Jugendgewalt in Deutschland: Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
 
(8 dazwischenliegende Versionen von 3 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
'''Wird bearbeitet von Cordula v. D'''
Mit dem Begriff der '''Jugendgewalt''' ist in der Regel die direkte physische Gewaltanwendung von einzeln oder in Gruppen agierenden Jugendlichen gegen andere Personen, gelegentlich aber zusätzlich auch die mutwillige Sachbeschädigung, gemeint. Zu den Jugendlichen werden in Deutschland im engeren, juristischen Sinn alle 14- bis 17-Jährigen, nach einer weiteren, [[Soziologie|soziologischen]] Definition aber auch die 18- bis unter 21-Jährigen (die "Heranwachsenden" im rechtlichen Sinne) gezählt.  
 
== Definition Jugendgewalt ==
 
Jugendgewalt ist eine spezielle Form von [[Jugendkriminalität]]. Wenn von Jugendgewalt gesprochen wird, ist in der Regel die direkte physische Gewaltanwendung durch einzelne oder Gruppen von Jugendlichen gegen andere Personen gemeint. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden teilweise auch Akte mutwilliger Sachbeschädigung zur Jugendgewalt gezählt. Der Begriff der Jugendgewalt ist unscharf, da seine Bestandteile Jugend und [[Gewalt]] je nach akademischer Disziplin sowie historischem und kulturellem Kontext unterschiedlich definiert werden.
 
Nach dem deutschen [http://bundesrecht.juris.de/jgg/index.html Jugendgerichtsgesetz] sind Jugendliche Personen, die mindestens 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind. Als Heranwachsende werden 18- bis unter 21-Jährige bezeichnet. Auf jugendliche Täter wird in jedem Falle das [[Jugendstrafrecht]] angewandt, während bei Heranwachsenden je nach psychosozialem Reifegrad die Wahl zwischen Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht besteht. Der allgemeine Sprachgebrauch schließt in den Begriff der Jugendgewalt zumeist auch Heranwachsende mit ein.


== Ubiquität und Spontanbewährung ==
== Ubiquität und Spontanbewährung ==
 
Ein Großteil der erfassten Gewalttaten weltweit wird von männlichen Jugendlichen oder jungen Männern verübt. Diese werden aber auch am häufigsten Opfer von Gewalt (WHO, 2002). Besonders bei Gewaltdelikten der sogenannten Straßenkriminalität sind Jugendliche oder Heranwachsende typischerweise sowohl Täter als auch Opfer (Spiess, 2007).  
Jugendgewalt ist ein überwiegend männliches Phänomen. Ein Großteil der erfassten Gewalttaten weltweit wird von männlichen Jugendlichen oder jungen Männern verübt. Diese werden aber auch am häufigsten Opfer von Gewalt (WHO, 2002). Besonders bei Gewaltdelikten der sogenannten Straßenkriminalität sind Jugendliche oder Heranwachsende typischerweise sowohl Täter als auch Opfer (Spiess, 2007).  


Die höhere Gewalt- und Kriminalitätsbelastung im Jugendalter ist allgegenwärtig (ubiquitär), jedoch in der Regel ein episodenhaftes, d.h. vorübergehendes Phänomen. Die große Mehrzahl derjenigen, die als Jugendliche und Heranwachsende zu Gewalthandlungen neigen, legt dieses Verhaltensmuster mit zunehmendem Alter ab. Nur eine kleine Minderheit verübt auch im Erwachsenenalter wiederholt Gewalttaten.
Die höhere Gewalt- und Kriminalitätsbelastung im Jugendalter ist allgegenwärtig (ubiquitär), jedoch in der Regel ein episodenhaftes, d.h. vorübergehendes Phänomen. Die große Mehrzahl derjenigen, die als Jugendliche und Heranwachsende zu Gewalthandlungen neigen, legt dieses Verhaltensmuster mit zunehmendem Alter ab. Nur eine kleine Minderheit verübt auch im Erwachsenenalter wiederholt Gewalttaten.
Zeile 15: Zeile 8:
== Hellfeld: Befunde der Polizeilichen Kriminalstatistik ==
== Hellfeld: Befunde der Polizeilichen Kriminalstatistik ==


