Gezielte Tötung ist die deutsche Übersetzung des Ausdrucks Targeted Killing. Eingeführt wurde der - auch heute noch vor allem im Zusammenhang mit dem "War on Terror" benutzte - Begriff zur Bezeichnung der "Israeli policy of intentionally killing individuals who are on their way to commit a terrorist attack or those who are behind such attacks" (David 2002). Die auch von den USA für erlaubt gehaltene und im Kampf gegen den Terrorismus praktizierte Taktik wird international vor allem unter den Gesichtspunkten der Effektivität und der Legalität diskutiert. Darüber hinaus werden auch personenbezogene Fragen behandelt, wie etwa diejenige, wie es möglich ist, "normale junge Leute" zum gezielten Töten zu erziehen, bzw. inwiefern Scharfschützen unter Schuldgefühlen, post-traumatischem Stress oder anderen psychischen Problemen leiden.


Effektivität

Die Taktik der gezielten Tötung gilt als effektiv. Sie eliminiert gefährliche Individuen und verbreitet Schrecken in der personalen, organisatorischen und politischen Umgebung des Getöteten. Wenn der Anführer einer politischen Gruppe getötet wird - und seine Nachfolger im Amt ebenfalls - dann wird die Aussicht auf die Nachfolge von getöteten Führungspersonen im Laufe der Zeit unter Umständen unattraktiv. Letztlich kann die Taktik zwar vorübergehend unter Umständen den Zusammenhalt der betroffenen Gruppe stärken, von einem gewissen Punkt an dürfte aber die zerstörerische Folge von gezielten Tötungen überwiegen.

Legalität

Erziehung zum Töten

Der Militärpsychologe David Grossman (1995; 1999) - Erfinder des Begriffs "Killologie" (als Bezeichnung für die wissenschaftliche Erforschung des destruktiven Akts, bzw. für die Lehre von der Erziehung zum Töten in Militär und Gesellschaft) - geht davon aus, dass Menschen einen biologisch machtvollen Widerstand gegen den Akt des Tötens besitzen. Wenn Soldaten nicht speziell geschult würden, dann würden sie - wie im Zweiten Weltkrieg geschehen - selbst im Ernstfall nur in 10 bis 15 Prozent der Fälle auf einen gut sichtbar exponierten Feind schießen. Auch aufgrund dieser Erfahrung habe man in den USA vier effektive Mechanismen entwickelt, um das Töten zu trainieren:

  • (1) Brutalisierung und Desensibilisierung (z.B. militärische Grundausbildung, sog. bootcamp): "Brutale Ausbilder überzeugen die jungen Soldaten davon, dass sie in eine dunkle, grausame Welt eintreten. Und dass darin nur überleben kann, wer Gewalt akzeptiert."
  • (2) Klassische Konditionierung (unmittelbare Verknüpfung von Tod und Leid mit Vergnügen und Belohnung; heute weitgehend abgelöst durch operante Konditionierung)
  • (3) Operante Konditionierung (Töten wird durch Zielscheiben mit menschlichen Silhouetten und häufige Wiederholung unmittelbarer Gratifikationen - Umfallen der Zielscheibe - zu automatischem Verhalten gemacht, das etwa die individuelle Schussrate in Vietnam auf 90 Prozent anhob)
  • (4) Attraktive Rollenmodelle sprechen das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung (Heldenstatus) an.


Psychische Belastungen der Akteure

Abgrenzung zur Hinrichtung

Der Begriff bezeichnet eine hinrichtungsartige Tötung durch staatliche Stellen, die sich von einer Hinrichtung in Ausführung einer Todesstrafe jedoch in manchem unterscheidet. Hinrichtungen sind Strafen für begangene Taten, sind also repressiv. Gezielte Tötungen sind Liquidierungen zur Verhinderung künftiger Taten, sind also präventiv. Hinrichtungen vollziehen ein gerichtliches Urteil und sind Teil der rechtsprechenden Gewalt. Gezielte Tötungen vollziehen eine ohne Einschaltung der Justiz zustande gekommene Entscheidung der Exekutive, d.h. der Regierung. Unmittelbar ausgeführt werden Hinrichtungen von Henkern an dafür vorgesehenen Hinrichtungsstätten (z.B. innerhalb von Gefängnisgebäuden), gezielte Tötungen hingegen von Angehörigen der Polizei, des Militärs und/oder der Geheimdienste im Umfeld des Betroffenen (im Wohnhaus, im Straßenverkehr). Diese Vorgehensweise bringt es mit sich, dass nicht nur die Zielperson getötet wird, sondern häufig auch weitere Personen in Mitleidenschaft gezogen werden. Hinrichtungen werden gegenüber "gewöhnlichen" und gegenüber "politischen" Tätern durchgeführt, gezielte Tötungen hingegen gelten als Mittel gegen "Terroristen". , um dieser Taktik nicht von vornherein einen Beigeschmack der Illegitimität zu verleihen (wie z.B. bei "targeted assassination"). Vornehmlich im Zusammenhang mit dem "War on Terror" werden Praxis und Begriff der gezielten Tötung auch außerhalb der israelischen Politik benutzt. Sowohl Israel als auch die USA praktizieren gezielte Tötungen auch außerhalb ihres eigenen Staatsgebiets. All dies macht sie in rechtlicher, politischer und moralischer Hinsicht umstritten.


