault - Untertitel: "Die Geburt des Gefängnisses" (1975). Erst danach kam Leben in die Beziehung zwischen Geschichte und Kriminologie. Ob ''post hoc'' den Schluss auf eine kausale Beziehung im Sinne des ''propter hoc'' erlaubt, sei hier dahingestellt. Jedenfalls nahm das Interesse an historischen Arbeiten zu Kriminalität und Strafen rapide zu. In Deutschland begann eine Phase intensiver Rezeption ausländischer Arbeiten zur Geschichte von Kriminalität und Kontrolle.  


Jedenfalls begann nun eine Zeit zunehmender Bereicherung der historischen Kriminologie durch eine ganze Fülle von Arbeiten. Die Initialzündung kam wohl durch die Rezeption ausländischer Forschungen. Gerd Schwerhoff schreibt über diese Umbruchszeit:
Ich selbst erinnere mich vor allem an die Rezeption entsprechender Arbeiten der britischen ''social historians''. Mich faszinierten die von Edward P. Thompsons 1975 in England erschienenen "Whigs and Hunters" und sein Sammelband "Albion's Fatal Tree"; erst darüber wurde ich darauf aufmerksam, dass es auch einen schon länger in deutscher Übersetzung vorliegenden Eric J. Hobsbawm gab (seine Primitive Rebels von 1959 erschienen 1962 als "Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert. Luchterhand, Neuwied/Berlin" - 1979 erneut im Focus-Verlag, Gießen; seine "Bandits" von 1969 erschienen 1972 als "Die Banditen. Suhrkamp, Frankfurt" - 2007 erneut unter dem Titel "Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen" bei Hanser in München).  


:Während im englisch- und französischsprachigen Raum Forschungen zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kriminalität blühten, tat sich im deutschsprachigen Raum wenig. Heute dagegen ist die historische Kriminalitätsforschung eine etablierte Subdisziplin der Geschichtswissenschaft, deren Ergebnisse und Fallstudien weithin anerkannt sind und, noch wichtiger, mit anderen sozial- und kulturhistorischen Forschungsfeldern eng vernetzt sind.
In den 1980er und 1990er Jahren sprang aber auch die Konjunktur historischer Kriminalitätsforschung in Deutschland selbst an. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein Arbeitskreis an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der von 1991 bis 2010 zwanzig Zusammenkünfte in Stuttgart-Hohenheim veranstaltete und der seinerseits auf einem Vorläufer-Arbeitskreis, nämlich den AK für Interdisziplinäre Hexenforschung aufbauen konnte. Gerd Schwerhoff (2011) erinnert sich so:


Wichtige Meilensteine waren für Schwerhoff die Jahre 1985 und 1991. Er schreibt:  
:"Die ersten Anstöße kamen dabei aus dem Kreis der Hexenforscher, die bereits 1985 einen eigenen Arbeitskreis (AK für Interdisziplinäre Hexenforschung) gegründet hatten. Auch Hexerei war, jedenfalls in der Frühen Neuzeit, ein Kriminaldelikt, und viele Diskussionen, die unter Hexenforschern geführt wurden, waren grosso modo auch für Kriminalitätshistoriker interessant. Gemeinsam war allen die Faszination für Gerichtsakten, für Quellen mithin, die nicht nur über die Rechtswirklichkeit Auskunft gaben, sondern die darüber hinaus als Schlüssellöcher taugten, um Blicke in die komplexe Alltagswelt vergangener Zeitalter zu riskieren. - Mit Andreas Blauert gab ein Hexenforscher die Anregung für ein erstes Treffen der „Krimi“-Historiker, eine Anregung, die Dieter R. Bauer als Geschichtsreferent der Akademie bereitwillig aufnahm. Über 20 Personen kamen Anfang Juni 1991 in Hohenheim zusammen, um Vorträge zu hören (z. T. konkrete Fallstudien, z. T. sehr programmatische Beiträge) und vor allem: um sich die Köpfe heißzureden und zu diskutieren! Darunter waren wenige Privatdozenten, viele mehr oder weniger frisch Promovierte und etliche Doktorandinnen und Doktoranden – jedoch kein etablierter Professor!" - "Heute dagegen ist die historische Kriminalitätsforschung eine etablierte Subdisziplin der Geschichtswissenschaft, deren Ergebnisse und Fallstudien weithin anerkannt sind und, noch wichtiger, mit anderen sozial- und kulturhistorischen Forschungsfeldern eng vernetzt sind."


