Kriminalprävention im Städtebau: Unterschied zwischen den Versionen

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In der 1982 von James Q. Wilson und George L. Kelling formulierten und auf die Situation in den USA begründeten „[[Broken Windows]] Theorie" wendet sich Wilson gegen die vorherrschende Überzeugung, dass Kriminalität dann am besten gesenkt werden könne, wenn man allein die Ursachen der Kriminalität („Root Causes“) – wie wirtschaftliche Armut und Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Rassendiskriminierung sowie aus fehlender Organisation von Gemeinden und Familien resultierende Sozialisationsmängel bekämpfe. Als Alternative wählte Wilson einen ökonomisch begründeten Ansatz: Er ging davon aus, dass Kriminalität in hohem Maße das Ergebnis einer freien und bewussten Willensentscheidung sei. Der potenzielle Straftäter könne Aufwand und Nutzen seines Handelns abwägen und sein Verhalten seinem Abwägungsergebnis entsprechend gestalten (vgl. Theorie der rationalen Entscheidung [http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_rationalen_Entscheidung] bzw. Rational Choice Theorie oder [[Routine Activity Theory]]).
In der 1982 von James Q. Wilson und George L. Kelling formulierten und auf die Situation in den USA begründeten „[[Broken Windows]] Theorie" wendet sich Wilson gegen die vorherrschende Überzeugung, dass Kriminalität dann am besten gesenkt werden könne, wenn man allein die Ursachen der Kriminalität („Root Causes“) – wie wirtschaftliche Armut und Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Rassendiskriminierung sowie aus fehlender Organisation von Gemeinden und Familien resultierende Sozialisationsmängel bekämpfe. Als Alternative wählte Wilson einen ökonomisch begründeten Ansatz: Er ging davon aus, dass Kriminalität in hohem Maße das Ergebnis einer freien und bewussten Willensentscheidung sei. Der potenzielle Straftäter könne Aufwand und Nutzen seines Handelns abwägen und sein Verhalten seinem Abwägungsergebnis entsprechend gestalten (vgl. Theorie der rationalen Entscheidung [http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_rationalen_Entscheidung] bzw. Rational Choice Theorie oder [[Routine Activity Theory]]).


 
Diese Theorie postuliert bestimmte Effekte des Ausmaßes physischer Unordnung (physical disorder, physical incivilities) sowie sozialer Unordnung (social disorder, social incivilities) auf die Kriminalitätsfurcht der Bewohner und die von ihnen praktizierte informelle [[soziale Kontrolle]] im Stadtteil: Nach Wilson/Kelling bewirken '''sechs Faktoren oder Stufen den Niedergang eines Wohnquartiers und das Ansteigen der Kriminalität:'''
Nach Wilson/Kelling bewirken '''sechs Faktoren oder Stufen den Niedergang eines Wohnquartiers und das Ansteigen der Kriminalität:'''




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■ Der Anstieg der Kriminalität erhöht die Verbrechensfurcht und begünstigt weiter den Rückzug der „anständigen“ Bürgerinnen und Bürger. Es ziehen Bevölkerungsgruppen nach, die die Nachbarschaft sozial aus dem Gleichgewicht bringen.
■ Der Anstieg der Kriminalität erhöht die Verbrechensfurcht und begünstigt weiter den Rückzug der „anständigen“ Bürgerinnen und Bürger. Es ziehen Bevölkerungsgruppen nach, die die Nachbarschaft sozial aus dem Gleichgewicht bringen.
====Zero-Tolerance-Modell====
Populäre Bedeutung hat der Broken-Windows-Ansatz insbesondere mit der Politik der Zero-Tolerance (Null Toleranz), New York, Mitte der 1990er Jahre erlangt. Die Strategie des »Wehret den Anfängen« legt den Schwerpunkt auf die formelle soziale Kontrolle der incivilities und bezieht sich damit nur auf einen Teilaspekt des Broken-Windows-Ansatzes.  Mit dem Konzept des Community Policing hingegen wird der zentrale Gedanke des Broken-Windows-Ansatzes, die Stärkung der informellen sozialen Kontrolle in einem Viertel, aufgegriffen. (vgl. Häfele /Lüdemann 2006:273 ff. ). Einer Übertragbarkeit auch in Deutschland stehen spezifische Rahmenbedingungen amerikanischer Großstädte sowie die politische Frage der Verhältnismäßigkeit entgegen (vgl. Bässmann / Vogt 1997:24). Näheres dazu siehe: [[Broken Windows]].




