Kriminalprävention im Städtebau: Unterschied zwischen den Versionen

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==Entwicklungen==
==Entwicklungen==
Die Wurzeln städtebaulicher Kriminalprävention im Hinblick auf Wechselwirkungen zwischen menschlichen Gemeinschaften und ihrer physisch-räumlichen Umwelt sind innerhalb der [[Chicago School]] in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu finden. Die Ursprünge über Zusammenhänge von Raumgestaltung und [[Kriminalität]], die auch Gegenstand der [[Environmental Criminology]] sind, führten nach Kritik von Jane Jacobs an die Städteplaner in ihrem Buch `The Death an Life of Great American Cities` (1961) zu einer neuen Perspektive des Raumes im Kontext von Nutzung, Wahrnehmung und Verhaltensbeeinflussung durch Funktionsmischung und menschlichen Aktivitäten im Stadtgefüge.  
Die Wurzeln städtebaulicher Kriminalprävention im Hinblick auf Wechselwirkungen zwischen menschlichen Gemeinschaften und ihrer physisch-räumlichen Umwelt sind innerhalb der [[Chicago School]] in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu finden. Die Ursprünge über Zusammenhänge von Raumgestaltung und [[Kriminalität]], die auch Gegenstand der [[Environmental Criminology]] sind, führten nach Kritik von Jane Jacobs an die Städteplaner in ihrem Buch `The Death an Life of Great American Cities` (1961) zu einer neuen Perspektive des Raumes im Kontext von Nutzung, Wahrnehmung und Verhaltensbeeinflussung durch Funktionsmischung und menschlichen Aktivitäten im Stadtgefüge.  


===Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED)===
===Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED)===
C. Ray Jeffery entwickelte 1971 das Konzept Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED) als Grundlage u. a. für europäische bzw. deutsche Konzepte, innerhalb der die [[situationale Kriminalprävention]] Anwendung findet. Das übergeordnete CPTED-Konzept enthält im Wesentlichen '''drei Ansätze''', die einzeln oder kombiniert - unter Vernachlässigung sozialräumlicher Faktoren - durch räumlich-gestalterische Aspekte den öffentlichen Raum sicherer machen sollen: '''1. Steigerung der informellen sozialen Kontrolle''' (Jane Jacobs): Klare Abgrenzung des privaten vom öffentlichen Raum, Nutzungsmischung und Beeinflussung der Frequentierung des Raumes.  '''2. Veränderung der physikalischen Umwelt''' (Jeffery): Beeinflussung der Abwägung zugunsten einer Tat durch physikalische bzw. räumlich-gestalterische Maßnahmen.  '''3.Täterorientierter Raum-Selektionsansatz''': Nach Paul und Patricia Brantingham (1975) selektieren Täter nach einem Muster innerhalb ihrer persönlichen Aktionsradien  geeignete Tatorte für Einbruchdiebstähle in einer "Raum-Selektionstheorie" : Sie stellen bei der Auswahl ihrer Opfer oder Objekte rationale Überlegungen an, wobei das Motiv des Täters, ein geeignetes Ziel und die Zugänglichkeit eine besondere Rolle spielen. Täter wählen danach Schritt für Schritt ihr Opfer sehr bewusst nach ökonomischen Kriterien: Entdeckungsrisiko, Nutzen aus der Tat, Überwindung von Hindernissen, pp. Während Jeffery erkannte, dass nicht die äußeren Umweltbedingungen allein ursächlich für [[Kriminalität]] sein konnte, sondern nach seinem Verständnis auch „psychobiologische“ Effekte und die Wechselwirkungen zwischen beiden, fand diese Erkenntnis in großen Teilen der Literatur sowie auf das urspüngliche CPTED-Konzept aufbauende Ansätze keine Berücksichtigung  (Jeffery 1996: 1).
C. Ray Jeffery entwickelte 1971 das Konzept Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED) als Grundlage u. a. für europäische bzw. deutsche Konzepte, innerhalb der die [[situationale Kriminalprävention]] Anwendung findet. Das übergeordnete CPTED-Konzept enthält im Wesentlichen '''drei Ansätze''', die einzeln oder kombiniert - unter Vernachlässigung sozialräumlicher Faktoren - durch räumlich-gestalterische Aspekte den öffentlichen Raum sicherer machen sollen: '''1. Steigerung der informellen sozialen Kontrolle''' (Jane Jacobs): Klare Abgrenzung des privaten vom öffentlichen Raum, Nutzungsmischung und Beeinflussung der Frequentierung des Raumes.  '''2. Veränderung der physikalischen Umwelt''' (Jeffery): Beeinflussung der Abwägung zugunsten einer Tat durch physikalische bzw. räumlich-gestalterische Maßnahmen.  '''3.Täterorientierter Raum-Selektionsansatz''': Nach Paul und Patricia Brantingham (1975) selektieren Täter nach einem Muster innerhalb ihrer persönlichen Aktionsradien  geeignete Tatorte für Einbruchdiebstähle in einer "Raum-Selektionstheorie" : Sie stellen bei der Auswahl ihrer Opfer oder Objekte rationale Überlegungen an, wobei das Motiv des Täters, ein geeignetes Ziel und die Zugänglichkeit eine besondere Rolle spielen. Täter wählen danach Schritt für Schritt ihr Opfer sehr bewusst nach ökonomischen Kriterien: Entdeckungsrisiko, Nutzen aus der Tat, Überwindung von Hindernissen, pp. Während Jeffery erkannte, dass nicht die äußeren Umweltbedingungen allein ursächlich für [[Kriminalität]] sein konnte, sondern nach seinem Verständnis auch „psychobiologische“ Effekte und die Wechselwirkungen zwischen beiden, fand diese Erkenntnis in großen Teilen der Literatur sowie auf das urspüngliche CPTED-Konzept aufbauende Ansätze keine Berücksichtigung  (Jeffery 1996: 1).


