Kinderdelinquenz: Unterschied zwischen den Versionen

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===Begriffliche Abgrenzung Kinderdelinquenz / Kinderkriminalität===
===Begriffliche Abgrenzung Kinderdelinquenz / Kinderkriminalität===
Es gibt weltweit Kinder, die gegen die in dem jeweiligen Land bzw. der jeweiligen Gesellschaft geltenden Norman verstoßen und Handlungen begehen, die als Straftatbestände definiert sind. Die Reaktionen auf ein normverletzendes Verhalten von Kindern sind dabei sowohl in den verschiedenen Ländern / Gesellschaften als auch im zeitlichen Verlauf gesehen verschieden.<br>
Es gibt weltweit Kinder, die gegen die in dem jeweiligen Land bzw. der jeweiligen Gesellschaft geltenden Normen verstoßen und Handlungen begehen, die als Straftatbestände definiert sind. Die Reaktionen auf ein normverletzendes Verhalten von Kindern sind dabei sowohl in den verschiedenen Ländern / Gesellschaften als auch im zeitlichen Verlauf gesehen verschieden.<br>
Von Kindern realisiertes von Normen abweichendes Verhalten ist unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte im Rahmen der kindlichen Sozialisation einzuordnen: Um eine gesellschaftlich festgelegte Norm befolgen zu können, muss diese zunächst kennengelernt, verstanden und ausprobiert werden, ggf. müssen Erfahrungen mit Konsequenzen auf Normverstöße gemacht werden. Erst durch einen Prozess des Internalisierens von außen vorgegebener Normen wird eine Grundlage dafür geschaffen, bei Verstößen gegen die Norm eine Vorwerfbarkeit (im Sinne eines absichtsvollen normübertretenden Verhaltens) annehmen zu können. <br>
Von Kindern realisiertes von Normen abweichendes Verhalten ist im Rahmen der kindlichen Sozialisation unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte einzuordnen: Um eine gesellschaftlich festgelegte Norm befolgen zu können, muss diese zunächst kennengelernt, verstanden und ausprobiert werden, ggf. müssen Erfahrungen mit Konsequenzen auf Normverstöße gemacht werden. Erst durch einen Prozess des Internalisierens von außen vorgegebener Normen wird eine Grundlage dafür geschaffen, bei Verstößen gegen die Norm eine Vorwerfbarkeit (im Sinne eines absichtsvollen normübertretenden Verhaltens) annehmen zu können. <br>
Der Begriff "Kriminalität" beinhaltet einen bewussten Normenverstoß, insofern ein "tatbestandliches, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten", welches einer Strafverfolgung und ggf. Bestrafung zugänglich ist. Kinder unter 14 Jahren können sich in Deutschland "tatbestandlich" und "rechtswidrig", aber nicht "schuldhaft" verhalten, da nach § 19 StGB eine "unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit" für bei Begehung einer Tat unter 14-Jährige vorliegt. Um geltende Normen brechendes Verhalten von Kindern auch verbal nicht im Bereich der strafrechtlich verstandenen [[Kriminalität]] anzusiedeln, wird in der Literatur der neutralere Begriff der "Delinquenz" bevorzugt: Kinder handeln danach delinquent, wenn sie gegen die Strafrechtsnormen verstoßen, auch wenn dieses nicht vorwerfbar (also nicht schuldhaft) ist. Kinderdelinquenz wird danach als ein kindliches Verhalten definiert, das im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, wenn es durch einen Erwachsenen (bzw. eine über 14 Jahre alte Person) gezeigt werden würde.<br>
Der Begriff "Kriminalität" beinhaltet einen bewussten Normenverstoß, insofern ein "tatbestandliches, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten", welches einer Strafverfolgung und ggf. Bestrafung zugänglich ist. Kinder unter 14 Jahren können sich in Deutschland "tatbestandlich" und "rechtswidrig", aber nicht "schuldhaft" verhalten, da nach § 19 StGB eine "unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit" für bei Begehung einer Tat unter 14-Jährige vorliegt. Um geltende Normen brechendes Verhalten von Kindern auch verbal nicht im Bereich der strafrechtlich verstandenen [[Kriminalität]] anzusiedeln, wird in der Literatur der neutralere Begriff der "Delinquenz" bevorzugt: Kinder handeln danach delinquent, wenn sie gegen die Strafrechtsnormen verstoßen, auch wenn dieses nicht vorwerfbar (also nicht schuldhaft) ist. Kinderdelinquenz wird danach als ein kindliches Verhalten definiert, das im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, wenn es durch einen Erwachsenen (bzw. eine über 14 Jahre alte Person) gezeigt werden würde.<br>
Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden.
Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden.
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Im Völker- und Europarecht  werden als "Kinder" Personen bezeichnet, die das 18.Lebensjahr noch nicht vollendet haben (''Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes'' (KRÜ, Artikel 1) und ''Charta der Grundrechte der Europäischen Union'' (EU-GRCharta, Art. 24)). Damit umfasst der Begriff "Kind" eine Altersgruppe, die in Deutschland weiter in Kinder und Jugendliche differenziert wird.
Im Völker- und Europarecht  werden als "Kinder" Personen bezeichnet, die das 18.Lebensjahr noch nicht vollendet haben (''Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes'' (KRÜ, Artikel 1) und ''Charta der Grundrechte der Europäischen Union'' (EU-GRCharta, Art. 24)). Damit umfasst der Begriff "Kind" eine Altersgruppe, die in Deutschland weiter in Kinder und Jugendliche differenziert wird.


Im ''Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes'' steht die Anerkennung des Vorranges des Kindeswohls im Vordergrund. Bezogen auf Kinder, die von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen sind, wird in Art. 40 KRÜ die Behandlung des Kindes im Strafrecht und Strafverfahren geregelt ( so ist die Würde des Kindes zu wahren und das Kind ist altersgemäß so zu behandeln, dass es seinem Wohl dienlich ist. U.a. ist das Recht auf einen Beistand, auf eine baldige Entscheidung in einem fairen gerichtlichen Verfahren oder die Achtung der Privatsphäre des Kindes festgelegt. Es wird u.a. geregelt, dass die Staaten ein Strafmündigkeitsalter festlegen sollen, wobei keine angemessene Untergrenze benannt und die Festlegung in die Verfügung der einzelnen Staaten gelegt wird). <br>
Im ''Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes'' steht die Anerkennung des Vorranges des Kindeswohls im Vordergrund. Bezogen auf Kinder, die von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen sind, wird in Art. 40 KRÜ die Behandlung des Kindes im Strafrecht und Strafverfahren geregelt ( so ist die Würde des Kindes zu wahren und das Kind ist altersgemäß so zu behandeln, dass es seinem Wohl dienlich ist). <br>
U.a. ist das Recht auf einen Beistand, auf eine baldige Entscheidung in einem fairen gerichtlichen Verfahren oder die Achtung der Privatsphäre des Kindes festgelegt. Es wird u.a. geregelt, dass die Staaten ein Strafmündigkeitsalter festlegen sollen, wobei keine angemessene Untergrenze benannt und die Festlegung in die Verfügung der einzelnen Staaten gelegt wird. <br>
In Art. 37 KRÜ sind bezogen auf Kinder ein Verbot der Folter, der Todesstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe geregelt. <br>
In Art. 37 KRÜ sind bezogen auf Kinder ein Verbot der Folter, der Todesstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe geregelt. <br>
Hinzuweisen ist darauf, dass die Tatsache der Ratifizierung der Konvention nicht bedeutet, dass es in den unterzeichnenden Staaten keine (z.T. auch massiven) Verletzungen der Kinderrechte mehr gibt.
Hinzuweisen ist darauf, dass die Tatsache der Ratifizierung der Konvention nicht bedeutet, dass es in den unterzeichnenden Staaten keine (z.T. auch massiven) Verletzungen der Kinderrechte mehr gibt.