:Ein Arbeitskreis an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der von 1991 bis 2010 zwanzig Zusammenkünfte in Stuttgart-Hohenheim veranstaltete, hat sehr wesentlich zu dieser Etablierung beigetragen. Die ersten Anstöße kamen dabei aus dem Kreis der Hexenforscher, die bereits 1985 einen eigenen Arbeitskreis (AK für Interdisziplinäre Hexenforschung) gegründet hatten. Auch Hexerei war, jedenfalls in der Frühen Neuzeit, ein Kriminaldelikt, und viele Diskussionen, die unter Hexenforschern geführt wurden, waren grosso modo auch für Kriminalitätshistoriker interessant. Gemeinsam war allen die Faszination für Gerichtsakten, für Quellen mithin, die nicht nur über die Rechtswirklichkeit Auskunft gaben, sondern die darüber hinaus als Schlüssellöcher taugten, um Blicke in die komplexe Alltagswelt vergangener Zeitalter zu riskieren. - Mit Andreas Blauert gab ein Hexenforscher die Anregung für ein erstes Treffen der „Krimi“-Historiker, eine Anregung, die Dieter R. Bauer als Geschichtsreferent der Akademie bereitwillig aufnahm. Über 20 Personen kamen Anfang Juni 1991 in Hohenheim zusammen, um Vorträge zu hören (z. T. konkrete Fallstudien, z. T. sehr programmatische Beiträge) und vor allem: um sich die Köpfe heißzureden und zu diskutieren! Darunter waren wenige Privatdozenten, viele mehr oder weniger frisch Promovierte und etliche Doktorandinnen und Doktoranden – jedoch kein etablierter Professor!
Einige Werke aus dieser Zeit, die mich besonders beeindruckten, waren die Darstellung von Gerichtspraxis und Strafritualen in der frühen Neuzeit in Richard van Dülmens (1985) [http://books.google.de/books?id=XjOF915mX-cC&pg=PA2&lpg=PA2&dq=%22Richard+van+D%C3%BClmen%22+Theater+des+Schreckens&source=bl&ots=UbFJDM1r_i&sig=L3DS7wDu_Jk_6Z0soTi1JtvYixM&hl=en&sa=X&ei=A4_JUdzHPPHS4QSLkIDgBQ&ved=0CG0Q6AEwBw Theater des Schreckens] (s. auch Richard van Dülmen, Hg., 1990 [http://www.lbz-rlp.de/Inhaltsverzeichnis/3787477.pdf Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle. Frankfurt: Fischer], die binnen eines Jahres auf Deutsch erschienene Monographie des französischen Kunsthistorikers Daniel Arasse (1987) über die Guillotine (Zusatztitel: Die Macht der Maschine und das Schauspiel der Gerechtigkeit; Rowohlt, Reinbek 1988; orig.: La Guillotine et l’imaginaire de la Terreur, éd. Flammarion, 1987), Arbeiten zur Geschichte der Polizei ([http://www.uni-erfurt.de/geschichte/historischeanthropologie/personen/luedtke/ wobei sich besonders Alf Lüdtke] und [http://www2.uni-wuppertal.de/FB1/brusten/reinke/ Herbert Reinke] verdient gemacht haben, nach ihnen aber auch Patrick Wagner mit seiner Arbeit über "Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. Konzeptionen und Praxis der Kriminalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus = Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte. Bd. 34. Christians, Hamburg 1996, ISBN 3-7672-1271-4; Patrick Wagner: ,Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus zwischen 1920 und 1960 = Beck'sche Reihe 1498. Beck, München 2002, ISBN 3-406-49402-1 und last not least zu den Zucht- und Arbeitshäusern, zu Gefängnissen und einzelnen Strafen (man denke an [[Pieter Spierenburg]] und Richard Evans mit seinem modernen Klassiker "Rituale der Vergeltung", in dem er vier Jahrhunderte  [http://www.gbv.de/dms/spk/sbb/toc/32705025X.pdf der Todesstrafe in Deutschland]abhandelt (2001).
 
