Kriminalprävention im Städtebau: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Handlungsebenen''' in diesem Zusammenhang sind Landes-, Kommunal-, Stadteil-, Quartiers-, Baugebiets-, Gebäude- sowie Individualebene.
'''Handlungsebenen''' in diesem Zusammenhang sind Landes-, Kommunal-, Stadteil-, Quartiers-, Baugebiets-, Gebäude- sowie Individualebene.
==Der Begriff "Sicherheit" im Kontext mit Städtebau==
Isoliert betrachtet wird der Begriff Sicherheit bzw. [[menschliche Sicherheit]] mit unterschiedlichen Sinngehalten verwendet. Im Kontext mit Wohnen oder Städtebau dominierten bisher technisch-mechanische Mechanismen („sicheres Haus bzw. Wohnung oder Gebäude“). Diese reduzierte Betrachtung begründet die polizeiliche Autorität und ihre Präferenzen einer sicherungstechnischen und verhaltensorientierten Beratung einzelner Personen zur Reduktion von Einbruchdiebstählen und blendet multidimensionale Wirkungsräume und Handlungsmöglichkeiten einer interdisziplinären Kriminal[[prävention]] und die Auswirkung auf größere Zielgruppen aus.
Städtebauliche Sicherheit umfasst in diesem Zusammenhang räumlich-gestalterische sowie sozialräumliche Maßnahmen, die die materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen sowie Sozialisationseffekte eines Quartiers oder anderer öffentlicher Räume betreffen und letztlich die technisch-mechanische Sicherheit mit einschließt.




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Defensible space zielt auf die Entwicklung von Nachbarschaften, innerhalb der die Bewohner ermutigt werden sollen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der Ansatz enthält '''zwei Komponenten''': Erstens sollen Sichtbeziehungen im Raum geschaffen werden, die ein Sehen und Gesehen werden ermöglichen. Zweitens müssen die Menschen bereit sein, zu intervenieren bzw. Taten (der Polizei) mitzuteilen.
Defensible space zielt auf die Entwicklung von Nachbarschaften, innerhalb der die Bewohner ermutigt werden sollen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der Ansatz enthält '''zwei Komponenten''': Erstens sollen Sichtbeziehungen im Raum geschaffen werden, die ein Sehen und Gesehen werden ermöglichen. Zweitens müssen die Menschen bereit sein, zu intervenieren bzw. Taten (der Polizei) mitzuteilen.
===[[Broken Windows]]===
In der 1982 von James Q. Wilson und George L. Kelling formulierten und auf die Situation in den USA begründeten „Broken Windows Theorie" wendet sich Wilson gegen die vorherrschende Überzeugung, dass Kriminalität dann am besten gesenkt werden könne, wenn man allein die Ursachen der Kriminalität („Root Causes“) – wie wirtschaftliche Armut und Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Rassendiskriminierung sowie aus fehlender Organisation von Gemeinden und Familien resultierende Sozialisationsmängel bekämpfe. Als Alternative wählte Wilson einen ökonomisch begründeten Ansatz: Er ging davon aus, dass Kriminalität in hohem Maße das Ergebnis einer freien und bewussten Willensentscheidung sei. Der potenzielle Straftäter könne Aufwand und Nutzen seines Handelns abwägen und sein Verhalten seinem Abwägungsergebnis entsprechend gestalten (vgl. Theorie der rationalen Entscheidung [http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_rationalen_Entscheidung] bzw. Rational Choice Theorie oder [[Routine Activity Theory]]).
Nach Wilson/Kelling bewirken '''sechs Faktoren oder Stufen den Niedergang eines Wohnquartiers und das Ansteigen der Kriminalität:'''
■ Unordnung und Verwahrlosung bis hin zum physischen Verfall der Umgebung: Grafittis, Vermüllung der Straßen, offene Drogenszene und Trinkermilieu, Vandalismus in der Öffentlichkeit zeigen, dass der Lebensraum der Menschen nicht mehr wirksam kontrolliert wird ("''disorder''").
■ Furcht der Bürger vor Kriminalität entsteht, insbesondere vor Gewaltkriminalität.
■ Physischer Verfall lockt fremde, ungebetene Personen an, für die die Zeichen des Verfalls signalisieren, dass eine Kontrolle ihres Verhaltens in dieser Gegend nicht stattfindet oder zumindest eingeschränkt ist.
■ Das Auftreten dieser Personen bewirkt Furcht bei den Bürgern, die sich zurückziehen oder fortziehen und so eine tatsächliche Reduktion der informellen sozialen Kontrolle verursachen.
■ Die verminderte informelle soziale Kontrolle erleichtert die Begehung von Straftaten.
■ Der Anstieg der Kriminalität erhöht die Verbrechensfurcht und begünstigt weiter den Rückzug der „anständigen“ Bürgerinnen und Bürger. Es ziehen Bevölkerungsgruppen nach, die die Nachbarschaft sozial aus dem Gleichgewicht bringen.




