Glaubhaftigkeitsdiagnostik: Unterschied zwischen den Versionen

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(BGH-Urteil zur polygraphischen Methode)
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(BGH-Urteil zur inhaltlichen Glaubhaftigkeitsbeurteilung)
(BGH-Urteil zur inhaltlichen Glaubhaftigkeitsbeurteilung)

Version vom 23. September 2007, 23:02 Uhr

Glaubhaftigkeit

Unter Glaubhaftigkeit wird im Zusammenhang mit der Glaubhaftigkeitsdiagnostik die spezielle Glaubhaftigkeit der Aussage und nicht die stabile Glaubwürdigkeit der Person als Persönlichkeitseigenschaft verstanden. Die Motivation zu einer wahrheitsgemäßen Aussage ist somit in erster Linie durch situative Faktoren determiniert.


Verhaltensorientierte Glaubhaftigkeitsdiagnostik

Das unter dem Namen „Lügendetektion“ bekannte Verfahren der psychophysiologischen Aussagebeurteilung zur Untersuchung des Wahrheitsgehalts einer Aussage basiert auf körperlichen Phänomenen. Mittels des Lügendetektors oder Polygraphen werden physiologische Reaktionen während einer Befragung gemessen und aufgezeichnet. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Menschen, wenn sie lügen, geringfügig nervös werden, was sich im vegetativen Nervensystem bemerkbar macht. Eine Lüge hat somit die Konsequenz, dass die Herzrate, die elektronische Hautleitfähigkeit, das Blutvolumen oder die Brustatmung sich ändern. Die Auswertung erfolgt durch den dafür ausgebildeten Polygraphisten, der echte von willentlich herbeigeführten Reaktionen unterscheiden soll.

Die Grundidee zur Nutzung psychophysiologischer Verfahren als Indikator für juristische Belange geht auf die Psychologen C.G. Jung und Max Wertheimer Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. In den USA wird Hugo Münsterberg mit der Veröffentlichung des Werks „On the Witness Stand“ (1908) als Begründer der wissenschaftlichen Polygraphtechnik genannt. Allerdings hat Lombroso schon 1895 den Hydrosphygmograph zur Aussageuntersuchung eingesetzt, der mittels minimaler Wasserstandsänderungen in einem Glas Pulsfrequenz und Blutvolumen messen konnte.

Die heutige Durchführung unterscheidet sich in drei unterschiedliche Tests. Beim Kontrollfragentest werden dem Verdächtigen neutrale Fragen, tatbezogene Fragen und Kontrollfragen gestellt. Bei den Kontrollfragen handelt es sich um Fragen, die meist verneint werden, obwohl die Antwort erfahrungsgemäß „ja“ ist. Ein Beispiel für eine solche Frage ist: „Haben Sie jemals etwas von Ihrem Arbeitsplatz mitgehen lassen?“ Die Reaktionen auf die unterschiedlichen Fragestellungen werden dann verglichen.

Bei der Methode der gerichteten Lügenkontrollfragen soll der Untersuchte auf eine Kontrollfrage wissentlich mit einer Lüge antworten, um so Vergleichsreaktionen zu erhalten.

Die Fragetechnik des Tatwissenstest bezieht sich nicht auf die Verneinung der Tat, sondern auf das Tatwissen, das nur dem Täter bekannt sein kann. Hierzu werden Fragen mit tatrelevanten Begebenheiten mit irrelevanten Items gemischt. („Wo war der gestohlene Gegenstand? War er im Schrank, auf dem Regal, in der Schublade, auf dem Boden, auf dem Bett?“) Eine Variante entspricht der Wahrheit und sollte eine höhere physiologische Reaktion auslösen als die anderen.

Insgesamt ist die psychophysiologische Aussagebeurteilung sowohl in der Wissenschaft als auch in der forensischen Praxis sehr umstritten. Das liegt nicht zuletzt an teilweise spektakulären Fällen, in denen Lügendetektortests versagten. Während die Methodik in den USA im Strafprozess ihre Anwendung findet, ist sie mit dem BGH-Urteil vom 17.12.1998 in Deutschland als ungeeignetes Beweismittel befunden worden.

Neben dem oben erläuterten Verfahren beschäftigt sich die verhaltensorientierte Aussagenforschung auch noch mit dem Sprechverhalten, z.B. der Sprechgeschwindigkeit oder mit nonverbalem Verhalten, das z.B. die Mimik einbezieht.


Inhaltsorientierte Glaubhaftigkeitsdiagnostik

Das Ziel dieser Forschungsrichtung ist es, anhand von inhaltlichen Merkmalen wahre Aussagen von falschen zu unterscheiden.

Neben Mittermaier (1834), Groß (1898), Binet (1900) oder Stern (1904), die sich allesamt mit dem Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen beschäftigten, ist vor allem Curt Leonhart zu nennen, der sich in den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit einzelnen Kriterien für die Glaubhaftigkeit von Aussagen befasste. Udo Undeutsch entwickelte in seinem Handbuch der Psychologie von 1967 eine umfassende Systematik von Kennzeichen wahrheitsgemäßer Bekundungen. Grundlage ist hier die Hypothese, dass sich Aussagen über selbst erlebte faktische Begebenheiten sich von nicht selbst erlebten Vorgängen qualitativ unterscheiden. Davon ausgehend haben Steller und Köhnken 1989 Glaubhaftigkeitskriterien in einem integrativen Merkmalssystem systematisiert. Diese Kriteriologie wurde unter dem Namen „Criteria Based Content Analysis“ oder „Kriterienorientierte Aussageanalyse“ bekannt. Dieses Analyseverfahren ist allerdings nur ein Teil der psychologischen Glaubhaftigkeitsbegutachtung, die Steller und Köhnken „Statement Validity Analysis“ nennen. Dieses Verfahren hat sich als aktuelle Methode zur inhaltlichen Beurteilung von Zeugenaussagen in der Forensischen Psychologie etabliert.