Ich selbst erinnere mich vor allem an die Rezeption entsprechender Arbeiten der britischen ''social historians''. Mich faszinierten die von Edward P. Thompsons 1975 in England erschienenen "Whigs and Hunters" und sein Sammelband "Albion's Fatal Tree"; erst darüber wurde ich darauf aufmerksam, dass es auch einen schon länger in deutscher Übersetzung vorliegenden Eric J. Hobsbawm gab (seine Primitive Rebels von 1959 erschienen 1962 als "Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert. Luchterhand, Neuwied/Berlin" - 1979 erneut im Focus-Verlag, Gießen; seine "Bandits" von 1969 erschienen 1972 als "Die Banditen. Suhrkamp, Frankfurt" - 2007 erneut unter dem Titel "Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen" bei Hanser in München).  


Die historische Kriminologie weist mehrere Schwerpunkte auf:
Wo die Geschichte von den Einzeldelikten zu Deliktsgruppen und der Kriminalität insgesamt übergeht, wo dann lange, sich über Jahrhunderte oder Jahrtausende erstreckende Entwicklungen etwa der Gewalt und der Gewaltkriminalität ins Auge gefasst werden, da wenden sich Historiker meist schaudernd ab und überlassen das Feld gerne den Generalisten wie z.B. Steven Pinker mit seiner kürzlich erschienenen The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined (2011) - auf Deutsch: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit.


#Geschichte der Gerichtsverfahren und des Strafens: neben "Suveiller et punir" ist da vor allem Richard van Dülmen (1985) mit seinem [http://books.google.de/books?id=XjOF915mX-cC&pg=PA2&lpg=PA2&dq=%22Richard+van+D%C3%BClmen%22+Theater+des+Schreckens&source=bl&ots=UbFJDM1r_i&sig=L3DS7wDu_Jk_6Z0soTi1JtvYixM&hl=en&sa=X&ei=A4_JUdzHPPHS4QSLkIDgBQ&ved=0CG0Q6AEwBw Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München: C.H. Beck 1985] zu nennen (sowie der von ihm herausgegebene Band über [http://www.lbz-rlp.de/Inhaltsverzeichnis/3787477.pdf Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle. Frankfurt: Fischer 1990]. Dann kam bereits 1988 die 1987 in Paris veröffentlichte Arbeit des Kunsthistorikers Daniel Arasse (1987) über die Guillotine. Die Macht der Maschine und das Schauspiel der Gerechtigkeit (Rowohlt, Reinbek 1988)heraus (La Guillotine et l’imaginaire de la Terreur, éd. Flammarion, 1987). Zahlreiche Veröffentlichungen über die Geschichte von Zucht- und Arbeitshäusern, von Gefängnissen und von einzelnen Strafen - man denke auch an [[Pieter Spierenburg]] [http://de.wikipedia.org/wiki/Asouade (Asouade)] - kulminierten dann gewissermaßen in Richard Evans modernem Klassiker über die Rituale der Vergeltung, nämlich über vier Jahrhunderte [http://www.gbv.de/dms/spk/sbb/toc/32705025X.pdf der Todesstrafe in Deutschland](2001)
Selbst diese lückenhafte und von persönlichen Vorlieben geleitete Aufzählung dürfte deutlich machen: dass es Historiker waren, die sich die historische Kriminalitätsforschung eroberten und die damit den Löwenanteil der Annäherung zwischen Geschichte und Kriminologie leisteten. Das heißt nicht, dass Kriminologen absolut untätig geblieben wären - ich denke da an die ausgesprochen illuminierende kleine Arbeit über "Die ursprüngliche Erfindung des Verbrechens" von Henner Hess und Johannes Stehr (1987) - aber insgesamt ist doch ein ganz gewaltiges Übergewicht der Historiker zu verzeichnen. Aus meiner Sicht ist es schade, dass die historische Kriminologie, verstanden als Geschichtsforschung durch Kriminologen, gegenüber der historischen Kriminalitätsforschung, verstanden als Geschichtsforschung durch Historiker, so ins Hintertreffen geraten ist - nicht nur aus kriminologischem Fachegoismus heraus, sondern vor allem, weil historische Kriminologie ja eine gewisse Leitfunktion speziell kriminologischer Theorien und Fragestellungen impliziert, was zugleich eine besser Anschlussmöglichkeit an die allgemeinen kriminologischen Theorien implizierte.  
#Geschichte der Kriminalpolizei, besonders im Dritten Reich: Patrick Wagner über "Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. Konzeptionen und Praxis der Kriminalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte. Bd. 34). Christians, Hamburg 1996, ISBN 3-7672-1271-4; dann ebenfalls von Patrick Wagner: ,Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus zwischen 1920 und 1960 (= Beck'sche Reihe 1498). Beck, München 2002, ISBN 3-406-49402-1. Nicht nur, aber auch zur Polizei forschten natürlich auch sehr vielseitig und schon gleichsam eine Generation vor Wagner: [http://www.uni-erfurt.de/geschichte/historischeanthropologie/personen/luedtke/ Alf Lüdtke] und [http://www2.uni-wuppertal.de/FB1/brusten/reinke/ Herbert Reinke].
#Geschichte des Entstehens von, des Umgangs mit und des Vergehens von Einzeldelikten wie z.B. der Hexerei oder der Blasphemie (Schwerhoff). Wo die Geschichte von den Einzeldelikten zu Deliktsgruppen und der Kriminalität insgesamt übergeht, wo dann lange, sich über Jahrhunderte oder Jahrtausende erstreckende Entwicklungen etwa der Gewalt und der Gewaltkriminalität ins Auge gefasst werden, da wenden sich Historiker meist schaudernd ab und überlassen das Feld gerne den Generalisten wie z.B. Steven Pinker mit seiner kürzlich erschienenen The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined (2011) - auf Deutsch: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit.  


