Jugendbewährungshilfe

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Dieser Artikel wird als Leistungsnachweis von christophj bearbeitet (bis zum 30.09.09)


„Die Jugendbewährungshilfe ist eine Chance, aber auch eine Herausforderung für junge Straftäter…

Als sie gerade erst geboren war, verließ ihr Vater ihre Mutter und brach damit endgültig den Kontakt zu seiner Tochter ab. Ihre Mutter konnte in der Gesellschaft nie Fuß fassen, sie lebte von Sozialhilfe. Schon mit zehn Jahren war Mandy auf sich allein gestellt, niemand kümmerte sich um sie. So hielt sie sich nur noch auf der Straße auf, mit zwölf Jahren geriet sie an falsche Freunde. Seither hat sie eine steile kriminelle Karriere hinter sich: Schule schwänzen, Diebstahl, Körperverletzung, Drogenmissbrauch. Sieben jüngeren Jugendlichen nahm sie ihre Handys ab, um sie weiterzuverkaufen und sich vom Erlös Drogen zu kaufen. Regelmäßig prügelte sie sich, um ihren Frust abzubauen… Sie wurde zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. Das heißt, sie steht zwei Jahre unter Bewährungsaufsicht und muss mit einem Jugendbewährungshelfer zusammenarbeiten. Um die Strafe nicht im Gefängnis absitzen zu müssen, hat die junge Frau zusätzlich richterliche Auflagen erhalten, die sie in einem bestimmten Zeitraum zu erfüllen hat. Sie ist streng an ihre Bewährungsauflagen gebunden. In ihrem Fall gehören dazu die Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Seminar, der Nachweis des regelmäßigen Schulbesuchs und die Teilnahme an Beratungsgesprächen in einer Drogenberatung.“ Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Sonntagszeitung vom 25.9.2007, Seite 38 Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH


Grundlagen der Jugendbewährungshilfe (JBH)

Innerhalb einer Gesellschaft werden delinquente Verhaltensweisen traditionell mit Sanktionen belegt. Die Grundidee dieser Sanktion liegt in der Vermeidung von weiterem Fehlverhalten. Die Erkenntnis, dass Resozialisierungsmaßnahmen nicht zwingend intramural sein müssen, hat zur Entstehung neueren Formen der Straffälligenhilfe geführt.

In Deutschland ist die Bewährungshilfe 1953 über das Strafgesetzbuch eingeführt worden und ebenso das Jugendgerichtsgesetz (JGG), ein vom Straf- und Strafprozessrecht etwas abweichendes Sonderrecht (vgl. Stimmer 2000, S.362). Die Bewährungshilfe für jugendliche und heranwachsende Straftäter (vgl. §1 JGG) wurde somit gesetzlich geregelt. Das JGG bestimmt den gesetzlichen Auftrag der JBH. In ihm sind neben dem Überwachungs- und dem Betreuungsauftrag zusätzlich ein Erziehungsauftrag (Erziehung statt Sühne) formuliert (vgl. §3, §10 JGG). Bei folgenden Urteilssprüchen durch einen Jugendrichter kommt es zur Bewährungsaufsicht und die JBH wird tätig (vgl. FHH 2000a, S.2; StVollzG 2001, S.221ff).

Schuldspruch: Die Schuld des Angeklagten steht außer Frage, aber die schädlichen Neigungen (vgl. Diemer/Schoreit/Sonnen 1995, S.196) sind nicht deutlich erkennbar (§ 27 JGG).

Vorbewährung: Das Urteil ist eine Jugendstrafe, unklar ist, ob diese zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Richter verschiebt die Entscheidung darüber um einige Monate (§ 57, Abs.1 JGG).

Bewährungsaufsicht als Weisung: Eine Weisung, die von der JBH überwacht wird (§ 10 JGG).

Jugendstrafe auf Bewährung: Die Haftstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt (§ 21 JGG).

Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung: Nach Verbüßung eines Teiles einer Jugendstrafe wird der Rest erlassen (§ 88 JGG).


„Die Bewährungszeit darf zwei Jahre nicht überschreiten und ein Jahr nicht unterschreiten.“ (StVollzG, 2001, S.223) In der Praxis wird diese Vorgabe des JGG (§ 28) häufig überschritten, wenn es zu Verstößen gegen die Bewährungsauflagen kommt, und der Jugendrichter die Verlängerung anordnet.


Entstehung/Entwicklung der JBH

November 1950: Der Ausschuss für Innere Sicherheit des Bundesrates berät über Einführung von Bewährungshilfe.

Januar 1951: Diskussion darüber, das englische „Probationsystem“ in das Deutsche Strafrecht einzuführen.

