Friedrich Nietzsche

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Biographie und Werk

Friedrich Wilhelm Nietzsche wurde am 15.10.1844 in Röcken bei Lützen als Sohn eines Pastors geboren.
Noch vor seinem fünften Geburtstag verstarb der Vater.
Friedrich Nietzsche wuchs in einem von Frauen dominierten Haushalt auf (Mutter, Großmutter, zwei Tanten, Schwester – sein Bruder verstarb bereits zweijährig).
Die Familie zog vom Lande nach Naumburg an der Saale.
Bereits im Kindes – und Jugendalter beschäftigte sich Nietzsche intensiv mit Musik, Malerei, schrieb Gedichte und versuchte sich sogar fünfzehnjährig an einer Autobiographie.
Er besuchte die berühmte Schulanstalt Schulpforta und genoss dort eine umfassende klassische Bildung.
1864 begann er an der Universität zu Bonn mit dem Studium der klassischen Philologie (und anfangs auch der Theologie), zum dritten Semester wechselte er an die Universität Leipzig. Dort begegnete ihm die Philosophie und er las erstmals Werke Schopenhauers, welcher Nietzsche stark beeinflusste.
Durch theologische Vorlesungen wurden bei dem aus einem sehr frommen Elternhaus kommenden Nietzsche bereits erste Zweifel am Christentum gefördert.
1867 wurde er zum einjährigen Militärdienst berufen, welchen er bereits nach wenigen Monaten aufgrund von Krankheit abbrechen musste.
Erste Veröffentlichungen noch während des Studiums in Leipzig machten den jungen Wissenschaftler in der philologischen Fachwelt schnell bekannt. Noch vor Abschluss seiner Promotion wurde ihm eine außerordentliche Professur an der Universität Basel angetragen, welche er 1869 annahm.
Ende der 1860er Jahre entwickelte sich eine Freundschaft zu Richard Wagner, den Nietzsche anfangs zutiefst bewunderte, welcher ihn zeitlebens prägte und mit dessen Person und Werk er sich immer wieder intensiv auseinander setzte. Am Ende des Verhältnisses mit Wagner stand jedoch Entfremdung zueinander, schließlich auch der Bruch durch Nietzsche.
1872 veröffentlichte Nietzsche „Die Geburt der Tragödie, Oder: Griechentum und Pessimismus“. Dieses Werk markierte den Beginn seines eigenen Weges als Philosoph.
Erstmals richtete sich Nietzsche mit diesem Werke öffentlich gegen die christliche Kirche. Er spricht von Priestern als „böswilligen Zwergen“ und sieht im Christentum „nur eine andere Ausgeburt des sokratischen Geistes“.
Mit der Veröffentlichung der „Die Geburt der Tragödie“ büßte Nietzsche seine Reputation als Philologe ein, es gelang ihm nicht mehr, seinen alten Ruf als Wissenschaftler wiederherzustellen.
In den folgenden Jahren wandelte sich Nietzsche vom Philologen zum Kritiker seiner Zeit.
Anfang der 1870er Jahre begann er fortwährend an schlimmer werdenden Krankheiten zu leiden.
In den Jahren 1873 bis 1876 veröffentlichte er unter dem Titel „Unzeitgemäße Betrachtungen“ vier Werke, welche allerdings nicht zu seinen stärksten Zeugnissen gezählt werden.
1879 wurde er auf eigenen Wunsch und krankheitsbedingt von seiner Baseler Professur entpflichtet. Eine gewährte Pension ermöglichte es ihm, als freier Philosoph zu arbeiten.
1878/79 veröffentlichte Nietzsche seine Schriften „Menschliches Allzumenschliches“.
1883-1885 erschien „Also sprach Zarathustra“, ein in seiner Form neues und einmaliges Werk. Hier nahm Nietzsche nahezu alle bisherigen Gedanken wieder auf und orientierte diese an zwei neuen Leitbildern: Der Idee des Übermenschen und an dem Gedanken der ewigen Wiederkehr.
Im Jahre 1888 veröffentlichte Nietzsche sein letztes autobiographisches Werk „Ecce Homo“.

Nietzsches Philosophie wurde von den Faschisten ideologisch benutzt. Im Ausland wurde er teilweise kritisch als Wegbereiter des Dritten Reich betrachtet. Dennoch wurde Nietzsche auch immer wieder durch ausländische oder ins Ausland emigrierte Autoren gegen nationalsozialistisch verfälschte Darstellungen in Schutz genommen.

