Kriminalprävention im Städtebau: Unterschied zwischen den Versionen

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===Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED)===
===Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED)===
C. Ray Jeffery entwickelte 1971 das Konzept Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED) als Grundlage u. a. für europäische bzw. deutsche Konzepte, innerhalb der die [[situationale Kriminalprävention]] Anwendung findet.
C. Ray Jeffery entwickelte 1971 das Konzept Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED) als Grundlage u. a. für europäische bzw. deutsche Konzepte, innerhalb der die [[situationale Kriminalprävention]] Anwendung findet. Das übergeordnete CPTED-Konzept enthält im Wesentlichen '''drei Ansätze''', die einzeln oder kombiniert - unter Vernachlässigung sozialräumlicher Faktoren - durch räumlich-gestalterische Aspekte den öffentlichen Raum sicherer machen sollen:  
 
 
Das übergeordnete CPTED-Konzept enthält im Wesentlichen '''drei Ansätze''', die einzeln oder kombiniert - unter Vernachlässigung sozialräumlicher Faktoren - durch räumlich-gestalterische Aspekte den öffentlichen Raum sicherer machen sollen:  


'''1. Steigerung der informellen sozialen Kontrolle''' (Jane Jacobs): Klare Abgrenzung des privaten vom öffentlichen Raum, Nutzungsmischung und Beeinflussung der Frequentierung des Raumes.  
'''1. Steigerung der informellen sozialen Kontrolle''' (Jane Jacobs): Klare Abgrenzung des privaten vom öffentlichen Raum, Nutzungsmischung und Beeinflussung der Frequentierung des Raumes.  
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===Defensible Space===
===Defensible Space===
Zeitgleich mit Jeffery entwickelte der amerikanische Architekt Oscar Newman '''vier Planungsansätze''', die er 1972 in seinem unter dem gleichnamigen Titel seines Buches  `defensible space`, veröffentlichte, mit denen die Überschaubarkeit und „Verteidigungsfähigkeit“ des Wohnumfeldes verbessert werden sollte:
Zeitgleich mit Jeffery entwickelte der amerikanische Architekt Oscar Newman '''vier Planungsansätze''', die er 1972 in seinem unter dem gleichnamigen Titel seines Buches  `defensible space`, veröffentlichte, mit denen die Überschaubarkeit und „Verteidigungsfähigkeit“ des Wohnumfeldes verbessert werden sollte:


'''1. „Territorialität'''“: Zonierung in öffentliche, halböffentliche und private Räume, die für Fremde Barrieren schaffen und soziale Kontrolle erleichtern soll;  
'''1. „Territorialität'''“: Zonierung in öffentliche, halböffentliche und private Räume, die für Fremde Barrieren schaffen und soziale Kontrolle erleichtern soll;  
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'''4. „Image“''': Gestaltungsqualität von Gebäude(n) bzw. des Quartiers  
'''4. „Image“''': Gestaltungsqualität von Gebäude(n) bzw. des Quartiers  