Es geht hier nicht um die Vollständigkeit der Aufzählung, sondern um Schlaglichter auf die Konjunktur der historischen Kriminalitätsforschung, die man - auch das sei gesagt - nicht ohne weiteres gleichsetzen kann mit historischer Kriminologie, was ja eine gewisse Leitfunktion speziell kriminologischer Theorien und Fragestellungen implizierte; dennoch bitte ich vorsorglich um Verzeihung für Auslassungen, Lücken und Nichterwähnungen aller Art. Auf jeden Fall zeigt diese kleine Aufzählung aber schon eines: dass es Historiker waren, die sich die historische Kriminalitätsforschung eroberten und die damit den Löwenanteil der Annäherung zwischen Geschichte und Kriminologie leisteten. Das heißt nicht, dass Kriminologen absolut untätig geblieben wären - ich denke da an die ausgesprochen illuminierende kleine Arbeit über "Die ursprüngliche Erfindung des Verbrechens" von Henner Hess und Johannes Stehr (1987) - aber insgesamt ist doch ein ganz gewaltiges Übergewicht der Historiker zu verzeichnen.
Aus der Sicht der Kriminologie ist dieses Ungleichgewicht zwischen historischer Kriminalitätsforschung und historischer Kriminologie deshalb ein bisschen bedauerlich. Man kann zwar froh sein, dass die anderen die Arbeit machen und man selbst das Vergnügen hat, in den Ergebnissen zu schmökern.


