Helmut Schelsky: Unterschied zwischen den Versionen

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Helmut Wilhelm Friedrich Schelsky (* 14. 10. 1912 in Chemnitz; † 24. 02. 1984 in Münster i.W.) war der einflussreichste Soziologe der westdeutschen Nachkriegszeit bis zur "Studentenrevolte".  
Helmut Wilhelm Friedrich Schelsky (* 14. 10. 1912 in Chemnitz; † 24. 02. 1984 in Münster i.W.) war der einflussreichste Soziologe der westdeutschen Nachkriegszeit bis zur "Studentenrevolte".  


Schelsky, der von Hans Freyer und Arnold Gehlen für die Soziologie gewonnen worden war ("Leipziger Schule"), schrieb seine Dissertation in Leipzig (1935; „Theorie der Gemeinschaft nach Fichtes Naturrecht von 1796“) und habilitierte sich 1939 an der Universität Königsberg für „Soziologie“ mit dem Thema „Die politische Lehre von Thomas Hobbes“. Nach Eintritt in die SA (1932) arbeitete er ab 1933 beim „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund“ mit und wurde 1937 NSDAP-Mitglied. 1938 bis 1940 war er dann Assistent von Arnold Gehlen in Leipzig, 1940-1941 von Hans Freyer an der Universität Budapest. 1941 wurde er als Soldat eingezogen. 1944 heiratete er Hildegard Brettle. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor (darunter Wilhelm Schelsky). Eine Stelle als außerordentlicher Professor an der Reichsuniversität Straßburg (1944) konnte er wegen des Kriegsverlauf nicht antreten. Unmittelbar nach Kriegsende baute Schelsky den „Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes“ auf.
Schelsky, der von Hans Freyer und Arnold Gehlen für die Soziologie gewonnen worden war ("Leipziger Schule"), schrieb seine Dissertation in Leipzig (1935; „Theorie der Gemeinschaft nach Fichtes Naturrecht von 1796“) und habilitierte sich 1939 an der Universität Königsberg für „Soziologie“ mit dem Thema „Die politische Lehre von Thomas Hobbes“. Nach Eintritt in die SA (1932) arbeitete er ab 1933 beim „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund“ mit und wurde 1937 NSDAP-Mitglied. 1938 bis 1940 war er dann Assistent von Arnold Gehlen in Leipzig, 1940-1941 von Hans Freyer an der Universität Budapest. 1941 wurde er als Soldat eingezogen. 1944 heiratete er Hildegard Brettle. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor (darunter Wilhelm Schelsky). Eine Stelle als außerordentlicher Professor an der Reichsuniversität Straßburg (1944) konnte er wegen des Kriegsverlauf nicht antreten. Als der Krieg zu Ende war, baute Schelsky den „Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes“ auf.


1949 wurde er als Professor für Soziologie an die damalige „Akademie für Gemeinwirtschaft“ nach Hamburg berufen. 1953 wechselte er zur Universität Hamburg. 1960 rief ihn die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Münster. In dieser Position leitete er zugleich die renommierteste empirisch-soziologische Forschungsstätte jener Jahre, die Sozialforschungsstelle an der Universität Münster in Dortmund. Er war der Spiritus Rector, der für die in Bielefeld neu gegründete Reform-Universität kämpfte und dafür sorgte, dass dort die erste „Soziologische Fakultät“ der Bundesrepublik errichtet wurde. Bereits in diesem Kampf um den ostwestfälischen Standort von der Paderborner CDU als ehedem nationalsozialistischer Student enttarnt, trat er von allen Ämtern zurück - zumal von dem als Vorsitzender des Planungsbeirats Nordrhein-Westfalen für die Entwicklung des Hochschulwesens. Er wurde jedoch zurückgerufen und 1970 als Professor an die Bielefelder Universität berufen. Dort leitete er am Standort Rheda das als ein ‚deutsches Harvard‘ angelegte „Zentrum für interdisziplinäre Forschung“. Er überwarf sich aber mit den Kollegen in seiner eigenen Gründung und kehrte enttäuscht 1973 nach Münster zurück, wo er 1978 emeritiert wurde. Er schrieb noch kämpferische Großessays gegen die in seinen Augen eine utopische Erziehungsdiktatur anstrebenden Soziologen der 1968er-Generation, vereinsamte aber bis zu seinem Tod.
1949 wurde er als Professor für Soziologie an die damalige „Akademie für Gemeinwirtschaft“ nach Hamburg berufen. 1953 wechselte er zur Universität Hamburg. 1960 rief ihn die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Münster. In dieser Position leitete er zugleich die renommierteste empirisch-soziologische Forschungsstätte jener Jahre, die Sozialforschungsstelle an der Universität Münster in Dortmund. Er war der Spiritus Rector, der für die in Bielefeld neu gegründete Reform-Universität kämpfte und dafür sorgte, dass dort die erste „Soziologische Fakultät“ der Bundesrepublik errichtet wurde. Bereits in diesem Kampf um den ostwestfälischen Standort von der Paderborner CDU als ehedem nationalsozialistischer Student enttarnt, trat er von allen Ämtern zurück - zumal von dem als Vorsitzender des Planungsbeirats Nordrhein-Westfalen für die Entwicklung des Hochschulwesens. Er wurde jedoch zurückgerufen und 1970 als Professor an die Bielefelder Universität berufen. Dort leitete er am Standort Rheda das als ein ‚deutsches Harvard‘ angelegte „Zentrum für interdisziplinäre Forschung“. Er überwarf sich aber mit den Kollegen in seiner eigenen Gründung und kehrte enttäuscht 1973 nach Münster zurück, wo er 1978 emeritiert wurde. Er schrieb noch kämpferische Großessays gegen die in seinen Augen eine utopische Erziehungsdiktatur anstrebenden Soziologen der 1968er-Generation, vereinsamte aber bis zu seinem Tod.