Defensible space zielt auf die Entwicklung von Nachbarschaften, innerhalb der die Bewohner ermutigt werden sollen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der Ansatz enthält '''zwei Komponenten''': Erstens sollen Sichtbeziehungen im Raum geschaffen werden, die ein Sehen und Gesehen werden ermöglichen. Zweitens müssen die Menschen bereit sein, zu intervenieren bzw. Taten (der Polizei) mitzuteilen.
Defensible space zielt auf die Entwicklung von Nachbarschaften, innerhalb der die Bewohner ermutigt werden sollen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der Ansatz enthält '''zwei Komponenten''': Erstens sollen Sichtbeziehungen im Raum geschaffen werden, die ein Sehen und Gesehen werden ermöglichen. Zweitens müssen die Menschen bereit sein, zu intervenieren bzw. Taten (der Polizei) mitzuteilen.
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== Städtebau und Kriminalprävention==
== Städtebau und Kriminalprävention==
===Städtebau als Begriff===
===Städtebau als Begriff===
Der Begriff „Städtebau“ [http://de.wikipedia.org/wiki/Städtebau] bezeichnet die bauliche Entwicklung von Städten und schließt im Zusammenhang mit behördlichen Aufgaben die Nutzung von Grund und Boden sowie die örtliche Planung ein. Instrumente der städtebaulichen Planung sind der Bauleitplan, zu dem der Flächennutzungsplan und Bebauungspläne (§§ 5 – 10 BauGB) sowie Regelungen von Beteiligungen, die Zusammenarbeit mit Privaten (§§ 11 – 13 BauGB) und insbesondere die Beachtung von Grundsätzen (§§ 1 – 4 c BauGB) gehören. Zu den Grundsätzen zählen 24 Belange (§ 1 BauGB), die einem Abwägungsgebot unterliegen und berücksichtigt werden müssen (§ 7 BauGB). Innerhalb welcher Entscheidungen die Gewichtung von Belangen vorgenommen wird, obliegt einer politischen Gewichtung.
Der Begriff „Städtebau“ [http://de.wikipedia.org/wiki/Städtebau] bezeichnet die bauliche Entwicklung von Städten und schließt im Zusammenhang mit behördlichen Aufgaben die Nutzung von Grund und Boden sowie die örtliche Planung ein. Instrumente der städtebaulichen Planung sind der Bauleitplan, zu dem der Flächennutzungsplan und Bebauungspläne (§§ 5 – 10 BauGB) sowie Regelungen von Beteiligungen, die Zusammenarbeit mit Privaten (§§ 11 – 13 BauGB) und insbesondere die Beachtung von Grundsätzen (§§ 1 – 4 c BauGB) gehören. Zu den Grundsätzen zählen 24 Belange (§ 1 BauGB), die einem Abwägungsgebot unterliegen und berücksichtigt werden müssen (§ 7 BauGB). Innerhalb welcher Entscheidungen die Gewichtung von Belangen vorgenommen wird, obliegt einer politischen Gewichtung.
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3. die''' sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung''', insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen, unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer sowie die Belange des Bildungswesens und von Sport, Freizeit und Erholung.'"''
3. die''' sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung''', insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen, unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer sowie die Belange des Bildungswesens und von Sport, Freizeit und Erholung.'"''


===Verbindung von Städtebau und Kriminalprävention am Beispiel interdisziplinärer Kooperationen in Niedersachen===
===Verbindung von Städtebau und Kriminalprävention am Beispiel interdisziplinärer Kooperationen in Niedersachen===
Seit 2003 werden in Niedersachsen Konzepte zur städtebaulichen Kriminalprävention entwickelt, in denen deutsche bzw. europäische Erfahrungen unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen in Deutschland Berücksichtigung finden können.  [http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C50167062_L20.pdf]
Seit 2003 werden in Niedersachsen Konzepte zur städtebaulichen Kriminalprävention entwickelt, in denen deutsche bzw. europäische Erfahrungen unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen in Deutschland Berücksichtigung finden können.  [http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C50167062_L20.pdf]


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===='''1. Ebene: Stadt bzw. Gemeinde'''====
===='''1. Ebene: Stadt bzw. Gemeinde'''====
Ein strategischer Ansatz, d.h. die Entwicklung eines Langzeitplanes, der auf einer situativen Analyse basiert und von den Werten und Perspektiven beeinflusst sowie auf die Erreichung der vereinbarten Ziele angelegt ist, ist der beste Weg zu effektiven und nachhaltigen Reaktionen, die die knappen Ressourcen optimal ausnutzen.  Der erste Schritt muss dabei die Mobilisierung der wichtigsten Stakeholder sein. Zu ihren wichtigsten Mitgliedern gehören insbesondere der Bürgermeister und der Polizeichef (EU-Forum, Leitfaden für lokale Sicherheitsanalysen, S. 16).
Ein strategischer Ansatz, d.h. die Entwicklung eines Langzeitplanes, der auf einer situativen Analyse basiert und von den Werten und Perspektiven beeinflusst sowie auf die Erreichung der vereinbarten Ziele angelegt ist, ist der beste Weg zu effektiven und nachhaltigen Reaktionen, die die knappen Ressourcen optimal ausnutzen.  Der erste Schritt muss dabei die Mobilisierung der wichtigsten Stakeholder sein. Zu ihren wichtigsten Mitgliedern gehören insbesondere der Bürgermeister und der Polizeichef (EU-Forum, Leitfaden für lokale Sicherheitsanalysen, S. 16).