Zwischen 1994 und 2007 war in Deutschland eine starke Zunahme polizeilich registrierter Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung durch Jugendliche zu beobachten. In den alten Bundesländern stieg in diesem Zeitraum die Zahl der Tatverdächtigen für diese Delikte unter Jugendlichen und Heranwachsenden deutlich an. In den neuen Bundesländern sind die Körperverletzungsraten dagegen nach einem zunächst deutlichen Anstieg seit Ende der 1990er Jahre fast konstant geblieben. Seit 2008 verzeichnet die [[Polizeiliche Kriminalstatistik]] (PKS) einen Rückgang der Tatverdächtigen-Belastungsziffer für Jugendliche bei allen Delikten inklusive schwerer und gefährlicher Körperverletzung. Die Tatverdächtigen- und Verurteilungsrate junger Ausländer war und ist bei Gewaltdelikten besonders hoch.  
Zwischen 1994 und 2007 war in Deutschland eine Zunahme polizeilich registrierter Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung durch Jugendliche zu beobachten. In den alten Bundesländern stieg in diesem Zeitraum die Zahl der Tatverdächtigen für diese Delikte unter Jugendlichen und Heranwachsenden deutlich an. In den neuen Bundesländern sind die Körperverletzungsraten dagegen nach einem anfänglichen Anstieg seit Ende der 1990er Jahre fast konstant geblieben. Seit 2008 verzeichnet die [[Polizeiliche Kriminalstatistik]] (PKS) einen Rückgang der Tatverdächtigen-Belastungsziffer für Jugendliche bei allen Delikten inklusive schwerer und gefährlicher Körperverletzung. Die Tatverdächtigen- und Verurteilungsrate junger Ausländer war und ist bei Gewaltdelikten besonders hoch.  


Bei der Interpretation von PKS Statistiken sind jedoch folgende Argumente zu berücksichtigen:
Bei der Interpretation von PKS Statistiken sind jedoch folgende Argumente zu berücksichtigen:


Gewaltdelikte haben eine sehr geringe Grundrate von deutlich unter einem Prozent Tatverdächtige an der Gesamtpopulation von Jugendlichen. Die große Mehrzahl der von Kindern und Jugendlichen begangenen registrierten Straftaten sind Bagatelldelikte wie z.B. Ladendiebstahl und Schwarzfahren.  
Gewaltdelikte haben eine sehr geringe Grundrate von deutlich unter einem Prozent Tatverdächtige an der Gesamtpopulation von Jugendlichen. Die große Mehrzahl der von Kindern und Jugendlichen begangenen registrierten Straftaten sind Bagatelldelikte wie z.B. Ladendiebstahl und Schwarzfahren.  
Die beobachtete Zunahme von Jugendgewalt im [[Hellfeld]] ist zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass die Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung bzgl. Körperverletzungs- und Raubdelikten vor allem im städtischen Raum seit 1998 massiv zugenommen hat. Die Anzeigebereitschaft ist besonders hoch, wenn die Täter jugendliche Migranten, die Opfer dagegen deutsche Jugendliche sind (Baier et al., 2009). Mögliche Gründe für die Abnahme der Tatverdächtigenzahlen seit 2008 sind noch nicht abschließend untersucht.
Die beobachtete Zunahme von Jugendgewalt im [[Hellfeld]] ist zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass die [[Anzeigebereitschaft]] in der Bevölkerung bzgl. Körperverletzungs- und Raubdelikten vor allem im städtischen Raum seit 1998 massiv zugenommen hat. Die Anzeigebereitschaft ist besonders hoch, wenn die Täter jugendliche Migranten, die Opfer dagegen deutsche Jugendliche sind (Baier et al., 2009). Mögliche Gründe für die Abnahme der Tatverdächtigenzahlen seit 2008 sind noch nicht abschließend untersucht.
In der PKS umfasst die Sammelbezeichnung ‘‘schwere und gefährliche Körperverletzung‘‘nicht nur Fälle mit schwerwiegenden Verletzungsfolgen, sondern auch die ‘‘gemeinschaftliche‘‘ Begehung von Straftaten, also vor allem jugendtypische Raufereien unter Gleichaltrigen ohne besonders gefährliche Tatintention oder –ausführung. Dies gilt auch für die Einstufung ‘‘gefährliche und schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen‘‘. Allein die Tatsache, dass an solchen jugendtypischen Raufereien mehrere Jugendliche teilnehmen und sie zumeist in der Öffentlichkeit stattfinden, macht diese jedoch nicht automatisch zu besonders gefährlichen Delikten, wie die Etikettierung der PKS nahelegt.  
In der PKS umfasst die Sammelbezeichnung ‘‘schwere und gefährliche Körperverletzung‘‘nicht nur Fälle mit schwerwiegenden Verletzungsfolgen, sondern auch die ‘‘gemeinschaftliche‘‘ Begehung von Straftaten, also vor allem jugendtypische Raufereien unter Gleichaltrigen ohne besonders gefährliche Tatintention oder –ausführung. Dies gilt auch für die Einstufung ‘‘gefährliche und schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen‘‘. Allein die Tatsache, dass an solchen jugendtypischen Raufereien mehrere Jugendliche teilnehmen und sie zumeist in der Öffentlichkeit stattfinden, macht diese jedoch nicht automatisch zu besonders gefährlichen Delikten, wie die Etikettierung der PKS nahelegt.  