1953: Einführung von Bewährungshilfe in der BRD über das StGB.

April 1953: Modellversuche zur Einführung von Jugendbewährungshilfe.

4. August 1953: Das Jugendgerichtsgesetz tritt in Kraft. Die Bewährungshilfe für jugendliche Straftäter wird gesetzlich geregelt.

1954: Die Unterschiedlichkeiten und notwendigen Spezialisierungen von Jugend- und Erwachsenenbewährungshilfe werden herausgearbeitet.


Zielgruppe

Im Strafgesetzbuch steht im Geltungsbereich der § 10 „Sondervorschriften für Jugendliche und Heranwachsende“: „Für Taten von Jugendlichen und Heranwachsenden gilt dieses Gesetz nur, soweit im Jugendgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt ist.“ (StGB, 2002, S.17) In §1 des JGG ist formuliert, dass dieses gilt: „...wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die ... mit Strafe bedroht ist.“ (StVollzG, 2001, S.216). Der § 2 definiert dann die Begriffe Jugendlicher und Heranwachsender. „Jugendlicher ist, wer zurzeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer ... achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.“ (StVollzG, 2001, S.217).


Wenn Jugendliche oder Heranwachsende vor einem Jugendrichter stehen sind Delinquenz, Polizeikontakte, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und mögliche andere Hauptverhandlungen vorausgegangen.

Frauen und jugendliche Mädchen werden im Vergleich zu Männern relativ selten verurteilt, besonders selten zu freiheitsentziehenden Sanktionen. (nach: Dargel 2003). Daher ist auch die Zahl der weiblichen Probanden sehr gering.


Auftrag und Ziel

Bewährungshilfe ist als Form der tertiären Spezialprävention zu sehen. Denn unter tertiärer Kriminalprävention werden Maßnahmen verstanden, die eine erneute Straffälligkeit des individuellen Täters verhindern oder mindern sollen, also insbesondere durch spezialpräventive Sanktionierungen. Die belastenden Lebensumstände, unklaren oder fehlenden sozialen Perspektiven der Probanden definieren den Auftrag der JBH genauer. Die JBH will die soziale Ausgrenzung aufhalten bzw. rückgängig machen. Der Jugendbewährungshelfer strebt Beiträge an, die dem Klienten helfen sollen, ein straffreies Leben in sozialer Verantwortung zu führen (Haftvermeidung). Kurz aufgeführt handelt es sich um folgende Arbeitsschwerpunkte (vgl. FHH 2000a, S.4ff):

Stabile Arbeitsbeziehung herstellen, gestalten und beenden

Existenzsicherung und Stabilisierung der Lebenslage

Förderung von Erziehung und Integration

Doppelauftrag: Helfen und Kontrollieren

Der Bewährungshelfer steht helfend und betreuend zur Seite

Die JBH überwacht die Erfüllung von Weisungen, Auflagen, Zusagen im Einvernehmen mit dem zuständigen Jugendrichter


Ein Kommentar des JGG spricht von einem besonderen Anforderungsprofil an Jugendbewährungshelfer. Sie sollten „gut ausgebildete, erfahrene Sozialarbeiter von hoher Intelligenz, großem Idealismus, lebendiger Aktivität, echter Hilfsbereitschaft, besonderer Kontaktfähigkeit und zugleich bestimmtem wie vertrauenserweckendem Auftreten, von Festigkeit und Geduld“ (Diemer/Schoreit/Sonnen, 1995, S.247) sein.

Die persönliche Fallzuständigkeit des Bewährungshelfers beginnt nach schriftlicher Bestellung/Benachrichtigung durch das Gericht. Es werden Name des Klienten, Urteil, Aufenthaltsort und andere Informationen die zur Kontaktaufnahme nötig sind mitgeteilt. Ebenfalls erhält die JBH eine Benachrichtigung durch die Jugendgerichtshilfe, die vor Erteilung von Bewährungsauflagen zuständig gewesen ist. Der Bewährungshelfer wird namentlich vom Richter bestellt, und nach Ablauf der Bewährungszeit auch wieder entpflichtet. (§§ 25,29 JGG) Der zuständige Jugendrichter entscheidet während, und am Ende der Bewährungszeit darüber, ob die Bewährung erfolgreich ist/war oder ob sie widerrufen wird. Für diese schwierige Entscheidung benötigt er Informationen. Die JBH berichtet dem Richter in von ihm bestimmten Abständen über die Entwicklung des Klienten. Es herrscht ein ständiger Austausch zwischen Gericht und dem Bewährungshelfer. (Bestellung, Berichte, Urteile, Beschlüsse, Anklagen, Terminmitteilungen, Haftbefehle, Haftmitteilungen, Berichtsanforderungen und die Entpflichtung). Die Mitarbeiter der JBH sind einzig dem Richter und ihrem Gewissen verpflichtet. Der Jugendbewährungshelfer har sehr große Ermessensspielräume. Er allein entscheidet über Ausmaß der Hilfe, Häufigkeit der Treffen und die Anforderungen an den Probanden. Der Jugendbewährungshelfer unterstützt den Klienten, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen.

