Jürgen Bartsch

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Jürgen Bartsch (* 6. November 1946 in Essen; † 28. April 1976 in Eickelborn) war ein pädophiler und sadistischer Serienmörder, der von 1962 bis 1966 in einem verlassenen Luftschutzbunker in Velbert bei Wuppertal vier Jungen sexuell misshandelte und tötete. Er starb 1976 bei einer Kastrationsoperation im Landeskrankenhaus Eickelborn.

Biografische Daten

Kindheit und Jugend bis zur Verhaftung

Jürgen Bartsch wurde am 06. November 1946 unter dem Namen Karl-Heinz Sadrozinski als uneheliches Kind in Essen geboren. Bereits bei seiner Geburt geriet er in unklare Lebensverhältnisse hinein. Frau Sadrozinski verließ das Krankenhaus nach der Geburt heimlich und ohne ihren Sohn. Sie starb einige Monate später an Tuberkulose. Das Kind wurde auf der Säuglingsstation des Krankenhauses untergebracht und dort von Krankenschwestern versorgt. Eine für Säuglinge in diesem Alter notwendige Bezugs- oder Bindungsperson war nicht vorhanden.

Einige Monate nach der Geburt hielt sich Gertrud Bartsch, die Frau des wohlhabenden Essener Fleischers Gerhard Bartsch, wegen einer Operation im selben Krankenhaus auf und wurde auf den Säugling aufmerksam. Das kinderlose Ehepaar nahm den Jungen unter dem Namen Jürgen Bartsch elf Monate nach dessen Geburt zu sich. Zu diesem Zeitpunkt war das Kind bereits durch die Krankenschwestern von der Windel entwöhnt worden, was besonders Frau Bartsch, die für ihren Sauberkeitswahn bekannt war, entgegenkam. Durch die räumliche Veränderung kam es jedoch wieder zum Rückfall. Die Feststellung, dass das Kind einkotete und einnässte, erfüllte Frau Bartsch mit Ekel und Wut. Da die Adoptionsbehörde des Jugendamts Bedenken wegen der unklaren Herkunft des Kindes hatte, erfolgte die eigentliche Adoption erst sieben Jahre später, weshalb die formale Situation des Kindes lange ungeklärt blieb (vgl. Moor 1991 S. 22 ff.).

Mit zehn Jahren wurde Bartsch in ein Kinderheim bei Rheinbach gebracht. Weil diese Einrichtung in den Augen seiner Eltern jedoch nicht streng genug war, wurde er zwei Jahre später in einem katholischen Knabeninternat in Marienhausen bei Bingen untergebracht, wo ein strenges und militärisches Reglement vorherrschte und körperliche Misshandlungen als Erziehungsmethode eingesetzt wurden. Bartsch floh zweimal aus dem Internat, und beide Male wurde er von seinen Eltern dorthin zurückgebracht. Nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, ging er mit 14 Jahren zunächst in Essen bei einem befreundeten Metzger seines Vaters in die Lehre. Da das Ehepaar Bartsch auch dort die Befürchtung hatte, die Lehre sei nicht streng genug, übernahm Herr Bartsch die Ausbildung seines Sohnes selbst. Bartsch arbeitete bis zu seiner Verhaftung im Juni 1966 als Metzger im Betrieb seines Vaters (vgl. Moor 1972 S. 23 ff).

Verhaftung bis zum Tod

Bartsch wurde am 21. Juni 1966 im Alter von 19 Jahren verhaftet. Er hatte zuvor einen Jungen lebend in einem Luftschutzbunker zurückgelassen, um pünktlich zum Abendessen bei seinen Eltern zu erscheinen. Der Junge konnte sich befreien und entkam. Der erste Prozess gegen Bartsch fand Ende 1967 vor dem Wuppertaler Landgericht statt. Dort wurde er unter Anwendung des Erwachsenenstrafrechts zu fünfmal lebenslänglich verurteilt. Im Januar 1968 begann der bis zu Bartschs Tod andauernde Briefwechsel mit dem US-amerikanischen Publizist Paul Moor, der für ihn zu einem väterlichen Freund wurde. Aus dieser Korrespondenz sind mehr als 250 Briefe von Bartsch erhalten, die Moor in mehreren Büchern veröffentlichte.

