Jugendkriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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Zwei Einzelfälle prägten jahrelang die Debatte in Deutschland. 1998 wurde der damals 14jährige Muhlis A. - aus Datenschutzgründen "Mehmet" genannt - in die Türkei ausgewiesen, nachdem er bereits mehr als 60 schwere Straftaten verübt hatte, darunter Einbruch und Raub. Er kam zunächst in einem Kinderheim in Istanbul unter; später moderierte er im türkischen Fernsehen eine Musik-Sendung. 2002 erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Ausweisung des in Deutschland geborenen Türken für rechtswidrig. Nach seiner Rückkehr nach München holte M. seinen Hauptschulabschluss nach, setzte aber seine kriminelle Karriere fort. Unter anderem bestahl, bedrohte und verprügelte er seine Eltern. 2005 wurde er wegen räuberischer Erpressung, Körperverletzung und Betrugs zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten verurteilt. Als die auf Bewährung ausgesetzte Strafe wegen Verletzung der Auflagen angetreten werden sollte, setzte sich M. in die Türkei ab. Die Behörden erwirkten eine unbefristete Ausweisung, so dass M. nie wieder nach Deutschland einreisen darf. Auf Drängen der CDU/CSU wurde in das neue Zuwanderungsrecht eine als "Mehmet-Klausel" bekannte Bestimmung aufgenommen, die vorsieht, dass jugendliche Straftäter mit ausländischem Pass schneller als bis dato ausgewiesen werden sollen.   
Zwei Einzelfälle prägten jahrelang die Debatte in Deutschland. 1998 wurde der damals 14jährige Muhlis A. - aus Datenschutzgründen "Mehmet" genannt - in die Türkei ausgewiesen, nachdem er bereits mehr als 60 schwere Straftaten verübt hatte, darunter Einbruch und Raub. Er kam zunächst in einem Kinderheim in Istanbul unter; später moderierte er im türkischen Fernsehen eine Musik-Sendung. 2002 erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Ausweisung des in Deutschland geborenen Türken für rechtswidrig. Nach seiner Rückkehr nach München holte M. seinen Hauptschulabschluss nach, setzte aber seine kriminelle Karriere fort. Unter anderem bestahl, bedrohte und verprügelte er seine Eltern. 2005 wurde er wegen räuberischer Erpressung, Körperverletzung und Betrugs zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten verurteilt. Als die auf Bewährung ausgesetzte Strafe wegen Verletzung der Auflagen angetreten werden sollte, setzte sich M. in die Türkei ab. Die Behörden erwirkten eine unbefristete Ausweisung, so dass M. nie wieder nach Deutschland einreisen darf. Auf Drängen der CDU/CSU wurde in das neue Zuwanderungsrecht eine als "Mehmet-Klausel" bekannte Bestimmung aufgenommen, die vorsieht, dass jugendliche Straftäter mit ausländischem Pass schneller als bis dato ausgewiesen werden sollen.   