Im Januar 1889 brach Nietzsche zusammen und verfiel in geistige Umnachtung.
Über elf Jahre später, am 25.08.1900, starb er und wurde auf dem Friedhof zu Röcken beerdigt.

Nietzsche gilt bis heute als der größte Diagnostiker des europäischen Nihilismus.


Kriminologisch relevante Betrachtung Nietzsches

Nietzsche hinterließ zwar keine ausgearbeitete Systematik von Recht, Verbrechen und Strafe, dennoch aber Gedanken und Hinweise darüber :

Friedrich Nietzsche glaubte stets, dass die Welt anders sei, als sie uns erscheine. Die Auffassung, die Wirklichkeit habe aber dennoch „an sich“ einen tieferen Sinn, wich später der Annahme, dass diese keine eigene Bedeutung habe. Aus dieser Erkenntnis schlussfolgerte er, dass es keine gesetzgebenden Weltlenker und auch kein Jenseits gebe, dass die traditionellen Kategorien der Moralphilosophie sinnlos seien und weder „gut“ noch „böse“ an sich existiere, dass die als „böse“ bezeichnete Handlung aus Gründen der Selbsterhaltung begangen werde und „das Gute“ auf Konventionen beruhe.
„… das Fragezeichen einer immer gefährlicheren Neugierde. Kann man nicht alle Werte umdrehen? Und ist gut vielleicht böse? Und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels? Ist alles vielleicht im letzten Grunde falsch? Und wenn wir Betrogene sind, sind wir nicht eben dadurch auch Betrüger? Müssen wir nicht auch Betrüger sein?

Nietzsche leugnet die Verantwortung des Menschen für sein Handeln in einer an sich sinnlosen Welt:
„Niemand ist für seine Taten verantwortlich, niemand für sein Wesen; richten ist soviel als ungerecht sein. Dies gilt auch, wenn das Individuum über sich selbst richtet.“ Nietzsche spricht vom „Irrtum von der Verantwortlichkeit […,] welcher auf dem Irrtum von der Freiheit des Willens ruht“, man macht „der Reihe nach den Menschen für seine Wirkungen, dann für seine Handlungen, dann für seine Motive und endlich für sein Wesen verantwortlich“.

An einem geschichtlichem Beispiel stellt Nietzsche die Irrtümlichkeit der Schuldannahme fest: „Obschon die scharfsinnigsten Richter der Hexen und sogar die Hexen selber von der Schuld der Hexerei überzeugt waren, war die Schuld trotzdem nicht vorhanden. So steht es mit aller Schuld.“ Nietzsche sieht keinen Grund, einen Menschen zu bestrafen oder zu belohnen, vielmehr handele es sich lediglich um Rache.
Im Übrigen auch der Akt von Dankbarkeit stellt eine „milde Form der Rache“ dar, in welcher der Dankbare Macht demonstriert.
Nietzsche unterscheidet Rache in dreierlei Formen: Zum einen aus Furcht den abwehrenden Zurückschlag (auch ohne der Voraussetzung von Willensfreiheit) im Interesse des Selbstschutzes, zum zweiten das beabsichtigte Wehtun, um Ehre wiederherzustellen und zum dritten die Strafe.

Er schreibt über den Sinn von Strafe und spricht hierbei sowohl vom Zweck der Sicherung („Unschädlichmachen“), als auch von General- („Furcheinflössung“) und Spezialprävention („Verhinderung weiteren Schädigens“), wie auch von den Zwecken der Besserung und Vergeltung. Zur Strafe führt Nietzsche weiter aus, dass diejenigen, welche am meisten bestraft wurden (er wählt das Beispiel der Sklaven), „verächtliche Menschen [waren], und schließlich lag im Strafen etwas Beschimpfendes“.

Der Verbrecher wird von Nietzsche als „Brecher“ bezeichnet, da er sich als Vertragsbrüchiger gegen das Gemeinleben verhalten hat. „Der Verbrecher ist ein Schuldner, der die ihm erwiesenen Vortheile und Vorschüsse nicht nur nicht zurückzahlt, sondern sich sogar an seinem Gläubiger vergreift.“ Nietzsche schreibt, dass jede Handlung eines Menschen, und damit eben auch die verbrecherische Tat, die lebendige Entfaltung des Selbst und der Willen zur Macht sei. Daraus folge ebenso, dass jede Theorie, auch die von der Willensfreiheit, von Gut und Böse, von Gott, von Recht und Strafe, lediglich Ausdruck des Machtwillens sei.

