Franz Exner: Unterschied zwischen den Versionen

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== Leben ==
== Leben ==
Exner stammte aus einer Gelehrtenfamilie. Seinen Vater [[Adolf Exner]], Rechtsprofessor (1841–1894), und dessen Schwester [[Marie Exner]] (Mutter des Zoologen und Nobelpreisträgers [[Karl von Frisch]]) verband eine tiefe Freundschaft mit [[Gottfried Keller]].<ref>Irmgard Smidt (Hrsg.): ''Aus Gottfried Kellers glücklicher Zeit: Der Dichter im Briefwechsel mit Marie Exner und Adolf Exner.'' Stäfa, Gut 1981 Berlin</ref> Sein Großvater [[Franz Serafin Exner]], Philosophieprofessor in Wien, war ein bedeutender österreichischer Schulreformer.
Exner stammte aus einer Gelehrtenfamilie. Seinen Vater [[Adolf Exner]], Rechtsprofessor (1841–1894), und dessen Schwester [[Marie Exner]] (Mutter des Zoologen und Nobelpreisträgers [[Karl von Frisch]]) verband eine tiefe Freundschaft mit [[Gottfried Keller]].<ref>Irmgard Smidt (Hrsg.): ''Aus Gottfried Kellers glücklicher Zeit: Der Dichter im Briefwechsel mit Marie Exner und Adolf Exner.'' Stäfa, Gut 1981 Berlin</ref> Sein Großvater [[Franz Serafin Exner]], Philosophieprofessor in Wien, war ein bedeutender österreichischer Schulreformer. Die Mitglieder der Familien Exner und Frisch trafen sich generationenübergreifend während der Sommerfrische in [[Brunnwinkl]].  


