31.738
Bearbeitungen
Tiao (Diskussion | Beiträge) |
Tiao (Diskussion | Beiträge) |
||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
Kinderdelinquenz ist kindliches Verhalten, das - würde es von einer strafmündigen Person ausgeführt - im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, das aber mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Umgangs mit Kindern unterhalb der [[Strafmündigkeitsgrenze]] auch sprachlich nicht dem Bereich der strafrechtlich verstandenen Kriminalität zugeordnet werden soll und deshalb in aller Regel nicht als "Kriminalität", sondern als "Delinquenz" bezeichnet wird. Das impliziert als Reaktion eher erzieherische Einwirkungen als kriminalrechtliche Sanktionierungen. | Kinderdelinquenz ist kindliches Verhalten, das - würde es von einer strafmündigen Person ausgeführt - im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, das aber mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Umgangs mit Kindern unterhalb der [[Strafmündigkeitsgrenze]] auch sprachlich nicht dem Bereich der strafrechtlich verstandenen Kriminalität zugeordnet werden soll und deshalb in aller Regel nicht als "Kriminalität", sondern als "Delinquenz" bezeichnet wird. Das impliziert als Reaktion eher erzieherische Einwirkungen als kriminalrechtliche Sanktionierungen. | ||
== | ==Abgrenzung vom Kriminalitätsbegriff== | ||
*Der Begriff "Kriminalität" beinhaltet einen bewussten Normenverstoß, insofern ein "tatbestandliches, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten", welches einer Strafverfolgung und ggf. Bestrafung zugänglich ist. Kinder unter 14 Jahren können sich in Deutschland "tatbestandlich" und "rechtswidrig", aber nicht "schuldhaft" verhalten, da nach § 19 StGB eine "unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit" für bei Begehung einer Tat unter 14-Jährige vorliegt. | |||
Der Begriff "Kriminalität" beinhaltet einen bewussten Normenverstoß, insofern ein "tatbestandliches, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten", welches einer Strafverfolgung und ggf. Bestrafung zugänglich ist. Kinder unter 14 Jahren können sich in Deutschland "tatbestandlich" und "rechtswidrig", aber nicht "schuldhaft" verhalten, da nach § 19 StGB eine "unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit" für bei Begehung einer Tat unter 14-Jährige vorliegt. | *Von Kindern realisiertes von Normen abweichendes Verhalten ist im Rahmen der kindlichen Sozialisation unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte einzuordnen: Um eine gesellschaftlich festgelegte Norm befolgen zu können, muss diese zunächst kennengelernt, verstanden und ausprobiert werden, ggf. müssen Erfahrungen mit Konsequenzen auf Normverstöße gemacht werden. Erst durch einen Prozess des Internalisierens von außen vorgegebener Normen wird eine Grundlage dafür geschaffen, bei Verstößen gegen die Norm eine Vorwerfbarkeit (im Sinne eines absichtsvollen normübertretenden Verhaltens) annehmen zu können. <br> | ||
Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden. | *Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden. | ||
== Umfang und Erscheinungsformen == | == Umfang und Erscheinungsformen == | ||
Um Reaktionen der Jugendhilfe für die Kinder und die Familien sinnvoll und nutzbar zu machen, ist eine zeitnahe Reaktion erforderlich, was häufig aufgrund von unterschiedlichen Verfahrensweisen der beteiligten Institutionen (z.B. Polizei und Jugendamt) nicht erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist die Bereitstellung ausreichender auch personeller Ressourcen, um auf eingehende Meldungen oder Hinweise auf kindliche Auffälligkeiten oder Delinquenz mit einem pädagogisch angemessenen Angebot reagieren zu können. | Um Reaktionen der Jugendhilfe für die Kinder und die Familien sinnvoll und nutzbar zu machen, ist eine zeitnahe Reaktion erforderlich, was häufig aufgrund von unterschiedlichen Verfahrensweisen der beteiligten Institutionen (z.B. Polizei und Jugendamt) nicht erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist die Bereitstellung ausreichender auch personeller Ressourcen, um auf eingehende Meldungen oder Hinweise auf kindliche Auffälligkeiten oder Delinquenz mit einem pädagogisch angemessenen Angebot reagieren zu können. | ||
Zeile 48: | Zeile 32: | ||
Die Datenlage zur Erfassung des Umfangs und der Struktur der Kinderdelinquenz ist in Deutschland noch als unzureichend anzusehen. Eine alleinige Interpretation der Hellfelddaten der Polizei sollte im Bereich der Kinderdelinquenz zurückhaltend erfolgen. | Die Datenlage zur Erfassung des Umfangs und der Struktur der Kinderdelinquenz ist in Deutschland noch als unzureichend anzusehen. Eine alleinige Interpretation der Hellfelddaten der Polizei sollte im Bereich der Kinderdelinquenz zurückhaltend erfolgen. | ||
=== | ===Entstehungsbedingungen=== | ||
Mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes. <br> | Mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes. <br> | ||
Durch veränderte Sozialisationsbedingungen, Indivualisierungstendenzen und einen Strukturwandel der Kindheitsphase werden Kinder zunehmend Freiheiten zugewiesen und sie werden zu einer früheren Verselbstständigung angehalten, die nicht unbedingt ihrem Entwicklungsstand entspricht. Zum Erwerb eines Moral- und Normenverständnisses als Grundlage für eine bewusste Entscheidung, sich diesen entsprechend verhalten zu wollen, sind Kinder auf die Vorgabe eines verbindlichen Rahmens, auf Vorbilder und die Bereitschaft ihrer Bezugspersonen, sich mit ihnen über Normen und soziale Regeln auseinanderzusetzen, angewiesen. <br> | Durch veränderte Sozialisationsbedingungen, Indivualisierungstendenzen und einen Strukturwandel der Kindheitsphase werden Kinder zunehmend Freiheiten zugewiesen und sie werden zu einer früheren Verselbstständigung angehalten, die nicht unbedingt ihrem Entwicklungsstand entspricht. Zum Erwerb eines Moral- und Normenverständnisses als Grundlage für eine bewusste Entscheidung, sich diesen entsprechend verhalten zu wollen, sind Kinder auf die Vorgabe eines verbindlichen Rahmens, auf Vorbilder und die Bereitschaft ihrer Bezugspersonen, sich mit ihnen über Normen und soziale Regeln auseinanderzusetzen, angewiesen. <br> |