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===Deutschland===
===Deutschland===
Seit den 1990er Jahren werden in Deutschland Zusammenhänge von Städtebau und Sicherheit, die Übertragung des Defensible-Space-Ansatzes sowie die kriminalpräventive Siedlungsgestaltung analog des CPTED-Designs thematisiert. Lag bzw. liegt der Schwerpunkt im Zusammenhang mit sicherem Wohnen in Deutschland bislang überwiegend in der technischen Sicherung von Häusern und Gebäuden, so sind zunehmend Entwicklungen festzustellen, die das Wohnumfeld, Quartier, Stadtteil oder die Stadt/Gemeinde betreffen. Vorrangig durch die Polizeien der Länder wurden Konzepte entwickelt, Kriminalprävention und Stadtplanung zu verbinden. Innerhalb der Polizei wurden Ansprechpartner genannt, Checklisten entwickelt und Leitlinien zur Kriminalprävention angepasst.[http://www.polizei.schleswig-holstein.de/internet/DE/VorbeugungBeratung/Staedtebau/__download/sachstandsbericht,templateId=raw,property=publicationFile.pdf]  Hierbei sind Tendenzen erkennbar, die nicht ausschließlich auf räumlich-gestalterische Aspekte verharren, sondern auch sozialräumliche Faktoren berücksichtigen [http://www.bpb.de/publikationen/OSCVRX,3,0,Sicherheit_durch_pr%E4ventive_Stadtgestaltung_Deutschland_und_Gro%DFbritannien.html#art3].
Seit den 1990er Jahren werden in Deutschland Zusammenhänge von Städtebau und Sicherheit, die Übertragung des Defensible-Space-Ansatzes sowie die kriminalpräventive Siedlungsgestaltung analog des CPTED-Designs thematisiert. Lag bzw. liegt der Schwerpunkt im Zusammenhang mit sicherem Wohnen in Deutschland bislang überwiegend in der technischen Sicherung von Häusern und Gebäuden, so sind zunehmend Entwicklungen festzustellen, die das Wohnumfeld, Quartier, Stadtteil oder die Stadt/Gemeinde betreffen. Vorrangig durch die Polizeien der Länder wurden Konzepte entwickelt, Kriminalprävention und Stadtplanung zu verbinden. Innerhalb der Polizei wurden Ansprechpartner genannt, Checklisten entwickelt und Leitlinien zur Kriminalprävention angepasst.[http://www.polizei.schleswig-holstein.de/internet/DE/VorbeugungBeratung/Staedtebau/__download/sachstandsbericht,templateId=raw,property=publicationFile.pdf]  Hierbei sind Tendenzen erkennbar, die nicht ausschließlich auf räumlich-gestalterische Aspekte verharren, sondern auch sozialräumliche Faktoren berücksichtigen [http://www.bpb.de/publikationen/OSCVRX,3,0,Sicherheit_durch_pr%E4ventive_Stadtgestaltung_Deutschland_und_Gro%DFbritannien.html#art3].
Den Erkenntnissen über Wirkungen kriminalpräventiver Maßnahmen zufolge wird davon ausgegangen, dass "Sicherheit in einem Stadtquartier nicht über eine einzelne Strategie, sondern über ein integriertes Bündel von Handlungsformen bewerkstelligen lässt". Dies bedeutet insbesondere, dass "die Polizei und die anderen am Planungs- und Bauprozess beteiligten Einrichtungen sich nicht damit begnügen können, lediglich unter Sicherheitsaspekten akzeptable Bau- und Gestaltungsstandards umzusetzen" (vgl. H. Pfeiffer in `Die Sichere Stadt als interdisziplinäre Disziplin, 2006: 10 ff).




