Kriminalitätstheorien: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Kriminaltitätstheorien'''
Die '''Kriminalitätstheorien''' lassen sich in Allgemeine Kriminalitätstheorien und Spezielle Kriminalitätstheorien unterteilen.
 
Die Kriminalitätstheorien lassen sich in Allgemeine Kriminalitätstheorien und Spezielle Kriminalitätstheorien unterteilen.
Während sich die Allgemeinen Kriminaltitätstheorien mit der Entstehung von Kriminalität "allgemein" befassen, beschäftigen sich die Speziellen Kriminalitätstheorien mit speziellen Delikts- und Phänomenbereichen.
Während sich die Allgemeinen Kriminaltitätstheorien mit der Entstehung von Kriminalität "allgemein" befassen, beschäftigen sich die Speziellen Kriminalitätstheorien mit speziellen Delikts- und Phänomenbereichen.




1. Allgemeine Kriminalitätstheorien
== Allgemeine Kriminalitätstheorien ==
 
    1.1 Täterorientierte Kriminalitätstheorien
 
          1.1.1 Biologische Kriminalitätstheorien
                    1.1.1.1 Die Lehre vom geborenen Verbrecher
                    1.1.1.2 Zwillingsforschung
                    1.1.1.3 Adoptionsforschung
                    1.1.1.4 Chromosomenanomalie
                    1.1.1.5 Vergleichende biologische Verhaltensforschung/ Ethologie
 
          1.1.2 Psychologische Kriminalitätstheorien
                    1.1.2.1 Psychoanalytisches Persönlichkeitsmodell
                        1.1.2.2 Theorie der latenten Verwahrlosung
                        1.1.2.3 Frustrations- Aggressionstheorie
 
          1.1.3 Sozialpsychologische Kriminalitätstheorien
                    1.1.3.1 Theorie der Differenziellen Assoziation
                    1.1.3.2 Theorie der Differenziellen Identifikation
                    1.1.3.3 Soziale Bindungstheorie
                    1.1.3.4 Halttheorie
                    1.1.3.5 Theorie des rationalen Wahlhandelns
 
    1.2 Gesellschaftsorientierte Kriminalitätstheorien
          1.2.1 Soziologische Kriminalitätstheorien
                    1.2.1.1 Theorie der (delinquenten) Subkultur
                    1.2.1.2 Theorie der sozialen Desorganisation 
                    1.2.1.3 Anomietheorie
 
          1.2.2 Etikettierungstheorie     
                    1.2.2.1 Labeling Approach
 
    1.3 Kombinationsansätze
                    1.3.1 Mehrfaktorenansatz
                    1.3.2 General Theory of Crime
 
 
    1.4 Opferorientierte Ansätze
1.4.1 Die Routine Activity Theory
1.4.2 Theorie der erlernten Hilflosigkeit
1.4.3 Die „kulturelle“ Viktimisierungstheorie
 
 
 
 
 
 
 
 
'''1. Allgemeine Kriminalitätstheorien'''


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=== Täterorientierte Kriminalitätstheorien ===


 
==== Biologische Kriminalitätstheorien ====
'''''1.1 Täterorientierte Kriminalitätstheorien'''''
 
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'''1.1.1  Biologische Kriminalitätstheorien'''


Grundannahme: Kriminalität ist genetisch bedingt
Grundannahme: Kriminalität ist genetisch bedingt




'''1.1.1.1 Die Lehre vom geborenen Verbrecher  (Lombroso 1894)'''
===== Die Lehre vom geborenen Verbrecher  (Lombroso 1894)=====
In seinem Werk (l'uomo delinquente, der verbrecherische Mensch, 1876) stellte Lombroso die These auf, dass man einen Verbrecher an äußeren Merkmalen (Stigmata) erkennen könne.
In seinem Werk (l'uomo delinquente, der verbrecherische Mensch, 1876) stellte [[Lombroso]] die These auf, dass man einen Verbrecher an äußeren Merkmalen (Stigmata) erkennen könne.


