Kriminalprävention im Städtebau: Unterschied zwischen den Versionen

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===Defensible Space===
===Defensible Space===
Zeitgleich mit Jeffery entwickelte der amerikanische Architekt Oscar Newman '''vier Planungsansätze''' (Territorialität, Natürliche Überwachung, Milieu, Image), die er 1972 in seinem unter dem gleichnamigen Titel seines Buches  `Defensible Space`, veröffentlichte, mit denen die Überschaubarkeit und „Verteidigungsfähigkeit“ des Wohnumfeldes verbessert werden sollte. Defensible Space zielt auf die Entwicklung von Nachbarschaften, innerhalb der die Bewohner ermutigt werden sollen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der Ansatz enthält '''zwei Komponenten''': Erstens sollen Sichtbeziehungen im Raum geschaffen werden, die ein Sehen und Gesehen werden ermöglichen. Zweitens müssen die Menschen bereit sein, zu intervenieren bzw. Taten (der Polizei) mitzuteilen.
Zeitgleich mit Jeffery entwickelte der amerikanische Architekt Oscar Newman '''vier Planungsansätze''' (Territorialität, Natürliche Überwachung, Milieu, Image), die er 1972 in seinem unter dem gleichnamigen Titel seines Buches  `Defensible Space`, veröffentlichte, mit denen die Überschaubarkeit und „Verteidigungsfähigkeit“ des Wohnumfeldes verbessert werden sollte. Defensible Space zielt auf die Entwicklung von Nachbarschaften, innerhalb der die Bewohner ermutigt werden sollen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der Ansatz enthält '''zwei Komponenten''': Erstens sollen Sichtbeziehungen im Raum geschaffen werden, die ein Sehen und Gesehen werden ermöglichen. Zweitens müssen die Menschen bereit sein, zu intervenieren bzw. Taten (der Polizei) mitzuteilen. Rolinski widerlegte die These von Newman. Er kam innerhalb seiner Studien zu Hochhäusern in München (1980: 47) zu dem Ergebnis, dass trotz Fehlens von `Defensible-space-Merkmalen in Hochhäusern (zehn Geschosse und mehr), sich nicht  wesentlich mehr Delikte als in Mehrfamilienhäusern (fünf Geschosse und weniger) mit vorhandenen Defensible-space-Merkmalen ereignen. Er führte dies auf soziologisch bedingte Umstände zurück, die sich in den USA anders als in Deutschland darstellten (1980: 200 ff.).
 
 
Rolinski widerlegte die These von Newman. Er kam innerhalb seiner Studien zu Hochhäusern in München (1980: 47) zu dem Ergebnis, dass trotz Fehlens von `Defensible-space-Merkmalen in Hochhäusern (zehn Geschosse und mehr), sich nicht  wesentlich mehr Delikte als in Mehrfamilienhäusern (fünf Geschosse und weniger) mit vorhandenen Defensible-space-Merkmalen ereignen. Er führte dies auf soziologisch bedingte Umstände zurück, die sich in den USA anders als in Deutschland darstellten (1980: 200 ff.).




===Der Broken-Windows-Ansatz und das Zero-Tolerance-Modell===
===Der Broken-Windows-Ansatz und das Zero-Tolerance-Modell===
Weitere Entwicklungsaspekte auf den Weg zu aktuellen Erkenntnissen sind der „[[Broken Windows]] Ansatz" sowie das auf Teilaspekte des Ansatzes beruhende Zero-Tolerance-Modell (Null Toleranz), durch den der Broken-Windows-Ansatz Mitte der 1990er Jahre an Popularität gewann.  
Bedeutsame Entwicklungsaspekte sind der „[[Broken Windows]] Ansatz" sowie das auf Teilaspekte des Ansatzes beruhende Zero-Tolerance-Modell (Null Toleranz), durch den der Broken-Windows-Ansatz Mitte der 1990er Jahre an Popularität gewann. Während eine Übertragbarkeit des Zero-Tolerance-Modells auch in Deutschland vor dem Hintergrund spezifischer Rahmenbedingungen amerikanischer Großstädte sowie die politische Frage der Verhältnismäßigkeit entgegenstehen (vgl. Bässmann / Vogt 1997:24) wurde im [http://www.duesseldorf.de/download/dg.pdf Düsseldorfer Gutachten] i. Z. m. dem Broken-Windows-Ansatz u.a. festgestellt, das urbane Präventionstrategien, die allein auf die Aufrechterhaltung der Ordnung setzen, zu kurz greifen, lediglich die Symptome kurieren und dabei möglicherweise die Ursachen einer negativen Kriminalitätsentwicklung vernachlässigen (vgl. Rössner, D. et al., 2002: 422 ff.).
 