===Defensible Space===
===Defensible Space===
Zeitgleich mit Jeffery entwickelte der amerikanische Architekt Oscar Newman '''vier Planungsansätze''' (Territorialität, Natürliche Überwachung, Milieu, Image), die er 1972 in seinem unter dem gleichnamigen Titel seines Buches  `Defensible Space`, veröffentlichte, mit denen die Überschaubarkeit und „Verteidigungsfähigkeit“ des Wohnumfeldes verbessert werden sollte. Defensible Space zielt auf die Entwicklung von Nachbarschaften, innerhalb der die Bewohner ermutigt werden sollen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der Ansatz enthält '''zwei Komponenten''': Erstens sollen Sichtbeziehungen im Raum geschaffen werden, die ein Sehen und Gesehen werden ermöglichen. Zweitens müssen die Menschen bereit sein, zu intervenieren bzw. Taten (der Polizei) mitzuteilen. Rolinski widerlegte die These von Newman. Er kam innerhalb seiner Studien zu Hochhäusern in München (1980: 47) zu dem Ergebnis, dass trotz Fehlens von `Defensible-space-Merkmalen in Hochhäusern (zehn Geschosse und mehr), sich nicht  wesentlich mehr Delikte als in Mehrfamilienhäusern (fünf Geschosse und weniger) mit vorhandenen Defensible-space-Merkmalen ereignen. Er führte dies auf soziologisch bedingte Umstände zurück, die sich in den USA anders als in Deutschland darstellten (1980: 200 ff.).
Zeitgleich mit Jeffery entwickelte der amerikanische Architekt Oscar Newman '''vier Planungsansätze''' (Territorialität, Natürliche Überwachung, Milieu, Image), die er 1972 in seinem unter dem gleichnamigen Titel seines Buches  `Defensible Space`, veröffentlichte, mit denen die Überschaubarkeit und „Verteidigungsfähigkeit“ des Wohnumfeldes verbessert werden sollte. Defensible Space zielt auf die Entwicklung von Nachbarschaften, innerhalb der die Bewohner ermutigt werden sollen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der Ansatz enthält '''zwei Komponenten''': Erstens sollen Sichtbeziehungen im Raum geschaffen werden, die ein Sehen und Gesehen werden ermöglichen. Zweitens müssen die Menschen bereit sein, zu intervenieren bzw. Taten (der Polizei) mitzuteilen. Rolinski widerlegte die These von Newman. Er kam innerhalb seiner Studien zu Hochhäusern in München (1980: 47) zu dem Ergebnis, dass trotz Fehlens von `Defensible-space-Merkmalen in Hochhäusern (zehn Geschosse und mehr), sich nicht  wesentlich mehr Delikte als in Mehrfamilienhäusern (fünf Geschosse und weniger) mit vorhandenen Defensible-space-Merkmalen ereignen. Er führte dies auf soziologisch bedingte Umstände zurück, die sich in den USA anders als in Deutschland darstellten (1980: 200 ff.).


