Kinderdelinquenz: Unterschied zwischen den Versionen

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Um geltende Normen brechendes Verhalten von Kindern auch verbal nicht im Bereich der strafrechtlich verstandenen [[Kriminalität]] anzusiedeln, wird in der Literatur der neutralere Begriff der "Delinquenz" bevorzugt: Kinder handeln danach delinquent, wenn sie gegen die Strafrechtsnormen verstoßen, auch wenn dieses nicht vorwerfbar (also nicht schuldhaft) ist. Kinderdelinquenz wird danach als ein kindliches Verhalten definiert, das im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, wenn es durch einen Erwachsenen (bzw. eine über 14 Jahre alte Person) gezeigt werden würde.<br>
Um geltende Normen brechendes Verhalten von Kindern auch verbal nicht im Bereich der strafrechtlich verstandenen [[Kriminalität]] anzusiedeln, wird in der Literatur der neutralere Begriff der "Delinquenz" bevorzugt: Kinder handeln danach delinquent, wenn sie gegen die Strafrechtsnormen verstoßen, auch wenn dieses nicht vorwerfbar (also nicht schuldhaft) ist. Kinderdelinquenz wird danach als ein kindliches Verhalten definiert, das im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, wenn es durch einen Erwachsenen (bzw. eine über 14 Jahre alte Person) gezeigt werden würde.<br>
Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden.
Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden.
===Ursachen/Entstehungsbedingungen für delinquentes kindliches Verhalten===
(hier: kurz zu Sozialisation, dann folgender Text, dann kurz zu Studien (allgemein keine Auffälligkeiten, lediglich bezogen auf sog. Intensivtäter)
Im Verlauf der Zeit veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, z.B. mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes. <br>
Insgesamt ergibt sich durch die veränderten Sozialisationsbedingungen und den Strukturwandel der Kindheitsphase, dass Kinder, besonders die 12-13jährigen,  zunehmend mehr Freiheiten besitzen, die Individualisierungstendenzen zunehmen, die Verselbstständigung altersbezogen früher als bisher einsetzt, neben der Familie und den traditionellen außerfamilialen Sozialisationsinstanzen wird die peer- group immer bedeutender für die Kinder und ihre Sozialisation, durch das Sinken der Normverbindlichkeit steigt die Freiheit der Kinder, sich bezüglich der Verhaltens- und Lebensform frei entscheiden zu können usw. Diese neuen Freiheiten müssen jedoch nicht immer bedeuten, dass die Kinder auch dementsprechend selbstständig und eigenverantwortlich handeln können, denn zum Teil sind die Kinder mit der teilweise frühen Entlassung aus der elterlichen Kontrolle, dem frühen Verfügen über finanzielle Ressourcen und damit verbundenen, von den Medien geförderten, früh einsetzenden Bedürfnissen nach Unabhängigkeit und Konsum völlig überfordert.
Die Entstehungsbedingungen für Kinderdelinquenz sind vielfältig und niemals nur durch einen Erklärungsansatz auf der gesellschaftlichen Makro- oder der sozial bedingten individuellen Mikroebene erklärbar. Bei Kinderdelinquenz besteht die Schwierigkeit der Vorhersagemöglichkeit der weiteren biographischen Entwicklung des Kindes. Anhaltspunkt zur Vorhersage der Entwicklung des jeweiligen Kindes können auffällige Persönlichkeitsmerkmale des Kindes und bekannte ungünstige Sozialisationsbedingungen sein, wobei v.a. das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren bedeutsam ist.
Delinquentes Verhalten von Kindern ist gemäß wissenschaftlichen Erkenntnissen ubiquitär und episodenhaft, unterschiedlich, spontan sowie unüberlegt.


===Die Rechtsstellung des tatverdächtigen Kindes===
===Die Rechtsstellung des tatverdächtigen Kindes===
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(dazu aus Praxis)
(dazu aus Praxis)


