Gnade: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Abolition''' ist die Niederschlagung eines anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahrens für den Einzelfall; heute besser bekannt unter der Begrifflichkeit des Absehens von Strafe, die nur noch in ihrer verrechtlichten Ausprägung (§§ 153 ff. StPO) Anwendung findet.  
'''Abolition''' ist die Niederschlagung eines anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahrens für den Einzelfall; heute besser bekannt unter der Begrifflichkeit des Absehens von Strafe, die nur noch in ihrer verrechtlichten Ausprägung ([http://dejure.org/gesetze/StPO/153.html §§ 153 ff. StPO]) Anwendung findet.
 


===Kompetenzverteilung===
===Kompetenzverteilung===

Version vom 18. August 2008, 21:17 Uhr

Gnade kann unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Sie greift in die Gebiete des Rechts, der Theologie und der Philosophie. Dieser Artikel beleuchtet das Institut der Gnade im deutschen Rechtssystem.


Begriff

Der deutsche Begriff Gnade ist von dem althochdeutschen Wort ginada hergeleitet, welches als „göttliches Erbarmen“ übersetzt werden kann. Sprachgeschichtlich ist es zudem mit dem germanischen Wortstamm neth verwandt, was soviel bedeutet wie Hilfe und Schutz.

Die Gnade, wie sie historisch gewachsen ist, ist die menschliche und moralische Komponente des Rechts und umschließt die Milde, das Verzeihen, Vergeben und Vergessen. Im umfassenden Sinne bedeutet Begnadigung Gunstbezeugung oder Vorteilsgewährung durch einen Träger hoheitlicher Gewalt. Im Rechtssinne meint dies die Freistellung eines Einzelnen von den durch rechtskräftiges Urteil festgestellten Strafen und Nebenfolgen.

Aus rechtstheoretischer Sicht ist die Gnade ein historisch übernommenes Korrektiv zur verhängten Strafe. Sie soll Härten des Gesetzes, etwaige Irrtümer der Urteilsfindung und Unbilligkeiten bei nachträglich veränderten oder persönlichen Verhältnissen ausgleichen.

Historische Entwicklung der Gnade

In der Antike wurden Begnadigungen meist durch einen Gottkönig oder Cäsar ausgeübt, der mit Herrschertugenden wie Menschlichkeit, Milde und Nachsicht ausgestattet war. Nach antiker Anschauung war Gnade ein Ausdruck der Güte, die in Griechenland als Philantropie und in Rom als Indulgentia oder Clementia bezeichnet wurde.


Im Mittelalter wurde die Gnade durch das Christentum geprägt und als Ausübung der christlichen Tugend der Barmherzigkeit betrachtet. Der christliche Herrscher leitete seine Gnadengewalt aus dem göttlichen Herrschaftsauftrag ab. Im späten Mittelalter nahm die Gerichtsbarkeit den Gnadengedanken in die Ausübung der Rechtspflege auf, so dass auch nach Gnade gerichtet werden konnte. Das Richten nach Gnade erfolgte oft willkürlich, da verknüpfte Vermögensbußen dem Richter zuflossen. Mit der „Bamberger Halsgerichtsordnung“ von 1507 wurden Richteramt und Gnadenhoheit wieder getrennt.

Ablehung eines Gnadengesuchs von 1843


Während des Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert war die Gnadengewalt an die Person des Souverän gebunden. Er gewährte Gnade aus Güte, persönlicher Zuneigung oder anlässlich freudiger Ereignisse (Geburten, Hochzeiten) im Herrscherhaus. Im Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert mehrten sich die Stimmen, im Namen der Gleichheit vor dem Gesetz die Gnade abzuschaffen. Philosophen und Rechtshistoriker lehnten das Institut der Gnade ab. Teilweise glaubten sie an eine vollkommene Gesetzgebung (Humboldt, Beccaria, Bentham) oder kritisierten die missbräuchliche Handhabung der Gnadenmacht des Souveräns (Kant, Feuerbach). Die meisten deutschen Staaten erkannten jedoch unbeeindruckt in ihren Verfassungsgesetzen das Begnadigungsrecht ausdrücklich als Recht des Staatsoberhauptes an. Den Abschluss dieser Entwicklung setzte das „Preußische Allgemeine Landrecht“ von 1794, welches die uneingeschränkte Begnadigungsbefugnis des Staatsoberhauptes zum Prinzip erhob.