"Im Allgemeinen sind bei Verbrechern von Geburt die Ohren henkelförmig, das Haupthaar voll, der Bart spärlich, Stirnhöhlen gewölbt, Kinn viereckig oder hervorragend..."
"Im Allgemeinen sind bei Verbrechern von Geburt die Ohren henkelförmig, das Haupthaar voll, der Bart spärlich, Stirnhöhlen gewölbt, Kinn viereckig oder hervorragend..."
Seine Aussagen gründeten auf Schädel- und anderen Körpermessungen bei zunächst ca. 3000 Soldaten und bei zahlreichen Gefängnisinsassen.
Seine Aussagen gründeten auf Schädel- und anderen Körpermessungen bei zunächst ca. 3000 Soldaten und bei zahlreichen Gefängnisinsassen.
Lombroso:
Lombroso:
1 Der Kriminelle unterscheidet sich von dem Nicht-Kriminellen durch zahlreiche physische und psychische Anomalien
#Der Kriminelle unterscheidet sich von dem Nicht-Kriminellen durch zahlreiche physische und psychische Anomalien
2 Verbrechen vererbt sich, es entsteht aus einer kriminellen Anlage
#Verbrechen vererbt sich, es entsteht aus einer kriminellen Anlage
3 Der Verbrecher ist eine Rückartung der menschlichen Gattung, ein atavistisches Wesen, im Verbrecher treten psychische und physische Merkmale auf, die man entwicklungsgeschichtlich für überwunden glaubte.
#Der Verbrecher ist eine Rückartung der menschlichen Gattung, ein atavistisches Wesen, im Verbrecher treten psychische und physische Merkmale auf, die man entwicklungsgeschichtlich für überwunden glaubte.


Die aufgrund von Anlagefaktoren ererbte körperliche Stigmatisierung ist nach Lombroso damit ursächlich für kriminelles Verhalten.
Die aufgrund von Anlagefaktoren ererbte körperliche Stigmatisierung ist nach Lombroso damit ursächlich für kriminelles Verhalten.
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Der anlagebezogene Ansatz Lombrosos wurde schon zu seiner Zeit widerlegt.
Der anlagebezogene Ansatz Lombrosos wurde schon zu seiner Zeit widerlegt.


 
===== Zwillingsforschung (Johannes Lange 1929, Friedrich Stumpfl 1936) =====
'''1.1.1.2 Zwillingsforschung (Johannes Lange 1929, Friedrich Stumpfl 1936)'''


In der Zwillingsforschung geht man davon aus, dass der Einfluss von Erbanlagen durch den Vergleich der sozialen Entwicklung von eineiigen und zweieiigen  bestimmt werden kann.
In der Zwillingsforschung geht man davon aus, dass der Einfluss von Erbanlagen durch den Vergleich der sozialen Entwicklung von eineiigen und zweieiigen  bestimmt werden kann.
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'''1.1.1.3 Adoptionsforschung (Mednick, Gabrielle, Hutchings 1982, Crowe 1972)'''
===== Adoptionsforschung (Mednick, Gabrielle, Hutchings 1982, Crowe 1972) =====


In der Adoptionsforschung wird untersucht, ob Adoptierte, deren Eltern kriminell waren eher kriminell werden, als solche, deren Eltern nicht kriminell waren.
In der Adoptionsforschung wird untersucht, ob Adoptierte, deren Eltern kriminell waren eher kriminell werden, als solche, deren Eltern nicht kriminell waren.
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1.1.1.4 Chromosomenanomalie (Klein-Vogler, Haberlandt 1974)
===== Chromosomenanomalie (Klein-Vogler, Haberlandt 1974) =====


Grundannahme dieser Auffassung ist, dass Personen mit einem zusätzlichen Y-Chromosom zwangsläufig kriminell werden.
Grundannahme dieser Auffassung ist, dass Personen mit einem zusätzlichen Y-Chromosom zwangsläufig kriminell werden.
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1.1.1.5 Vergleichende biologische Verhaltensforschung/ Ethologie (Charles Darwin 1890-1882, Lorenz, Harlow)
===== Vergleichende biologische Verhaltensforschung/ Ethologie (Charles Darwin 1890-1882, Lorenz, Harlow) =====


Ethologie (wörtl. Lehre von der Verhaltensweise der Tiere) wird definiert als "Biologie des Verhaltens". Sie geht davon aus, dass kriminelles Verhalten instinktgesteuert ist und erklärt dies anhand von Vergleichen menschlicher und tierischer Verhaltensweisen, da aus Sicht der Evolution Mensch und Tier stammesgeschichtlich miteinander verwandt sind (Darwinistische Evolutionstheorie).
Ethologie (wörtl. Lehre von der Verhaltensweise der Tiere) wird definiert als "Biologie des Verhaltens". Sie geht davon aus, dass kriminelles Verhalten instinktgesteuert ist und erklärt dies anhand von Vergleichen menschlicher und tierischer Verhaltensweisen, da aus Sicht der Evolution Mensch und Tier stammesgeschichtlich miteinander verwandt sind (Darwinistische Evolutionstheorie).
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Das Ehepaar Harlow schloss daraus, dass Kinder, die unter Liebes- und Kontaktentzug litten, auch als Erwachsene oft selbst nicht fähig sind, Zuneigung zu vermitteln.
Das Ehepaar Harlow schloss daraus, dass Kinder, die unter Liebes- und Kontaktentzug litten, auch als Erwachsene oft selbst nicht fähig sind, Zuneigung zu vermitteln.


