Jeremy Bentham: Unterschied zwischen den Versionen

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== Rechtslehre ==
== Rechtslehre ==
Bentham war der erste Vertreter eines systematischen Rechtspositivismus, der vor allem durch seinen Schüler John Austin, später aber auch durch Hans Kelsen und H.L.A. Hart großen Einfluss auf das moderne Verständnis des Rechts ausübte. Bentham entwickelte eine klare begriffliche Trennung von Moral und Recht und lehnte sowohl die Vorstellung des Naturrechts als auch die Vorstellung natürlicher Rechte vehement ab. Berühmt ist seine Einschätzung der französischen Menschenrechtserklärung als „Unsinn auf Stelzen“ (Nonsense upon stilts).[6]
Bentham war der erste Vertreter eines systematischen Rechtspositivismus, der vor allem durch seinen Schüler John Austin, später aber auch durch Hans Kelsen und H.L.A. Hart großen Einfluss auf das moderne Verständnis des Rechts ausübte. Bentham entwickelte eine klare begriffliche Trennung von Moral und Recht und lehnte sowohl die Vorstellung des Naturrechts als auch die Vorstellung natürlicher Rechte vehement ab. Berühmt ist seine Einschätzung der französischen Menschenrechtserklärung als „Unsinn auf Stelzen“ (Nonsense upon stilts).


Bentham ging in seiner Rechtslehre von einem extrem individualistischen Menschenbild aus. Der Mensch war für Bentham ein Nutzenmaximierer, der ohne jede Rücksicht auf seine Mitmenschen seine eigenen Interessen verfolgt. Das Gesetz habe daher die gesellschaftliche Funktion, die Bürger zur Allgemeindienlichkeit zu zwingen. Den Schlüssel für das größte Glück der größten Zahl bildet eine nach rationalen Kriterien entworfene, systematische Strafgesetzgebung, die den Bürgern ihre gesetzlichen Pflichten und die drohenden Sanktionen vor Augen halten soll. Der Begriff Kodifikation ist – wie der Begriff international – eine Wortschöpfung Benthams.
Bentham ging in seiner Rechtslehre von einem extrem individualistischen Menschenbild aus. Der Mensch war für Bentham ein Nutzenmaximierer, der ohne jede Rücksicht auf seine Mitmenschen seine eigenen Interessen verfolgt. Das Gesetz habe daher die gesellschaftliche Funktion, die Bürger zur Allgemeindienlichkeit zu zwingen. Den Schlüssel für das größte Glück der größten Zahl bildet eine nach rationalen Kriterien entworfene, systematische Strafgesetzgebung, die den Bürgern ihre gesetzlichen Pflichten und die drohenden Sanktionen vor Augen halten soll. Der Begriff Kodifikation ist – wie der Begriff international – eine Wortschöpfung Benthams.
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== Verfassungslehre ==
== Verfassungslehre ==
In seinem Constitutional Code von 1831 entwickelt Bentham ein auf Volkssouveränität, allgemeinen Wahlen, weitestgehender Regierungstransparenz und der Meinungs- und Pressefreiheit basierendes Demokratiemodell, das gemeinsam mit dem Werken von James Madison und James Mill eine der klassischen Grundlagen der heutigen liberaldemokratischen Verfassungstheorie bildet.[7] Ausgangspunkt für seine Verfassungslehre ist der Gedanke, dass jede Form von politischer Macht die Gefahr des Machtmissbrauchs und der politischen Korruption birgt. Der Zweck der Verfassung besteht daher darin, die politischen Machthaber (Minister, Parlamentarier, Richter und Verwaltungsbeamte) durch verfassungsrechtliche Kontrollmechanismen konsequent an die Interessen der Bevölkerung zu binden. Im Unterschied zu der an Montesquieu anlehnenden klassischen Dreiteilung unterschied Bentham vier staatliche Gewalten: Neben der Legislative, der Exekutive und der Judikative führte er das Volk als Konstitutive als oberste Gewalt an.[8] Die englische Wahlrechtsreform von 1832 – der sogenannte reform act – wurde maßgeblich von Bentham und seinen Mitstreitern in die Wege geleitet.
In seinem Constitutional Code von 1831 entwickelt Bentham ein auf Volkssouveränität, allgemeinen Wahlen, weitestgehender Regierungstransparenz und der Meinungs- und Pressefreiheit basierendes Demokratiemodell, das gemeinsam mit dem Werken von James Madison und James Mill eine der klassischen Grundlagen der heutigen liberaldemokratischen Verfassungstheorie bildet. Ausgangspunkt für seine Verfassungslehre ist der Gedanke, dass jede Form von politischer Macht die Gefahr des Machtmissbrauchs und der politischen Korruption birgt. Der Zweck der Verfassung besteht daher darin, die politischen Machthaber (Minister, Parlamentarier, Richter und Verwaltungsbeamte) durch verfassungsrechtliche Kontrollmechanismen konsequent an die Interessen der Bevölkerung zu binden. Im Unterschied zu der an Montesquieu anlehnenden klassischen Dreiteilung unterschied Bentham vier staatliche Gewalten: Neben der Legislative, der Exekutive und der Judikative führte er das Volk als Konstitutive als oberste Gewalt an. Die englische Wahlrechtsreform von 1832 – der sogenannte reform act – wurde maßgeblich von Bentham und seinen Mitstreitern in die Wege geleitet.