Kurz vor Weihnachten 2007 schlugen der 20 Jahre alte Serkan A. und der 17 Jahre alte Spiridon L. in der Münchener U-Bahn den 76 Jahre alten Rentner Bruno N. zusammen, der sie gebeten hatte, das Rauchen zu unterlassen. Der Haftbefehl gegen Serkan A., der bis dahin 41 registrierte Delikte, sechs Prozesse und ein halbes Jahr Untersuchungshaft hinter sich hatte, lautete auf versuchten Mod und schwere Körperverletzung. Mit 11 Jahren hatte er ein Jahr in einem Jugendheim verbracht. - Im Anschluss an die von einer Videokamera gefilmte Tat entspann sich unter Wortführerschaft des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), der vier Wochen später eine Landtagswahl zu bestehen hatte, eine heftige öffentliche Debatte. So forderten die Justizminister der zehn Bundesländer mit Ministerpräsidenten aus CDU oder CSU im Januar 2008 "die Verschärfung des Jugendstrafvollzugs und des Jugendstrafrechts". Sie verlangten einen "konsequenten Umgang mit Jugendkriminalität, der voraussetze, dass strafrechtliche Sanktionen für jugendliche Täter spürbar sind. Sie forderten die Einführung eines sogenannten Warnschussarrests, die Erhöhung des Höchstmaßes der Jugendstrafe von 10 auf 15 Jahre. Außerdem forderten sie die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Jugendliche im Alter von 18 bis 21 Jahren" (FAZ 10.01.08: 1). Die der SPD angehörende Bundesjustizministerin Zypries warf die Einrichtung von "Erziehungscamps" in die Debatte und spielte damit auf die Konzeption der Boot Camps in den USA an. Als Vorbild für Erziehungscamps gilt in Deutschland außerdem das - wesentlich mildere - sogenannte Boxcamp in Diemelstadt bei Kassel (Nordhessen). Das Boxcamp wird von dem ehemaligen Boxer Lothar Kannenberg geleitet, der "von ganz unten" kam und sich durch das Drogen- und Rotlichtmilieu hocharbeitete, nach seiner Heirat zum Leiter eines Einkaufsmarktes wurde, eine Karriere als Boxer begann (Hessenmeister, Bundesliga), ein Unternehmen für Personenschutz aufbaute - und mit Drogen und einer Krebserkrankung wieder in eine Krise geriet. Nach der Operation des Mannes, der die Narben von acht Messerstichen und einer Schussverletzung trägt, kamen Entzug, Psychiatrie und Drogentherapie. Danach baute er unter der Devise "Durchboxen durchs Leben" das Boxcamp auf. Erst in einem Stadtteil von Kassel, dann in Diemelstadt (20 junge Männer zwischen 14 und 18 Jahren): "Um 5:55 uhr stehen die Jugendlichen auf. es folgen Frühsport, Frühstück und Zähneputzen im Hof unter freiem Himmel - bei jedem Wetter. zweimal täglich 500 Liegestütze, Zirkeltraining, Boxen im 'Schweißcamp', Entspannungstraining und Respekttraining. In einem Schulungsraum sprechen die jugnen Männer über Umgangsformen oder Körperhygiene; sie schreiben Aufsätze. Kommandos werden mit der Trillerpfeife gegeben, REgeln einghealten: Nicht sprechen biem morgendlichen Antreten, anklopfen und das 'Kommando' zum Eintreten abwarten, bevor man eine Türe öffnet, 'bitte', 'danke' und 'guten Tag' sagen, Müll aufheben, putzen, Holz machen. Das Wort Freizeit gibt es nicht. Denn an ihrer Friezeit seien diese Jugendlichen doch gescheitert, sagt Kannenberg" (Müller 2008a).  
Kurz vor Weihnachten 2007 schlugen der 20 Jahre alte Serkan A. und der 17 Jahre alte Spiridon L. in der Münchener U-Bahn den 76 Jahre alten Rentner Bruno N. zusammen, der sie gebeten hatte, das Rauchen zu unterlassen. Der Haftbefehl gegen Serkan A., der bis dahin 41 registrierte Delikte, sechs Prozesse und ein halbes Jahr Untersuchungshaft hinter sich hatte, lautete auf versuchten Mod und schwere Körperverletzung. Mit 11 Jahren hatte er ein Jahr in einem Jugendheim verbracht. Spiridon L. hatte mit 14 den ersten Behördenkontakt, als er seine eigene Familie verprügelt hatte. Aus einer sog. Clearingstelle für "schwer delinquente und desoziale Jugendliche" (üblicher Aufenthalt: 3 Monate) holte ihn die Familie nach kurzer Zeit zurück. Nachdem zwei weitere Anläufe, Spiridon wegen weiterer Zwischenfälle