Nietzsche beschäftigte sich der Frage, ob in der künftigen -staatenlosen- Gesellschaft noch Strafe existiere und kommt zu dem Schluss, dass es weiterhin „entartete“ oder „kranke“, jedenfalls schädigend wirkende Menschen gebe, bei denen Zwangsmaßnahmen als Notwehr weiterhin zulässig seien. Dem Verbrecher soll jedenfalls kein schlechtes Gewissen gemacht werden, er soll Gelegenheit haben, den angerichteten Schaden wieder gutzumachen, um in die Gesellschaft zurückzufinden. Der Unheilbare soll Gelegenheit zum Suizid haben. Insgesamt solle eine starke Gesellschaft ihre „Parasiten“ aber ertragen können. Der Gesellschaft vornehmster Luxus sei es, seine Schädiger straflos zu lassen.
Da der Stärkere sich durchsetzt, wertet Nietzsche die Verletzung von positivem Recht nicht negativ. Dies wird auch nicht durch die Rechtsordnung verhindert, welche ohnehin lediglich die Vormachtstellung der Machthalter zu stützen sucht.

Nietzsche geht von einem relativen Verbrechensbegriff aus: Inwieweit eine Handlung eine gute oder böse Tat darstelle, hänge vom Zeitgeist und den Umständen ab.
Nietzsche kritisiert die staatliche Strafe, da sie nur dem Schwachen helfe, welcher sich ansonsten nicht helfen könne. Der Starke mit dem Willen zur Eigenständigkeit jedoch werde geschwächt, da er seine Rechte nicht selbst wahrnehmen dürfe, obgleich er es könne.

Nietzsche gibt Alternativen zum Strafrecht: Gewaltfreier und privater Ausgleich im Sinne einer vergeltungsfreien Wiedergutmachung, Resozialisierung, Mediation, Erziehung, Heilen. Aber auch Sicherung und Selektion (präventiv schlägt er bei eugenischer Indikation die Kastration und Euthanasie bzw. Eliminierung von parasitären, besserungsunfähigen Rechtsbrechern vor).


Ausgewählte Literatur

zur Biographie

  • Frenzel, Ivo Friedrich Nietzsche in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten
    (Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 2000)
  • Rüdiger Safranski Nietzsche: Biographie seines Denkens (Spiegel-Verlag Hamburg 2006)

zur kriminologisch-relevanten Betrachtung

Friedrich Nietzsche
„Morgenröthe“, Kap. 202

„Menschliches“, 1. Band, Kap. 44 und 2. Band, 2. Abt., Kap. 33

„Menschliches Allzumenschliches“, 1. Band Kap.39

„Genealogie der Moral“, 2.Abhandlung, Nr. 9

„Die fröhliche Wissenschaft“, 3. Buch, Kap. 250

„Also sprach Zarathustra – Ein Buch für Alle und Keinen“, 1. Teil, „Vom bleichen Verbrecher“

Friedrich Nietzsche, Nachlaß, S. 463

Wolfgang Schild Zwischen triebhafter Rache und autonomer Selbstbestrafung. Die Dimensionen des Strafrechtsdenkens Friedrich Nietzsches
In: Nietzsche und das Recht(Herausgeber:Kurt Seelmann), ARST, Beiheft Nr. 77, Franz-Steiner-Verlag Stuttgart, 2001

Lukas Gschwend Nietzsche und die Strafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts
In: Nietzsche und das Recht (Herausgeber: Kurt Seelmann), ARST, Beiheft Nr. 77, Franz-Steiner-Verlag Stuttgart,2001

Walter Kaufmann Nietzsche: Philosoph, Psychologe, Antichrist
(aus dem Amerikanischen übersetzt von Jörg Salaquarda), Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1982

Günter Figal Nietzsche: Eine philosophische Einführung
Reclam Stuttgart, 1999

Henry Kerger Autorität und Recht im Denken Nietzsches
Duncker&Humblot Berlin, 1988