In der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts näherte sich das Gnadenverständnis erstmals dem heutigen an. Im bundesstaatlichen Kaiserreich besaß der Kaiser in solchen Sachen Gnadenbefugnis, in denen das Reichsgericht im ersten Rechtszug entschieden hatte. Im übrigen stand die Gnadenbefugnis auf Grund der Länderverfassungen den Landesfürsten zu.


Mit der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 trat der Reichspräsident an die Stelle des Kaisers und übte in denjenigen Fällen die Gnadenbefugnis gem. Art. 49 Abs. 1 WRV aus, die vormals der Kaiser als Begnadigungsinstanz wahrnehmen durfte. Für die Länder ergab sich die Begnadigungskompetenz aus deren Verfassungen wobei der jeweilige Staatsminister zuständig war. Die Ausübung der Begnadigung stand im Ermessen des Trägers. Begnadigungsgründe waren u.a. das Wohlverhalten während der Haftzeit, frühere Verdienste um das Vaterland und ungerechtfertigte Härte der Strafe im Einzelfall.


Im Nationalsozialismus wurde das Gnadenrecht von politischen Erwägungen bestimmt und die Kompetenznorm des Art. 49 Abs. 1 WRV immer mehr entwertet. Durch das Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. August 1934 wurde das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers vereinigt. Damit gingen alle Kompetenzen des Reichspräsidenten, einschließlich des Begnadigungsrechtes, auf den Reichskanzler über. Durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 erhielt dieser auch die Begnadigungskompetenzen der Länder. In § 1 Abs. 2 der Verordnung des Reichsministers der Justiz über das Verfahren in Gnadensachen vom 6. Februar 1935 (Reichsgnadenordnung) konnte sich der Reichskanzler nach Belieben das Recht zur Begnadigung einzelner Strafsachen vorbehalten.


In der ehemaligen DDR gab es ebenfalls das Institut der Gnade, welches seit der Staatsgründung 1949 zentralistisch ausgeübt wurde. Das Begnadigungsrecht oblag nach Art. 107 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 dem Präsidenten der Republik, wobei er von einem Ausschuss der Volkskammer beraten wurde.


Heutiges Gnadenrecht

Anwendungsbereich der Gnade im Strafrecht

Der Inhalt der Begnadigung ist in den Gnadenordnungen der einzelnen Bundesländer geregelt. Die Reichsgnadenordnung von 1935 gilt heute noch im Bund, in Hamburg, in Bremen und im Saarland. Die Reichsgnadenordung sagt nichts über das Wesen der Gnade aus, sondern umschreibt lediglich den Inhalt der Begnadigungen und enthält Richtlinien für den Bearbeiter. Insoweit unterscheidet sich die Reichsgnadenordnung nicht von den in den einzelnen Ländern geltenden Gnadenordnungen.


Wurde ein Straftäter rechtskräftig verurteilt stehen ihm verschiedene Möglichkeiten zu, seine Strafe zu erleichtern. Das Institut der Gnade hat Ausnahmecharakter, so dass die rechtlichen Vorschriften grundsätzlich Vorrang vor einem Gnadenverfahren haben. Erst wenn die gesetzlichen Möglichkeiten zur Straferleichterung nicht greifen, ist Raum für eine Gnadenentscheidung.


Die Vorschriften der Gnadenordnungen gelten für das Gnadenverfahren bei Rechtsfolgen, die wegen einer rechtswidrigen Tat durch Entscheidung eines Strafgerichts verhängt worden sind oder sich aus einer solcher Entscheidung ergeben. Damit können Strafen, Nebenstrafen, Nebenfolgen, Maßregeln der Besserung und Sicherung, sonstige Maßnahmen des Strafrechts (z.B. Geldbußen), Zuchtmittel und Erziehungsmaßregeln sowie Ordnungsmittel Gegenstand eines Gnadenverfahrens sein


Abzugrenzen ist die Gnade von der Amnestie. Während die Gnade eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung darstellt, gilt die Amnestie, die durch formelles Gesetz erlassen wird, für ein unbestimmte Vielzahl von Personen. Hierunter fällt der Erlass der Vollstreckung bereits rechtskräftig verhängter Strafen aber auch das Verbot der Durchführung von Strafverfahren.


Abolition ist die Niederschlagung eines anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahrens für den Einzelfall; heute besser bekannt unter der Begrifflichkeit des Absehens von Strafe, die nur noch in ihrer verrechtlichten Ausprägung (§§ 153 ff. StPO) Anwendung findet.

