Franz Exner: Unterschied zwischen den Versionen

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Neukantianisch beeinflusst ist insbesondere Exners Bestehen auf einer fundamentalen Sein-Sollen-Dichotomie, derzufolge aus einem „Sein“ niemals ein „Sollen“ abgeleitet werden könne. Diese Grundthese Exners impliziert zugleich eine methodologische Eigenständigkeit der Kriminologie (Wissenschaft von dem, „was ist“) gegenüber der Strafrechtswissenschaft (Wissenschaft von dem, „was sein soll“).[14] Ausdrücklich berief sich Exner in diesem Zusammenhang auf die Wissenschaftslehre des Neukantianers Heinrich Rickert: Als eine nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten strebende Wissenschaft sei die Kriminologie im Sinne Rickerts eine nomothetische (an naturwissenschaftlichen Erkenntnisprinzipien orientierte) Disziplin.[15]
Neukantianisch beeinflusst ist insbesondere Exners Bestehen auf einer fundamentalen Sein-Sollen-Dichotomie, derzufolge aus einem „Sein“ niemals ein „Sollen“ abgeleitet werden könne. Diese Grundthese Exners impliziert zugleich eine methodologische Eigenständigkeit der Kriminologie (Wissenschaft von dem, „was ist“) gegenüber der Strafrechtswissenschaft (Wissenschaft von dem, „was sein soll“).[14] Ausdrücklich berief sich Exner in diesem Zusammenhang auf die Wissenschaftslehre des Neukantianers Heinrich Rickert: Als eine nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten strebende Wissenschaft sei die Kriminologie im Sinne Rickerts eine nomothetische (an naturwissenschaftlichen Erkenntnisprinzipien orientierte) Disziplin.[15]


Explizit knüpfte Exner an die Wissenschaftslehre Max Webers an. Sein Ziel war es, dessen Methode einer „verstehenden Soziologie“ auf die Kriminalsoziologie und -psychologie zu übertragen.[16] Er betrachtete es daher als die wichtigste Aufgabe der Kriminologie, „ein Verbrechen einfühlend zu verstehen“, indem sie den subjektiven Sinn erfasse, den der Täter seinem Verbrechen beigelegt habe.[17]
Explizit knüpfte Exner an die Wissenschaftslehre Max Webers an. Sein Ziel war es, dessen Methode einer „verstehenden Soziologie“ auf die Kriminalsoziologie und -psychologie zu übertragen.[16] Er betrachtete es daher in seinem Lehrbuch als die wichtigste Aufgabe der Kriminologie, „ein Verbrechen einfühlend zu verstehen“, indem sie den subjektiven Sinn erfasse, den der Täter seinem Verbrechen beigelegt habe.[17] Auch anderenorts lehnte sich Exner an verschiedene Gedanken Max Webers an, insbesondere auch an dessen Unterscheidung zwischen "traditionalem" und "rationalem" Handeln (in der ''Studie über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte'', vgl. oben im Text). Die diesbezüglichen Bemühungen Exners blieben jedoch auf halbem Wege stecken. Ganze Bereiche der "verstehenden Soziologie", so insbesondere die für diese grundlegende [[Idealtypus|idealtypische Betrachtungsweise]], wurden von Exner überhaupt nicht rezipiert.


Die Bezugnahme Exners auf neukantianische Grundthesen war zur Zeit des Nationalsozialismus im deutschsprachigen Raum nahezu singulär:[18] Die Mehrheit der nationalsozialistischen Rechtstheoretiker (explizit insbesondere [[Hans Welzel]], Karl Larenz und [[Georg Dahm]]) verwarfen die Philosophie des Neukantianismus mit der Begründung, dass das „Wesen der deutschen Volksgemeinschaft“ (also ihr „Sein“) mit ihrer Ordnung (also einem „Sollen“) verwachsen sei. Eine Trennung zwischen „Sein und Sollen“ war ihrer Ansicht nach daher als „undeutsch“ und künstlich abzulehnen.[19]
Die Bezugnahme Exners auf neukantianische Grundthesen war zur Zeit des Nationalsozialismus im deutschsprachigen Raum nahezu singulär:[18] Die Mehrheit der nationalsozialistischen Rechtstheoretiker (explizit insbesondere [[Hans Welzel]], Karl Larenz und [[Georg Dahm]]) verwarfen die Philosophie des Neukantianismus mit der Begründung, dass das „Wesen der deutschen Volksgemeinschaft“ (also ihr „Sein“) mit ihrer Ordnung (also einem „Sollen“) verwachsen sei. Eine Trennung zwischen „Sein und Sollen“ war ihrer Ansicht nach daher als „undeutsch“ und künstlich abzulehnen.[19]


Rechtsphilosophisch vertrat Exner einen utilitaristischen Ansatz. Eine seiner Kernthesen ist es, dass Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit grundsätzlich zusammenfallen. Jedoch macht er einen zeitlichen Unterschied zwischen den beiden Begriffen aus: Das, was jetzt als „gerecht“ angesehen werde, sei früher vielleicht einmal als „bloß zweckmäßig“ betrachtet worden. Insofern sei das, was heute als „gerecht“ gelte, das „Zweckmäßige“ von gestern.[20] Sofern das Strafrecht auf moralische Vorstellungen zurückgreife, dürfe es dies ebenfalls niemals aus bloß moralischen Gründen, sondern aus „Zweckmäßigkeitserwägungen“ tun, da ein Strafrecht, das die moralischen Ansichten der Gesellschaft ignoriere, mangels gesellschaftlicher Akzeptanz nicht genügend „zweckmäßig“ sein könne.[21] Insofern konsequent, vertrat Exner eine rein präventionistische (genauer: [[Generalprävention|generalpräventive]]) [[Straftheorie]] und lehnte jeden begrifflichen Zusammenhang zwischen Strafe und [[Vergeltung]] ab.[22] Diese straftheoretische Position, für die er spätestens seit 1912 eingetreten war,[23] vertrat Exner unbeschadet aller politischen Systemwechsel durchgängig bis zum Ende seines Lebens.[24]
Rechtsphilosophisch vertrat Exner einen utilitaristischen Ansatz. Eine seiner Kernthesen ist es, dass Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit grundsätzlich zusammenfallen. Jedoch macht er einen zeitlichen Unterschied zwischen den beiden Begriffen aus: Das, was jetzt als „gerecht“ angesehen werde, sei früher vielleicht einmal als „bloß zweckmäßig“ betrachtet worden. Insofern sei das, was heute als „gerecht“ gelte, das „Zweckmäßige“ von gestern.[20] Sofern das Strafrecht auf moralische Vorstellungen zurückgreife, dürfe es dies ebenfalls niemals aus bloß moralischen Gründen, sondern aus „Zweckmäßigkeitserwägungen“ tun, da ein Strafrecht, das die moralischen Ansichten der Gesellschaft ignoriere, mangels gesellschaftlicher Akzeptanz nicht genügend „zweckmäßig“ sein könne.[21] Insofern konsequent, vertrat Exner eine rein präventionistische (genauer: [[Generalprävention|generalpräventive]]) [[Straftheorie]] und lehnte jeden begrifflichen Zusammenhang zwischen Strafe und [[Vergeltung]] ab.[22] Diese straftheoretische Position, für die er spätestens seit 1912 eingetreten war,[23] vertrat Exner unbeschadet aller politischen Systemwechsel durchgängig bis zum Ende seines Lebens.[24]
===Exner und die amerikanische Kriminologie===
===Exner und die amerikanische Kriminologie===


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