Einzelfälle

  • USA vs. Abu Laith al-Libi. Am 29. Januar 2008 tötete eine amerikanische Drohne den Al-Qaida-Führer nahe der pakistanischen Stadt Mir Ali in der Grenzprovinz Waziristan. Die FAZ schrieb dazu, dass es sich dabei um den "ersten größeren Erfolg des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA im Kampf gegen den Führungszirkel des Terrornetzes" gehandelt habe, der von amerikanischen Geheimdiensten und Streitkräften in dieser Gegend "schon lange" geführt werde, "ohne dass sie dazu die formale Erlaubnis Islamabads eingeholt hätten" (Rüb 2008).
  • Israel vs. Scheich Ahmed Yassin. Im März 2004 töteten die israelischen Streitkräfte das gelähmte geistige Oberhaupt der Hamas. Die BBC berichtete am 22.03.04: "Reports from the scene said Sheikh Yassin was being pushed in his wheelchair when he was directly hit by a missile."

Erlaubnisse und Verbote

  • In den USA erlaubt eine nach dem 11. September 2001 erlassene Verfügung von Präsident George W. der CIA die gezielte Tötung mit Hilfe unbemannter Drohnen: "Shortly after the attacks, Bush approved a 'presidential finding' that allowed the CIA to write a set of highly classified rules describing which individuals could be killed by CIA officers. Such killings were defined as self-defense in a global war against al Qaeda terrorists. The rules have been vetted by the White House, CIA and State Department lawyers. They allow CIA counterterrorism officials in the field to decide much more quickly when to fire, according to former intelligence officials involved in developing the rules."

Literatur

  • Cox, Edward L. (2008) The Legality of U.S. Targeted Killings in the War on Terror. aufgerufen am 14.06.08 unter http://blog.left-handedelephant.com/wp-content/uploads/2008/06/the-legality-of-targeted-killings.pdf
  • David, Steven R. (2002) Targeted Killing has its Place. Los Angeles Times, 25.07., S. 13.
  • Grossman, David (1995) On Killing: The Psychological Cost of Learning to Kill in War and Society
  • Grossman, David (1999) Warum töten wir? Kinder sind wie Soldaten: man kann sie lehren, Menschen umzubringen. Der Militärpsychologe Dave Grossman hält Videospiele für ein gutes Training. DIE ZEIT Nr. 39, 23. 09. 1999. Sektion "Leben", S. 5
  • Luft, Gal (2003) The Logic of Israel`s Targeted Killing. Middle East Quarterly 10. Winter aufgerufen am 08.06.08 unter: http://www.meforum.org/article/515
  • Melzer, Nils (2008) Targeted Killing in International Law. Oxford: Oxford University Press.
  • Nolte, Georg (2004) Vorbeugende Gewaltanwendung und gezielte Tötungen: der Weg in eine andere Rechtsordnung. In: Kai Ambos & Jörg Arnold, Hg.: Der Irak-Krieg und das Völkerrecht. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag, 303-321.
  • Priest, Dana (2005) Surveillance Operation in Pakistan Located and Killed Al Qaeda Official. Washington Post, 15. Mai 2005: A25. aufgerufen am 26.02.08: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2005/05/14/AR2005051401121.html
  • Rüb, Matthias (2008) Unbestrittener Treffer. FAZ 25.02.08: 12.
  • Romirowsky, Asaf (2006) Targeted Killings. FrontPageMazine.com. 21. Juli aufgerufen am 08.06.08 unter: http://www.meforum.org/article/980
  • Statman, Daniel (2004) "Targeted Killing," Theoretical Inquiries in Law: Vol. 5 : No. 1, Article 7. Available at: http://www.bepress.com/til/default/vol5/iss1/art7

Links

Filme

  • Kedar, Nurit (2004) One Shot. (deutscher Titel: Der Todesschuss). Die Regisseurin interviewte mehrere Scharfschützen der israelischen Armee. Der Film berichtet nur aus der Sicht der Scharfschützen, bzw. Heckenschützen, und enthält sich jeglichen Kommentars. Der Film lief am 16.10.04, 10.15 Uhr und am 17.10.04, 22.15 Uhr auf dem deutschen TV-Sender PHOENIX und wurde auf der Cologne Conference im Juni 2004 mit dem PHOENIX-Preis als bester Film der TopTen Nonfiction ausgezeichnet.