Kinderdelinquenz: Unterschied zwischen den Versionen

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===Zusammenhänge mit der Realität===
===Zusammenhänge mit der Realität===


*'''Entwicklung und Quantität der Kinderdelinquenz anhand der Daten der [[PKS]]'''
====Entwicklung und Quantität der Kinderdelinquenz anhand der Daten der [[PKS]]====
Es gibt verschiedenen Forschungsansätze, mittels derer versucht wird, die Entwicklung und Quantität der Kinderdelinquenz in Deutschland zu ermitteln: Die Akten- Verlaufs- Untersuchung (veraltet), die Dunkelfeldforschung (in der Regel nicht repräsentativ, da zu speziell) und die Polizeiliche Kriminalstatistik ([[PKS]]). Die [[PKS]] ist die einzige Statistik in der Bundesrepublik, die umfassende Zahlen über das Kriminalitätsgeschehen von Kinderdelinquenz ermöglichen kann.  
Es gibt verschiedenen Forschungsansätze, mittels derer versucht wird, die Entwicklung und Quantität der Kinderdelinquenz in Deutschland zu ermitteln: Die Akten- Verlaufs- Untersuchung (veraltet), die Dunkelfeldforschung (in der Regel nicht repräsentativ, da zu speziell) und die Polizeiliche Kriminalstatistik ([[PKS]]). Die [[PKS]] ist die einzige Statistik in der Bundesrepublik, die umfassende Zahlen über das Kriminalitätsgeschehen von Kinderdelinquenz ermöglichen kann.  
Insgesamt ist ein wellenförmiger Verlauf in der Entwicklung der Tatverdächtigenanteile der Kinder in der [[PKS]] zwischen 1972 und 1998 festzustellen. Ende 1990 war ein ähnlich hohes Niveau erreicht, wie es bereits in den 70er Jahren einmal existiert hatte.<br>
Insgesamt ist ein wellenförmiger Verlauf in der Entwicklung der Tatverdächtigenanteile der Kinder in der [[PKS]] zwischen 1972 und 1998 festzustellen. Ende 1990 war ein ähnlich hohes Niveau erreicht, wie es bereits in den 70er Jahren einmal existiert hatte.<br>
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Der Vergleich der Tatverdächtigenanteile der strafunmündigen Kinder an der Gesamtkriminalität jedoch zeigt, dass die registrierte Kinderdelinquenz zwar gestiegen, insgesamt aber nach wie vor nur einen geringen Anteil ausmacht. Insofern besteht auch kein Grund, die Kinderdelinquenz als so besorgniserregend einzustufen, wie es in der Öffentlichkeit, v.a. den Medien und der Politik, erfolgt. Dies bedeutet nicht, dass die Kinderdelinquenz verharmlost werden soll und kein Handlungsbedarf bezüglich dieser Problematik existieren würde.  
Der Vergleich der Tatverdächtigenanteile der strafunmündigen Kinder an der Gesamtkriminalität jedoch zeigt, dass die registrierte Kinderdelinquenz zwar gestiegen, insgesamt aber nach wie vor nur einen geringen Anteil ausmacht. Insofern besteht auch kein Grund, die Kinderdelinquenz als so besorgniserregend einzustufen, wie es in der Öffentlichkeit, v.a. den Medien und der Politik, erfolgt. Dies bedeutet nicht, dass die Kinderdelinquenz verharmlost werden soll und kein Handlungsbedarf bezüglich dieser Problematik existieren würde.  