===Ursachen/Entstehungsbedingungen für delinquentes kindliches Verhalten===


(hier: kurz zu Sozialisation, dann folgender Text, dann kurz zu Studien (allgemein keine Auffälligkeiten, lediglich bezogen auf sog. Intensivtäter)
Im Verlauf der Zeit veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, z.B. mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes. <br>
Insgesamt ergibt sich durch die veränderten Sozialisationsbedingungen und den Strukturwandel der Kindheitsphase, dass Kinder, besonders die 12-13jährigen,  zunehmend mehr Freiheiten besitzen, die Individualisierungstendenzen zunehmen, die Verselbstständigung altersbezogen früher als bisher einsetzt, neben der Familie und den traditionellen außerfamilialen Sozialisationsinstanzen wird die peer- group immer bedeutender für die Kinder und ihre Sozialisation, durch das Sinken der Normverbindlichkeit steigt die Freiheit der Kinder, sich bezüglich der Verhaltens- und Lebensform frei entscheiden zu können usw. Diese neuen Freiheiten müssen jedoch nicht immer bedeuten, dass die Kinder auch dementsprechend selbstständig und eigenverantwortlich handeln können, denn zum Teil sind die Kinder mit der teilweise frühen Entlassung aus der elterlichen Kontrolle, dem frühen Verfügen über finanzielle Ressourcen und damit verbundenen, von den Medien geförderten, früh einsetzenden Bedürfnissen nach Unabhängigkeit und Konsum völlig überfordert.


===Kinderdelinquenz nach Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)===
Die Entstehungsbedingungen für Kinderdelinquenz sind vielfältig und niemals nur durch einen Erklärungsansatz auf der gesellschaftlichen Makro- oder der sozial bedingten individuellen Mikroebene erklärbar. Bei Kinderdelinquenz besteht die Schwierigkeit der Vorhersagemöglichkeit der weiteren biographischen Entwicklung des Kindes. Anhaltspunkt zur Vorhersage der Entwicklung des jeweiligen Kindes können auffällige Persönlichkeitsmerkmale des Kindes und bekannte ungünstige Sozialisationsbedingungen sein, wobei v.a. das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren bedeutsam ist.
Delinquentes Verhalten von Kindern ist gemäß wissenschaftlichen Erkenntnissen ubiquitär und episodenhaft, unterschiedlich, spontan sowie unüberlegt.
 
===Erscheinungsformen delinquenten Verhaltens von Kindern===
====Überblick über Formen von Kinderdelinquenz====
 
====Kinderdelinquenz nach Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)====
In der [[PKS]] erfasste Daten des sog. Hellfeldes bedürfen vor einer Interpretation bezogen auf die Entwicklung der Kriminalität der Ergänzung und Kontrastierung durch weitere Datenquellen (z.B. durch eine statistikbegleitende Dunkelfeldforschung oder Daten aus Staatsanwaltschaft und Justiz). Auf diese Weise können z.B. Veränderungen im Anzeigeverhalten, institutionelle Bewertungsvorgänge oder Veränderungen normativer Rahmenbedingungen einbezogen werden, die Auswirkungen auf die erhobenen Zahlen haben (können).<br>
In der [[PKS]] erfasste Daten des sog. Hellfeldes bedürfen vor einer Interpretation bezogen auf die Entwicklung der Kriminalität der Ergänzung und Kontrastierung durch weitere Datenquellen (z.B. durch eine statistikbegleitende Dunkelfeldforschung oder Daten aus Staatsanwaltschaft und Justiz). Auf diese Weise können z.B. Veränderungen im Anzeigeverhalten, institutionelle Bewertungsvorgänge oder Veränderungen normativer Rahmenbedingungen einbezogen werden, die Auswirkungen auf die erhobenen Zahlen haben (können).<br>
Bezogen auf den Bereich Kinderdelinquenz bestehen dabei verschiedene Schwierigkeiten: Risiken von Fehlern in der Erfassung und rechtlichen Bewertung sowie in der qualitativen Interpretation der Daten sind deutlich ausgeprägter als bei strafmündigen Personen. Zu Fragen ist z.B., ob die Registrierung unter 6-jähriger Kinder als tatverdächtig mit dem Entwicklungsstand von Kindern dieses Alters vereinbar ist, ob ein Kind diesen Alters also bewusst normverletzend gehandelt haben kann. Auch eine Mitregistrierung von Kindern als Tatverdächtige, wenn sie sich (ohne eigenen Tatbeitrag) in einer Gruppe von Personen, die eine Straftat begangen haben, befunden haben, lässt die Annahme einer Normabweichung dieses - registrierten - Kindes diskutierbar erscheinen. Auch fehlt bei Kindern die Möglichkeit der Prüfung und ggf. der Korrektur eines polizeilichen Tatverdachtes durch die Justiz, da ein Strafverfahren gegen sie nicht weitergeführt werden kann. Unter der Annahme, dass im Fall strafunmündiger Täter die Anzeigehäufigkeit niedrig ist, führt schon ein geringfügiger Wandel der Anzeigebereitschaft bezogen auf Kinder zu erheblichen Veränderungen der Daten. Schließlich ist einzubeziehen, dass Veränderungen der personellen Kapazitäten zu ggf. gravierenden Veränderungen in der Registrierung strafunmündiger Kinder führen können, ohne dass ein tatsächlich erhöhtes Aufkommen normabweichenden Verhaltens in dieser Altersgruppe vorhanden sein muss.  
Bezogen auf den Bereich Kinderdelinquenz bestehen dabei verschiedene Schwierigkeiten: Risiken von Fehlern in der Erfassung und rechtlichen Bewertung sowie in der qualitativen Interpretation der Daten sind deutlich ausgeprägter als bei strafmündigen Personen. Zu Fragen ist z.B., ob die Registrierung unter 6-jähriger Kinder als tatverdächtig mit dem Entwicklungsstand von Kindern dieses Alters vereinbar ist, ob ein Kind diesen Alters also bewusst normverletzend gehandelt haben kann. Auch eine Mitregistrierung von Kindern als Tatverdächtige, wenn sie sich (ohne eigenen Tatbeitrag) in einer Gruppe von Personen, die eine Straftat begangen haben, befunden haben, lässt die Annahme einer Normabweichung dieses - registrierten - Kindes diskutierbar erscheinen. Auch fehlt bei Kindern die Möglichkeit der Prüfung und ggf. der Korrektur eines polizeilichen Tatverdachtes durch die Justiz, da ein Strafverfahren gegen sie nicht weitergeführt werden kann. Unter der Annahme, dass im Fall strafunmündiger Täter die Anzeigehäufigkeit niedrig ist, führt schon ein geringfügiger Wandel der Anzeigebereitschaft bezogen auf Kinder zu erheblichen Veränderungen der Daten. Schließlich ist einzubeziehen, dass Veränderungen der personellen Kapazitäten zu ggf. gravierenden Veränderungen in der Registrierung strafunmündiger Kinder führen können, ohne dass ein tatsächlich erhöhtes Aufkommen normabweichenden Verhaltens in dieser Altersgruppe vorhanden sein muss.  
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Der Vergleich der Tatverdächtigenanteile der strafunmündigen Kinder an der Gesamtkriminalität zeigt, dass die registrierte Kinderdelinquenz zwar gestiegen, insgesamt aber nach wie vor nur einen geringen Anteil ausmacht. Insofern besteht auch kein Grund, die Kinderdelinquenz als so besorgniserregend einzustufen, wie es in der Öffentlichkeit, v.a. den Medien und der Politik, erfolgt.  
Der Vergleich der Tatverdächtigenanteile der strafunmündigen Kinder an der Gesamtkriminalität zeigt, dass die registrierte Kinderdelinquenz zwar gestiegen, insgesamt aber nach wie vor nur einen geringen Anteil ausmacht. Insofern besteht auch kein Grund, die Kinderdelinquenz als so besorgniserregend einzustufen, wie es in der Öffentlichkeit, v.a. den Medien und der Politik, erfolgt.  


