Kriminalistik

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Begriff

Kriminalistik (engl.: criminalistics) ist die Gesamtheit der Wissensbestände und Techniken der Straftaten-Aufklärung sowie in begrenztem Umfang auch der Straftaten-Verhinderung. Ob sie Kriminalistik selbst eine Wissenschaft ist oder ob sie sich (nur) wissenschaftlicher Verfahrensweisen bedient, ist strittig (vgl. de Vries 2008; Vermander 1984).

In den USA wird Kriminalistik definiert als

  • "the scientific study and evaluation of physical evidence in the commission of crimes",
  • bzw. als "the science dealing with the detection of crime and the apprehension of criminals" (1).

Kurzum: Kriminalistik ist die wissenschaftsbasierte Lehre (manche sagen: die Wissenschaft) von der Verhütung und von der Aufdeckung von Straftaten sowie von der Ermittlung und Überführung von Tatverdächtigen.

Von diesen modernen Definitionen der Kriminalistik - die erst im 20. Jahrhundert gebräuchlich wurden - ist die frühere Bedeutung von Kriminalistik zu unterscheiden. Früher bezecihnete man als Kriminalistik die Lehre vom Strafrecht und Strafprozessrecht - im Gegensatz zur "Zivilistik" als Lehre vom Zivilrecht. Dementsprechend galt ein Professor des Bürgerlichen Rechts als "Zivilist", ein Professor des Strafrechts (wie z.B. Franz v. Liszt) hingegen als "Kriminalist". Auch die Internationale Kriminalistische Vereinigung (IKV) benutzte das Wort noch in diesem Sinn.

Heute bezeichnet "Kriminalistik" die Gesamtheit der Wissensbestände, Techniken und Verfahren, derer sich die Polizei und andere Ermittler zur Aufklärung von Straftaten - und in gewissem Maße auch zur Verhütung von Straftaten - bedienen.

Gerhard Schmelz (2) betrachtet drei Definitionen als relevant:

1. "Kriminalistik ist die eigenständige (interdisziplinäre) Wissenschaft der unmittelbaren, praktischen Prävention und Re pression von Verbrechen und Vergehen sowie der dazu erforderlichen am Einzelfall orientierten (rechtlich zulässigen) relevanten, allgemeinen und besonderen Methoden, Taktiken und Techniken, insbesondere der Beweislehre, Spurenkunde, natur- und geisteswissenschaftlichen Hilfswissenschaften, z.B. Physik, Che mie, Biologie, Medizin, Psycho-logie, Soziologie und Informationstechnologie. Ihr Gegenstand ist die Verhinderung und/oder wahrheitsgemäße Aufklärung konkreter Straftaten durch Er mittlung tatverdächtiger Personen sowie lückenloser und vollständiger Erforschung, Erhebung und Fest stellung aller relevanten Umstände / Tatbestände, ihrer Zusammenhänge, Bedingungen und Wirkungen, insbesondere unter Berücksichtigung der taktischen Erfordernisse und der Grundsätze der Beweislehre und Spurenkunde, um das Geschehene objektiv nachvollziehbar zu machen, d.h. verfügbare Information im Hinblick auf die Klärung chronologi scher Bezüge und deren Nachweis zu erforschen und zu sichern." (3)

2. "Kriminalistik wird als Wissenschaft von der Strategie und Methodik der Aufdeckung und Aufklärung, der Täterermittlung und –überführung, vom taktischen und technischen Vorgehen bei der Kriminalitätsbekämpfung bezeichnet. In diesem Kontext umfasst sie das Wissen um die Methoden und Mittel der Verhütung, Aufdeckung und Aufklärung von Straftaten, einschließlich der Fahndung nach Personen und Sachen sowie der Erlangung gerichtlicher Beweise." (4)