 
==== Psychologische Kriminalitätstheorien ====
'''1.1.2 Psychologische Kriminalitätstheorien'''


Grundannahme: Kriminalität entsteht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit einer Person (Störung der Psyche). Soziologische Aspekte spielen lediglich eine untergeordnete Rolle.
Grundannahme: Kriminalität entsteht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit einer Person (Störung der Psyche). Soziologische Aspekte spielen lediglich eine untergeordnete Rolle.




'''1.1.2.1 Psychoanalytisches Persönlichkeitsmodell (Siegmund Freud 1915)'''
===== Psychoanalytisches Persönlichkeitsmodell (Sigmund Freud 1915) =====


Freud unterschied die menschliche Psyche in Bewusstsein, Vorbewusstsein und Unbewusstsein. Das Unbewusstsein beinhaltet Erlebnisse, Gefühle und Wünsche, die als bedrohlich oder beschämend empfunden und deswegen verdrängt werden. Neben dem Verdrängten wird nach Freud auch alles Erlebte, primitive Motive, Triebe, Sexualität und Aggression im Unbewusstsein gespeichert. Diesen Teil des Unbewusstseins nennt Freud "Es-Instanz".
Freud unterschied die menschliche Psyche in Bewusstsein, Vorbewusstsein und Unbewusstsein. Das Unbewusstsein beinhaltet Erlebnisse, Gefühle und Wünsche, die als bedrohlich oder beschämend empfunden und deswegen verdrängt werden. Neben dem Verdrängten wird nach Freud auch alles Erlebte, primitive Motive, Triebe, Sexualität und Aggression im Unbewusstsein gespeichert. Diesen Teil des Unbewusstseins nennt Freud "Es-Instanz".
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Werden das Überich und Ich im Laufe der Sozialisation nur schwach ausgebildet kommt es zu dissozialem Verhalten. Kriminalität ist somit nicht angeboren, sondern wird auf eine Schädigung des Über-Ichs und Ichs im Rahmen der Erziehung zurückgeführt.
Werden das Überich und Ich im Laufe der Sozialisation nur schwach ausgebildet kommt es zu dissozialem Verhalten. Kriminalität ist somit nicht angeboren, sondern wird auf eine Schädigung des Über-Ichs und Ichs im Rahmen der Erziehung zurückgeführt.


 
===== Theorie der latenten Verwahrlosung (Aichborn 1925) =====
'''1.1.2.2 Theorie der latenten Verwahrlosung (Aichborn 1925)'''


Definition: "Verwahrlosung ist eine im Charakter unsozial oder antisozial ausgeprägte innere Einstellung des Einzelnen gegenüber geschriebenen oder ungeschriebenen Sitten in der Gesellschaft, in der er lebt."
Definition: "Verwahrlosung ist eine im Charakter unsozial oder antisozial ausgeprägte innere Einstellung des Einzelnen gegenüber geschriebenen oder ungeschriebenen Sitten in der Gesellschaft, in der er lebt."
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Die Eltern nehmen in dieser Theorie eine wesentliche Rolle ein, denn erst durch die Erziehung lernt das Kind Triebeinschränkungen hinzunehmen. Ist die Beziehung zwischen Eltern und Kind gestört, kommt es zu einer latenten Verwahrlosung und somit zu Kriminalität. Die Ursache von Kriminalität (der latenten Verwahrlosung) liegt demnach in einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung.
Die Eltern nehmen in dieser Theorie eine wesentliche Rolle ein, denn erst durch die Erziehung lernt das Kind Triebeinschränkungen hinzunehmen. Ist die Beziehung zwischen Eltern und Kind gestört, kommt es zu einer latenten Verwahrlosung und somit zu Kriminalität. Die Ursache von Kriminalität (der latenten Verwahrlosung) liegt demnach in einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung.
1.1.2.3 Frustrations- Aggressions-Theorie (John Dollard 1939)
 