== Der Freiheitsbegriff bei Bentham ==
== Der Freiheitsbegriff bei Bentham ==
Bentham wird zusammen mit Adam Smith und John Stuart Mill „zur ersten Garde der britischen Ökonomen und Staatstheoretiker der liberalen Ära“[9] gezählt. Die liberale Haltung Benthams beschränkte sich jedoch auf die Wirtschaftspolitik. In allen anderen Bereichen der Gesellschaft wurde dem Staat eine zentrale Rolle zugewiesen. Weil für Bentham jeder Bürger jede Freiheit, die man ihm lässt, ausnützt, um sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen, müsse die individuelle Freiheit vom Staat so eng gefasst werden, dass durch sie kein Schaden mehr entstehen könne.[10] Mehr als die individuelle Freiheit der Bürger interessierte Bentham deren Sicherheit. Bentham ging sogar soweit, die Sicherheit mit der Freiheit gleichzusetzen.[11] Der Mensch ist für Bentham frei, wenn er vor Übergriffen seiner Mitbürger und Machtexzessen seiner Regierung geschützt ist und sich der Unverletzlichkeit seines Lebens, seiner Gesundheit, seiner Ehre, seiner Verträge und seines Eigentums sicher sein kann.
Bentham wird zusammen mit Adam Smith und John Stuart Mill „zur ersten Garde der britischen Ökonomen und Staatstheoretiker der liberalen Ära“ gezählt. Die liberale Haltung Benthams beschränkte sich jedoch auf die Wirtschaftspolitik. In allen anderen Bereichen der Gesellschaft wurde dem Staat eine zentrale Rolle zugewiesen. Weil für Bentham jeder Bürger jede Freiheit, die man ihm lässt, ausnützt, um sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen, müsse die individuelle Freiheit vom Staat so eng gefasst werden, dass durch sie kein Schaden mehr entstehen könne. Mehr als die individuelle Freiheit der Bürger interessierte Bentham deren Sicherheit. Bentham ging sogar soweit, die Sicherheit mit der Freiheit gleichzusetzen. Der Mensch ist für Bentham frei, wenn er vor Übergriffen seiner Mitbürger und Machtexzessen seiner Regierung geschützt ist und sich der Unverletzlichkeit seines Lebens, seiner Gesundheit, seiner Ehre, seiner Verträge und seines Eigentums sicher sein kann.


Die weitgehenden Rechte, die die Bürger in Benthams Staatslehre genießen, werden aber erst durch einen mächtigen staatlichen Überwachungs- und Kontrollapparat ermöglicht, der die Menschen von frühester Jugend an erzieht, schult und konditioniert, ihr Verhalten permanent überwacht und jedes Fehlverhalten durch Sanktionen bestraft und korrigiert. Durch Benthams Konzept der Freiheit als Sicherheit wirken sich auch die gravierendsten Eingriffe des Staates in die persönliche Freiheit der Bürger nicht negativ auf ihre Freiheit aus: Sie bilden vielmehr die Voraussetzung der bürgerlichen Freiheit. Bentham forderte in diesem Zusammenhang nicht nur die Stärkung des Justizsystems und der Polizei, sondern auch die erkennungsdienstliche Tätowierung der Bevölkerung und den systematischen Einsatz von Spitzeln und verdeckten Ermittlern.[12] Mit Blick auf diese Aspekte seiner Lehre, die mit dem heute weithin gültigen Verständnis des Rechtsstaates und des Liberalismus nicht vereinbar sind, ist es angebracht, Bentham trotz seiner großen Verdienste für den modernen liberal-demokratischen Rechtsstaat als Vordenker von totalitären Herrschafts- und Repressionsmethoden zu betrachten.
Die weitgehenden Rechte, die die Bürger in Benthams Staatslehre genießen, werden aber erst durch einen mächtigen staatlichen Überwachungs- und Kontrollapparat ermöglicht, der die Menschen von frühester Jugend an erzieht, schult und konditioniert, ihr Verhalten permanent überwacht und jedes Fehlverhalten durch Sanktionen bestraft und korrigiert. Durch Benthams Konzept der Freiheit als Sicherheit wirken sich auch die gravierendsten Eingriffe des Staates in die persönliche Freiheit der Bürger nicht negativ auf ihre Freiheit aus: Sie bilden vielmehr die Voraussetzung der bürgerlichen Freiheit. Bentham forderte in diesem Zusammenhang nicht nur die Stärkung des Justizsystems und der Polizei, sondern auch die erkennungsdienstliche Tätowierung der Bevölkerung und den systematischen Einsatz von Spitzeln und verdeckten Ermittlern. Mit Blick auf diese Aspekte seiner Lehre, die mit dem heute weithin gültigen Verständnis des Rechtsstaates und des Liberalismus nicht vereinbar sind, ist es angebracht, Bentham trotz seiner großen Verdienste für den modernen liberal-demokratischen Rechtsstaat als Vordenker von totalitären Herrschafts- und Repressionsmethoden zu betrachten.


== Zitate ==
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