3. "Kriminalistik ist die Wissenschaft der Aufdeckung, Untersuchung und Verhütung von Straftaten. Ihr Gegenstand sind die Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungen des Entstehens von Information bei der Begehung von Straftaten sowie die Methoden ihres Auffindens, Sicherns und Bewertens für Ermittlungs- und Beweiszwecke. Ihre Aufgabe ist es, Handlungen und Ereignisse mit kriminalis-tisch-strafrechtlicher Relevanz aufzudecken, ihren Ablauf zu untersuchen, den Täter zu ermitteln und mit hinreichender Sicherheit zu überführen sowie Wirkungsmöglichkeiten in präventiver Hinsicht zu erkennen und in Anwendung zu bringen." (5)


Erläuterung

Aus pragmatischer Perspektive geht es um die Identifizierung und Überführung von Tätern, im weiteren Sinne aber auch um die Verhinderung von Straftaten.

Üblich ist die Unterteilung in die Sparten:

  • Kriminalstrategie
  • Kriminaltaktik
  • Kriminaltechnik
  • Kriminaldienstkunde.

Geschichte

Zu unterscheiden sind die Geschichte des Begriffs der Kriminalistik und die Geschichte der Kriminalistik.

Der Begriff "Kriminalistik" bezeichnete Anfang des 19. Jahrhunderts den juristischen Wissensbereich, der mit dem Strafrecht zusammenhing. Ein Strafrechtswissenschaftler war insofern ein "Kriminalist", während ein Professor des Zivilrechts ein Zivilist war. Unter den Zivilisten wiederum waren die Romanisten die Kenner des römischen, die Germanisten diejenigen des deutschen Rechts. Dieses Verständnis von Kriminalistik lag auch noch der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (IKV) zugrunde, die sich nicht mit Kriminalistik im heutigen Sinne, sondern mit Fragen des Strafrechts, der Kriminalpolitik und der Kriminologie beschäftigte.

Erst seit Jacob Grimm begann sich ein Verständnis des Begriffs Germanist durchzusetzen, das auch Wissenschaftler bezeichnete, die sich mit der deutschen Geschichte und Sprache befassten. Doch noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts bezeichnete das Wort Kriminalistik die Gesamtheit der Normen und Wissenschaften, die mit dem Strafrecht und seiner Durchsetzung zusammenhingen.

Die Geschichte der Wissensbestände, Methoden und Strategien, die heute unter den Begriff der Kriminalistik fallen, geht weit vor den Ursprung des Begriffs des Wortes Kriminalistik zurück bis zu den ersten systematischen Versuchen der Ermittlung und Überführung von Straftätern. Für Peter Becker etwa beginnt die Vorgeschichte der Kriminalistik mit der Folter und der Verhörpsychologie. Mit der Gründung der Kriminalpolizei in verschiedenen europäischen Staaten entwickelte sich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts die moderne Kriminalistik. Seit 1811 ermittelten am Berliner Criminalgericht Polizeibeamte in Verbrechensfällen. 1818 wurde in Frankreich die Sûreté gegründet. Ihr erster Direktor war der ehemalige Straftäter Eugène François Vidocq (1775-1857). 1829 gründete man in England die Metropolitan Police (besser bekannt als "Scotland Yard").

Das Jahr 1922 markiert die Einführung der Institution der Kriminalpolizei in ganz Deutschland. In Deutschland spricht man gelegentlich von dem Sulzer Oberamtmann Jacob Georg Schäffer (1745-1814) als dem ersten modernen Kriminalisten - vielleicht Deutschlands, vielleicht aber auch nur Württembergs (Uli Rothfuss). Weniger folkloristisch ist der Hinweis auf den Berliner Kriminalisten Ernst Gennat (1880-1939) als Begründer der ersten modernen Mordkommission in Deutschland.

