Der Hamburger Strafvollzug galt über Jahrzehnte als vorbildlich. Nach dem Jahr 2000 begann allerdings eine Wende in Richtung auf "law and order".

(1) Fehlprognosen über einen erheblichen Anstieg der Gefangenenzahlen führten zur Expansion des geschlossenen Vollzugs. Kosten: 30 Mio. für die Erweiterung der JVA Billwerder um 400 Plätze. Betriebsmittelkosten pro Jahr: 1,4 Mio. Die Fehlprognose war erkennbar. Man hielt aber an der Realisierung der Pläne fest. Finanzbehörde, Planungsstab der Senatskanzlei, Bürgerschaftsmehrheit und Senat versagten. Unklar ist, warum sie die Realisierung der Planungen nicht an den jährlichen Nachweis der Belegungsentwicklung knüpften (wie sie es bei der Vorgängerregierung getan hatten).

(2) Die für den offenen Vollzug konzipierte JVA Billwerder I (380 Plätze) wurde (konzeptionell widersinnig und baufachlich überflüssig) für 14 Mio. Euro in eine Anstalt des geschlossenen Vollzugs umgewandelt (vgl. Rehn 2008: 34 f.).

(3) Der offene Vollzug für männliche Strafgefangene und Sicherungsverwahrte wurde so weit zurückgefahren, bis Hamburg zu den Schlusslichtern in Deutschland gehörte (am 31.3.2006: Bundesdurchschnitt: 16%; Berlin: 29%, NRW 27%, Niedersachsen 19%; Hamburg 2001: 23%; Hamburg 2006: 6,5%).

Angesichts der Tatsache, dass in Hamburg 65% der Gefangenen nur Strafen bis zu zwei Jahren verbüßen, für die ein geschlossener Vollzug in der Regel gar nicht erforderlich ist - und angesichts der weiteren Tatsache, dass gerade Gefangene mit langen Strafen gegen Ende ihrer Strafzeit eine längere Probephase im offenen Vollzug benötigen, um die Rückfallrisiken zu mindern, war das ein riskantes Manöver, das nicht nur überflüssigerweise menschliches Leid mehrt, sondern auch "hohe Kosten über das justizförmige Verfahren hinaus" generiert (Rehn 2008: 35).

(4) Rückgang von Lockerungen in Hamburg zwischen 2001 und 2006: Urlaub aus der Haft -69%, Ausgang -59%, Freigang -64%. Justizsenator Lüdemann: "Strafvollzug und Urlaub passen nicht zusammen. Ich kann mir nicht auf der einen Seite Gedanken machen über sechs Meter hohe Mauern und Außensicherung, so dass keiner ... entweichen kann, und gleichzeitig sagen: '21 Tage im jahr hast Du Urlaub und kannst raus'" (Die Welt, 31.6.06; zit. n. Rehn 2008: 35). Immerhin ging auch die Versagerquote bei Urlaub und Ausgang zwischen 2001 und 2007 von 0,5 auf 0,1 % zurück.

(5) Schließung der Übergangsanstalt Moritz-Liepmann-Haus (38 Plätze für Männer und 7 für Frauen) im Februar 2005. Schließung der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg-Altengamme nach 21jähriger Tätigkeit im Dezember 2005 (54 Plätze für Mäner und 6 für Frauen). Die seit 1969 bestehende Sozialtherapeutische Anstalt Bergedorf mit 42 Haftplätzen wurde Außenstelle der JVA Fuhlsbüttel: "In Bergedorf befanden sich schwerpunktmäßig -59%, UrlauEine Wende hin zu "law and order" hat ihn allerdings galt während der Weimarer Republik und dann wieder in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er Jahre hinein als innovativ, liberal und human. Dann wurden zahlreiche Entscheidungen getroffen, die den Zielkonflikt zwischen Sicherheit und Resozialisierung zugunsten einer deutlichen Betonung des Sicherheitsdenkens aufzulösen suchten. Gerhard Rehn kritisiert diese Politik durch die Benennung von "5 Hauptsünden":

  • Geld verschleudert: Ausbau der JVA Billwerder um weitere ca. 400 auf rund 800 Plätze.
  • Umbau um jeden Preis: die offene Anstalt Billwerder wird gechlossener Vollzug.
  • Die Lust am Einsperren: Der offene Vollzug als Nadelöhr.
  • Abbau von Eingliederungschancen: Ausgang, Urlub, Freigang als Ausnahme.
  • Es war einmal: Sozialtherapie und Übergangsvollzug.

"Mit der Schließung/Verlagerung der drei kleinen, langjährig außerordentlich erfolgreichen und bundesweit vorbildlichen Übergangs- und Sozialtherapieanstalten erreichte die radikal restaurative 'Vollzugspolitik' des Gespanns Kusch/Lüdemann einen schmachvollen Höhepunkt. Im einzelnen: Im Februar 2005 wurde die Übergangsanstalt Moritz-Liepmann-Haus (MLH) ersatzlos gestrichen. ... Im Dezember 2005 wurde die Sozialtherapeutische Anstlat HH-Altengamme nach 21jähriger Tätigkeit geschlossen. Sie verfügte über 54 Plätze für Mäner und 6 für Frauen. Die traditionsreiche, seit 1969 bestehende Sozialtherapie Bergedorf mit ihren 42 Haftplätzen wurde Außenstelle der JVA Fuhlsbüttel. Ihre ganz eigene Existenz wurde zerstört; viele MitarbeiterInen mussten in andere Anstalten wechseln" (Rehn 2008: 36).



Literatur

  • Rehn, Gerhard (2008) Hamburger Strafvollzug - Wege und Irrwege. Zentrale Fakten einer verfehlten Strafvollzugspolitik. Neue Kriminalpolitik 20.2008: 34-36.