in der Clearingstelle unterzubringen (Bedrohung der eigenen Eltern, Drogendelikte usw.), am Einspruch der Eltern gescheitert waren, kam es Ende 2007 zu der Tat mit Serkan A. - Im Anschluss an die von einer Videokamera gefilmte Tat entspann sich unter Wortführerschaft des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), der vier Wochen später eine Landtagswahl zu bestehen hatte, eine heftige öffentliche Debatte. So forderten die Justizminister der zehn Bundesländer mit Ministerpräsidenten aus CDU oder CSU im Januar 2008 "die Verschärfung des Jugendstrafvollzugs und des Jugendstrafrechts". Sie verlangten einen "konsequenten Umgang mit Jugendkriminalität, der voraussetze, dass strafrechtliche Sanktionen für jugendliche Täter spürbar sind. Sie forderten die Einführung eines sogenannten Warnschussarrests, die Erhöhung des Höchstmaßes der Jugendstrafe von 10 auf 15 Jahre. Außerdem forderten sie die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Jugendliche im Alter von 18 bis 21 Jahren" (FAZ 10.01.08: 1). Die der SPD angehörende Bundesjustizministerin Zypries warf die Einrichtung von "Erziehungscamps" in die Debatte und spielte damit auf die Konzeption der Boot Camps in den USA an. Als Vorbild für Erziehungscamps gilt in Deutschland außerdem das - wesentlich mildere - sogenannte Boxcamp in Diemelstadt bei Kassel (Nordhessen). Das Boxcamp wird von dem ehemaligen Boxer Lothar Kannenberg geleitet, der "von ganz unten" kam und sich durch das Drogen- und Rotlichtmilieu hocharbeitete, nach seiner Heirat zum Leiter eines Einkaufsmarktes wurde, eine Karriere als Boxer begann (Hessenmeister, Bundesliga), ein Unternehmen für Personenschutz aufbaute - und mit Drogen und einer Krebserkrankung wieder in eine Krise geriet. Nach der Operation des Mannes, der die Narben von acht Messerstichen und einer Schussverletzung trägt, kamen Entzug, Psychiatrie und Drogentherapie. Danach baute er unter der Devise "Durchboxen durchs Leben" das Boxcamp auf. Erst in einem Stadtteil von Kassel, dann in Diemelstadt (20 junge Männer zwischen 14 und 18 Jahren): "Um 5:55 uhr stehen die Jugendlichen auf. es folgen Frühsport, Frühstück und Zähneputzen im Hof unter freiem Himmel - bei jedem Wetter. zweimal täglich 500 Liegestütze, Zirkeltraining, Boxen im 'Schweißcamp', Entspannungstraining und Respekttraining. In einem Schulungsraum sprechen die jugnen Männer über Umgangsformen oder Körperhygiene; sie schreiben Aufsätze. Kommandos werden mit der Trillerpfeife gegeben, REgeln einghealten: Nicht sprechen biem morgendlichen Antreten, anklopfen und das 'Kommando' zum Eintreten abwarten, bevor man eine Türe öffnet, 'bitte', 'danke' und 'guten Tag' sagen, Müll aufheben, putzen, Holz machen. Das Wort Freizeit gibt es nicht. Denn an ihrer Friezeit seien diese Jugendlichen doch gescheitert, sagt Kannenberg" (Müller 2008a).  


Empfehlungen aus der Wissenschaft. Christian Pfeiffer empfiehlt insbesondere gegenüber der türkischen Jugendgewalt in Deutschland "eine Frühförderung, die mit der 'pränatalen Intervention' durch speziell geschulte Hebammen beginnen solle, über gemeinsames Sandkastenspiel von 'Mehmet und Max' und kostenlose Nachhilfe für Schüler bis zur 'Kultur der Ehre' als Unterrichtsthema reichen müsse, um diese Subkultur als dysfunktional zu entlarven. Als Therapiegegen den Medienabusus verordnet Pfeiffer die Ganztagsschule" (Müller 2008).
Empfehlungen aus der Wissenschaft. Christian Pfeiffer empfiehlt insbesondere gegenüber der türkischen Jugendgewalt in Deutschland "eine Frühförderung, die mit der 'pränatalen Intervention' durch speziell geschulte Hebammen beginnen solle, über gemeinsames Sandkastenspiel von 'Mehmet und Max' und kostenlose Nachhilfe für Schüler bis zur 'Kultur der Ehre' als Unterrichtsthema reichen müsse, um diese Subkultur als dysfunktional zu entlarven. Als Therapiegegen den Medienabusus verordnet Pfeiffer die Ganztagsschule" (Müller 2008).
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