Während eine Übertragbarkeit des Zero-Tolerance-Modells auch in Deutschland vor dem Hintergrund spezifischer Rahmenbedingungen amerikanischer Großstädte sowie die politische Frage der Verhältnismäßigkeit entgegenstehen (vgl. Bässmann / Vogt 1997:24) wurde im [http://www.duesseldorf.de/download/dg.pdf Düsseldorfer Gutachten] i. Z. m. dem Broken-Windows-Ansatz u.a. festgestellt, das urbane Präventionstrategien, die allein auf die Aufrechterhaltung der Ordnung setzen, zu kurz greifen, lediglich die Symptome kurieren und dabei möglicherweise die Ursachen einer negativen Kriminalitätsentwicklung vernachlässigen (vgl. Rössner, D. et al., 2002: 422 ff.).
 


===CEN (TR) 14383-2 - Norm für Kriminalprävention durch Raumplanung und Architektur [http://www.e-doca.eu/content/docs/Hannover060204.pdf]===
===CEN (TR) 14383-2 - Norm für Kriminalprävention durch Raumplanung und Architektur [http://www.e-doca.eu/content/docs/Hannover060204.pdf]===
Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet eine europäische Kommission (Technische Kommission 325) an einer einheitlichen europäischen Norm zur Kriminalprävention durch Raumplanung und -gestaltung.
Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet eine europäische Kommission (Technische Kommission 325) an einer einheitlichen europäischen Norm zur Kriminalprävention durch Raumplanung und -gestaltung. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenfassung der CPTED-Standards als Teil eines Bündel ineinander greifender Normen, die als Planungsinstrument und Nachschlagwerk für Planer, Architekten, Polizisten und Politiker dienen soll. Da sie nicht als einheitliches europäisches Instrument (EN) etabliert wurde (2004), findet sie als Technical Report (TR) Anwendung. Die Norm dient unter inhaltliche und verfahrensbedingte Anpassung auf Rahmenbedingung als Vorlage für mögliche Verfahrensweisen einer Sicherheitsverträglichskeitsprüfung auch in Deutschland.
Hierbei handelt es sich um eine Zusammenfassung der CPTED-Standards als Teil eines Bündel ineinander greifender Normen, die als Planungsinstrument und Nachschlagwerk für Planer, Architekten, Polizisten und Politiker dienen soll. Da sie nicht als einheitliches europäisches Instrument (EN) etabliert wurde (2004), findet sie als Technical Report (TR) Anwendung. Die Norm dient unter inhaltliche und verfahrensbedingte Anpassung auf Rahmenbedingung als Vorlage für mögliche Verfahrensweisen einer Sicherheitsverträglichskeitsprüfung auch in Deutschland.
 


===Deutschland===
===Deutschland===
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== Städtebau und Kriminalprävention==
== Städtebau und Kriminalprävention==
===Städtebau als Begriff===
===Städtebau als Begriff===
Der Begriff „Städtebau“ [http://de.wikipedia.org/wiki/Städtebau] bezeichnet die bauliche Entwicklung von Städten und schließt im Zusammenhang mit behördlichen Aufgaben die Nutzung von Grund und Boden sowie die örtliche Planung ein. Instrumente der städtebaulichen Planung sind der Bauleitplan, zu dem der Flächennutzungsplan und Bebauungspläne (§§ 5 – 10 BauGB) sowie Regelungen von Beteiligungen, die Zusammenarbeit mit Privaten (§§ 11 – 13 BauGB) und insbesondere die Beachtung von Grundsätzen (§§ 1 – 4 c BauGB) gehören. Zu den Grundsätzen zählen 24 Belange (§ 1 BauGB), die einem Abwägungsgebot unterliegen und berücksichtigt werden müssen (§ 7 BauGB). Innerhalb welcher Entscheidungen die Gewichtung von Belangen vorgenommen wird, obliegt einer politischen Gewichtung.
Der Begriff „Städtebau“ [http://de.wikipedia.org/wiki/Städtebau] bezeichnet die bauliche Entwicklung von Städten und schließt im Zusammenhang mit behördlichen Aufgaben die Nutzung von Grund und Boden sowie die örtliche Planung ein. Instrumente der städtebaulichen Planung sind der Bauleitplan, zu dem der Flächennutzungsplan und Bebauungspläne (§§ 5 – 10 BauGB) sowie Regelungen von Beteiligungen, die Zusammenarbeit mit Privaten (§§ 11 – 13 BauGB) und insbesondere die Beachtung von Grundsätzen (§§ 1 – 4 c BauGB) gehören. Zu den Grundsätzen zählen 24 Belange (§ 1 BauGB), die einem Abwägungsgebot unterliegen und berücksichtigt werden müssen (§ 7 BauGB). Innerhalb welcher Entscheidungen die Gewichtung von Belangen vorgenommen wird, obliegt einer politischen Gewichtung. Die aus juristischer Perspektive ausreichende Aufgabenstellung für Stadtplanung i.S.d. der städtebaulichen Kriminalprävention (vgl. H. Pfeiffer 2006: 10 ff) wird in § 1 Abs. 6 Nr. 1 -3 BauGB formuliert, wonach "''bei der Aufstellung der Bauleitpläne insbesondere zu berücksichtigen sind:''
 