Aus der Sicht der Kriminologie ist dieses Ungleichgewicht auch ein bisschen schade. Warum? Man könnte ja froh sein, dass die anderen die Arbeit machen und man selbst das Vergnügen hat, in den Ergebnissen zu schmökern. Die Geschichte geht im wesentlichen idiographisch vor, das heißt sie befasst sich mit Einzelereignissen. Wie anders die durch und durch [https://de.wikipedia.org/wiki/Deduktiv-nomologisches_Modell| nomologisch] orientierte Kriminologie. Sie klassifiziert, typisiert und systematisiert gesellschaftliche Prozesse im historischen und internationalen Vergleich - immer auf der Suche nach (einst) eher deterministisch eingefärbten, heutzutage (hingegen) durchweg eher bescheiden auf probabilistische Relationen zurechtgestutzten Wenn-Dann-Gesetzmäßigkeiten. Die Frage „Warum tritt dieses oder jenes Phänomen auf?“ wird aufgefasst als Frage „Aufgrund welcher allgemeinen Gesetze und konkreten Vorbedingungen tritt dieses oder jenes Phänomen auf? - Und dies bezogen auf die Vergangenheit (Erklärung) wie auf die Zukunft (Prognose)" (vgl. Hempel/Oppenheim 1948: 136). Derlei Fokussierung unter dem Gesichtspunkt der Erklärung durch Gesetzmäßigkeiten und der Weiterentwicklung der Theorien, die sich mit den Entwicklungen von Kriminalität und Kontrolle befassen, kommt dann leicht zu kurz.
Doch wenn zwei das Gleiche machen, ist es noch lange nicht dasselbe. Die Geschichte geht im wesentlichen idiographisch vor, das heißt sie befasst sich mit Einzelereignissen. Wie anders die durch und durch [https://de.wikipedia.org/wiki/Deduktiv-nomologisches_Modell| nomologisch] orientierte Kriminologie. Sie klassifiziert, typisiert und systematisiert gesellschaftliche Prozesse im historischen und internationalen Vergleich - immer auf der Suche nach (einst) eher deterministisch eingefärbten, heutzutage (hingegen) durchweg eher bescheiden auf probabilistische Relationen zurechtgestutzten Wenn-Dann-Gesetzmäßigkeiten. Die Frage „Warum tritt dieses oder jenes Phänomen auf?“ wird aufgefasst als Frage „Aufgrund welcher allgemeinen Gesetze und konkreten Vorbedingungen tritt dieses oder jenes Phänomen auf? - Und dies bezogen auf die Vergangenheit (Erklärung) wie auf die Zukunft (Prognose)" (vgl. Hempel/Oppenheim 1948: 136). Derlei Fokussierung unter dem Gesichtspunkt der Erklärung durch Gesetzmäßigkeiten und der Weiterentwicklung der Theorien, die sich mit den Entwicklungen von Kriminalität und Kontrolle befassen, kommt dann leicht zu kurz.


Die Historiker die Arbeit machen zu lassen hat also nicht nur Vorteile, sondern auch einen nicht zu unterschätzenden Nachteil für die Kriminologie. Zugespitzt könnte man behaupten: die historische Kriminalitätsforschung hat ihren Ausgangspunkt in Fragestellungen der Historiographie, nicht der Kriminologie. Das ist der wichtigste Grund dafür, dass ihre Ergebnisse auch im Wesentlichen innerhalb der Geschichtswissenschaft und ihrer spezifischen Öffentlichkeit verbleiben, aber in der Kriminologie kaum rezipiert werden. Oder: sie geht nicht von der Kriminologie aus und sie kommt in der Kriminologie nicht an. Die Kriminologie - ausweislich ihrer Lehrbücher und Monographien, ihrer Curricula und ihrer Schwerpunkte - bleibt auf eine seltsame Weise fast unberührt von der reichen Ernte, die von der historischen Kriminalitätsforschung eingebracht wurde.
Die Historiker die Arbeit machen zu lassen hat also nicht nur Vorteile, sondern auch einen nicht zu unterschätzenden Nachteil für die Kriminologie. Zugespitzt könnte man behaupten: die historische Kriminalitätsforschung hat ihren Ausgangspunkt in Fragestellungen der Historiographie, nicht der Kriminologie. Das ist der wichtigste Grund dafür, dass ihre Ergebnisse auch im Wesentlichen innerhalb der Geschichtswissenschaft und ihrer spezifischen Öffentlichkeit verbleiben, aber in der Kriminologie kaum rezipiert werden. Oder: sie geht nicht von der Kriminologie aus und sie kommt in der Kriminologie nicht an. Die Kriminologie - ausweislich ihrer Lehrbücher und Monographien, ihrer Curricula und ihrer Schwerpunkte - bleibt auf eine seltsame Weise fast unberührt von der reichen Ernte, die von der historischen Kriminalitätsforschung eingebracht wurde.
31.738

Bearbeitungen