===== Frustrations- Aggressions-Theorie (John Dollard 1939) =====


Die Frustrations-Aggression-Theorie geht davon aus, dass aggressives Verhalten eine Folge von Frustration ist. Als Folge auf eine Wunschversagung kann es demnach zu einer Verstimmung kommen, zu einem verbalen oder tätlichen Angriff.
Die Frustrations-Aggression-Theorie geht davon aus, dass aggressives Verhalten eine Folge von Frustration ist. Als Folge auf eine Wunschversagung kann es demnach zu einer Verstimmung kommen, zu einem verbalen oder tätlichen Angriff.
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'''1.1.3 Sozialpsychologische Kriminalitätstheorien'''
==== Sozialpsychologische Kriminalitätstheorien ====


Grundannahme: Kriminalität entsteht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit einer Person (Störung der Psyche). Soziologische Aspekte sind bei der Entstehung von Kriminalität ebenfalls von Bedeutung.
Grundannahme: Kriminalität entsteht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit einer Person (Störung der Psyche). Soziologische Aspekte sind bei der Entstehung von Kriminalität ebenfalls von Bedeutung.




'''1.1.3.1 Theorie der Differenziellen Assoziation (Sutherland 1883-1950) (Lerntheorie)'''
===== Theorie der Differenziellen Assoziation (Sutherland 1883-1950) (Lerntheorie)=====


Die Theorie der Differenziellen Assoziation nach E. Sutherland geht davon aus, dass Kriminalität eine Folge der Aneignung krimineller Verhaltensmuster in Interaktion mit anderen Personen ist.
Die Theorie der Differenziellen Assoziation nach E. [[Sutherland]] geht davon aus, dass Kriminalität eine Folge der Aneignung krimineller Verhaltensmuster in Interaktion mit anderen Personen ist.
Es handelt sich dabei um ein erlerntes Verhalten durch Kommunikationsprozesse, welches sich vor allem in geschlossenen Gruppen - aber auch über die Massenmedien vollzieht. Der Lernprozess lässt sich wie folgt darstellen:  
Es handelt sich dabei um ein erlerntes Verhalten durch Kommunikationsprozesse, welches sich vor allem in geschlossenen Gruppen - aber auch über die Massenmedien vollzieht. Der Lernprozess lässt sich wie folgt darstellen:  
Vorbild → Nachahmung → Häufigkeit der Wiederholungen
Vorbild → Nachahmung → Häufigkeit der Wiederholungen
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Nach Auffassung dieser Theorie wird derjenige delinquent, der mehr den Rechtsbruch begünstigende, als diesen missbilligende Einstellungen erlernt.
Nach Auffassung dieser Theorie wird derjenige delinquent, der mehr den Rechtsbruch begünstigende, als diesen missbilligende Einstellungen erlernt.


 
===== Theorie der Differenziellen Identifikation (Glaser 1956) (Lerntheorie) =====
'''1.1.3.2 Theorie der Differenziellen Identifikation (Glaser 1956) (Lerntheorie)'''


Dieser Ansatz geht davon aus, dass der generelle Kontakt zu einer delinquenten Person oder Gruppe nicht ausreicht um selbst delinquent zu werden. Vielmehr bedarf es dem Kontakt zu ganz bestimmten Personen, nämlich jenen, die als Vorbilder (Idole) für die eigenen Motive und Verhaltensweisen herangezogen werden.
Dieser Ansatz geht davon aus, dass der generelle Kontakt zu einer delinquenten Person oder Gruppe nicht ausreicht um selbst delinquent zu werden. Vielmehr bedarf es dem Kontakt zu ganz bestimmten Personen, nämlich jenen, die als Vorbilder (Idole) für die eigenen Motive und Verhaltensweisen herangezogen werden.




'''1.1.3.3 Soziale Bindungstheorie (Hirschi 1969) (Kontrolltheorie)'''
===== Soziale Bindungstheorie (Hirschi 1969) (Kontrolltheorie) =====