Bereits 1969 hob der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Urteil des Wuppertaler Landgerichts auf und forderte einen Wiederholungsprozess ein. Nach Auffassung der Bundesrichter wurden die Tathintergründe im Wuppertaler Prozess nicht ausreichend geklärt. Der Revisionsprozess fand im Frühjahr 1971 vor dem Düsseldorfer Landgericht statt. Das Urteil lautete zehn Jahre Jugendstrafe und anschließender Einweisung in eine therapeutische Anstalt (vgl. Sternsdorff 1996 S. 404 ff.).

Bartsch wurde in der Heil- und Pflegeanstalt Eickelborn untergebracht, wo er 1974 eine Krankenschwester aus Hannover heiratete, mit der er zuvor regelmäßigen Briefkontakt hatte (vgl. Moor 1991 S. 432 ff.).

Da er weiter unter seinen sexuellen und sadistischen Phantasien litt, unterzog er sich im Landeskrankenhaus Eickelborn am 28. April 1976 einer Kastrationsoperation. Während dieser Operation starb Jürgen Bartsch aufgrund eines Narkosefehlers an Herzversagen (vgl. Sternsdorff 1996 S. 404 ff.).

Taten

Bartsch ging bei der Auswahl all seiner potentiellen Opfer ähnlich vor. Er sprach auf der Straße oder auf Jahrmärkten Jungen an, die augenscheinlich alleine und im vorpubertären Alter waren. Dann lockte er sie mit Phantasiegeschichten und Geschenken zu seinem Auto oder zur öffentlichen Bushaltestelle, um mit ihnen zu einem verlassenen Luftschutzbunker zu fahren. Von März 1962 bis Juni 1966 tötete Bartsch insgesamt vier Jungen im Alter von acht bis zwölf Jahren:


  • März 1962: Klaus Jung (1954-1962)
  • August 1965: Rudolf Peter Fuchs (1952-1965)
  • August 1965: Ulrich Kahlweiß (1953-1965)
  • Mai 1966: Manfred Grassmann (1954-1966)


Er zwang seine Opfer sich zu entkleiden, nahm an ihnen und sich sexuelle Handlungen vor und erdrosselte oder erwürgte sie. Anschließend zerstückelte er die Leichen und begrub sie in dem Luftschutzbunker. Nach dem Mord an Klaus Jung erzählte Bartsch das Geschehene im Rahmen einer Beichte einem katholischen Priester. Dieser unternahm jedoch nichts und berief sich nachträglich auf das Beichtgeheimnis. Zu den durchgeführten Morden kommen hunderte gescheiterte Versuche, Jungen anzusprechen und zum Mitgehen zu überreden, hinzu. Bartsch hatte jedoch große Angst entdeckt zu werden und ließ daher von den Kindern ab, sobald er bemerkte, dass sie nicht mitkommen wollten. Dies erklärt auch die unregelmäßigen und teilweise langen Zeitabstände, in denen die Morde geschahen.

Am 18. Juni 1966 führte Bartsch den damals fünfzehnjährigen Peter Frese zum Luftschutzbunker, schlug ihn und zwang ihn sich auszuziehen. Da er pünktlich zum Abendessen zu Hause sein wollte, ließ er Frese an Händen und Füßen gefesselt und mit einer brennenden Kerze dort zurück. Frese konnte mithilfe der Kerze die Fesseln durchtrennen und fliehen. Anwohner, die Frese fanden, alarmierten die Polizei. Bartsch wurde aufgrund der Beschreibung von Frese am 21. Juni 1966 festgenommen (vgl. Werremeier 1968 S. 116 ff.).

Hintergründe

Noch während seiner Zeit im Internat in Marienhausen bemerkte Bartsch, dass er sexuell an jüngeren oder maximal gleichaltrigen Jungen interessiert war. Er blieb mit den damit verbundenen Ängsten und Fragen auf sich selbst gestellt. Das Thema Sexualität wurde in seinem Elternhaus tabuisiert, im Knabeninternat galt es als Sünde. Des Weiteren standen homosexuelle Handlungen Ender der 1950er Jahre noch unter strafrechtlicher Verfolgung.