Nachdem er in seinen ersten vier Schuljahren privat unterrichtet worden war, besuchte Exner das „[[Schottengymnasium]]“ in Wien, das er im Jahre 1900 mit der [[Matura]] abschloss.<ref>Vgl. zu dieser und allen weiteren biographischen Details: Sebastian Scheerer und Doris Lorenz, ''Zum 125. Geburtstag von Franz Exner''. In: ''[[Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform]].'' 89 (2006), S. 436–454 und Andrea Elisabeth Sebald, ''Der Kriminalbiologe Franz Exner. Gratwanderung eines Wissenschaftlers durch die Zeit des Nationalsozialismus'', Frankfurt a.M. 2008.</ref>  
Nachdem er in seinen ersten vier Schuljahren privat unterrichtet worden war, besuchte Exner das „[[Schottengymnasium]]“ in Wien, das er im Jahre 1900 mit der [[Matura]] abschloss.<ref>Vgl. zu dieser und allen weiteren biographischen Details: Sebastian Scheerer und Doris Lorenz, ''Zum 125. Geburtstag von Franz Exner''. In: ''[[Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform]].'' 89 (2006), S. 436–454 und Andrea Elisabeth Sebald, ''Der Kriminalbiologe Franz Exner. Gratwanderung eines Wissenschaftlers durch die Zeit des Nationalsozialismus'', Frankfurt a.M. 2008.</ref>  
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Rechtsphilosophisch vertrat Exner einen [[Utilitarismus|utilitaristischen]] Ansatz. Eine seiner Kernthesen ist es, dass [[Gerechtigkeit]] und [[Zweckmäßigkeit]] grundsätzlich zusammenfallen. Jedoch macht er einen zeitlichen Unterschied zwischen den beiden Begriffen aus: Das, was jetzt als „gerecht“ angesehen werde, sei früher vielleicht einmal als „bloß zweckmäßig“ betrachtet worden. Insofern sei das, was heute als „gerecht“ gelte, das „Zweckmäßige“ von gestern.<ref>Vgl. Franz Exner: ''Über Gerechtigkeit im Strafmaß''. Tübingen 1920.</ref> Sofern das Strafrecht auf moralische Vorstellungen zurückgreife, dürfe es dies ebenfalls niemals aus bloß moralischen Gründen, sondern aus „Zweckmäßigkeitserwägungen“ tun, da ein Strafrecht, das die moralischen Ansichten der Gesellschaft ignoriere, mangels gesellschaftlicher Akzeptanz nicht genügend „zweckmäßig“ sein könne.<ref>Vgl. Franz Exner: ''Strafrecht und Moral''. In: ''44. Jahrbuch der Gefängnisgesellschaft der Provinz Sachsen und Anhalt.'' 1928, S. 29.</ref> Insofern konsequent, vertrat Exner eine rein [[Kriminalprävention|präventionistische]] (genauer: generalpräventive) [[Straftheorie]] und lehnte jeden begrifflichen Zusammenhang zwischen [[Strafe]] und [[Vergeltung]] ab.<ref>Franz Exner: ''Die Theorie der Sicherungsmittel''. Berlin 1914, S. 25 ff.</ref> Diese straftheoretische Position, für die er spätestens seit 1912 eingetreten war,<ref>Vgl. hierzu Exners Aufsatz ''Was ist Kriminalpolitik''. In: ''Österreichische Zeitschrift für Strafrecht.'' 1912, S. 275–282.</ref> vertrat Exner unbeschadet aller politischen Systemwechsel durchgängig bis zum Ende seines Lebens.<ref>Letztmalig explizit in diesem Sinne Exner: ''Sinnwandel in der neuesten Entwicklung der Strafe''. In: ''Festschrift für Eduard Kohlrausch''. 1944, S. 24–43.</ref>
Rechtsphilosophisch vertrat Exner einen [[Utilitarismus|utilitaristischen]] Ansatz. Eine seiner Kernthesen ist es, dass [[Gerechtigkeit]] und [[Zweckmäßigkeit]] grundsätzlich zusammenfallen. Jedoch macht er einen zeitlichen Unterschied zwischen den beiden Begriffen aus: Das, was jetzt als „gerecht“ angesehen werde, sei früher vielleicht einmal als „bloß zweckmäßig“ betrachtet worden. Insofern sei das, was heute als „gerecht“ gelte, das „Zweckmäßige“ von gestern.<ref>Vgl. Franz Exner: ''Über Gerechtigkeit im Strafmaß''. Tübingen 1920.</ref> Sofern das Strafrecht auf moralische Vorstellungen zurückgreife, dürfe es dies ebenfalls niemals aus bloß moralischen Gründen, sondern aus „Zweckmäßigkeitserwägungen“ tun, da ein Strafrecht, das die moralischen Ansichten der Gesellschaft ignoriere, mangels gesellschaftlicher Akzeptanz nicht genügend „zweckmäßig“ sein könne.<ref>Vgl. Franz Exner: ''Strafrecht und Moral''. In: ''44. Jahrbuch der Gefängnisgesellschaft der Provinz Sachsen und Anhalt.'' 1928, S. 29.</ref> Insofern konsequent, vertrat Exner eine rein [[Kriminalprävention|präventionistische]] (genauer: generalpräventive) [[Straftheorie]] und lehnte jeden begrifflichen Zusammenhang zwischen [[Strafe]] und [[Vergeltung]] ab.<ref>Franz Exner: ''Die Theorie der Sicherungsmittel''. Berlin 1914, S. 25 ff.</ref> Diese straftheoretische Position, für die er spätestens seit 1912 eingetreten war,<ref>Vgl. hierzu Exners Aufsatz ''Was ist Kriminalpolitik''. In: ''Österreichische Zeitschrift für Strafrecht.'' 1912, S. 275–282.</ref> vertrat Exner unbeschadet aller politischen Systemwechsel durchgängig bis zum Ende seines Lebens.<ref>Letztmalig explizit in diesem Sinne Exner: ''Sinnwandel in der neuesten Entwicklung der Strafe''. In: ''Festschrift für Eduard Kohlrausch''. 1944, S. 24–43.</ref>