Im Europarecht haben Kinder Anspruch auf Schutz und Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind (Art 24 EU-GRCharta, Kapitel III, Abs. 1), das Kindeswohl wird als vorrangig eingestuft (Abs. 2). Es gibt keine speziellen Regelungen zum Umgang mit tatverdächigen Kindern. Es gelten die Mindeststandards für Strafverfahren (z.B. EU-GRCharta, Kapitel VI "Justizielle Rechte"). Neben der ''EU-Grundrechtecharta'' sind Artikel der ''Europäischen Menschenrechtskonvention'' bedeutsam (Art. 3, 5, 6 und 7 EMRK), in denen z.B. Beschuldigten bestimmte Verfahrensrechte absolut garantiert werden.  
Im Europarecht haben Kinder Anspruch auf Schutz und Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind (Art 24 EU-GRCharta, Kapitel III, Abs. 1), das Kindeswohl wird als vorrangig eingestuft (Abs. 2). Es gibt keine speziellen Regelungen zum Umgang mit tatverdächtigen Kindern. Es gelten die Mindeststandards für Strafverfahren (z.B. EU-GRCharta, Kapitel VI "Justizielle Rechte"). Neben der ''EU-Grundrechtecharta'' sind Artikel der ''Europäischen Menschenrechtskonvention'' bedeutsam (Art. 3, 5, 6 und 7 EMRK), in denen z.B. Beschuldigten bestimmte Verfahrensrechte absolut garantiert werden.  


Die Rechtslage auf völker- und europarechtlicher Ebene zielt darauf ab, Kindern in den Mitgliedsstaaten einen annähernd gleichen rechtlichen Standard anzubieten. Die Vorgaben sind in Deutschland im verfassungsrechtlichen wie im einfachrechtlichen Bereich verankert.
Die Rechtslage auf völker- und europarechtlicher Ebene zielt darauf ab, Kindern in den Mitgliedsstaaten einen annähernd gleichen rechtlichen Standard anzubieten. Die Vorgaben sind in Deutschland im verfassungsrechtlichen wie im einfachrechtlichen Bereich verankert.
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In der ''einfachen Rechtsordnung'' besteht ein abgestuftes System rechtlicher Verantwortung, orientiert an einer zunehmenden Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen: Es bestehen Altersgrenzen bezogen auf eine Geschäftsfähigkeit, auf eine Verantwortlichkeit Minderjähriger im zuvilrechtlichen Haftungsrecht und auf die Strafmündigkeit. <br>
In der ''einfachen Rechtsordnung'' besteht ein abgestuftes System rechtlicher Verantwortung, orientiert an einer zunehmenden Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen: Es bestehen Altersgrenzen bezogen auf eine Geschäftsfähigkeit, auf eine Verantwortlichkeit Minderjähriger im zuvilrechtlichen Haftungsrecht und auf die Strafmündigkeit. <br>


Bezogen auf den Umgang mit einem einer Tat verdächtigen Kindes ist aufgrund der Regelung des § 19 StGB umstritten, ob die Strafprozessordnung (StPO) Anwendung finden kann. So stellt bereits die Aufnahme einer Strafanzeige gegen ein Kind oder die Abgabe des Vorganges an die Staatsanwaltschaft im Prinzip eine Ermittlungstätigkeit der Polizei dar. Da eine solche vom Willen getragen ist, ein Strafverfahren gegen einen einer Straftat Verdächtigen zu betreiben, ist zu fragen, ob ein Kind unter Beachtung von § 19 StGB überhaupt eine Beschuldigteneigenschaft innehaben kann und entsprechend von Ermittlungen betroffen werden darf. Strafunmündigkeit stellt aufgrund einer normativ bindenden Schuldlosigkeitsvermutung bezogen auf Kinder ein Strafverfolgungshindernis dar. Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern deshalb ausgeschlossen, da sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtlich-formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert wird. <br>