Sein erstes homosexuelles Erlebnis hatte Bartsch im Alter von etwa 14 Jahren mit einem zehnjährigen Jungen aus der Nachbarschaft. Hier zeigte sich zum ersten Mal auch seine sadistische Neigung, als er den Jungen bei einem Treffen im Wald mit Gewalt auszog und verprügelte (vgl. Moor 1991 S. 248 ff.). Weitere pädosexuelle und sadistische Handlungen mit Jungen, die allerdings ohne Konsequenzen blieben, folgten. Je mehr Bartsch seine eigenen Neigungen entdeckte, desto mehr litt er darunter.

Sein Leben lang blieb Bartsch ein Außenseiter und hatte bis auf wenige Ausnahmen keine Freunde. Er wurde von seinen Adoptiveltern streng und unter Gewaltanwendung erzogen. Bereits als Kleinkind wurde er von Frau Bartsch körperlich misshandelt. Emotionale Liebe und körperliche Nähe erfuhr er von seinen Adoptiveltern ebenso wenig wie zuvor im Krankenhaus. Bis zu seiner Einschulung isolierten sie ihn vor anderen Kindern, da sie befürchteten, er würde die Wahrheit über seine Adoption durch Außenkontakte erfahren. Die Wahrheit über seine Herkunft erfuhr er erst im Alter von 13 Jahren, als er durch Zufall die Adoptionspapiere entdeckte. Bartsch wurde bis zu seiner Verhaftung von seiner Mutter gebadet, auch die Auswahl seiner Kleidung wurde von ihr bestimmt.

In der Schule wurde er gehänselt und gelegentlich bezahlte er andere Jungen dafür, dass er sexuelle Handlungen an ihnen durchführen durfte. Das dafür notwenige Geld stahl er aus der Ladenkasse seines Vaters. Mit 17 Jahren begann er regelmäßig Alkohol zu konsumieren, was ihm später auch den Verlust des Führerscheins einbrachte, weil er alkoholisiert am Steuer saß. Er zwang sich auch dazu, Prostituiere in Essen aufzusuchen in der Hoffnung, die sexuelle Erfahrung mit Frauen könnte seine pädo- und homosexuelle Neigung ändern (vgl. ebd. S. 25 ff.).

Laut Gutachten war Bartsch ein homosexueller, pädophiler Triebtäter mit sadistischen, nekrophilen sowie fetischistischen Neigungen.

Die von ihm angesprochenen Jungen und spätere Opfer waren alle im vorpubertären Alter, hatten eine schlanke Statur, meist dunkle Haare und große Augen. Seiner Zielphantasie, einen Jungen bei lebendigem Leib zu zerschneiden, kam er beim letzten Mord an Manfred Grassmann sehr nahe. Konträr hierzu verhält sich die Tatsache, dass Bartsch eine tiefe Abneigung gegen seinen Metzgerberuf verspürte. Er empfand Mitleid mit den Schlachttieren und hatte Ekel vor Blut und dem Fleischgeruch in der Metzgerei (vgl. Werremeier 1968 S. 244 ff.).

Gerichtsprozess und Revisionsverfahren

Der erste Prozess gegen Bartsch fand vom 27. November bis 15. Dezember 1967 vor der Jugendstrafkammer des Wuppertaler Landgerichts statt.

Es wurden für diesen Fall lediglich neun Verhandlungstage angesetzt, da der Druck der Öffentlichkeit auf das Gericht enorm war. Bartsch galt laut einer damaligen Umfrage der Zeitschrift Stern als einer der schlimmsten Verbrecher des Jahrhunderts. Ein schneller Abschluss der Verhandlung sowie die Verurteilung des Angeklagten standen primär im Fokus. Vom Gericht wurden lediglich drei Gutachter bestellt, was die detaillierte Aufarbeitung der Tathintergründe an den Rand drängte.