Kompetenzverteilung

Es ist zwischen der Kompetenz des Bundes und der Kompetenz der Länder zu differenzieren, wobei die Begnadigungskompetenzen nebeneinander stehen.

Begnadigung auf Bundesebene

Nach Art. 60 Abs. 2 GG übt der Bundespräsident das Begnadigungsrecht für den Bund aus. Er kann seine Befugnisse jedoch auf andere Behörden übertragen. Der Bundespräsident ist nur für die Strafsachen begnadigungskompetent, in denen die Oberlandesgerichte erstinstanzlich nach § 120 Abs 1 und 2 i.V.m. § 142a GVG zuständig sind. Dem Bundespräsidenten bleibt die Gnadenzuständigkeit vorbehalten, wenn der Bundesgerichtshof oder in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes ein Oberlandesgerichtshof im ersten Rechtszuge erkannt hat. Im übrigen hat der Bundespräsident seine Begnadigungskompetenz in Strafsachen auf den Bundesminister der Justiz übertragen.


Begnadigung auf Landesebene

In den Verfassungen der Länder wird das Begnadigungsrecht meist den Ministerpräsidenten zugesprochen, im Saarland der Landesregierung und in Berlin, Bremen und Hamburg dem Senat. Dem § 452 Satz 2 StPO zufolge stehen alle Strafsachen die nicht im ersten Rechtszug in die Gerichtsbarkeit des Bundes fallen den Ländern zu. Diese haben ihre Gnadenbefugnis größtenteils auf die Justizminister delegiert, welche wiederum durch Verwaltungsvorschriften nachfolgende Justizorgane wie den Generalstaatsanwalt und die Leitenden Oberstaatsanwälte ermächtigt haben.

Kritiker dieser Delegation vertreten den Standpunkt, die ermächtigten Staatsanwälte seien voreingenommen und nehmen als Organ der Strafverfolgungsbehörde eine ausgesprochene Parteistellung ein. Dem wird entgegnet, dass dies eine Verkennung der Grundlagen des Strafprozessrechtes bedeutet. § 160 Abs. 2 StPO bestimmt deutlich, dass die Staatsanwaltschaft nicht nur die zur Belastung sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln hat.


Gnadenverfahren

In den Gnadenordnungen ist das Verfahren in Gnadensachen ausführlich geregelt. Im Allgemeinen obliegt der Staatsanwaltschaft die Entgegennahme von Gnadengesuchen und die Vorbereitung der Entscheidung. Antragsberechtigt ist jedermann. Ein Gnadenakt bedarf nach überwiegender Ansicht nicht der Zustimmung des Verurteilten. Gnadensachen sind grundsätzlich vertraulich zu behandeln. Die Gnadenbehörde kann alle notwendigen Ermittlungen unverzüglich vorzunehmen, um die Angaben im Gesuch zu überprüfen und die gegenwärtigen persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu prüfen. Es besteht kein Anspruch auf Akteneinsichtsrecht für den Verurteilten. Im Falle einer ablehnenden Gnadenentscheidung kann keine gerichtliche Nachprüfung vorgenommen werden.


Justitiabilität

Hinsichtlich des Wesens der Gnade gibt es regelmäßig Diskussionen, ob Gnadenentscheidungen gerichtlich überprüfbar sein sollen oder nicht. In dogmatischer Hinsicht sind wohl alle Argumente herangezogen und betrachtet worden. Dabei lassen sich drei grobe Richtungen feststellen. Die einen wollen Gnade in ihrer bestehenden Form beibehalten und sehen in ihr das notwendige „Sicherheitsventil des Rechts“ oder ein „notwendiges Korrektiv“ der starren Rechtsanwendungsnormen. Eine Justitiabilität von ablehnenden Gnadenentscheidungen soll es nicht geben. Andere wollen ebenfalls das Institut der Gnade in seiner bestehenden Form beibehalten, sprechen sich aber für eine gerichtliche Überprüfbarkeit von abgewiesenen Gnadengesuchen aus. Wieder andere halten das Institut der Gnade für unvereinbar mit dem Rechtsstaatprinzip, nach dem alles staatliche Handeln gesetzlich normiert sein muss und fordern insofern die vollständige Abschaffung.


Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 23. April 1969 klargestellt, dass an dem Institut der Gnade weiterhin festgehalten werden solle und dass es verfassungskonform sei.