Nach Hirschi ist Devianz selbstverständlich, Konformität muss gelernt werden. Das Individuum wird dabei prinzipiell als "a-soziales", "a-moralisches" aggressives und impulsives Wesen gedacht, welches während der Sozialisation an gesellschaftliche Normen gebunden wird. Dieses geschieht auf vier Ebenen:
Nach Hirschi ist Devianz selbstverständlich, Konformität muss gelernt werden. Das Individuum wird dabei prinzipiell als "a-soziales", "a-moralisches" aggressives und impulsives Wesen gedacht, welches während der Sozialisation an gesellschaftliche Normen gebunden wird. Dieses geschieht auf vier Ebenen:
1. Attachement
#Attachement: Hier geht es um die "emotionale Bindung an die Eltern". Eine schlecht ausgebildete Anbindung lässt viel Freiraum für Abweichung.
Hier geht es um die "emotionale Bindung an die Eltern". Eine schlecht ausgebildete Anbindung lässt viel Freiraum für Abweichung.
#Commitment: Hier geht es um die "Anbindung anhand des erlangten Status' in der Gesellschaft". Je höher das Erreichte im konventionellen Bereich gewertet wird, desto niedriger ist die Bereitschaft, dies durch abweichendes Verhalten aufs Spiel zu setzen.
2. Commitment
#Involvement: Hier geht es um die "Anbindung durch Einbindung". Je mehr eine Person in konforme Strukturen eingebunden ist, desto weniger Freiräume bestehen für delinquentes Verhalten.
Hier geht es um die "Anbindung anhand des erlangten Status' in der Gesellschaft". Je höher das Erreichte im konventionellen Bereich gewertet wird, desto niedriger ist die Bereitschaft, dies durch abweichendes Verhalten aufs Spiel zu setzen.
#Belief: Hier geht es um "den Stellenwert, den eine Person dem allgemeingültigen Wertesystem einräumt".
3. Involvement
Hier geht es um die "Anbindung durch Einbindung". Je mehr eine Person in konforme Strukturen eingebunden ist, desto weniger Freiräume bestehen für delinquentes Verhalten.
4. Belief
Hier geht es um "den Stellenwert, den eine Person dem allgemeingültigen Wertesystem einräumt".


Je schwächer diese vier devianzverhindernden Faktoren ausgeprägt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, sich entsprechend der ursprünglichen devianten Struktur zu verhalten.
Je schwächer diese vier devianzverhindernden Faktoren ausgeprägt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, sich entsprechend der ursprünglichen devianten Struktur zu verhalten.
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Nicht-deviantes Verhalten zeichnet sich dadurch aus, dass auch langfristige Konsequenzen beachtet werden, mit denen das Individuum konfrontiert werden (insbesondere durch die verschiedenen Sanktionssysteme)
Nicht-deviantes Verhalten zeichnet sich dadurch aus, dass auch langfristige Konsequenzen beachtet werden, mit denen das Individuum konfrontiert werden (insbesondere durch die verschiedenen Sanktionssysteme)


 
===== Halttheorie (Reiss 1951, Reckless 1961, Hirschi 1969) (Kontrolltheorie) =====
'''1.1.3.4 Halttheorie (Reiss 1951, Reckless 1961, Hirschi 1969) (Kontrolltheorie)'''


Die Halttheorie versucht zu erklären, welche Faktoren die Kriminalitätsentstehung verhindern. Sie geht davon aus, dass konformes Verhalten durch einen inneren und äußeren Halt bedingt wird, wobei der innere Halt u.a. aus einer gelungenen Sozialisation und Erziehung resultiert und er äußere Halt durch u.a. durch Freunde, Gruppe und Religiosität geprägt wird.
Die Halttheorie versucht zu erklären, welche Faktoren die Kriminalitätsentstehung verhindern. Sie geht davon aus, dass konformes Verhalten durch einen inneren und äußeren Halt bedingt wird, wobei der innere Halt u.a. aus einer gelungenen Sozialisation und Erziehung resultiert und er äußere Halt durch u.a. durch Freunde, Gruppe und Religiosität geprägt wird.
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Bei Zugfaktoren handelt es sich um äußere Einflüsse wie z.B. die Freundschaft mit Kriminellen, materielle Bedürfnisse und Anerkennung. Die Druckfaktoren wirken von innen. Hierbei kann es sich z.B. um materielle Not durch Arbeitslosigkeit, extreme soziale Ungleichheit oder Drogensucht handeln.
Bei Zugfaktoren handelt es sich um äußere Einflüsse wie z.B. die Freundschaft mit Kriminellen, materielle Bedürfnisse und Anerkennung. Die Druckfaktoren wirken von innen. Hierbei kann es sich z.B. um materielle Not durch Arbeitslosigkeit, extreme soziale Ungleichheit oder Drogensucht handeln.
Thesen:
Thesen:
--Fehlt es an äußerem Halt, kann der innere Halt kriminelles Verhalten verhindern.
*Fehlt es an äußerem Halt, kann der innere Halt kriminelles Verhalten verhindern.
--Fehlt es an innerem Halt, kann kriminelles Verhalten nur schwer verhindert werden.
*Fehlt es an innerem Halt, kann kriminelles Verhalten nur schwer verhindert werden.
--Ist beides nicht vorhanden, ist kriminelles Verhalten vorprogrammiert.
*Ist beides nicht vorhanden, ist kriminelles Verhalten vorprogrammiert.
Demzufolge kommt dem inneren Halt eine ungleich größere Bedeutung zu. Sie gilt als signifikant für die Erklärung von Jugendkriminalität.  
Demzufolge kommt dem inneren Halt eine ungleich größere Bedeutung zu. Sie gilt als signifikant für die Erklärung von Jugendkriminalität.  