*'''Die Veränderung der Sozialisationsbedingungen und der Strukturwandel der Kindheitsphase, die Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinderdelinquenz haben'''
====Die Veränderung der Sozialisationsbedingungen und der Strukturwandel der Kindheitsphase, die Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinderdelinquenz haben====
Seit den 1990er Jahren ist ein verstärkter Wandel hinsichtlich der Familie, der Freizeit- und Umwelt, den Konsum- und Medieninteressen festzustellen: Immer stärker werdende Berufstätigkeit der Eltern, vielfältige Formen von Familie, verbunden mit einem zunehmenden Verlust elterlicher Kontrolle über die Kinder, sich verändernden und variierenden Erziehungsformen, eine wachsende Zahl an außerfamilialen Sozialisationsinstanzen (Schule, Freunde/ peer- group, Medien usw.), die neben den Eltern Einfluss auf die Sozialisation der Kinder nehmen u.v.m.<br>
Seit den 1990er Jahren ist ein verstärkter Wandel hinsichtlich der Familie, der Freizeit- und Umwelt, den Konsum- und Medieninteressen festzustellen: Immer stärker werdende Berufstätigkeit der Eltern, vielfältige Formen von Familie, verbunden mit einem zunehmenden Verlust elterlicher Kontrolle über die Kinder, sich verändernden und variierenden Erziehungsformen, eine wachsende Zahl an außerfamilialen Sozialisationsinstanzen (Schule, Freunde/ peer- group, Medien usw.), die neben den Eltern Einfluss auf die Sozialisation der Kinder nehmen u.v.m.<br>
Insgesamt ergibt sich durch die veränderten Sozialisationsbedingungen und den Strukturwandel der Kindheitsphase, dass Kinder, besonders die 12-13jährigen,  zunehmend mehr Freiheiten besitzen, die Individualisierungstendenzen zunehmen, die Verselbstständigung altersbezogen früher als bisher einsetzt, neben der Familie und den traditionellen außerfamilialen Sozialisationsinstanzen wird die peer- group immer bedeutender für die Kinder und ihre Sozialisation, durch das Sinken der Normverbindlichkeit steigt die Freiheit der Kinder, sich bezüglich der Verhaltens- und Lebensform frei entscheiden zu können usw. Diese neuen Freiheiten müssen jedoch nicht immer bedeuten, dass die Kinder auch dementsprechend selbstständig und eigenverantwortlich handeln können, denn zum Teil sind die Kinder mit der teilweise frühen Entlassung aus der elterlichen Kontrolle, dem frühen Verfügen über finanzielle Ressourcen und damit verbundenen, von den Medien geförderten, früh einsetzenden Bedürfnissen nach Unabhängigkeit und Konsum völlig überfordert.
Insgesamt ergibt sich durch die veränderten Sozialisationsbedingungen und den Strukturwandel der Kindheitsphase, dass Kinder, besonders die 12-13jährigen,  zunehmend mehr Freiheiten besitzen, die Individualisierungstendenzen zunehmen, die Verselbstständigung altersbezogen früher als bisher einsetzt, neben der Familie und den traditionellen außerfamilialen Sozialisationsinstanzen wird die peer- group immer bedeutender für die Kinder und ihre Sozialisation, durch das Sinken der Normverbindlichkeit steigt die Freiheit der Kinder, sich bezüglich der Verhaltens- und Lebensform frei entscheiden zu können usw. Diese neuen Freiheiten müssen jedoch nicht immer bedeuten, dass die Kinder auch dementsprechend selbstständig und eigenverantwortlich handeln können, denn zum Teil sind die Kinder mit der teilweise frühen Entlassung aus der elterlichen Kontrolle, dem frühen Verfügen über finanzielle Ressourcen und damit verbundenen, von den Medien geförderten, früh einsetzenden Bedürfnissen nach Unabhängigkeit und Konsum völlig überfordert.


*'''Die Entstehungsbedingungen von Kinderdelinquenz'''
====Die Entstehungsbedingungen von Kinderdelinquenz====
Die Entstehungsbedingungen für Kinderdelinquenz sind vielfältig und niemals nur durch einen Erklärungsansatz auf der gesellschaftlichen Makro- oder der sozial bedingten individuellen Mikroebene erklärbar. Bei Kinderdelinquenz besteht die Schwierigkeit der Vorhersagemöglichkeit der weiteren biographischen Entwicklung des Kindes. Anhaltspunkt zur Vorhersage der Entwicklung des jeweiligen Kindes können auffällige Persönlichkeitsmerkmale des Kindes und bekannte ungünstige Sozialisationsbedingungen sein, wobei v.a. das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren bedeutsam ist.  
Die Entstehungsbedingungen für Kinderdelinquenz sind vielfältig und niemals nur durch einen Erklärungsansatz auf der gesellschaftlichen Makro- oder der sozial bedingten individuellen Mikroebene erklärbar. Bei Kinderdelinquenz besteht die Schwierigkeit der Vorhersagemöglichkeit der weiteren biographischen Entwicklung des Kindes. Anhaltspunkt zur Vorhersage der Entwicklung des jeweiligen Kindes können auffällige Persönlichkeitsmerkmale des Kindes und bekannte ungünstige Sozialisationsbedingungen sein, wobei v.a. das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren bedeutsam ist.  
Delinquentes Verhalten von Kindern ist gemäß wissenschaftlichen Erkenntnissen ubiquitär und episodenhaft, unterschiedlich, spontan sowie unüberlegt Deshalb ist m.E. davon auszugehen, dass eine der Entstehungsbedingungen für Kinderdelinquenz das junge Alter ist.  
Delinquentes Verhalten von Kindern ist gemäß wissenschaftlichen Erkenntnissen ubiquitär und episodenhaft, unterschiedlich, spontan sowie unüberlegt Deshalb ist m.E. davon auszugehen, dass eine der Entstehungsbedingungen für Kinderdelinquenz das junge Alter ist.  