Obwohl Bartsch zum Zeitpunkt des ersten Mordes erst 15 Jahre alt war, wurde er als Erwachsener eingestuft und von den Gutachtern für voll zurechnungsfähig erklärt. Er wurde zu einer Haftstrafe von fünfmal lebenslänglich verurteilt.

Dieses Verfahren gilt in der Wissenschaft bis heute als ein Negativbeispiel, da psychologische und soziale Hintergründe kaum erwähnt und berücksichtigt wurden. Daher hob der Bundesgerichtshof das Urteil bereits 1969 wieder auf mit der Begründung, dass menschliche und medizinische Kernfragen nicht hinreichend geklärt wurden.

Der Revisionsprozess fand im Frühjahr 1971 vor dem Düsseldorfer Landgericht statt. Es wurden neue Zeugen angehört und acht Sachverständige mit besonderen Kenntnissen in der Sexualforschung hinzugezogen. Erstmals in einem deutschen Strafprozess wurde auch ein Psychoanalytiker hinzugezogen. Bei beiden Verhandlungen war Bartsch im vollen Umfang geständig und zeigte sich kooperativ. Die Entwicklungsgeschichte von Bartsch wurde eindrücklich beleuchtet und die sozialen Hintergründe berücksichtigt. Die Düsseldorfer Richter verurteilten Bartsch zu zehn Jahren Jugendstrafe und anschließender Unterbringung in einer Pflege- und Heilanstalt. Aus Krankheitsgründen wurde ihm eine erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit eingeräumt.

Obwohl dieses Urteil als mutig und fortschrittlich galt, konnte Bartschs eigentliche Problematik nicht gelöst werden. Seine Tötungsphantasien dauerten an und eine wirksame Therapie war nicht vorhanden. Dennoch hatte er bis zu seinem Tod die Hoffnung, er könne durch professionelle Hilfe geheilt werden und eines Tages ein normales Leben in Freiheit führen, weshalb er auch in die von seinen Ärzten vorgeschlagene Kastrationsoperation einwilligte. (vgl. Sternsdorff 1996 S. 404 ff.).

Film

  • „Ein Leben lang kurze Hosen tragen – Der Fall Jürgen Bartsch“ von Kai S. Pieck aus dem Jahr 2002
  • „Der Kindermörder Jürgen Bartsch“ Dokumentationsfilm von Thomas Fischer aus dem Jahr 2000 im Rahmen der Sendereihe „Die großen Kriminalfälle“
  • „Nachruf auf eine Bestie“ Dokumentation von Rolf Schübel aus dem Jahr 1984

Literaturverzeichnis

  • Moor, Paul (1972): Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch; Fischer Taschenbuch Verlag; Frankfurt am Main
  • Moor, Paul (1991): Jürgen Bartsch: Opfer und Täter – Das Selbstbildnis eines Kindermörders in Briefen; Rowohlt Verlag
  • Sternsdorff, Hans-Wolfgang (1996): Eine Bestie wird besichtigt; in: Schulz, Uwe (Hrsg.) (1996): Große Prozesse – Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte; C.H. Beck Verlag; München; S. 404-413
  • Werremeier, Friedhelm (1968): Bin ich ein Mensch für den Zoo? Der Fall Jürgen Bartsch: Bericht über vier ermordetet Kinder und den Jugendlichen, der sie getötet hat; Limes Verlag; Wiesbaden

Weiterführende Literatur

  • Benecke, Mark (2010): Mordspuren; Gustav Lübbe Verlag; Köln
  • Brückweh, Kerstin (2006): Mordlust –Serienmorde, Gewalt und Emotionen im 20. Jahrhundert; Campus Verlag; Frankfurt am Main
  • Meinhof, Ulrike M. (1968): Jürgen Bartsch und die Gesellschaft; in: Meinhof, Ulrike M. (Neuausgabe 1992): Die Würde des Menschen ist antastbar; Verlag Klaus Langenbach; Berlin S. 112-116
  • Miller, Alice (1983): Am Anfang war Erziehung; Suhrkamp Verlag; Frankfurt am Main