=== Franz Exner und die amerikanische Kriminologie===
Skizze:
* Exner unternham im Sommersemester 1934 eine mehrmonatige Studienreise in die Vereinigten Staaten
* Exners Werk wurde - im Gegensatz zu demjenigen Edmund Mezgers - in amerikanischen Abhandlungen überwiegend positiv aufgenommen. Dies gilt auch für sein Lehrbuch "Kriminalbiologie", das die amerikanischen Rezensenten durch die Bank als ein für die Wissenschaft äußerst gewinnbringendes Buch erachteten, während Mezgers Monographie "Kriminalpolitik auf kriminologischer Grundlage" (1. Auflage 1934, 2. Auflage 1942, 3. Auflage 1944) als weniger wichtig erachtet wurde.
* Exner kannte sich im amerikanischen Schrifftum sehr detailliert aus, insbesondere auch im Vergleich zu Edmund Mezger
* Fragmentarische Rezeption amerikanischer Theoriediskussion: Lediglich dem Anlage-Umwelt-Schema nicht widersprechende Ansätze werden berücksichtigt, andere Ansätze (Lerntheorien, Sozialökologie, Kulturkonfiktthoerien, White-Collar-Crime) bleiben entweder unberücksichtigt oder werden auf das Anlage-Umwelt-Schema "zurückgestutzt".
* Klare Favorisierung der "anwendungsfähigen" Ansätze, insbesondere der amerikanischen Prognoseforschungen (Burgess, aber auch Glueck). Diese wurden von Exner und einigen seiner Schüler mittels mehrerer Veröffentlichungen auf deutsche Verhältnisse zu übertragen versucht.
=== Exners Wirken im Nationalsozialismus ===
=== Exners Wirken im Nationalsozialismus ===
==== Allgemeines ====
==== Allgemeines ====
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== Zitate Franz Exners ==
== Zitate Franz Exners ==
* '''Exner als Kriminalsoziologe, 1926''' (aus „Krieg und Kriminalität“, S. 14):{{Zitat|''Der Krieg war die denkbar stärkste Bestätigung dafür, welch überwiegenden Einfluß die äußeren Verhältnisse, die ökonomischen Bedingungen, kurz gesagt das Milieu auf die Verbrechensentwicklung hat, denn kriminalistisch betrachtet war der Krieg nichts anderes, als eine rasante Milieuverschiebung mit ebenso riesenhaften kriminellen Folgen. Wir erkennen daraus, daß die beste Kriminalpolitik stets eine gute Sozialpolitik sein wird.''}}
'''Exner als Kriminalsoziologe''', 1926 (aus „Krieg und Kriminalität“, S. 14):


* '''Exner als Kriminalanthropologe, 1939''' (aus „Volkscharakter und Verbrechen“, S. 412):{{Zitat|''Wenn das'' (Exner hatte zuvor auf seiner Ansicht nach „rassischen“ Unterschiede der Bevölkerungen Nord- und Süditaliens verwiesen) ''richtig ist, erledigen sich damit wohl die früher betonten Beziehungen zum Klima. Es handelt sich eben um biologisch verschiedenartige Menschen mit sozial verschiedenartigem Verhalten.''}}
::''„Der Krieg war die denkbar stärkste Bestätigung dafür, welch überwiegenden Einfluß die äußeren Verhältnisse, die ökonomischen Bedingungen, kurz gesagt das Milieu auf die Verbrechensentwicklung hat, denn kriminalistisch betrachtet war der Krieg nichts anderes, als eine rasante Milieuverschiebung mit ebenso riesenhaften kriminellen Folgen. Wir erkennen daraus, daß die beste Kriminalpolitik stets eine gute Sozialpolitik sein wird.''


* '''Exner als Antisemit<ref>In der dritten Auflage seines Hauptwerkes, die posthum 1949 erschien, hatte Exner diese Passagen kommentarlos entfernt. Eine Erklärung hierfür wurde von der kriminologiehistorischen Forschung bislang noch nicht erbracht.</ref>, 1944''' (aus „Kriminalbiologie“, 2. Aufl., S. 58 f.):{{Zitat|''So hat die Straffälligkeit der Juden einige sehr deutliche Wesensmerkmale, und die Frage kann nur sein: Sind sie auf die Rasseeigenheiten des Juden zurückzuführen? Es ist dies von manchen verneint worden […] . In der Tat stimmt das Gesamtbild der jüdischen Straffälligkeit ganz auffallend mit den Grundzügen des jüdischen Wesens überein. Wie die Juden sich in ihrem sozialen Verhalten mehr mit dem Kopf als mit der Hand betätigen, so ist es auch in ihrem antisozialen Verhalten. […] Für die Annahme einer rassisch bedingten Kriminalität der Juden spricht auch der Umstand, daß die Juden in anderen Ländern ein ähnliche Straffälligkeit zu zeigen scheinen.''}}
'''Exner als Kriminalanthropologe''', 1939 (aus „Volkscharakter und Verbrechen“, S. 412):