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===='''2. Ebene: Ortsteil, Quartier, Bezugsraum'''====
===='''2. Ebene: Ortsteil, Quartier, Bezugsraum'''====
[[Bild:Arbeitsschritte Lagebild.png|thumb|right|Arbeitsschritte zur Erstellung eines kleinräumigen Lagebildes zur städtebaulichen Kriminalprävention]] Eine hohe Bedeutung hat der Raum, der in einem engen räumlichen Bezug zueinander steht und z. B. ein Quartier bzw. Wohngebiet bildet. Wahrnehmung, Orientierung, Zustand, Mobilität, Frequentierung, Mischung, Image, soziale Netzwerke, Segregations- und Benachteiligungsprozesse sowie die Infrastruktur wirken auf Bewohner, Nutzer sowie tatgeneigte Personen, erzeugen Rückkoppelungseffekte und können benachteiligende Prozesse sowie Devianz beeinflussen.
[[Bild:Arbeitsschritte Lagebild.png|thumb|right|Arbeitsschritte zur Erstellung eines kleinräumigen Lagebildes zur städtebaulichen Kriminalprävention]] Eine hohe Bedeutung hat der Raum, der in einem engen räumlichen Bezug zueinander steht und z. B. ein Quartier bzw. Wohngebiet bildet. Wahrnehmung, Orientierung, Zustand, Mobilität, Frequentierung, Mischung, Image, soziale Netzwerke, Segregations- und Benachteiligungsprozesse sowie die Infrastruktur wirken auf Bewohner, Nutzer sowie tatgeneigte Personen, erzeugen Rückkoppelungseffekte und können benachteiligende Prozesse sowie Devianz beeinflussen.


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===='''3. Ebene: Baugebiet bzw. Wohnumfeld'''====
===='''3. Ebene: Baugebiet bzw. Wohnumfeld'''====
Prinzipien eines integrativen (nachbarschaftlichen) Miteinanders, Identifizierung mit dem unmittelbaren Wohnumfeld, Verantwortung für das Wohnumfeld, Aufenthaltsqualität, Frequentierung, Orientierungsmöglichkeiten, Instandhaltung, Konfliktregulierungsmöglichkeiten, Mobilität und soziale (informelle) Kontrolle sind zentrale Faktoren, die bestehende Problemlagen und Konfliktsituationen beeinflussen aber auch situative Bedingungen für Devianz unmittelbar beeinflussen können. Diese Faktoren bilden relevante Informationen, die in dem  '''''Dialogsystem''''' als Grundlage für mögliche unterstützende  Interventionsmaßnahmen eingebettet werden können.
Prinzipien eines integrativen (nachbarschaftlichen) Miteinanders, Identifizierung mit dem unmittelbaren Wohnumfeld, Verantwortung für das Wohnumfeld, Aufenthaltsqualität, Frequentierung, Orientierungsmöglichkeiten, Instandhaltung, Konfliktregulierungsmöglichkeiten, Mobilität und soziale (informelle) Kontrolle sind zentrale Faktoren, die bestehende Problemlagen und Konfliktsituationen beeinflussen aber auch situative Bedingungen für Devianz unmittelbar beeinflussen können. Diese Faktoren bilden relevante Informationen, die in dem  '''''Dialogsystem''''' als Grundlage für mögliche unterstützende  Interventionsmaßnahmen eingebettet werden können.




===='''4. Ebene: Gebäude, Haus, Wohnung'''====  
===='''4. Ebene: Gebäude, Haus, Wohnung'''====  
 