Zeile 30: Zeile 23:
Dunkelfelduntersuchungen in verschiedenen deutschen Städten beobachteten jedoch seit Mitte bis Ende der 1990er Jahre einen Rückgang selbstberichteter Gewaltdelinquenz bei Jugendlichen. Beispielhaft sollen hier die wichtigsten Ergebnisse einer repräsentativen Dunkelfelduntersuchung zu Jugendgewalt in Deutschland durch das [http://www.kfn.de Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen] zusammengefasst werden:  
Dunkelfelduntersuchungen in verschiedenen deutschen Städten beobachteten jedoch seit Mitte bis Ende der 1990er Jahre einen Rückgang selbstberichteter Gewaltdelinquenz bei Jugendlichen. Beispielhaft sollen hier die wichtigsten Ergebnisse einer repräsentativen Dunkelfelduntersuchung zu Jugendgewalt in Deutschland durch das [http://www.kfn.de Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen] zusammengefasst werden:  
Die KFN-Studie (Baier et al., 2009, 2010) untersuchte 44.610 Schüler der 9. Klassen aller Schulformen aus 61 Städten und Landkreisen. 13,5% der Jugendlichen gaben an, in den vergangenen 12 Monaten mindestens eine Gewalttat verübt zu haben. Einfache Körperverletzung wurde von 11,7%, schwere Körperverletzung von 2,9% der Jugendlichen angegeben. Regionale Unterschiede hinsichtlich der Prävalenzraten waren gering und ließen sich in erster Linie auf Unterschiede der Jugendlichen hinsichtlich sozialer Merkmale zurückführen. Vergleiche der Studienergebnisse mit früheren Untersuchungen ergaben, dass die selbstberichtete Jugendgewalt seit 1998 eine gleichbleibende bis rückläufige Tendenz aufweist. Dies hängt nach Ansicht der Autoren mit der Zunahme präventiver Faktoren bei Jugendlichen und der Abnahme gewaltfördernder Lebensbedingungen zusammen. Außerdem wirke sich die Verbesserung von Bildungschancen präventiv auf die Gewaltbereitschaft aus, die Anzahl delinquenter Freunde dagegen verstärke diese.  
Die KFN-Studie (Baier et al., 2009, 2010) untersuchte 44.610 Schüler der 9. Klassen aller Schulformen aus 61 Städten und Landkreisen. 13,5% der Jugendlichen gaben an, in den vergangenen 12 Monaten mindestens eine Gewalttat verübt zu haben. Einfache Körperverletzung wurde von 11,7%, schwere Körperverletzung von 2,9% der Jugendlichen angegeben. Regionale Unterschiede hinsichtlich der Prävalenzraten waren gering und ließen sich in erster Linie auf Unterschiede der Jugendlichen hinsichtlich sozialer Merkmale zurückführen. Vergleiche der Studienergebnisse mit früheren Untersuchungen ergaben, dass die selbstberichtete Jugendgewalt seit 1998 eine gleichbleibende bis rückläufige Tendenz aufweist. Dies hängt nach Ansicht der Autoren mit der Zunahme präventiver Faktoren bei Jugendlichen und der Abnahme gewaltfördernder Lebensbedingungen zusammen. Außerdem wirke sich die Verbesserung von Bildungschancen präventiv auf die Gewaltbereitschaft aus, die Anzahl delinquenter Freunde dagegen verstärke diese.  
Jugendliche mit Migrationshintergrund gaben in der KFN-Studie an, häufiger Gewalttaten begangen zu haben als deutsche Jugendliche. Dies lässt sich den Autoren zufolge durch eine stärkere Ausprägung von vier Belastungsfaktoren bei jugendlichen Migranten erklären: 1. Erfahrung innerfamiliärer Gewalt, 2. Alkohol- und Drogenkonsum, 3. Akzeptanz gewaltorientierter Männlichkeitsnormen und 4. Nutzung gewalthaltiger Medieninhalte. Die beiden letztgenannten Belastungsfaktoren seien bei hoch religiösen muslimischen Jugendlichen besonders stark ausgeprägt, was deren Gewaltbereitschaft erhöhe (siehe [http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-06/islam-jugendliche-gewalt hier] für eine Kritik dieser Aussage). Außerdem seien stark religiöse muslimische Jugendliche häufig schlechter sozial integriert als weniger religiöse oder nicht-muslimische Jugendliche. Je besser Kinder und Jugendliche jedoch sozial integriert seien, desto geringer sei ihre Gewaltbereitschaft.
Jugendliche mit Migrationshintergrund gaben in der KFN-Studie an, häufiger Gewalttaten begangen zu haben als deutsche Jugendliche. Dies lässt sich den Autoren zufolge durch eine stärkere Ausprägung von vier Belastungsfaktoren bei jugendlichen Migranten erklären: 1. Erfahrung innerfamiliärer Gewalt, 2. Alkohol- und Drogenkonsum, 3. Akzeptanz gewaltorientierter Männlichkeitsnormen und 4. Nutzung gewalthaltiger Medieninhalte. Die beiden letztgenannten Belastungsfaktoren seien bei hoch religiösen muslimischen Jugendlichen besonders stark ausgeprägt, was deren Gewaltbereitschaft erhöhe (siehe [http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-06/islam-jugendliche-gewalt Zeit Online vom 8.6.2010] für eine Kritik dieser Aussage). Außerdem seien stark religiöse muslimische Jugendliche häufig schlechter sozial integriert als weniger religiöse oder nicht-muslimische Jugendliche. Je besser Kinder und Jugendliche jedoch sozial integriert seien, desto geringer sei ihre Gewaltbereitschaft.