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Den Erkenntnissen über Wirkungen kriminalpräventiver Maßnahmen zufolge wird davon ausgegangen, dass "Sicherheit in einem Stadtquartier nicht über eine einzelne Strategie, sondern über ein  integriertes Bündel von Handlungsformen bewerkstelligen lässt". Dies bedeutet insbesondere, dass "''die Polizei und die anderen am Planungs- und Bauprozess beteiligten Einrichtungen sich nicht damit begnügen können, lediglich unter Sicherheitsaspekten akzeptable Bau- und Gestaltungsstandards umzusetzen''" (vgl. H. Pfeiffer in `Die Sichere Stadt als interdisziplinäre Disziplin, 2006: 10 ff).
Die weitgehende Definitionsmacht von Sicherheitsrisiken an fachlich Unbedarfte, wie z.B. Geschäftsbetreiber, Einzelhandel, pp, lässt kein allgemein einheitliches Verständnis von Devianz und Kriminalitätsrisiken zu. Der Supermarktbetreiber mag herumlungernde Alkoholiker, die Boutiquebesitzerin Bettler und Musikanten  vor ihrem Schaufenster mit kriminellen Risiken assoziieren. Anlass für Interventionen ist nicht drohende Kriminalität, sondern drohende Störung der unternehmerischen Aktivitäten (vgl. Kunz 2008: 331 ff.).




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*Hackmann, K./Krämer, P., (2008), Lingener Kooperationsverfahren zu einer sichereren Stadt, in: Landespräventionsrat Niedersachsen/Nds. Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit  (Hrsg.): Die Sichere Stadt als interdisziplinäre Aufgabe. Deutsche und europäische Perspektiven, S. 49 ff.
*Hackmann, K./Krämer, P., (2008), Lingener Kooperationsverfahren zu einer sichereren Stadt, in: Landespräventionsrat Niedersachsen/Nds. Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit  (Hrsg.): Die Sichere Stadt als interdisziplinäre Aufgabe. Deutsche und europäische Perspektiven, S. 49 ff.
*Hackmann, K. (2007), Fachtagung Sichere Stadt als interdisziplinäre Disziplin - ,,Die Aufgabe deutsche und europäische Perspektiven" - Bericht und Anschlussbetrachtung, in: Forum Kriminalprävention, Zeitschrift der Stiftung Deutsche Forum für Kriminalprävention Nr. 1/2007, S. 26 ff.
*Hackmann, K. (2007), Fachtagung Sichere Stadt als interdisziplinäre Disziplin - ,,Die Aufgabe deutsche und europäische Perspektiven" - Bericht und Anschlussbetrachtung, in: Forum Kriminalprävention, Zeitschrift der Stiftung Deutsche Forum für Kriminalprävention Nr. 1/2007, S. 26 ff.
*Häfele, J./Lüdemann, C. (2006) Incivilities“ und Kriminalitätsfurcht im urbanen Raum. Eine Untersuchung durch Befragung und Beobachtung. In: Kriminologisches Journal, 38.Jg.,Heft 4 2006, S. 273-291.
*Häußermann, H./Läpple, D./Siebel, W. (2008): Stadtpolitik, Bonn
*Häußermann, H./Läpple, D./Siebel, W. (2008): Stadtpolitik, Bonn
*Jacobs, J. (1993): Tod und Leben großer amerikanischer Städte, 3. Aufl., Braunschweig
*Jacobs, J. (1993): Tod und Leben großer amerikanischer Städte, 3. Aufl., Braunschweig
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http://www.theatlantic.com/doc/198203/broken-windows
http://www.theatlantic.com/doc/198203/broken-windows
http://www.isip.uni-hamburg.de/index.php?option=com_content&view=...tal-und-kriminalitaet&catid=37:abgeschlossene-projekte&Itemid=58
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