Giorgio Agamben: Unterschied zwischen den Versionen

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==Homo Sacer==
==Homo Sacer==


In dieser Trilogie (Einaudi 1995ff.) - einer Art Kulturgeschichte der Ein- und Ausschliessung - wendet sich Agamben gegen das idyllische Bild von der Globalisierung als "global village". Statt eines "Dorfes" sieht er eher eine Welt voller "Lager", in denen rechtlose Menschen auf ihre physische Existenz reduziert sind. Er postuliert eine rechtlich verfasste Spaltung der Identität in ein vergesellschaftetes Wesen (zoon politikon) und das „bloße Leben“ (Il potere sovrano e la nuda vita), die er auf Aristoteles' folgenreiche Unterscheidung zwischen „bios“ und „zoé“ im Werk Nikomachische Ethik zurückführt. Unter Bezug auf AutorInnen wie Walter Benjamin und Carl Schmitt, Martin Heidegger, Hannah Arendt („Wir Flüchtlinge“) und Michel Foucault entwickelt Agamben eine Philosophie von rechtsfreien Räumen und der Reduzierung von Menschen auf ihr „nacktes Leben“ (als Beispiel dienen ihm vor allem die nationalsozialistischen Konzentrationslager). Demnach streben die Mächtigen seit der Antike nicht nur die Kontrolle der Individuen als gesellschaftliche Wesen an, sondern auch die Vereinnahmung ihres biologischen Lebens. Die Folge ist eine latente, für ständig wachsende Teile der Weltbevölkerung auch offene, staatsrechtlich erzwungene Spaltung der Existenz in Mensch und Zugehörigkeit. Wie vor ihm Walter Benjamin, Jacob Taubes und Jacques Derrida erkennt Agamben ihre konsequenteste Ausformung in der Freund-Feind-Dichotomie im "Begriff des Politischen" von Carl Schmitt.
In dieser Trilogie (Einaudi 1995ff.) - einer Art Kulturgeschichte der Ein- und Ausschliessung - wendet sich Agamben gegen das idyllische Bild von der Globalisierung als "global village". Statt eines "Dorfes" sieht er eher eine Welt voller "Lager", in denen rechtlose Menschen auf ihre physische Existenz reduziert sind. Er postuliert eine rechtlich verfasste Spaltung der Identität in ein vergesellschaftetes Wesen (zoon politikon) und das „bloße Leben“ (Il potere sovrano e la nuda vita), die er auf Aristoteles' folgenreiche Unterscheidung zwischen „bios“ und „zoé“ im Werk Nikomachische Ethik zurückführt. Unter Bezug auf Hannah Arendt („Wir Flüchtlinge“) und Michel Foucault entwickelt Agamben eine Philosophie von rechtsfreien Räumen und der Reduzierung von Menschen auf ihr „nacktes Leben“ (als Beispiel dienen ihm vor allem die nationalsozialistischen Konzentrationslager). Demnach streben die Mächtigen seit der Antike nicht nur die Kontrolle der Individuen als gesellschaftliche Wesen an, sondern auch die Vereinnahmung ihres biologischen Lebens. Die Folge ist eine latente, für ständig wachsende Teile der Weltbevölkerung auch offene, staatsrechtlich erzwungene Spaltung der Existenz in Mensch und Zugehörigkeit. Wie vor ihm Walter Benjamin, Jacob Taubes und Jacques Derrida erkennt Agamben ihre konsequenteste Ausformung in der Freund-Feind-Dichotomie im "Begriff des Politischen" von Carl Schmitt.


Die Figur des Homo Sacer aus dem römischen Recht dient als Konfiguration dieser Unterscheidung zwischen bios und zoé. Als ständiger Begleiter des christlichen Abendlandes wandert der Homo Sacer durch die Jahrhunderte westlicher Geschichte. Agamben hält sich an den Doppelsinn des Worts Sacer: heilig und ausgestoßen (vogelfrei), und erkennt in diesem Konzept einen rechtsfreien Raum, der nicht erst mit der Ausstoßung des „bloßen“, des fremden und des anderen Lebens beginnt, sondern in die Geschichte der westlichen Selbsterfahrung eingeschrieben ist.
Die Figur des Homo Sacer aus dem römischen Recht dient als Konfiguration dieser Unterscheidung zwischen bios und zoé. Als ständiger Begleiter des christlichen Abendlandes wandert der Homo Sacer durch die Jahrhunderte westlicher Geschichte. Agamben hält sich an den Doppelsinn des Worts Sacer: heilig und ausgestoßen (vogelfrei), und erkennt in diesem Konzept einen rechtsfreien Raum, der nicht erst mit der Ausstoßung des „bloßen“, des fremden und des anderen Lebens beginnt, sondern in die Geschichte der westlichen Selbsterfahrung eingeschrieben ist.
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