Bezogen auf den Umgang mit einem einer Tat verdächtigen Kindes ist aufgrund der Regelung des § 19 StGB umstritten, ob die Strafprozessordnung (StPO) Anwendung finden kann. So stellt bereits die Aufnahme einer Strafanzeige gegen ein Kind oder die Abgabe des Vorganges an die Staatsanwaltschaft im Prinzip eine Ermittlungstätigkeit der Polizei dar. Da eine solche vom Willen getragen ist, ein Strafverfahren gegen einen einer Straftat Verdächtigen zu betreiben, ist zu fragen, ob ein Kind unter Beachtung von § 19 StGB überhaupt eine Beschuldigteneigenschaft innehaben kann und entsprechend von Ermittlungen betroffen werden darf. Strafunmündigkeit stellt aufgrund einer normativ bindenden Schuldlosigkeitsvermutung bezogen auf Kinder ein Strafverfolgungshindernis dar. Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern deshalb ausgeschlossen, da sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. <br>


Im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechtes wird bezogen auf den Begriffe des "Störers" nicht zwischen Kindern und Erwachsenen bzw. zwischen Schulfähigen und Schuldunfähigen unterschieden. Gegenüber dem "Störer" muss auch kein Tatverdacht bestehen, der darauf abzielt, ein Strafverfahren gegen die Person zu betreiben. Gefahrenabwehrrechtliche Vorschriften können insofern auch bei Kindern angewendet werden. Hierzu wird die Problematik diskutiert, ob das Polizeirecht erlauben kann, was die StPO verbietet. Soweit die Polizei präventive Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Kinder anwenden dürfen soll, müssen diese der Verhältnismäßigkeit unterlieben, kind- und sachbezogen sein. <br>
Im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechtes wird bezogen auf den Begriffe des "Störers" nicht zwischen Kindern und Erwachsenen bzw. zwischen Schulfähigen und Schuldunfähigen unterschieden. Gegenüber dem "Störer" muss auch kein Tatverdacht bestehen, der darauf abzielt, ein Strafverfahren gegen die Person zu betreiben. Gefahrenabwehrrechtliche Vorschriften können insofern auch bei Kindern angewendet werden. Hierzu wird die Problematik diskutiert, ob das Polizeirecht erlauben kann, was die StPO verbietet. Soweit die Polizei präventive Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Kinder anwenden dürfen soll, müssen diese der Verhältnismäßigkeit unterliegen, kind- und sachbezogen sein. <br>
Kinder können bei einem bestehenden Tatverdacht von der Polizei mit den Eltern zu einer informellen Anhörung geladen werden, dabei dürfen sie weder zur Wahrheit ermahnt noch seitens der Polizei erzieherisch beeinflusst werden. Bereits durch die Situation an sich ergibt sich jedoch ein gewisser ermahnender Charakter im Sinne einer Verdeutlichung, dass das gezeigte Verhalten nicht normkonform war.  
Kinder können bei einem bestehenden Tatverdacht von der Polizei mit den Eltern zu einer informellen Anhörung geladen werden, dabei dürfen sie weder zur Wahrheit ermahnt noch seitens der Polizei erzieherisch beeinflusst werden. Bereits durch die Situation an sich ergibt sich jedoch ein gewisser ermahnender Charakter im Sinne einer Verdeutlichung, dass das gezeigte Verhalten nicht normkonform war.  


Eine besondere Problematik stellt sich bezogen auf die Speicherung von Daten über kinderdelinquentes Verhalten, soweit diese in einem späteren Jugendstrafverfahren zur Kenntnis gelangen. Es ist einzubeziehen, dass die Kenntnis dieser Informationen (die im Sinne einer Einschätzung des bisherigen Sozialverhaltens eingeordent werden können) Einfluss auf die Beurteilung des jugendlichen Fehlverhaltens haben kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zum einen bereits die Registrierung kindlicher Delinquenz von Verzerrungen betroffen ist und dass zum anderen auch die Episodenhaftigkeit und Ubiquität kindlicher Delinquenz einbezogen werden müssten.  