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Eine hohe Bedeutung hat der Raum, der in einem engen räumlichen Bezug zueinander steht und z. B. ein Quartier bzw. Wohngebiet bildet. Wahrnehmung, Orientierung, Zustand, Mobilität, Frequentierung, Mischung, Image, soziale Netzwerke und Infrastruktur wirken auf Bewohner, Nutzer sowie tatgeneigte Personen, erzeugen Rückkoppelungseffekte und können benachteiligende Prozesse sowie Devianz beeinflussen.
Eine hohe Bedeutung hat der Raum, der in einem engen räumlichen Bezug zueinander steht und z. B. ein Quartier bzw. Wohngebiet bildet. Wahrnehmung, Orientierung, Zustand, Mobilität, Frequentierung, Mischung, Image, soziale Netzwerke und Infrastruktur wirken auf Bewohner, Nutzer sowie tatgeneigte Personen, erzeugen Rückkoppelungseffekte und können benachteiligende Prozesse sowie Devianz beeinflussen.


Die Analyse ist ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses der Entwicklung einer Präventionsstrategie für eine Stadt/Gemeinde (EU-Forum, Leitfaden für lokale Sicherheitsanalysen, S. 16).
Die Analyse ist ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses der Entwicklung einer Präventionsstrategie für eine Stadt/Gemeinde (EU-Forum, Leitfaden für lokale Sicherheitsanalysen, S. 16). Wenn die Polizei einmal erkannt hat, dass sie Sicherheit nur in Kooperation mit sozialen und städtebaulichen Einrichtungen erfolgreich bearbeiten kann, dann muss sie sich auch für eine ebenso breite Kriminalstrukturanalyse öffnen (Stummvoll, 2007).


Ob und in welchem Umfang Indikatoren auf Kriminalität begünstigende Umstände bzw. Benachteiligungen deuten, wird in bestimmten Planungsfällen nach kleinräumigen Analysen in einem  '''kriminalpräventiven Lagebild zur städtebaulichen Kriminalprävention''' - ähnlich der [[Kriminalgeographie]] - dargestellt.  
 
Ob und in welchem Umfang Indikatoren auf Kriminalität begünstigende Umstände bzw. Benachteiligungen deuten, wird in bestimmten Planungsfällen nach kleinräumigen Analysen bzw. geografische Kriminalstrukturanalysen in einem  '''kriminalpräventiven Lagebild zur städtebaulichen Kriminalprävention''' - einer erweiterten Form einer  [[Kriminalgeographie]] - dargestellt.  




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Das erweiterte Lingener Verfahren bildet eine Gesamtstrategie, in der die Einbruchsprävention unter Beteiligung geeigneter Handwerksbetriebe ("'''Sicherheitspartnerschaft zwischen Handwerk und Polizei'''") eingebettet ist.
Das erweiterte Lingener Verfahren bildet eine Gesamtstrategie, in der die Einbruchsprävention unter Beteiligung geeigneter Handwerksbetriebe ("'''Sicherheitspartnerschaft zwischen Handwerk und Polizei'''") eingebettet ist.


==Präventions- und Interventionsmodelle==
==Präventions- und Interventionsmodelle==
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*Newman (1996) "Creating defensible space"
*Newman (1996) "Creating defensible space"
*Schubert (2005) "Sicherheit durch Stadtgestaltung"
*Schubert (2005) "Sicherheit durch Stadtgestaltung"
*Stummvoll (2007) "Forschungsfeld geografische Kriminalstrukturanalyse"
*Wehrheim (2006), "Die überwachte Stadt"
*Wehrheim (2006), "Die überwachte Stadt"
*Wilson, James und Kelling, George (1996) "Broken Windows"
*Laue (2002) Taylor / Shumaker / Gottfredson (1985) S. 274 in Düsseldorfer Gutachten
*Laue (2002) Taylor / Shumaker / Gottfredson (1985) S. 274 in Düsseldorfer Gutachten
*Innenministerium Schleswig-Holstein, Landeskriminalamt (2006), Sachstandsbericht Kriminalprävention im Städtebau "Soziale und sichere Stadt - Sozialraum-Management"
*Innenministerium Schleswig-Holstein, Landeskriminalamt (2006), Sachstandsbericht Kriminalprävention im Städtebau "Soziale und sichere Stadt - Sozialraum-Management"


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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