Auf dieser (Mikro-)Ebene kommt die Einbruchsprävention, also die Vermeidung von Einbruchdiebstählen in Wohnungen, Häusern oder Gebäuden zur Anwendung. Relevante Faktoren sind Möglichkeiten der Vorbeugung durch bestimmte Verhaltensweisen, Gestaltung des Gebäudes bzw- Grundstückes sowie technische Einbruchhemmungsmechanismen. Siehe dazu Informationsangebot der Polizei: [http://einbruchschutz.polizei-beratung.de/]. Im Hinblick auf Aspekte städtebaulicher Kriminalprävention spielen hier die Wahrung von Sichtbeziehungen auf das Wohnumfeld, gesicherte Abstellmöglichkeiten für Fahrzeuge, Beleuchtungsaspekte, Überschaubarkeit und "Verteidigungsfähigkeit" des Wohnumfeldes (vgl. defensible space)  eine Rolle.
Auf dieser (Mikro-)Ebene kommt die Einbruchsprävention, also die Vermeidung von Einbruchdiebstählen [http://wikipedia.org/wiki/Einbruch] in Wohnungen, Häusern oder Gebäuden [http://www.polizei-beratung.de/vorbeugung/diebstahl_einbruch/einbruchsdiebstahl/] zur Anwendung. Relevante Faktoren sind Möglichkeiten der Vorbeugung durch bestimmte Verhaltensweisen, Gestaltung des Gebäudes bzw- Grundstückes sowie technische Einbruchhemmungsmechanismen. Siehe dazu Informationsangebot der Polizei: [http://einbruchschutz.polizei-beratung.de/]. Im Hinblick auf Aspekte städtebaulicher Kriminalprävention spielen hier die Wahrung von Sichtbeziehungen auf das Wohnumfeld, gesicherte Abstellmöglichkeiten für Fahrzeuge, Beleuchtungsaspekte, Überschaubarkeit und "Verteidigungsfähigkeit" des Wohnumfeldes (vgl. defensible space)  eine Rolle.


Das erweiterte Lingener Verfahren bildet eine Gesamtstrategie, in der die Einbruchsprävention unter Beteiligung von Handwerksbetrieben ("'''Sicherheitspartnerschaft zwischen Handwerk und Polizei'''"[http://www.wirtschaft-im-emsland.de/index.php?article_id=458]) eingebettet ist.
Das erweiterte Lingener Verfahren bildet eine Gesamtstrategie, in der die Einbruchsprävention unter Beteiligung von Handwerksbetrieben ("'''Sicherheitspartnerschaft zwischen Handwerk und Polizei'''"[http://www.wirtschaft-im-emsland.de/index.php?article_id=458]) eingebettet ist.
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== Diskurs ==
== Diskurs ==
Während Jeffery erkannte, dass nicht die äußeren Umweltbedingungen allein ursächlich für Kriminalität sein konnte, sondern nach seinem Verständnis auch „psychobiologische“ Effekte und die Wechselwirkungen zwischen beiden, fand diese Erkenntnis in großen Teilen der Literatur sowie auf das urspüngliche CPTED-Konzept aufbauende Ansätze keine Berücksichtigung  (Jeffery 1996: 1).
Während Jeffery erkannte, dass nicht die äußeren Umweltbedingungen allein ursächlich für Kriminalität sein konnte, sondern nach seinem Verständnis auch „psychobiologische“ Effekte und die Wechselwirkungen zwischen beiden, fand diese Erkenntnis in großen Teilen der Literatur sowie auf das urspüngliche CPTED-Konzept aufbauende Ansätze keine Berücksichtigung  (Jeffery 1996: 1).


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==Literatur==
==Literatur==
*Belinea, B. (2006): Raum Überwachung Kontrolle, 1. Aufl., Münster
*Belinea, B. (2006): Raum Überwachung Kontrolle, 1. Aufl., Münster
*Garland, D. (2008): Die Kultur der Kontrolle, Frankfurt
*Garland, D. (2008): Die Kultur der Kontrolle, Frankfurt
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== Weblinks ==
== Weblinks ==
https://www.astandis.at/shopV5/Preview.action%3bjsessionid=BCA7996EC5FB77469B5440673C98ED3C?preview=&dokkey=285572
https://www.astandis.at/shopV5/Preview.action%3bjsessionid=BCA7996EC5FB77469B5440673C98ED3C?preview=&dokkey=285572


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http://www.kriminalpraevention.de/downloads/as/techpraev/Wirksamkeit_Kapitel2.pdf
http://www.kriminalpraevention.de/downloads/as/techpraev/Wirksamkeit_Kapitel2.pdf
http://www.polizei-beratung.de/mediathek/kommunikationsmittel/sonstige_medien/index/content_socket/sonstiges/display/97/


http://www1.uni-hamburg.de/kriminol/lehne/evak96.htm
http://www1.uni-hamburg.de/kriminol/lehne/evak96.htm
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