*'''Existierende Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle in Deutschland zur Bekämpfung der Kinderdelinquenz'''
====Existierende Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle in Deutschland zur Bekämpfung der Kinderdelinquenz====
Es wird heute häufig in der Öffentlichkeit beklagt (Medien, Politik, z.T. auch Pädagogen), dass nur unzureichende Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle zur Bekämpfung der Kinderdelinquenz existieren würden. Diese Klage ist jedoch unberechtigt:<br>
Es wird heute häufig in der Öffentlichkeit beklagt (Medien, Politik, z.T. auch Pädagogen), dass nur unzureichende Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle zur Bekämpfung der Kinderdelinquenz existieren würden. Diese Klage ist jedoch unberechtigt:<br>
Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern insofern ausgeschlossen, als dass sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtliche- formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert werden könnte. Die Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann z.B. durch die Ermittlungsarbeit der Polizei, zivilrechtliche Schadensersatzverfahren, kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen, familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern insofern ausgeschlossen, als dass sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtliche- formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert werden könnte. Die Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann z.B. durch die Ermittlungsarbeit der Polizei, zivilrechtliche Schadensersatzverfahren, kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen, familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
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Es zeigt sich also, dass in der BRD im Bereich formeller Sozialkontrolle, wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinne, umfassend und differenziert auf Kinderdelinquenz reagiert werden kann.  
Es zeigt sich also, dass in der BRD im Bereich formeller Sozialkontrolle, wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinne, umfassend und differenziert auf Kinderdelinquenz reagiert werden kann.  


*'''Aktuelle politische und gesellschaftliche Diskussionen zur Kinderdelinquenz'''
====Aktuelle politische und gesellschaftliche Diskussionen zur Kinderdelinquenz====
In der nahen Vergangenheit (insbesondere Zeitraum des Regierungswechsel in Hamburg von der SPD zur CDU/ Schill- Partei im Jahr 2001 sowie CDU/ Schill- Partei zur CDU im Jahr 2004) und der Gegenwart wurde die Problematik von Kinderdelinquenz massiv als Wahlkampfthema benutzt. Die Medien und die CDU/ Schill- Partei thematisierte Kinderdelinquenz öffentlichkeitswirksam, ohne dabei sachliche Argumente aus der Wissenschaft (Fachrichtungen Kriminologie, Pädagogik, Rechtswissenschaften) einzubeziehen. Als Folge dessen ist zu vermuten, dass die [[Kriminalitätsfurcht]] der Hamburger Bevölkerung vor Kinderdelinquenz in einem nicht mit dem tatsächlichen (geringen) Ausmaß der Kinderdelinquenz in Hamburg übereinstimmenden Maße gestiegen ist. Auf diese These, die es noch wissenschaftlich zu überprüfen gilt, deutet u.a. die Wiedereinführung der [[geschlosseneUnterbringung geschlossenen Unterbringung]] von delinquenten Kindern hin, die aus wissenschaftlicher und rechtlicher Perspektive umstritten ist.
In der nahen Vergangenheit (insbesondere Zeitraum des Regierungswechsel in Hamburg von der SPD zur CDU/ Schill- Partei im Jahr 2001 sowie CDU/ Schill- Partei zur CDU im Jahr 2004) und der Gegenwart wurde die Problematik von Kinderdelinquenz massiv als Wahlkampfthema benutzt. Die Medien und die CDU/ Schill- Partei thematisierte Kinderdelinquenz öffentlichkeitswirksam, ohne dabei sachliche Argumente aus der Wissenschaft (Fachrichtungen Kriminologie, Pädagogik, Rechtswissenschaften) einzubeziehen. Als Folge dessen ist zu vermuten, dass die [[Kriminalitätsfurcht]] der Hamburger Bevölkerung vor Kinderdelinquenz in einem nicht mit dem tatsächlichen (geringen) Ausmaß der Kinderdelinquenz in Hamburg übereinstimmenden Maße gestiegen ist. Auf diese These, die es noch wissenschaftlich zu überprüfen gilt, deutet u.a. die Wiedereinführung der [[geschlosseneUnterbringung geschlossenen Unterbringung]] von delinquenten Kindern hin, die aus wissenschaftlicher und rechtlicher Perspektive umstritten ist.


*'''Schlußfolgerungen'''
====Schlußfolgerungen====
Die Ergebnisse bisheriger Datenerhebungen und Untersuchungen zu dem Thema Kinderdelinquenz weisen darauf hin, dass ein erhöhter Präventionsbedarf besteht. Zu empfehlende (kombinierte) Präventionsansätze wären: Die Verbesserung der Zusammenarbeit aller an der Sozialisation Beteiligten, zeitnahe sozialpädagogische Sofortmaßnahmen in Zusammenarbeit mit der Polizei, ein frühzeitiges Eingreifen des Staates aufgrund des Wächteramtes, eine ausgewogene Kinder-, Jugend-, Sozial- und Familienpolitik und eine sachliche Darstellung und Thematisierung der Kinderdelinquenz in der Öffentlichkeit.
Die Ergebnisse bisheriger Datenerhebungen und Untersuchungen zu dem Thema Kinderdelinquenz weisen darauf hin, dass ein erhöhter Präventionsbedarf besteht. Zu empfehlende (kombinierte) Präventionsansätze wären: Die Verbesserung der Zusammenarbeit aller an der Sozialisation Beteiligten, zeitnahe sozialpädagogische Sofortmaßnahmen in Zusammenarbeit mit der Polizei, ein frühzeitiges Eingreifen des Staates aufgrund des Wächteramtes, eine ausgewogene Kinder-, Jugend-, Sozial- und Familienpolitik und eine sachliche Darstellung und Thematisierung der Kinderdelinquenz in der Öffentlichkeit.


Anonymer Benutzer