 
Die aus juristischer Perspektive ausreichende Aufgabenstellung für Stadtplanung i.S.d. der städtebaulichen Kriminalprävention (vgl. H. Pfeiffer 2006: 10 ff) wird in § 1 Abs. 6 Nr. 1 -3 BauGB formuliert, wonach "''bei der Aufstellung der Bauleitpläne insbesondere zu berücksichtigen sind:''




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===Verbindung von Städtebau und Kriminalprävention am Beispiel interdisziplinärer Kooperationen in Niedersachen===
===Verbindung von Städtebau und Kriminalprävention am Beispiel interdisziplinärer Kooperationen in Niedersachen===
Seit 2003 werden in Niedersachsen Konzepte zur städtebaulichen Kriminalprävention entwickelt, in denen deutsche bzw. europäische Erfahrungen unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen in Deutschland Berücksichtigung finden können.  [http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C50167062_L20.pdf]
Seit 2003 werden in Niedersachsen Konzepte zur städtebaulichen Kriminalprävention entwickelt, in denen deutsche bzw. europäische Erfahrungen unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen in Deutschland Berücksichtigung finden können.  [http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C50167062_L20.pdf]. Kern des niedersächsischen Weges ist eine Vernetzung innerhalb der Institutionen und Akteure in Form einer Kooperation ("'''Sicherheitspartnerschaft im Städtebau in Niedersachsen'''") auf Landesebene [http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C14126285_L20.pdf] sowie vorrangig zwischen Polizei und Städten bzw. Gemeinden auf kommunalen Ebenen.
 
Kern des niedersächsischen Weges ist eine Vernetzung innerhalb der Institutionen und Akteure in Form einer Kooperation ("'''Sicherheitspartnerschaft im Städtebau in Niedersachsen'''") auf Landesebene [http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C14126285_L20.pdf] sowie vorrangig zwischen Polizei und Städten bzw. Gemeinden auf kommunalen Ebenen.




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===Leitfaden für lokale Sicherheitsanalysen [http://www.beccaria.de/Kriminalpraevention/de/Dokumente/Leitfaden%20Sicherheitsanalyse.pdf]===
===Leitfaden für lokale Sicherheitsanalysen [http://www.beccaria.de/Kriminalpraevention/de/Dokumente/Leitfaden%20Sicherheitsanalyse.pdf]===
Der Leitfaden wurde  in Anlehnung an die EU-Leitlinien zur Kriminalprävention vom Europäischen Forum für urbane Sicherheit primär für die Unterstützung der Präventionsarbeit im städtischen Umfeld  entwickelt.  Er sieht eine Sicherheitsanalyse vor, die nicht nur [[Kriminalität]] und [[Viktimisierung]] untersucht, sondern auch deren Beziehung zu sozioökonomischen Faktoren und bestehenden öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen, ebenso wie die breiteren politischen und institutionellen Zusammenhänge, in denen Probleme auftreten. Zu einer '''stadtweiten Analyse''' gehören:
Der Leitfaden wurde  in Anlehnung an die EU-Leitlinien zur Kriminalprävention vom Europäischen Forum für urbane Sicherheit primär für die Unterstützung der Präventionsarbeit im städtischen Umfeld  entwickelt.  Er sieht eine Sicherheitsanalyse vor, die nicht nur [[Kriminalität]] und [[Viktimisierung]] untersucht, sondern auch deren Beziehung zu sozioökonomischen Faktoren und bestehenden öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen, ebenso wie die breiteren politischen und institutionellen Zusammenhänge, in denen Probleme auftreten.  
 
*'''Umfelddarstellung''' mit einer Übersicht städtischer Eigenschaften
 
*'''Kriminalitäts- und Gewaltanalyse''' einschl. ''Disorder'' (Störung der öffentlichen Ordnung) und ''Incivilities'' (Phänomene wie Vandalismus, Graffiti, Bettelei etc.) sowie des Ausmaßes, der Entwicklung, Verteilung und Auswirkungen ihres Auftretens
 
*'''Struktur von Risikofaktoren''' zur Auftretenswahrscheinlichkeit von [[Kriminalität]] und Gewalt
 
*'''Effektivität von Projekten und Programmen der [[Prävention]]''', z.B. Gesundheits-, Wohnungs-, Sozialdienste, Erziehung und Bildung;
 
*'''Bewertung der institutionellen Bewertung'''
 
* '''Chancen, Stärken und Potentiale''' der Gegend ermitteln (einschl. Grad des sozialen Zusammenhaltes)




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