Wirkung [Bearbeiten]
In Hamburg veröffentlichte er viele Schriften zu aktuellen Entwicklungen der westdeutschen Gesellschaft. Er schrieb über die Soziologie der Familie, der Sexualität, der Industrie, der Jugend, der Erziehung und der Ideengeschichte der deutschen Universität, die vielfach neu aufgelegt wurden. Kontrovers diskutiert wurde seine These, dass moderne Gesellschaften zur Bildung einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ tendierten.
 
Von der Leipziger Schule um Hans Freyer war Schelsky gefördert und gelenkt worden. Schelsky suchte zwischen so bedeutenden Köpfen wie dem rechtshegelianischen Philosophen Hans Freyer, dem Philosophischen Anthropologen Arnold Gehlen und dem später emigrierten Philosophen und Logiker Gotthard Günther ein eignes Arbeitsfeld und kam so auf die Soziologie. Seine künftig (auch für die Rechtswissenschaft) wirkungsreiche Theorie der Institutionen schrieb er sehr bald nach Kriegsende, danach auch Grundsätzliches zur Schichtung.
 
Er verfasste in Hamburg eine Reihe von anwendungsorientierten und viel gelesenen Veröffentlichungen über die westdeutschen Aufbauprobleme. Sie widmeten sich sämtlich aktuellen Entwicklungen, die er voraussah. Er veröffentlichte Werke zur Familiensoziologie, dann zur Soziologie der Sexualität, zur Industriesoziologie, zur Jugendsoziologie, zur Soziologie der Erziehung und zur Soziologie und Ideengeschichte der deutschen Universität, die vielfach neu aufgelegt wurden. Viel Zustimmung und auch Kontroversen erregte seine These, dass moderne Gesellschaften zur „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ tendierten.


In Dortmund leitete er zugleich eine empirieorientierte ‚Talentschmiede‘ der Soziologie, die sich erst in den 1970er Jahren an den deutschen Hochschulen durchsetzte. Persönlich habilitierte er 17 Soziologen. Er war ein liberaler und gelegentlich zynischer Talentaufspürer, auffällig desinteressiert am Aufbau einer eigenen „Schule“ und für viele sehr unterschiedliche neue Talente attraktiv, so z. B. für Heinz Hartmann, Dieter Claessens, Franz-Xaver Kaufmann und Niklas Luhmann. Damit war er professionspolitisch, auch was kommende Lehrstuhlbesetzungen betraf, für die deutsche Soziologie einflussreicher als die nach 1945 zurückgekehrten renommierten René König (vgl. die „Kölner Schule“) und Otto Stammer, während sich die Frankfurter Schule erst nach 1968 durchzusetzen vermochte.
In Dortmund leitete er zugleich eine empirieorientierte ‚Talentschmiede‘ der Soziologie, die sich erst in den 1970er Jahren an den deutschen Hochschulen durchsetzte. Persönlich habilitierte er 17 Soziologen. Er war ein liberaler und gelegentlich zynischer Talentaufspürer, auffällig desinteressiert am Aufbau einer eigenen „Schule“ und für viele sehr unterschiedliche neue Talente attraktiv, so z. B. für Heinz Hartmann, Dieter Claessens, Franz-Xaver Kaufmann und Niklas Luhmann. Damit war er professionspolitisch, auch was kommende Lehrstuhlbesetzungen betraf, für die deutsche Soziologie einflussreicher als die nach 1945 zurückgekehrten renommierten René König (vgl. die „Kölner Schule“) und Otto Stammer, während sich die Frankfurter Schule erst nach 1968 durchzusetzen vermochte.
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