Verrechtlichung der Gnade

Im Laufe der Zeit wurde die Gnade immer weiter durch rechtliche Vorschriften verdrängt. Viele Bereiche, die früher der Gnade zuzuordnen waren, sind heute in rechtliche Regelungen übertragen worden:

Strafgesetzbuch:

  • Regelungen zur Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 56, 57, 57a StGB)
  • Zahlungserleichterung bei Geldstrafen (§ 42 StGB)
  • Vorzeitige Aufhebung bzw. Herabsetzung der Sperrfrist bei der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69a Abs. 7 StGB)
  • Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, die im Rahmen der Verurteilung aberkannt wurden ( § 45b StGB)

Strafprozessordnung:

  • Vorschriften zu Strafaufschub und –unterbrechung (§§ 454b, 455, 455a, 456 StPO)
  • Absehen von Vollstreckung bei Abschiebung oder Ausweisung von Ausländern (§ 456a StPO)
  • Erleichterung bei Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen (§§ 459, 459a, 459d, 459f StPO)

Strafvollzugsgesetz:

  • Ermöglichung von Vollzugslockerungen und Urlaub für Gefangene (§§ 11, 13, 15, 35 StVollzG)
  • Erlassen geringer Strafreste, wenn Strafende auf Wochenenden oder Feiertage fällt (§ 16 StVollzG)

Betäubungsmittelgesetz:

  • Zurückstellung einer Strafe bei Drogentherapie (§ 35 BtMG)


Gnadengründe

Viele Straf- und Staatsrechtler sind der Auffassung, dass man einen Katalog für Gnadengründe nicht erstellen könne, da dies der Einzelfallgerechtigkeit widerspreche.

Andere dagegen sehen in der Gnade einen Akt der regelgeleiteten, grundsätzlich normierbaren Rechtsanwendung. Die Gnadenordnungen enthielten bereits ausreichend Gründe für Gnadenerweise, so dass die gesetzlichen Vorschriften quasi gleichkämen.

Gesichtspunkte die einen Gnadenerweis begründen können, finden sich beispielsweise in der Gnadenordnung des Landes Niedersachsen:

§ 14 Nds. GnO

„wenn Gründe des Rechts eine Änderung oder Milderung der Entscheidungsfolgen gebieten oder erhebliche Gnadengründe vorliegen, denen gegenüber die Schuld des Täters sowie die Verteidigung der Rechtsordnung, die Wiederherstellung des Rechtsfriedens, die Wirkung der Bestrafung auf Dritte und andere Strafzwecke im Einzelfall zurücktreten; solche Gründe können sich insbesondere ergeben aus der Eigenart und den besonderen Anlagen des Verurteilten, seinem Vorleben, den Umständen seiner Tat, seinem Verhalten vor oder nach der Tat sowie im Strafvollzug und während anderer unmittelbar vorausgegangener Freiheitsentziehungen, seinen Lebensverhältnissen und schließlich aus den von dem Gnadenerweis zu erwartenden Wirkungen auf den Verurteilten.“


Einige Gnadenordnungen stellen darüber auf Umstände ab, die zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht bekannt waren oder erst danach eingetreten sind. Andererseits muss die Rechtsfolge der gerichtlichen Entscheidung eine besondere persönliche Härte darstellen, die die von der Rechtsfolge ausgehende Wirkung erheblich übersteigt.


Gnadengründe hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 23. April 1969 genannt, indem es anführte, dass das Gnadenrecht die Funktion habe, „Härten des Gesetzes, etwaige Irrtümer der Urteilsfindung sowie Unbilligkeiten, bei nachträglich veränderten allgemeinen oder persönlichen Verhältnissen auszugleichen“.


Darüber hinaus werden in der Literatur übergeordnete Gnadengründe diskutiert, wie auch bei der Weihnachtsgnade. Die kollektiven Weihnachtsgnadenerweise erfolgen lediglich aus kalendarischen Gründen, auf Grund des bevorstehenden Weihnachtsfestes und aus organisatorischen Gründen der Strafvollzugsverwaltung.


Veraltete Gnadenmotivationen die früher zur Begründung von Gnadenerweisen herangezogen wurden sind staats- und parteipolitische Gründe. Solche Gnadenmotive werden heute nicht mehr als zulässig erachtet, weil sie unabhängig von der Gnadenwürdigkeit des Betroffen ergehen.