Nach § 24 des JGG soll der Jugendbewährungshelfer die Erziehung in Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten und anderen Erziehenden fördern. “Er hat bei der Ausübung seines Amtes das Recht auf Zutritt zu dem Jugendlichen.“ (StVollzG, 2001, S.222) Was praktisch bedeutet, dass er von Eltern, Schule, Ausbildenden und anderen Beteiligten Auskunft über die Lebensführung des Jugendlichen verlangen kann. Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, ist in der Praxis unerlässlich. Es geht darum, Zugänge zu Beratungseinrichtungen und anderen Hilfesystemen der Existenzsicherung zu schaffen, zu erleichtern, zu ermöglichen und zu begleiten. Es geht um das Erschließen von Informationen um diese externen Hilfsangebote nutzbar zu machen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist die Herstellung, Pflege und Nutzung intensiver Kooperationsbezüge zu Schulen, Berufsbildungsstätten, Jugendämtern, Sozialämtern, Arbeitsämtern, Jugendarrest- und Haftanstalten, Therapieeinsrichtungen, Ärzten und Erziehungsberechtigten notwendig.


Eindruck eines Praktikanten in der JBH „Zu Beginn meines Praktikums hat eine verhältnismäßig normale Gerichtsverhandlung einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht. Zuvor hatte ich mich umfangreich mit dem Fall und dem Angeklagten, in Form eines Aktenstudiums, vertraut gemacht. Und eine vorschnelle persönliche Vorverurteilung vorgenommen! Nach dem Motto: Eins und ein sind zwei!

Es geschah dann also folgendes: Ein Heranwachsender steht vor dem Jugendrichter. Diesem Tag gehen einige Straftaten, Polizeikontakte und Verurteilungen voraus. Er wurde schon zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten und zu einer von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Beide wurden zur Bewährung ausgesetzt, da die Straftaten nicht einschlägig waren. Am Tag der Verhandlung geht es um eine erneute, diesmal einschlägige Straftat, diese liegt aber 14 Monate zurück. Es handelt sich um gemeinschaftlich begangene schwere Körperverletzung. Anhand der Akte hatte ich gedacht, dass er jetzt ins Gefängnis geht, um eine seiner Jugendstrafen abzusitzen. Aber es kam anders! Die Vorstrafe von 1 Jahr 3 Monaten wurde mit einbezogen, und in ein neues Urteil von 1 Jahr 10 Monaten umgewandelt, und diese Strafe nochmals zur Bewährung ausgesetzt. Und warum? Er hat sich als bereuender Täter wirklich geschickt angestellt. Er hat sich kurze Zeit nach der Tat mit dem Opfer in Verbindung gesetzt, eine schriftliche Entschuldigung formuliert und gleich auf Schmerzensgeldforderungen reagiert, selbstständig eine Einrichtung zur Suchtberatung (Alkohol) aufgesucht und ein Anti-Aggressivitäts-Training begonnen. Außerdem ist seine Sozialprognose heute äußerst positiv. Er lebt seit einem halben Jahr mit seiner Freundin zusammen und ist seit 10 Monaten in einer Berufsausbildung.

Der Richter sagte nach der Verhandlung etwas ironisch, dass er jetzt wohl auch zur Kaste der strafunwilligen Jugendrichter gehört. Ergo... Eins und eins sind doch nicht immer zwei!!

Ich konnte dieses Urteil nachvollziehen, und hätte mir an diesem Tag auch kein anderes Urteil gewünscht. Eine Haftstrafe als Ultima ratio wäre unangemessen gewesen.


Literaturverzeichnis:

Dienstanweisung zur Durchführung der Jugendbewährungshilfe, Freie Hansestadt Hamburg – Amt für Jugend, November 2000

Diemer, H; Schoreit, A; Sonnen, B-R : JGG - Kommentar zum Jugend- gerichtsgesetz, C.F.Müller-Verlag, Heidelberg 1995

StVollzG – Strafvollzugsgesetz: Beck-Texte im dtv, München 2001

StGB – Strafgesetzbuch: Beck-Texte im dtv, München 2002

Stimmer, Franz (Hrsg.): Lexikon der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit, Oldenbourg Verlag, München 2000