* '''Exner als Kritiker Lombrosos, 1944''' (aus „Kriminalbiologie“, 2. Aufl., S. 151 f.): {{Zitat|''Lombroso und seine Nachfolger sind […] zur Annahme eines anthropologischen Typus „Verbrecher“ gelangt. – Ein gut Teil dieser Beobachtungen hat einer Nachprüfung nicht standgehalten. […] Der Begriff des Verbrechens entstammt der Wertwelt des Menschen, sein Inhalt wechselt nach Völkern und Zeiten. Daher ist es schlechthin unmöglich, Allgemeingültiges über den Körperbau „des Verbrechers“ auszusagen. […] So sagt denn auch v. Rohden, daß „heutzutage so gut wie nichts von Lombrosos Verbrechermorphologie übrig geblieben ist“.}}
::''„Wenn das (Exner hatte zuvor auf seiner Ansicht nach „rassischen“ Unterschiede der Bevölkerungen Nord- und Süditaliens verwiesen) richtig ist, erledigen sich damit wohl die früher betonten Beziehungen zum Klima. Es handelt sich eben um biologisch verschiedenartige Menschen mit sozial verschiedenartigem Verhalten.“''
 
'''Exner als Antisemit''', 1944 (aus „Kriminalbiologie“, 2. Aufl., S. 58 f.):
 
::''„So hat die Straffälligkeit der Juden einige sehr deutliche Wesensmerkmale, und die Frage kann nur sein: Sind sie auf die Rasseeigenheiten des Juden zurückzuführen? Es ist dies von manchen verneint worden […] . In der Tat stimmt das Gesamtbild der jüdischen Straffälligkeit ganz auffallend mit den Grundzügen des jüdischen Wesens überein. Wie die Juden sich in ihrem sozialen Verhalten mehr mit dem Kopf als mit der Hand betätigen, so ist es auch in ihrem antisozialen Verhalten. […] Für die Annahme einer rassisch bedingten Kriminalität der Juden spricht auch der Umstand, daß die Juden in anderen Ländern ein ähnliche Straffälligkeit zu zeigen scheinen.“''
 
'''Exner als Kritiker Lombrosos''', 1944 (aus „Kriminalbiologie“, 2. Aufl., S. 151 f.):
 
::''„Lombroso und seine Nachfolger sind […] zur Annahme eines anthropologischen Typus „Verbrecher“ gelangt. – Ein gut Teil dieser Beobachtungen hat einer Nachprüfung nicht standgehalten. […] Der Begriff des Verbrechens entstammt der Wertwelt des Menschen, sein Inhalt wechselt nach Völkern und Zeiten. Daher ist es schlechthin unmöglich, Allgemeingültiges über den Körperbau „des Verbrechers“ auszusagen. […] So sagt denn auch v. Rohden, daß „heutzutage so gut wie nichts von Lombrosos Verbrechermorphologie übrig geblieben ist“.“''*


== Werke ==
== Werke ==
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== Literatur ==
== Literatur ==
=== Über Franz Exner ===
=== Über Franz Exner ===
* {{NDB|4|700|700|Exner, Franz|Edmund Mezger}}
* Karl Peters: ''Franz Exner''. In: Ferdinand Elsener (Hrsg.): ''Lebensbilder zur Geschichte der Tübinger Juristenfakultät''. Tübingen 1977, S. 153–164.
* Karl Peters: ''Franz Exner''. In: Ferdinand Elsener (Hrsg.): ''Lebensbilder zur Geschichte der Tübinger Juristenfakultät''. Tübingen 1977, S. 153–164.
* Ina Pfennig: ''Kriminalbiologie im Nationalsozialismus – Das Beispiel Franz Exner''. In: Hermann Nehlsen, Georg Brun (Hrsg.): ''Münchner rechtshistorische Studien zum Nationalsozialismus''. Frankfurt a. M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1996, S. 225–255.
* Ina Pfennig: ''Kriminalbiologie im Nationalsozialismus – Das Beispiel Franz Exner''. In: Hermann Nehlsen, Georg Brun (Hrsg.): ''Münchner rechtshistorische Studien zum Nationalsozialismus''. Frankfurt a. M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1996, S. 225–255.
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[[Kategorie:Kriminologe]]
[[Kategorie:Rechtswissenschaftler (20. Jahrhundert)]]
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[[Kategorie:Österreicher]]
[[Kategorie:Österreicher]]
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Kriminologe (20. Jahrhundert)]]
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[[Kategorie:Geboren 1881]]
[[Kategorie:Gestorben 1947]]