Eine besondere Problematik stellt sich bezogen auf die Speicherung von Daten über kinderdelinquentes Verhalten, soweit diese in einem späteren Jugendstrafverfahren zur Kenntnis gelangen. Es ist einzubeziehen, dass die Kenntnis dieser Informationen (die im Sinne einer Einschätzung des bisherigen Sozialverhaltens eingeordnet werden können) Einfluss auf die Beurteilung des jugendlichen Fehlverhaltens haben kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zum einen bereits die Registrierung kindlicher Delinquenz von Verzerrungen betroffen ist und dass zum anderen auch die Episodenhaftigkeit und Ubiquität kindlicher Delinquenz einbezogen werden müssten.  


Eine Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann auch durch kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen (z.B. §§ 11 ff SGB VIII, §§ 16 ff SGB VIII und §§ 22 SGB VIII), familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
Eine Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann auch durch kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen (z.B. §§ 11 ff SGB VIII, §§ 16 ff SGB VIII und §§ 22 SGB VIII), familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
Reaktionsformen der Jugendhilfe können z.B. auf freiwilliger Basis eine Erziehungsberatung oder freiwillige Erziehungshilfe sein. Hierbei ist einzubeziehen, dass diese Hilfen durch die Familien beantragt werden müssen und ggf. mit Kosten verbunden sind.<br>
Reaktionsformen der Jugendhilfe können z.B. auf freiwilliger Basis eine Erziehungsberatung oder freiwillige Erziehungshilfe sein. Hierbei ist einzubeziehen, dass diese Hilfen durch die Familien beantragt werden müssen und ggf. mit Kosten verbunden sind.<br>
Bei einer angenommenen Gefährdung des Kindeswohles kann den Eltern nach §§ 1666, 1666 a BGB das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen werden. Durch Anordnung des Familiengerichtes können z.B. eine Erziehungsbeistandschaft oder eine Fürsorgeerziehung erfolgen (§§ 55 ff. JWG). Maßnahmen des Familiengerichtes haben dabei vor allem eine kontrollierende und nur wenig eine unterstützende Funktion bezogen auf die Familie, im Sinne des Wächteramtes des Staates (Art 6 II 1 GG). Hierbei wird u.a. diskutiert, inwieweit durch gerichtlich angeordnete Maßnahmen wie eine Fürsorgeerziehung auch Stigmatisierungseffekte entstehen können, die ggf. eine Entstehung sekundärer Devianz (im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung) begünstigen können. <br>
Bei einer angenommenen Gefährdung des Kindeswohles kann den Eltern nach §§ 1666, 1666 a BGB das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen werden. Durch Anordnung des Familiengerichtes können z.B. eine Erziehungsbeistandschaft oder eine Fürsorgeerziehung erfolgen (§§ 55 ff. JWG). Maßnahmen des Familiengerichtes haben dabei vor allem eine kontrollierende und nur wenig eine unterstützende Funktion bezogen auf die Familie, im Sinne des Wächteramtes des Staates (Art 6 II 1 GG). Hierbei wird u.a. diskutiert, inwieweit durch gerichtlich angeordnete Maßnahmen wie eine Fürsorgeerziehung Stigmatisierungseffekte entstehen können, die ggf. eine Entstehung sekundärer Devianz begünstigen können. <br>


Um Reaktionen der Jugendhilfe für die Kinder und die Familien sinnvoll und nutzbar zu machen, ist eine zeitnahe Reaktion erforderlich, was häufig aufgrund von unterschiedlichen Verfahrensweisen der beteiligten Institutionen (z.B. Polizei und Jugendamt) nicht erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist die Bereitstellung ausreichender auch personeller Ressourcen, um auf eingehende Meldungen oder Hinweise auf kindliche Auffälligkeiten oder Delinquenz mit einem pädagogisch angemessenen Angebot reagieren zu können.