 
===Sanktionierung von Kinderdelinquenz in Deutschland: Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle===
 
===Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle zur Bekämpfung der Kinderdelinquenz in Deutschland===
Es wird heute häufig in der Öffentlichkeit beklagt (Medien, Politik, z.T. auch Pädagogen), dass nur unzureichende Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle zur Bekämpfung der Kinderdelinquenz existieren würden. Diese Klage ist jedoch unberechtigt:<br>
Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern insofern ausgeschlossen, als dass sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtliche- formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert werden könnte. Die Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann z.B. durch die Ermittlungsarbeit der Polizei, zivilrechtliche Schadensersatzverfahren, kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen, familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern insofern ausgeschlossen, als dass sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtliche- formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert werden könnte. Die Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann z.B. durch die Ermittlungsarbeit der Polizei, zivilrechtliche Schadensersatzverfahren, kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen, familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
Neben den Möglichkeiten, das Kind aufgrund von delinquentem Handeln mit formellen Reaktionen zu konfrontieren, gibt es auch die Möglichkeit der formellen Sozialkontrolle der Eltern, wenn die Führsoge- und Erziehungspflicht als verletzt angesehen werden kann, z.B. gemäß § 171 <nowiki>StGB</nowiki> oder gemäß § 12 Abs.2 <nowiki>JÖschG</nowiki>.<br>
Neben den Möglichkeiten, das Kind aufgrund von delinquentem Handeln mit formellen Reaktionen zu konfrontieren, gibt es auch die Möglichkeit der formellen Sozialkontrolle der Eltern, wenn die Führsoge- und Erziehungspflicht als verletzt angesehen werden kann, z.B. gemäß § 171 <nowiki>StGB</nowiki> oder gemäß § 12 Abs.2 <nowiki>JÖschG</nowiki>.<br>
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