'''1.1.3.5 Theorie des rationalen Wahlhandelns (rational choice) (Becker 1974, Cornish/Clarke 1986)'''
===== Theorie des rationalen Wahlhandelns (rational choice) (Becker 1974, Cornish/Clarke 1986)=====


So wie die beiden o.g. Kontrolltheorien (1.1.3.3/1.1.3.4) versucht auch diese Theorie zu erklären, warum Individuen keine Verbrechen begehen.
So wie die beiden o.g. Kontrolltheorien (1.1.3.3/1.1.3.4) versucht auch diese Theorie zu erklären, warum Individuen keine Verbrechen begehen.
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'''''1.2 Gesellschaftsorientierte Kriminalitätstheorien'''''
=== Gesellschaftsorientierte Kriminalitätstheorien ===
 
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'''1.2.1 Soziologische Kriminalitätstheorien'''
==== Soziologische Kriminalitätstheorien ====


Grundannahme: Der soziologische Aspekt ist entschiedenes Kriterium bei der Entstehung von Kriminalität.
Grundannahme: Der soziologische Aspekt ist entschiedenes Kriterium bei der Entstehung von Kriminalität.




'''1.2.1.1 Theorie der (delinquenten) Subkultur (Albert Cohen 1955)'''
===== Theorie der (delinquenten) Subkultur (Albert Cohen 1955) =====


Die Theorie der delinquenten Subkultur fokussiert die Angehörigen der Unterschicht.
Die Theorie der delinquenten Subkultur fokussiert die Angehörigen der Unterschicht.
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'''1.2.1.2 Theorie der sozialen Desorganisation (Trasher, Shaw 1929)'''
===== Theorie der sozialen Desorganisation (Trasher, Shaw 1929) =====


Die Theorie der sozialen Desorganisation geht davon aus, dass die Belastung mit Kriminalität umso höher ist, je näher ein Gebiet am Stadtzentrum liegt.
Die Theorie der sozialen Desorganisation geht davon aus, dass die Belastung mit Kriminalität umso höher ist, je näher ein Gebiet am Stadtzentrum liegt.
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Bemerkung: Nicht der Raum, sondern die sozialen Bedingungen in der Stadt "produzieren" kriminelles Verhalten. Hierzu gehören schlechte Wohnverhältnisse, große Bevölkerungsdichte, Armut, niedriger Bildungstand, minimale soziale Kontrolle.
Bemerkung: Nicht der Raum, sondern die sozialen Bedingungen in der Stadt "produzieren" kriminelles Verhalten. Hierzu gehören schlechte Wohnverhältnisse, große Bevölkerungsdichte, Armut, niedriger Bildungstand, minimale soziale Kontrolle.


===== Anomietheorie =====


'''1.2.1.3 Anomietheorie'''
siehe auch: Begriff [[Anomie]]


Durckheim (1893)
'''Durkheim (1893)'''
Anomie: Zustand mangelnder sozialer Regelung, bestimmt durch zu hohe Arbeitsteilung und Konjunkturphasen.
Anomie: Zustand mangelnder sozialer Regelung, bestimmt durch zu hohe Arbeitsteilung und Konjunkturphasen.