Um Reaktionen der Jugendhilfe für die Kinder und die Familien sinnvoll und nutzbar zu machen, ist eine zeitnahe Reaktion erforderlich, was häufig aufgrund von unterschiedlichen Verfahrensweisen der beteiligten Institutionen (z.B. Polizei und Jugendamt) nicht erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist die Bereitstellung ausreichender auch personeller Ressourcen, um auf eingehende Meldungen oder Hinweise auf kindliche Auffälligkeiten oder Delinquenz mit einem pädagogisch angemessenen Angebot reagieren zu können.
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Das europäische Jugendkriminalrecht wird von zwei Konzepten bestimmt: <br>
Das europäische Jugendkriminalrecht wird von zwei Konzepten bestimmt: <br>
Das sog. ''Wohlfahrtsmodell'' konzentriert sich auf Jugendhilfe und ist duch ein spätes Strafmündigkeitsalter gekennzeichnet.Maßnahmen sollen als Ziel einen Erziehungserfolg erreichen und sind zeitlich eher unbestimmt.<br>
Das sog. ''Wohlfahrtsmodell'' konzentriert sich auf Jugendhilfe und ist duch ein spätes Strafmündigkeitsalter gekennzeichnet.Maßnahmen sollen als Ziel einen Erziehungserfolg erreichen und sind zeitlich eher unbestimmt.<br>
Dassog. ''Justizmodell'' reagiert im Sinne des allgemeinen Strafrechts auf auffälliges Verhalten, Sanktionierung orientiert sich hierbei an einer Tatschuld und ist zeitlich begrenzt.<br>
Das sog. ''Justizmodell'' reagiert im Sinne des allgemeinen Strafrechts auf auffälliges Verhalten, Sanktionierung orientiert sich hierbei an einer Tatschuld und ist zeitlich begrenzt.<br>
In neuerer Zeit findet sich weiterhin ein sog. ''Konfliktlösungsmodell'', hierbei sollen Konflikte, die sich in einer Straftat ausdrücken oder auf einer Straftat beruhen, in der Gemeinschaft geschlichtet oder gelöst werden (z.B. restorative justive approach oder Täter-Opfer-Ausgleich).<br>
In neuerer Zeit findet sich weiterhin ein sog. ''Konfliktlösungsmodell'', hierbei sollen Konflikte, die sich in einer Straftat ausdrücken oder auf einer Straftat beruhen, in der Gemeinschaft geschlichtet oder gelöst werden (z.B. restorative justive approach oder Täter-Opfer-Ausgleich).<br>


In einigen Längern finden sich sehr hohe Altersgrenzen für die Strafmündigkeit (z.B. in Belgien, 18 Jahre, oder Rumänien, Litauen, Slowenien, 16 Jahre).  