== Theorien und Erklärungsansätze ==
== Theorien und Erklärungsansätze ==
Zeile 45: Zeile 38:
Situative Ansätze gehen davon aus, dass gewalttätiges Verhalten von Jugendlichen durch Merkmale konkreter Handlungssituationen ausgelöst werden kann. Sozialökologische Erklärungsmodelle untersuchen die Charakteristika von Raumeinheiten (Quartiere, Städte, Regionen etc.), die sich hinsichtlich des Ausmaßes an Jugendgewalt unterscheiden.
Situative Ansätze gehen davon aus, dass gewalttätiges Verhalten von Jugendlichen durch Merkmale konkreter Handlungssituationen ausgelöst werden kann. Sozialökologische Erklärungsmodelle untersuchen die Charakteristika von Raumeinheiten (Quartiere, Städte, Regionen etc.), die sich hinsichtlich des Ausmaßes an Jugendgewalt unterscheiden.


Ansätze der [[kritischen Kriminologie]] lehnen eine ätiologische Herangehensweise, d.h. eine Suche nach Ursachen für jugendliches Gewalthandeln, ab und beschäftigen sich stattdessen mit der sozialen Konstruktion von Jugendgewalt bzw. jugendlichen Gewalttätern durch Institutionen sozialer Kontrolle (siehe auch [[Labeling]]).  
Die [[kritische Kriminologie]] lehnt eine ätiologische Herangehensweise, d.h. eine Suche nach Ursachen für jugendliches Gewalthandeln, ab und beschäftigt sich stattdessen mit der sozialen Konstruktion von Jugendgewalt bzw. jugendlichen Gewalttätern durch Institutionen sozialer Kontrolle (siehe auch [[Labeling]]).  


Konstruktivistische Ansätze der Geschlechterforschung untersuchen die Beziehung von Männlichkeit und Gewalt: demnach stellt Gewalt für unterprivilegierte, marginalisierte Jugendliche und Heranwachsende ein Mittel dar, hegemonialen Männlichkeitsnormen zu entsprechen.  
Konstruktivistische Ansätze der Geschlechterforschung untersuchen die Beziehung von Männlichkeit und Gewalt: demnach stellt Gewalt für unterprivilegierte, marginalisierte Jugendliche und Heranwachsende ein Mittel dar, hegemonialen Männlichkeitsnormen zu entsprechen.