===Der Broken-Windows-Ansatz und das Zero-Tolerance-Modell===
===Der Broken-Windows-Ansatz und das Zero-Tolerance-Modell===
Bedeutsame Entwicklungsaspekte sind der „[[Broken Windows]] Ansatz" sowie das auf Teilaspekte des Ansatzes beruhende Zero-Tolerance-Modell (Null Toleranz), durch den der Broken-Windows-Ansatz Mitte der 1990er Jahre an Popularität gewann. Während eine Übertragbarkeit des Zero-Tolerance-Modells auch in Deutschland vor dem Hintergrund spezifischer Rahmenbedingungen amerikanischer Großstädte sowie die politische Frage der Verhältnismäßigkeit entgegenstehen (vgl. Bässmann / Vogt 1997:24) wurde im [http://www.duesseldorf.de/download/dg.pdf Düsseldorfer Gutachten] i. Z. m. dem Broken-Windows-Ansatz u.a. festgestellt, das urbane Präventionstrategien, die allein auf die Aufrechterhaltung der Ordnung setzen, zu kurz greifen, lediglich die Symptome kurieren und dabei möglicherweise die Ursachen einer negativen Kriminalitätsentwicklung vernachlässigen (vgl. Rössner, D. et al., 2002: 422 ff.).
Bedeutsame Entwicklungsaspekte sind der „[[Broken Windows]] Ansatz" sowie das auf Teilaspekte des Ansatzes beruhende Zero-Tolerance-Modell (Null Toleranz), durch den der Broken-Windows-Ansatz Mitte der 1990er Jahre an Popularität gewann. Während eine Übertragbarkeit des Zero-Tolerance-Modells auch in Deutschland vor dem Hintergrund spezifischer Rahmenbedingungen amerikanischer Großstädte sowie die politische Frage der Verhältnismäßigkeit entgegenstehen (vgl. Bässmann / Vogt 1997:24) wurde im [http://www.duesseldorf.de/download/dg.pdf Düsseldorfer Gutachten] i. Z. m. dem Broken-Windows-Ansatz u.a. festgestellt, das urbane Präventionstrategien, die allein auf die Aufrechterhaltung der Ordnung setzen, zu kurz greifen, lediglich die Symptome kurieren und dabei möglicherweise die Ursachen einer negativen Kriminalitätsentwicklung vernachlässigen (vgl. Rössner, D. et al., 2002: 422 ff.).


===CEN (TR) 14383-2 - Norm für Kriminalprävention durch Raumplanung und Architektur [http://www.e-doca.eu/content/docs/Hannover060204.pdf]===
===CEN (TR) 14383-2 - Norm für Kriminalprävention durch Raumplanung und Architektur [http://www.e-doca.eu/content/docs/Hannover060204.pdf]===
Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet eine europäische Kommission (Technische Kommission 325) an einer einheitlichen europäischen Norm zur Kriminalprävention durch Raumplanung und -gestaltung. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenfassung der CPTED-Standards als Teil eines Bündel ineinander greifender Normen, die als Planungsinstrument und Nachschlagwerk für Planer, Architekten, Polizisten und Politiker dienen soll. Da sie nicht als einheitliches europäisches Instrument (EN) etabliert wurde (2004), findet sie als Technical Report (TR) Anwendung. Die Norm dient unter inhaltliche und verfahrensbedingte Anpassung auf Rahmenbedingung als Vorlage für mögliche Verfahrensweisen einer Sicherheitsverträglichskeitsprüfung auch in Deutschland.
Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet eine europäische Kommission (Technische Kommission 325) an einer einheitlichen europäischen Norm zur Kriminalprävention durch Raumplanung und -gestaltung. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenfassung der CPTED-Standards als Teil eines Bündel ineinander greifender Normen, die als Planungsinstrument und Nachschlagwerk für Planer, Architekten, Polizisten und Politiker dienen soll. Da sie nicht als einheitliches europäisches Instrument (EN) etabliert wurde (2004), findet sie als Technical Report (TR) Anwendung. Die Norm dient unter inhaltliche und verfahrensbedingte Anpassung auf Rahmenbedingung als Vorlage für mögliche Verfahrensweisen einer Sicherheitsverträglichskeitsprüfung auch in Deutschland.