In einigen Ländern finden sich sehr hohe Altersgrenzen für die Strafmündigkeit (z.B. in Belgien, 18 Jahre, oder Rumänien, Litauen, Slowenien, 16 Jahre). <br>
Länder mit sehr niedrigen Altersgrenzen für eine Strafmündigkeit sind z.B. die Länder des Vereinigten Königreiches, Frankreich, Griechenland und die Schweiz. Dabei ist zu beachten, dass in diesen Ländern nicht mit dem Überschreiten der Altersgrenze Kriminalstrafen zur Anwendung kommen. <br>
Länder mit sehr niedrigen Altersgrenzen für eine Strafmündigkeit sind z.B. die Länder des Vereinigten Königreiches, Frankreich, Griechenland und die Schweiz. Dabei ist zu beachten, dass in diesen Ländern nicht mit dem Überschreiten der Altersgrenze Kriminalstrafen zur Anwendung kommen. <br>
Bezogen auf z.B. Griechenland (8 Jahre) oder Frankreich (10 Jahre) bezeichnen die Altersgrenzen den Zeitpunkt, ab dem überhaupt Reaktionen aufgrund von Straftaten erfolgen, die zunächst erzieherischer Natur sind. <br>
Bezogen auf z.B. Griechenland (8 Jahre) oder Frankreich (10 Jahre) bezeichnen die Altersgrenzen den Zeitpunkt, ab dem überhaupt Reaktionen aufgrund von Straftaten erfolgen, die zunächst erzieherischer Natur sind. <br>
In den Ländern des Vereinigten Königreichs sind z.B. stationäre Maßnahmen auch für Kinder ab 10 bzw. 12 Jahren möglich, wenn z.B. das Gericht der Ansicht ist, dass die Allgemeinheit anders nicht vor dem Kind geschützt werden kann oder das Kind als Intensivtäter eingeordnet werden. Gegen Kinder unter 10 Jahren sowie gegen ihre Eltern können Anordnungen wie z.B. eine Ausgangssperre für Kinder oder eine Beratungsverpflichtung für Eltern (im Zusammenhang mit einer auf das Kind bezogenen Anordnung, die das Kind unter die Aufsicht eines Mitarbeiters des Jugendamtes stellt) ergehen. Es finden sich auch zwischen den Ländern des Vereinigten Königreichs noch Unterschiede in der Festlegung von Altersgrenzen bzw. in der Anwendung von strafrechtlichen Reaktionsweisen gegenüber Kindern.
In einigen Ländern des Vereinigten Königreichs sind z.B. stationäre Maßnahmen auch für Kinder ab 10 bzw. 12 Jahren möglich, wenn z.B. das Gericht der Ansicht ist, dass die Allgemeinheit anders nicht vor dem Kind geschützt werden kann oder das Kind als Intensivtäter eingeordnet wird. Gegen Kinder unter 10 Jahren sowie gegen ihre Eltern können Anordnungen wie z.B. eine Ausgangssperre für Kinder oder eine Beratungsverpflichtung für Eltern (im Zusammenhang mit einer auf das Kind bezogenen Anordnung, die das Kind unter die Aufsicht eines Mitarbeiters des Jugendamtes stellt) ergehen. Es finden sich auch zwischen den Ländern des Vereinigten Königreichs noch Unterschiede in der Festlegung von Altersgrenzen bzw. in der Anwendung von strafrechtlichen Reaktionsweisen gegenüber Kindern.


===Erscheinungsformen delinquenten Verhaltens von Kindern===
===Erscheinungsformen delinquenten Verhaltens von Kindern===
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Bezogen auf den Bereich Kinderdelinquenz bestehen dabei verschiedene Schwierigkeiten: Risiken von Fehlern in der Erfassung und rechtlichen Bewertung sowie in der qualitativen Interpretation der Daten sind deutlich ausgeprägter als bei strafmündigen Personen. Zu Fragen ist z.B., ob die Registrierung unter 6-jähriger Kinder als tatverdächtig mit dem Entwicklungsstand von Kindern dieses Alters vereinbar ist, ob ein Kind diesen Alters also bewusst normverletzend gehandelt haben kann. Auch eine Mitregistrierung von Kindern als Tatverdächtige, wenn sie sich (ohne eigenen Tatbeitrag) in einer Gruppe von Personen, die eine Straftat begangen haben, befunden haben, lässt die Annahme einer Normabweichung dieses - registrierten - Kindes diskutierbar erscheinen. Auch fehlt bei Kindern die Möglichkeit der Prüfung und ggf. der Korrektur eines polizeilichen Tatverdachtes durch die Justiz, da ein Strafverfahren gegen sie nicht weitergeführt werden kann. <br>