== Kriminalpolitische Reaktionen ==
== Kriminalpolitische Reaktionen ==
Zeile 53: Zeile 46:
Im Anschluss an Einzelfälle besonders schwerer jugendlicher Gewalttaten werden in den Medien sowie der Politik regelmäßig Forderungen nach Strafverschärfungen laut. Ein prominentes Beispiel ist die im Jahr 2008 während des hessischen Landtagswahlkampfes vom damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch angestoßene Strafverschärfungsdebatte (für eine Zusammenfassung, siehe die Beiträge zu [[Jugendkriminalität]] und[[ Jugendstrafrecht]]). Diese Debatte hat Koch zwar politisch mehr geschadet als genutzt, und die meisten der geforderten Verschärfungen („Warnschussarrest“, Heraufsetzung der Höchststrafe auf 15 Jahre, regelmäßige Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende etc.) wurden bis her nicht umgesetzt, mit Ausnahme der nachträglichen [[Sicherungsverwahrung]] für Jugendliche (siehe auch [[Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht]]). Dennoch bleiben solche Strafverschärfungsforderungen in der kriminalpolitischen Diskussion und werden bei jedem von den Medien dramatisierten Einzelfall wieder neu diskutiert.  
Im Anschluss an Einzelfälle besonders schwerer jugendlicher Gewalttaten werden in den Medien sowie der Politik regelmäßig Forderungen nach Strafverschärfungen laut. Ein prominentes Beispiel ist die im Jahr 2008 während des hessischen Landtagswahlkampfes vom damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch angestoßene Strafverschärfungsdebatte (für eine Zusammenfassung, siehe die Beiträge zu [[Jugendkriminalität]] und[[ Jugendstrafrecht]]). Diese Debatte hat Koch zwar politisch mehr geschadet als genutzt, und die meisten der geforderten Verschärfungen („Warnschussarrest“, Heraufsetzung der Höchststrafe auf 15 Jahre, regelmäßige Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende etc.) wurden bis her nicht umgesetzt, mit Ausnahme der nachträglichen [[Sicherungsverwahrung]] für Jugendliche (siehe auch [[Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht]]). Dennoch bleiben solche Strafverschärfungsforderungen in der kriminalpolitischen Diskussion und werden bei jedem von den Medien dramatisierten Einzelfall wieder neu diskutiert.  


Allerdings lassen in den vergangenen Jahren erfolgte Änderungen des Jugendgerichtsgesetzes eine Tendenz zu Strafverschärfungen sowohl bezüglich des Jugendstrafrechts als auch des Jugendstrafvollzugs erkennen (Ostendorf, 2010). Dass es sich bei dieser Entwicklung um symbolische Kriminalpolitik bzw. symbolisches Strafrecht handelt, zeigt sich zum einen daran, dass sie vor dem Hintergrund einer tatsächlichen Abnahme der Jugendgewalt und –kriminalität stattfindet. Zum anderen haben Rückfalluntersuchungen gezeigt, dass harte Strafen für jugendliche Gewalttäter in der Regel keinen abschreckenden Effekt haben, sondern im Gegenteil eher entsozialisierend als resozialisierend wirken (Ostendorf, 2008).  
Allerdings lassen in den vergangenen Jahren erfolgte Änderungen des Jugendgerichtsgesetzes eine Tendenz zu Strafverschärfungen sowohl bezüglich des Jugendstrafrechts als auch des Jugendstrafvollzugs erkennen (Ostendorf, 2010). Dass es sich bei dieser Entwicklung um [[symbolische Kriminalpolitik]] bzw. [[symbolisches Strafrecht]] handelt, zeigt sich zum einen daran, dass sie vor dem Hintergrund einer tatsächlichen Abnahme der Jugendgewalt und –kriminalität stattfindet. Zum anderen haben Rückfalluntersuchungen gezeigt, dass harte Strafen für jugendliche Gewalttäter in der Regel keinen abschreckenden Effekt haben, sondern im Gegenteil eher entsozialisierend als resozialisierend wirken (Ostendorf, 2008).


== Prävention ==
== Prävention ==
Zeile 71: Zeile 64:
== Literatur ==
== Literatur ==


Anhut, R. & Heitmeyer, W. (2000). Desintegration, Konflikt und Ethnisierung. Eine Problemanalyse und theoretische Rahmenkonstruktion. In W. Heitmeyer & R. Anhut (Hrsg.), Bedrohte Stadtgesellschaft. Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen. Weinheim: Juventa.
Anhut, R. & Heitmeyer, W. (2000). Desintegration, Konflikt und Ethnisierung. Eine Problemanalyse und theoretische Rahmenkonstruktion. In W. Heitmeyer & R. Anhut (Hrsg.), ''Bedrohte Stadtgesellschaft. Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen''. Weinheim: Juventa.
 