Nach Durckheim steigt der Erwartungshorizont mit dem Ansteigen der wirtschaftlichen Konjunkturphasen. Im Fall der Regression kann dieser nicht mehr so leicht gesenkt werden. Weiter führt die hohe Arbeitsteilung in den Gesellschaften zu einer Verringerung von engen und kontinuierlichen Interaktionen der Menschen.
Nach Durkheim steigt der Erwartungshorizont mit dem Ansteigen der wirtschaftlichen Konjunkturphasen. Im Fall der Regression kann dieser nicht mehr so leicht gesenkt werden. Weiter führt die hohe Arbeitsteilung in den Gesellschaften zu einer Verringerung von engen und kontinuierlichen Interaktionen der Menschen.
In Folge dieser Punkte werden bestimmte gesellschaftlich notwendige Regeln nicht gemeinsam getragen und es kommt zu einer Deregulierung des moralischen Normsystems und somit zu Kriminalität.
In Folge dieser Punkte werden bestimmte gesellschaftlich notwendige Regeln nicht gemeinsam getragen und es kommt zu einer Deregulierung des moralischen Normsystems und somit zu Kriminalität.




Merton (1938)
'''Merton (1938)'''
Anomie: Uneinigkeit zwischen der kulturellen und sozialen Struktur.
Anomie: Uneinigkeit zwischen der kulturellen und sozialen Struktur.


Zeile 273: Zeile 206:
Verwehren nun  sozial-strukturelle Bedingungen das Erreichen der kulturellen Ziele, kann es zum Gebrauch illegaler Mittel (Kriminalität) kommen, um diese Ziele dennoch zu erreichen.
Verwehren nun  sozial-strukturelle Bedingungen das Erreichen der kulturellen Ziele, kann es zum Gebrauch illegaler Mittel (Kriminalität) kommen, um diese Ziele dennoch zu erreichen.


==== Etikettierungstheorie ====


 
===== Labeling Approach (Becker 1963/ Vorreiter: Tannenbaum 1938) =====
 
'''''1.2.2 Etikettierungstheorie'''''
 
 
'''1.2.2.1 Labeling Approach (Becker 1963/ Vorreiter: Tannenbaum 1938)'''


Vertreter des Labeling Approach gehen davon aus, dass kriminelles Verhalten nicht durch das soziale Versagen von Menschen entsteht, sondern durch spezielle Zuschreibungsprozesse der Instanzen sozialer Kontrolle (Justiz/Polizei).
Vertreter des Labeling Approach gehen davon aus, dass kriminelles Verhalten nicht durch das soziale Versagen von Menschen entsteht, sondern durch spezielle Zuschreibungsprozesse der Instanzen sozialer Kontrolle (Justiz/Polizei).
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'''''1.3 Kombinationsansätze'''''
=== Kombinationsansätze ===


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===== Mehrfaktorenansatz (Liszt 1905, Göppinger 1983)=====
'''1.3.1 Mehrfaktorenansatz (Liszt 1905, Göppinger 1983)'''


Der Mehrfaktorenansatz geht davon aus, dass verschiedene Faktoren bei der Entstehung kriminellen Verhaltens zusammenwirken. Er erfasst unterschiedliche Umwelteinflüsse, Anlagefaktoren und spezielle Persönlichkeitsmerkmale des Straftäters.
Der Mehrfaktorenansatz geht davon aus, dass verschiedene Faktoren bei der Entstehung kriminellen Verhaltens zusammenwirken. Er erfasst unterschiedliche Umwelteinflüsse, Anlagefaktoren und spezielle Persönlichkeitsmerkmale des Straftäters.
Dieser Ansatz versucht zu belegen, dass kriminelles Verhalten multifaktoriell zustande kommt. Die Methode besteht aus Erhebung und Analyse von Daten.  
Dieser Ansatz versucht zu belegen, dass kriminelles Verhalten multifaktoriell zustande kommt. Die Methode besteht aus Erhebung und Analyse von Daten.  


 
===== The General Theory of Crime =====
'''1.3.2 The General Theory of Crime'''


Bei der General Theory of Crime handelt es sich ebenfalls um einen multifaktoriellen Ansatz.
Bei der General Theory of Crime handelt es sich ebenfalls um einen multifaktoriellen Ansatz.
Er geht davon aus, dass Menschen mit einer schwachen Selbstkontrolle und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen wie z.B. Impulsivität dazu neigen sich abweichend zu verhalten.  
Er geht davon aus, dass Menschen mit einer schwachen Selbstkontrolle und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen wie z.B. Impulsivität dazu neigen sich abweichend zu verhalten.


=== Opferorientierte Ansätze ===




Die opferorientierten bzw. viktimologischen Ansätze gehen davon aus, dass bestimmte Konstellationen das Risiko Opfer kriminellen Verhaltens zu werden erhöhen.


