Kriminalpolitik und Rechtsstaat: Unterschied zwischen den Versionen

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==Der Rechtsstaat ist ein guter Deal==
== Rechtsstaat ==


Bürger verzichten auf gewaltsame Selbsthilfe und ordnen sich dem Gesetz unter. Dafür beschränkt auch der Staat seine Macht über den Bürger und setzt seine Gewalt nur noch sparsam ein. Im Idealfall nur zum Schutz der Bürger gegen illegal agierende Individuen oder Kollektive. Und nur zur Garantie von Recht und Freiheit. Die Folge: ein niedriges Gewaltniveau, Frieden und ein gewisser Wohlstand. Im Rechtsstaat sorgen Gesetze, Polizei und Justiz dafür, dass es in der Gesellschaft friedlich zugeht. Nicht nur die Sozialpolitik, sondern auch die Kriminalpolitik sorgt für ein friedliches Miteinander. In funktionierenden Rechtsstaaten gibt es nur wenig Kriminalität. Tötungsdelikte sind selten. Zugleich wendet aber auch die Staatsgewalt nur selten unmittelbaren Zwang an. Einzelne Fälle von Korruption, Erpressung oder gar außergerichtlichen Tötungen durch Staatsdiener kennt man im Rechtsstaat nur als absolut außergewöhnliche Skandale. Die Länder mit einem hohen Maß an Rechtsstaatlichkeit, bzw. rule of law, sind denn auch diejenigen mit den wenigsten Tötungsdelikten.
Bürger verzichten auf gewaltsame Selbsthilfe und ordnen sich dem Gesetz unter. Dafür beschränkt auch der Staat seine Macht über den Bürger und setzt seine Gewalt nur noch sparsam ein. Im Idealfall nur zum Schutz der Bürger gegen illegal agierende Individuen oder Kollektive. Und nur zur Garantie von Recht und Freiheit. Die Folge: ein niedriges Gewaltniveau, Frieden und ein gewisser Wohlstand. Im Rechtsstaat sorgen Gesetze, Polizei und Justiz dafür, dass es in der Gesellschaft friedlich zugeht. Nicht nur die Sozialpolitik, sondern auch die Kriminalpolitik sorgt für ein friedliches Miteinander. In funktionierenden Rechtsstaaten gibt es nur wenig Kriminalität. Tötungsdelikte sind selten. Zugleich wendet aber auch die Staatsgewalt nur selten unmittelbaren Zwang an. Einzelne Fälle von Korruption, Erpressung oder gar außergerichtlichen Tötungen durch Staatsdiener kennt man im Rechtsstaat nur als absolut außergewöhnliche Skandale. Die Länder mit einem hohen Maß an Rechtsstaatlichkeit, bzw. rule of law, sind denn auch diejenigen mit den wenigsten Tötungsdelikten.
In einem Rechtsstaat dürfen Regierung und Verwaltung nur im Rahmen der bestehenden Gesetze handeln. Die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger sind garantiert. Dies gilt insbesondere für die Justiz-Grundrechte. Staatliche Entscheidungen können von unabhängigen Gerichten überprüft werden.
Es gibt starke und schwache Konzepte des Rechtsstaats (thin vs. thick). Am schwächsten ist das Konzept, das Rechtsstaatlichkeit mit rule by law, mit legaler Herrschaft, gleichsetzt. Je stärker das Konzept, desto höher die Voraussetzungen, die an die Erfüllung der begrifflichen Merkmale eines Rechtsstaats geknüpft werden. Strittig kann deshalb sein, ob gut funktionierende traditionale Herrschaften wie die VAE oder ob das politische System Singapurs als Rechtsstaat bezeichnet werden kann.
Versteht man unter Rechtsstaatlichkeit mehr als nur eine funktionierende Strafgerichtsbarkeit und ein Erwartungssicherheit garantierendes Wirtschaftsrecht, dann ist Singapur kein Rechtsstaat: "Ein Staat, der elementare Bürgerrechte, wie die Meinungs- und Pressefreiheit, einschränkt, die Justiz bewusst einsetzt, um die Arbeit der legalen politischen Opposition zu behindern, und mehrfach die Verfassung de facto mit dem primären Ziel ändert, einem bestimmten politischen Akteur überproportionale Vorteile bei Wahlen zu verschaffen, kann bei näherem Hinsehen kaum als Rechtsstaat gelten. Auch in Singapur ist evident, dass die politische Herrschaftselite Recht und Gesetz zum Zwecke des Machterhalts in ihrem Sinne gestaltet und interpretiert und, wann immer ihr dies nötig erscheint, revidiert. In Singapur (und in etlichen anderen Ländern der Region) gilt die Formel rule by law, not rule of law. Interessanterweise scheint es aber gerade das singapurische Modell zu sein, das etlichen politische Eliten innerhalb der Region als besonders attraktiv und letztlich erstrebenswerter als die Verwirklichung rechtsstaatlicher Demokratie erscheint. Die Kombination einer demokratischen Fassade mit einem gewissen Grad an Rechtssicherheit bei gl"eichzeitiger Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und einer Machtkonzentration in den Reihen der Exekutive und Bürokratie gilt manchen Akteuren in Vietnam, Kambodscha und andernorts (vor allem in der VR China) als besserer Garant politischer Stabilität, wirtschaftlicher Entwicklung und damit nicht zuletzt internationaler Wertschätzung als die (aus einer solchen Perspepektive) mit vielen Unwägbarkeiten verbundene rechtsstaatliche Demokratie."
:[http://www.bpb.de/apuz/25599/der-beschwerliche-weg-zur-rechtsstaatlichen-demokratie-in-suedostasien Jörn Dosch (2000) Der beschwerliche Weg zur rechtsstaatlichen Demokratie in Südostasien. Aus Politik und Zeitgeschichte].