===Deutschland===
===Deutschland===
Seit den 1990er Jahren werden in Deutschland Zusammenhänge von Städtebau und Sicherheit, die Übertragung des Defensible-Space-Ansatzes sowie die kriminalpräventive Siedlungsgestaltung analog des CPTED-Designs thematisiert.  Nach den Erkenntnissen über Wirkungen kriminalpräventiver Maßnahmen wird davon ausgegangen, dass "Sicherheit in einem Stadtquartier nicht über eine einzelne Strategie, sondern über ein integriertes Bündel von Handlungsformen bewerkstelligen lässt". Dies bedeutet insbesondere, dass "die Polizei und die anderen am Planungs- und Bauprozess beteiligten Einrichtungen sich nicht damit begnügen können, lediglich unter Sicherheitsaspekten akzeptable Bau- und Gestaltungsstandards umzusetzen" (vgl. H. Pfeiffer 2006: 10 ff). Allerdings wird auch festgestellt, dass Konzepte '''städtebaulicher Kriminalprävention''', die aus dem angloamerikanischen Raum übernommen wurden, ohne sie dem deutschen Kontext anzupassen, einerseits geringe Aktzeptanz der Maßnahmen finden und sie  andererseits ihre Potentiale in der deutschen Präventionskultur aufgrund der mangelnden Passgenauigkeit nicht entfalten können. In der Hoffnung, dass damit an den Wurzeln des Problems angesetzt wird, würde in Deutschland die Kriminalprävention meist auf soziale Maßnahmen enggeführt (vgl. Schubert et al. 2009: 1 ff).
Seit den 1990er Jahren werden in Deutschland Zusammenhänge von Städtebau und Sicherheit, die Übertragung des Defensible-Space-Ansatzes sowie die kriminalpräventive Siedlungsgestaltung analog des CPTED-Designs thematisiert.  Nach den Erkenntnissen über Wirkungen kriminalpräventiver Maßnahmen wird davon ausgegangen, dass "Sicherheit in einem Stadtquartier nicht über eine einzelne Strategie, sondern über ein integriertes Bündel von Handlungsformen bewerkstelligen lässt". Dies bedeutet insbesondere, dass "die Polizei und die anderen am Planungs- und Bauprozess beteiligten Einrichtungen sich nicht damit begnügen können, lediglich unter Sicherheitsaspekten akzeptable Bau- und Gestaltungsstandards umzusetzen" (vgl. H. Pfeiffer 2006: 10 ff). Allerdings wird auch festgestellt, dass Konzepte '''städtebaulicher Kriminalprävention''', die aus dem angloamerikanischen Raum übernommen wurden, ohne sie dem deutschen Kontext anzupassen, einerseits geringe Aktzeptanz der Maßnahmen finden und sie  andererseits ihre Potentiale in der deutschen Präventionskultur aufgrund der mangelnden Passgenauigkeit nicht entfalten können. In der Hoffnung, dass damit an den Wurzeln des Problems angesetzt wird, würde in Deutschland die Kriminalprävention meist auf soziale Maßnahmen enggeführt (vgl. Schubert et al. 2009: 1 ff).


== Städtebau und Kriminalprävention==
== Städtebau und Kriminalprävention==
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