Gnade ist kein taugliches Mittel, um etwa einen fremden Spion gegen einen eigenen austauschen zu können oder durch ein Entgegenkommen gegenüber Angehörigen eines fremden Staates außenpolitisch unerwünschte Kollisionen zu vermeiden. Früher wurde die Gnade auch als Akt der Großmut verstanden, mit der der Herrscher sein Wohlwollen, seine Gunst oder sein Mitleid zum Ausdruck brachte. Das lag daran, dass das Gnadenrecht der umfassenden oft religiös begründeten Herrscherlegitimation entsprang. Auch die Barmherzigkeit, Vergebung und Liebe stellen im Rechtsstaat keine Gnadengründe mehr dar.


Gnadenwürdigkeit

In der Literatur wird neben den Gnadengründen auch die Gnadenwürdigkeit diskutiert auch wenn diese den Gnadenordnungen und dem Bundesverfassungsgericht zufolge keine Voraussetzung für einen Gnadenerweis darstellt. Die Gnadenwürdigkeit ist gegeben, wenn Persönlichkeit und Charakter des Gesuchstellers, sein Verhalten und seine Lebensführung im Strafverfahren und nach der Tat vermuten lasse, er sei zur Einsicht gekommen und fähig in Zukunft ein geordnetes und rechtstreues Leben zu führen. Die Begnadigungsbehörde muss zu der Überzeugung gelangen, dem Verurteilten könne eine günstige Prognose gestellt werden.

Aspekte, die für eine Gnadenwürdigkeit sprechen:

  • Keine Vorstrafen
  • Wandlung im Lebensstil (neue Existenz und Umgebung, Heirat, geachtete Stellung im Beruf)
  • Aufrichtige Reue und Einsicht
  • Enthaltung von Alkoholgenuss (z.B. Führerscheinentzug)
  • Gute Führung im Strafvollzug
  • Wiedergutmachung des entstandenen Schadens

Bei Begnadigungen, die offensichtlich ein Fehlurteil korrigieren sollen, kann die Gnadenwürdigkeit naturgemäß keine Rolle spielen.


Gnade als kriminalpolitisches Instrument

Gnade dient nicht nur zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit sondern wird auch als kriminalpolitisches Instrument eingesetzt. Gnade wird zur Erprobung von Veränderungen im strafrechtlichen Sanktionssystem genutzt. So wird in kurzfristigen und regional begrenzten Projekten mit Hilfe der Gnade Einfluss auf die aktuelle Situation im Strafvollzug genommen. Die Projekte sollen erster Linie die angespannte Lage im Strafvollzug etwas lockern indem Verurteilte vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Vornehmlich handelt es sich dabei um den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen.


In Hamburg wurde diesbezüglich nach der Hälfte der Strafzeit eine Begnadigung geprüft, in Baden-Württemberg erfolgte nach Halbstrafenverbüßung eine Strafunterbrechung mit der Möglichkeit einer anschließenden Begnadigung und in Mecklenburg-Vorpommern konnte die Ersatzfreiheitsstrafe ausgesetzt werden um gemeinnützige Arbeit zu leisten. In Niedersachsen sollte mit Hilfe der Gnade der Überbelegung im Frauenstrafvollzug begegnet werden. In einigen Fällen bestand die Möglichkeit, die Strafvollstreckung für ein Jahr aufzuschieben, um anschließend im Gnadenwege zu prüfen, ob die Strafvollstreckung noch erforderlich ist.


Die Instrumentalisierung der Gnade zu kriminalpolitischen Zwecken stellt eine Möglichkeit zur Erprobung kriminalpolitischer Reaktionsformen dar. Eine langfristige Instrumentalisierung der Gnade ist jedoch kritisch zu betrachten. Bei der Weihnachtsgnade wird aus Anlass des Weihnachtsfestes in den meisten Bundesländern (außer Bayern und Sachsen) ein Sammelgnadenerweis gewährt, der über den Zeitraum von § 16 Abs. 2 StVollzG hinaus eine vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen ermöglicht. Vielfach wird diese Maßnahme als Weihnachtsamnestie bezeichnet, obwohl dies unzutreffend ist, da sie aufgrund von Anordnungen der Justizminister ergeht und nicht durch formelles Gesetz beschlossen wird. In manchen Bundesländern erfolgen die vorzeitigen Entlassungen so massiv, dass sie nur schwer mit rechtstaatlichen Gesichtspunkten vereinbar ist.


Statistiken

Aus den allgemein zugänglichen Rechtspflegestatistiken lassen sich nur wenige Erkenntnisse zur Entwicklung der Gnade und zu ihrer Bedeutung im Vergleich zu anderen Milderungsmöglichkeiten gewinnen.