Bezogen auf den Bereich Kinderdelinquenz bestehen dabei verschiedene Schwierigkeiten: Risiken von Fehlern in der Erfassung und rechtlichen Bewertung sowie in der qualitativen Interpretation der Daten sind deutlich ausgeprägter als bei strafmündigen Personen. Zu Fragen ist z.B., ob die Registrierung unter 6-jähriger Kinder als tatverdächtig mit dem Entwicklungsstand von Kindern dieses Alters vereinbar ist, ob ein Kind diesen Alters also bewusst normverletzend gehandelt haben kann. Auch eine Mitregistrierung von Kindern als Tatverdächtige, wenn sie sich (ohne eigenen Tatbeitrag) in einer Gruppe von Personen, die eine Straftat begangen haben, befunden haben, lässt die Annahme einer Normabweichung dieses - registrierten - Kindes diskutierbar erscheinen. Auch fehlt bei Kindern die Möglichkeit der Prüfung und ggf. der Korrektur eines polizeilichen Tatverdachtes durch die Justiz, da ein Strafverfahren gegen sie nicht weitergeführt werden kann. <br>
Unter der Annahme, dass im Fall strafunmündiger Täter die Anzeigehäufigkeit niedrig ist, führt schon ein geringfügiger Wandel der Anzeigebereitschaft bezogen auf Kinder zu erheblichen Veränderungen der Daten. Schließlich ist einzubeziehen, dass Veränderungen der personellen Kapazitäten zu ggf. gravierenden Veränderungen in der Registrierung strafunmündiger Kinder führen können, ohne dass ein tatsächlich erhöhtes Aufkommen normabweichenden Verhaltens in dieser Altersgruppe vorhanden sein muss. <br>
Unter der Annahme, dass im Fall strafunmündiger Täter die Anzeigehäufigkeit niedrig ist, führt schon ein geringfügiger Wandel der Anzeigebereitschaft bezogen auf Kinder zu erheblichen Veränderungen der Daten. Schließlich ist einzubeziehen, dass Veränderungen der personellen Kapazitäten z.B. der Polizei zu ggf. gravierenden Veränderungen in der Registrierung strafunmündiger Kinder führen können, ohne dass ein tatsächlich erhöhtes Aufkommen normabweichenden Verhaltens in dieser Altersgruppe vorhanden sein muss. <br>


Insgesamt finden sich in der PKS wellenförmige Verläufe in der Entwicklung der Tatverdächtigenanteile von Kindern, die unter dem Vorbehalt möglicher verzerrender Einflussfaktoren zu sehen sind. Eine kontinuierliche Verjüngung der Tatverdächtigen im Hellfeld läßt sich (bis 2005) anhand der Daten nicht belegen. Auch eine deutliche Zunahme von Mehrfach- oder Intensivtätern lässt sich nicht ableiten. Ein zunehmender Trend findet sich bis etwa 2004 bezogen auf einfache und qualifizierte Körperverletzung, wobei Gewalt-, Körperverletzungs- und Drogendelikte den kleinsten Teil der Kinderdelinquenz ausmachen. Bei dem größten Anteil der Kinderdelinquenz, den Eigentumsdelikten, ist ab Mitte der 90er Jahre ein deutlicher Rückgang festzustellen.  
Insgesamt finden sich in der PKS wellenförmige Verläufe in der Entwicklung der Tatverdächtigenanteile von Kindern, die unter dem Vorbehalt möglicher verzerrender Einflussfaktoren zu sehen sind. Eine kontinuierliche Verjüngung der Tatverdächtigen im Hellfeld läßt sich (bis 2005) anhand der Daten nicht belegen. Auch eine deutliche Zunahme von Mehrfach- oder Intensivtätern lässt sich nicht ableiten. Ein zunehmender Trend findet sich bis etwa 2004 bezogen auf einfache und qualifizierte Körperverletzung, wobei Gewalt-, Körperverletzungs- und Drogendelikte den kleinsten Teil der Kinderdelinquenz ausmachen. Bei dem größten Anteil der Kinderdelinquenz, den Eigentumsdelikten, ist ab Mitte der 90er Jahre ein deutlicher Rückgang festzustellen.  
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