Das zeigt schon ein Blick auf den [https://en.wikipedia.org/wiki/World_Justice_Project Rule of Law Index] einerseits und die Homizid-Raten der betreffenden Länder andererseits.  
Das zeigt schon ein Blick auf den [https://en.wikipedia.org/wiki/World_Justice_Project Rule of Law Index] einerseits und die Homizid-Raten der betreffenden Länder andererseits.  
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Tödliche Gewalt der Polizei gegen Bürger ist in gut funktionierenden Rechtsstaaten eine seltene Ausnahme. [http://www.schusswaffeneinsatz.de/Statistiken_files/Statistiken.pdf In Deutschland pro Jahr zwischen 3 und 21 Opfer], der Durchschnitt liegt bei etwa 8).   
Tödliche Gewalt der Polizei gegen Bürger ist in gut funktionierenden Rechtsstaaten eine seltene Ausnahme. [http://www.schusswaffeneinsatz.de/Statistiken_files/Statistiken.pdf In Deutschland pro Jahr zwischen 3 und 21 Opfer], der Durchschnitt liegt bei etwa 8).   


Gesetzwidriges Handeln seiner eigenen Organe erklärt der Rechtsstaat zu strafbarem Handeln, also zu Kriminalität, die zu bekämpfen er sich verpflichtet hat. Diese Art der Kriminalität ist allerdings nicht so leicht zu verfolgen wie die normale Straßenkriminalität, da hier Staatsdiener gegen Staatsdiener antreten müssen, mit denen sie ein Band der Solidarität, die Vermutung der Rechtmäßigkeit des Gewalteinsatzes und nicht zuletzt ein Korpsgeist verbindet.  
Gesetzwidriges Handeln seiner eigenen Organe erklärt der Rechtsstaat zu strafbarem Handeln, also zu Kriminalität, die zu bekämpfen er sich verpflichtet hat. Diese Art der Kriminalität ist allerdings nicht so leicht zu verfolgen wie die normale Straßenkriminalität, da hier Staatsdiener gegen Staatsdiener antreten müssen, mit denen sie ein Band der Solidarität, die Vermutung der Rechtmäßigkeit des Gewalteinsatzes und nicht zuletzt ein Korpsgeist verbindet.


== Die Krise des Rechtsstaats ==
== Die Krise des Rechtsstaats ==
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