Vergleiche auch:

===Kriminalstrategie=== (befasst sich mit der Planung des Vorgehens bei der allgemeinen Verbrechensbekämpfung. Darunter fällt auch die Vorbeugungsmaßnahmen der Kriminalität und einzelner Straftaten. Die Zweckmäßigkeit hat sich dabei nach Recht und Gesetz zu richten)

===Kriminaltaktik=== (befasst sich mit dem planmäßigen und zweckmäßigen Vorgehen bei der Verbrechensbekämpfung. Hier ist besonders das ermittlungstaktische Vorgehen zu nennen, beispielsweise die Vernehmungstaktik)

===Kriminaltechnik=== (unter dem Begriff der Kriminaltechnik sind alle Erkenntnisse und Maßnahmen zusammengefasst, die sich mit der Anwendung und Nutzbarmachung wissenschaftlicher und erfahrungsbasierter Erkenntnisse im Hinblick auf kriminalistische Spuren (Spurenkunde) beschäftigen. Hierzu gehören:

===Kriminaldienstkunde=== (gehört nur für die Sicherheitsorganisationen zum Bestandteil der Kriminalistik. Sie hat die in Verwaltungsanordnungen, Erlassen und Dienstanweisungen reglementierte Handhabung der kriminalpolizeilichen Mittel und die Regelung des Dienstbetriebes zum Gegenstand)

Abgrenzung zur Kriminologie

Kriminalistik muss als selbständige Disziplin von der Kriminologie abgegrenzt werden. Unter Kriminologie versteht man die Lehre von den Ursachen (Kriminalätiologie) und Erscheinungsformen (Kriminalphänomenologie) der Kriminalität. Beide Disziplinen können als Hilfswissenschaft der jeweils anderen gesehen werden.

Auswirkungen kriminalistischer/kriminologischer Erkenntnisse

Aus den Erkenntnissen von Kriminalistik und Kriminologie können sich neben den unmittelbaren Folgen für Verdächtige auch Einflüsse und Auswirkungen auf

1. die Kriminalpolitik im Hinblick auf die Gestaltung des formellen und materiellen Strafrechts, des Strafvollzugsrechts und

2. die Kriminalstrategie ergeben.

Anmerkungen

  • (2)
  • (3)
  • (4)
  • (5)


Literatur

  • Ackermann, Rolf (2007): Handbuch der Kriminalistik. Stuttgart: Boorberg.
  • Becker, Peter (2005): Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik. Darmstadt: rimus.
  • Berthel, Ralph (2006): Der kriminalstrategische Problemlösungsprozess. Ein Orientierungsrahmen. Stuttgart: Boorberg.
  • de Vries, Heinrich (2008) Ist die Kriminalistik eine Wissenschaft? Kriminalistik Heft 4: 213-217.
  • Gross, Hanns / Geerds, Friedrich (1977): Handbuch der Kriminalistik. 2 Bände. Berlin: Schweitzer.
  • Vermander (1984) in: Kube, Störzer, Brugger: Wissenschaftliche Kriminalistik. Teilband 2: 25 ff.
  • Weihmann, Robert (2007): Kriminalistik. VDP, Verlag Dt. Polizeiliteratur. 9. aktualisierte und erw. Auflage.
  • Weihmann, Robert (2006): Musterklausuren Kriminalistik. VDP, Verlag Dt. Polizeiliteratur. 4. aktualisierte Auflage.


(

(2) Schmelz, Gerhard (1997) Das System der Kriminalwissenschaften. In: Kriminalistik, H.8-9: 562.

(3) Forker, A (2000) Einführung in die Kriminalistik. In: Jäger, R.R. (2000) Kriminalistische Kompetenz. Lübeck: 53 f.

(4) Ackermann u.a. (2000) In: Kriminalistik, H. 9: 5961) Schmelz, Gerhard: Kriminalistik. http://www.gerhard-schmelz.de/46853.html?*session*id*key*=*session*id*val* (aufg. am 27.11.2008).

(2) Schmelz, Gerhard (1997) Das System der Kriminalwissenschaften. In: Kriminalistik, H.8-9: 562.

(3) Forker, A (2000) Einführung in die Kriminalistik. In: Jäger, R.R. (2000) Kriminalistische Kompetenz. Lübeck: 53 f.

(4) Ackermann u.a. (2000) In: Kriminalistik, H. 9: 596.(1) Schmelz, Gerhard: Kriminalistik. http://www.gerhard-schmelz.de/46853.html?*session*id*key*=*session*id*val* (aufg. am 27.11.2008).