Brumlik, M. (Hrsg.) (2008). ''Ab nach Sibirien? Wie gefährlich ist unsere Jugend?'' Weinheim: Beltz.


Brumlik, M. (Hrsg.) (2008). Ab nach Sibirien? Wie gefährlich ist unsere Jugend? Weinheim: Beltz.
Baier, D., Pfeiffer, Ch., Rabold, S., Simonson, J. & Kappes, C. (2010). ''Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum. Zweiter Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN'' (KFN-Forschungsbericht; Nr.: 109). Hannover: KFN.  


Baier, D., Pfeiffer, Ch., Rabold, S., Simonson, J. & Kappes, C. (2010). Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum. Zweiter Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN (KFN-Forschungsbericht; Nr.: 109). Hannover: KFN.  
Baier, D., Pfeiffer, Ch., Simonson, J. & Rabold, S. (2009). ''Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt: Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN'' (KFN-Forschungsbericht; Nr.: 107). Hannover: KFN.  


Baier, D., Pfeiffer, Ch., Simonson, J. & Rabold, S. (2009). Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt: Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN (KFN-Forschungsbericht; Nr.: 107). Hannover: KFN.  
Boers, K. & Reinecke, J. (Hrsg.) (2007). ''Delinquenz im Jugendalter. Erkenntnisse einer Münsteraner Längsschnittstudie''. Münster: Waxmann.


Boers, K. & Reinecke, J. (Hrsg.) (2007). Delinquenz im Jugendalter. Erkenntnisse einer Münsteraner Längsschnittstudie. Münster: Waxmann.
Imbusch, P. (Hrsg.) (2008). ''Jugendliche als Täter und Opfer von Gewalt''. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.  


Imbusch, P. (Hrsg.) (2008). Jugendliche als Täter und Opfer von Gewalt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Ostendorf, H. (2008). Jugendstrafrecht – Reform statt Abkehr. ''Der Strafverteidiger,3'', 148-153.
Ostendorf, H. (2008). Jugendstrafrecht – Reform statt Abkehr. Der Strafverteidiger,3, 148-153.


Ostendorf, H. (2010). Strafverschärfungen im Umgang mit Jugendkriminalität. In B. Dollinger und H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität: Kriminologie und Sozialpädagogik im Dialog (S. 91-104). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Ostendorf, H. (2010). Strafverschärfungen im Umgang mit Jugendkriminalität. In B. Dollinger und H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), ''Handbuch Jugendkriminalität: Kriminologie und Sozialpädagogik im Dialog'' (S. 91-104). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.


Raithel, J. & Mansel, J. (Hrsg.) (2003). Kriminalität und Gewalt im Jugendalter. Hell- und Dunkelfeldbefunde im Vergleich. Weinheim: Juventa.  
Raithel, J. & Mansel, J. (Hrsg.) (2003). ''Kriminalität und Gewalt im Jugendalter. Hell- und Dunkelfeldbefunde im Vergleich''. Weinheim: Juventa.  


Wahl, K. (2009). Aggression und Gewalt. Ein biologischer, psychologischer und sozialwissenschaftlicher Überblick. Heidelberg: Spektrum.  
Wahl, K. (2009). ''Aggression und Gewalt. Ein biologischer, psychologischer und sozialwissenschaftlicher Überblick''. Heidelberg: Spektrum.  




== Weblinks ==
== Weblinks ==
[http://www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=150 Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention des Deutschen Jugendinstituts]
[http://www.uni-konstanz.de/rtf/kik/Heinz_Kriminalitaet_in_Deutschland.htm Heinz, W. (2005).Kriminalität in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Jugend- und Gewaltkriminalität. Universität Konstanz]
[http://www.kfn.de/Publikationen/KFN-Forschungsberichte.htm Forschungsberichte des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen]
 
[http://www.bka.de/pks/ Polizeiliche Kriminalstatistik]
[http://www.uni-konstanz.de/rtf/gs/G.Spiess-Jugendkriminalitaet.htm Spiess, G. (2007). Jugendkriminalität in Deutschland – zwischen Fakten und Dramatisierung. Kriminalistatistische und kriminologische Befunde. Universität Konstanz]
[[Kategorie:Gewaltkriminalität]]
42

Bearbeitungen