'''''1.4 Opferorientierte Ansätze'''''
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===== Die Routine Activity Theory =====


Die opferorientierten bzw. viktimologischen Ansätze gehen davon aus, dass bestimmte Konstellationen das Risiko Opfer kriminellen Verhaltens zu werden erhöhen.
siehe auch: [[routine activity theory]]
 
 
'''1.4.1 Die Routine Activity Theory'''


Nach der Routine Activity Theory hängt das Viktimisierungsrisiko mit bestimmten Alltagstätigkeiten des Opfers, wie z.B. Arbeiten oder Ausgehen zusammen. Das Risiko Opfer eines Verbrechens zu werden ist umso höher, je mehr Zeit man in „riskanten Umgebungen“ verbringt. Dieses Risiko erhöht sich nach der Theorie, wenn es erstens eine Person gibt, die bereit ist ein Verbrechen zu begehen (motivated offender), zweitens die Rechtsgüter des potentiellen Opfers Anreize für ein Verbrechen bieten (availability of a suitable target) und drittens die Rechtsgüter des potentiellen Opfers nicht hinreichend geschützt sind ( absence of a capable guardian).
Nach der Routine Activity Theory hängt das Viktimisierungsrisiko mit bestimmten Alltagstätigkeiten des Opfers, wie z.B. Arbeiten oder Ausgehen zusammen. Das Risiko Opfer eines Verbrechens zu werden ist umso höher, je mehr Zeit man in „riskanten Umgebungen“ verbringt. Dieses Risiko erhöht sich nach der Theorie, wenn es erstens eine Person gibt, die bereit ist ein Verbrechen zu begehen (motivated offender), zweitens die Rechtsgüter des potentiellen Opfers Anreize für ein Verbrechen bieten (availability of a suitable target) und drittens die Rechtsgüter des potentiellen Opfers nicht hinreichend geschützt sind ( absence of a capable guardian).
Im Vordergrund dieser Theorie stehen folglich die situationsbezogenen Einflussfaktoren.
Im Vordergrund dieser Theorie stehen folglich die situationsbezogenen Einflussfaktoren.


 
===== Theorie der erlernten Hilflosigkeit =====
'''1.4.2 Theorie der erlernten Hilflosigkeit'''


Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit geht davon aus, das Menschen, die lange Zeit oder mehrfach eine traumatisierende Situation durchlebt haben, nach Beendigung dieser Situation nicht mehr in der Lage sind, sich „normal“ zu verhalten, da durch die Täter das Selbstwertgefühl des Opfers zerstört und die Angstgefühle verstärkt werden. Diese Umstände erhöhen die Re-Viktimisierungswahrscheinlichkeit.
Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit geht davon aus, das Menschen, die lange Zeit oder mehrfach eine traumatisierende Situation durchlebt haben, nach Beendigung dieser Situation nicht mehr in der Lage sind, sich „normal“ zu verhalten, da durch die Täter das Selbstwertgefühl des Opfers zerstört und die Angstgefühle verstärkt werden. Diese Umstände erhöhen die Re-Viktimisierungswahrscheinlichkeit.




'''1.4.3. Die „kulturelle“ Viktimisierungstheorie'''
===== Die „kulturelle“ Viktimisierungstheorie =====


Nach der „Kulturellen“ Viktimisierungstheorie sind solche Menschen besonders opferanfällig, die sich aufgrund ihrer Andersartigkeit von anderen Menschen unterscheiden und durch diese Andersartigkeit Haßverbrechen auslösen. Hierzu zählen vor allem ethnische oder religiöse Minderheiten und Menschen, die sich durch ihre Lebensweise (Obdachlose) oder ihre sexuellen Vorlieben (Homosexuelle) von Anderen unterschieden.
Nach der „Kulturellen“ Viktimisierungstheorie sind solche Menschen besonders opferanfällig, die sich aufgrund ihrer Andersartigkeit von anderen Menschen unterscheiden und durch diese Andersartigkeit Haßverbrechen auslösen. Hierzu zählen vor allem ethnische oder religiöse Minderheiten und Menschen, die sich durch ihre Lebensweise (Obdachlose) oder ihre sexuellen Vorlieben (Homosexuelle) von Anderen unterschieden.
== Literatur ==
== Weblinks ==
*Einen ausgezeichneten Überblick über moderne soziologische Kriminalitätstheorien bietet Dirk Enzmann (siehe: [[Kriminologische Theorien (Überblick)]]).
*Eine kompakte Darstellung zu den bekanntesten kriminologischen Kriminalitätstheorien findet sich bei [http://krimtheo.criminologia.de/ KrimTheo].
[[Kategorie: Theorie]]

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