Die Statement Validity Analysis setzt sich aus drei Teilen zusammen:

a) Aussagezuverlässigkeit

Hier gilt es zu überprüfen, ob die Aussageentwicklung solchen Rahmenbedingungen unterliegt, damit Zweifel an der Zuverlässigkeit ausgeräumt werden können. Es stehen die Beziehungen zwischen dem Beschuldigten und dem Aussagenden, mögliche Konsequenzen für den Zeugen, den Beschuldigten oder beteiligter Dritter, Vor- bzw. Nachteile der Genannten oder andere mögliche Belastungsmotive im Mittelpunkt der Analyse. Hierzu werden auf psychologische Besonderheiten der aussagenden Person (z.B. Leistungsbesonderheiten oder Persönlichkeitsstörungen), motivationale Bedingungen, wie die Wahrnehmungsselektion und kommunikative Bedingungen, insbesondere die suggestive Beeinflussung eingegangen. b) Aussagetüchtigkeit

Dieser Punkt der Glaubhaftigkeitsdiagnostik bezieht sich auf die kognitiven Kompetenzen der Aussageperson, die die Voraussetzung einer sachgerechten Aussage stellen. Es soll sichergestellt werden, dass die Wahrnehmung, die Speicherung und die Erinnerung keinen Störanfälligkeiten unterliegen. Bei der Bestimmung der Aussagetüchtigkeit sollen überdauernde Faktoren, wie Intelligenzdefizite, Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörungen aufgrund von Hirnschädigungen oder Suggestibilität und aktuell wirkende Faktoren, wie toxische Einflüsse (Drogen, Alkohol) oder affektive Erregungen einbezogen werden. Der Ausschluss dieser Faktoren erhöht die Wahrscheinlichkeit der Zeugentüchtigkeit und damit einer glaubhaften Aussage.

c) Aussagequalität – kriterienorientierte Aussageanalyse

Hier steht die einzelne Aussage und deren Inhalt im Mittelpunkt des Interesses. Man geht der Frage nach, ob eine Aussage Merkmale beinhaltet, die von einer erlebnisfundierten, nicht aber von einer konstruierten und erfundenen Aussage erwartet werden. Diese einzelnen Merkmale werden auch Realkennzeichen genannt.

Die Grundannahme dieses Ansatzes bezieht sich darauf, dass eine Aussage eine kognitive Leistung darstellt. Das Erfinden einer Aussage erfordert höhere kognitive Anforderungen, als das Zurückgreifen auf eine reale Wahrnehmungsgrundlage. Des Weiteren muss der Lügner nicht nur die Logik und die Konstanz eines komplexen Geschehens bewahren, sondern muss sich auch bemühen, vor seinem Gegenüber glaubwürdig zu wirken.

Dieser Qualitätsunterschied manifestiert sich in den Realkennzeichen (vgl. Tabelle). Je mehr der Kennzeichen in einer Aussage erfüllt sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Inhalt einem real erlebten Geschehen entspricht. Allerdings lässt diese Logik nicht den Umkehrschluss zu, eine Aussage mit wenigen Realkennzeichen sei gelogen.


Spätestens mit dem Urteil des BGH vom 30.07.1999 fand die Methode der Statement Validity Analysis in Deutschland ihre endgültige Bestätigung, indem für die Glaubhaftigkeitsbegutachtung vor Gericht Mindestanforderungen gestellt worden sind. Diese Anforderungen stützen sich auf eben diese Methode.




Zurzeit wird eine neue Methode entwickelt, die sowohl die Lügendetektion als auch die Annahmen des inhaltsorientierten Ansatzes der Glaubhaftigkeitsdiagnostik integriert. Hierbei sollen mittels fMRT-Aufnahmen des Gehirns aktive Hirnareale sichtbar gemacht werden. Da eine erfundene Aussage höhere kognitive Anforderungen stellt als eine wahre Aussage, wird angenommen, dass auch mehr, bzw. andere Hirnareale aktiviert werden.


Literatur

  • Maier, B. (2006): Glaubhaftigkeitsdiagnostik von Zeugenaussagen. Eine diskriminanzanalytische Untersuchung. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.
  • Steller, M. (1987): Psychophysiologische Aussagebeurteilung. Wissenschaftliche Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten der „Lügendetektion“. Göttingen: Verlag für Psychologie.
  • Steller, M. & Köhnken, G. (1989): Criteria-based statement analysis. In D.C. Raskin (Hrsg.), Psycholocical methods for investigation and evidence (S. 217-245). New York: Springer.

weblinks

(BGH-Urteil zur polygraphischen Methode)

(BGH-Urteil zur inhaltlichen Glaubhaftigkeitsbeurteilung)