  • Die allgemeine Geschäftstatistik für die Staatsanwaltschaften gibt Auskunft über die Häufigkeit von Gnadenverfahren indem sie Eingänge von Gnadenersuchen registriert.


  • Die Strafvollzugsstatistik zeigt unter anderem an, in wie vielen Fällen eine Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung im Gnadenwege erfolgt ist. Die Anzahl der Primäraussetzung und sonstigen Vergünstigungen im Gnadenwege, wie z.B. Erlass der Geldstrafe, können nicht ersehen werden.


  • Der Bewährungshilfestatistik lässt sich entnehmen, wie oft bei gnadenweisen Strafaussetzungen zur Bewährung der Verurteilte einem Bewährungshelfer unterstellt wurde.


Da die amtlichen Statistiken die Zahlen jahresweise darstellen, lassen sich monatliche Veränderungen nicht erkennen, so dass z.B. die genauere Bedeutung der Weihnachtsamnestie in den einzelnen Bundesländern nicht ermittelt werden kann. Außerdem enthalten sie keine Auskünfte über die Gründe, die zu der Entscheidung der Gnadenbehörde geführt haben. Demnach lassen die amtlichen Statistiken viele Fragen zum Gnadenwesen offen.


Kritikwürdig ist die unterschiedliche Handhabung der Gnade in den einzelnen Bundesländern, die sich aus den amtlichen Statistiken ersehen lässt. Den Gnadengesuchen in den verschiedenen Bundesländern wird unterschiedlich häufig stattgegeben. In Berlin, dem einzigen Bundesland, in dem es eine Kommission für Gnadensachen gibt, werden die Reststrafenaussetzungen häufiger im Weg der Gnade als über Vorschriften der §§ 57 ff StGB gewährt. In Bayern und Thüringen hingegen ist die Möglichkeit im Wege der Gnade eine Reststrafenaussetzung zu erlangen, fast aussichtslos.


Quellen

Dimoulis, Dimitri (1996): Die Begnadigung in vergleichender Perspektive. Rechtsphilosophische, verfassungs- und strafrechtliche Probleme /. Berlin: Duncker & Humblot (Strafrechtliche Abhandlungen, N.F., 97).

  • Hüser, Klaus (1973): Begnadigung und Amnestie als kriminalpolitisches Instrument. mit Untersuchungen aus dem Hamburger Bereich. Dissertation. Universität Hamburg.
  • Klein, Alfons (2001): Gnade - ein Fremdkörper im Rechtsstaat? Frankfurt am Main: Lang (Europäische HochschulschriftenReihe 2, Rechtswissenschaft, 3199).
  • Schätzler, Johann-Georg (1976): Handbuch des Gnadenrechts. Eine systematische Darstellung mit den Vorschriften des Bundes und der Länder, Anmerkungen und Sachregister. 1. Aufl. München: Beck.
  • Wiontzek, Sandra (2008): Handhabung und Wirkungen des Gnadenrechts. Hamburg: Kovac (Schriftenreihe Strafrecht in Forschung und Praxis, 123).

Weiterführende Literatur

  • Blum, Andreas-M. (1996): Strafbefreiungsgründe und ihre kriminalpolitischen Begründungen. Kriminalpolitische Begründungen bei den Strafbefreiungsgründen im Strafrecht, Nebenstrafrecht und Strafprozeßrecht einschließlich der Straffreiheitsgesetze der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 ; eine kriminalpolitische Bestandsaufnahme in kritischer Absicht. Hamburg: Kovac.
  • Maurer, Axel (1979): Das Begnadigungsrecht im modernen Verfassungs- und Kriminalrecht. Frankfurt/M.: Lang (Europäische HochschulschriftenReihe 2, Rechtswissenschaft, 225).
  • Overath, Petra (2001): Tod und Gnade. Die Todesstrafe in Bayern im 19. Jahrhundert. Köln: Böhlau.
  • Uppenkamp, Thomas (1972): Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe. Dissertation. Universität Münster.
  • Vögele, Wolfgang (2000): Gnade vor Recht oder gnadenlos gerecht? Amnestie, Gerechtigkeit und Gnade im Rechtsstaat ; [Dokumentation einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum vom 1. bis 3. November 1999]. 1. Aufl. Rehburg-Loccum: Evang. Akad. Loccum (Loccumer Protokolle, 62/99).

Weblinks

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden (2005): Justizvollzug_Bestand_31_03_2007. Online verfügbar unter [1], zuletzt aktualisiert am 11.02.2005, zuletzt geprüft am 03.07.2008.