Franz Exner: Unterschied zwischen den Versionen

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Endgültig über den von Franz von Liszt gezogenen Rahmen hinaus begab sich Exner sodann mit der „Kriminalsoziologie im weiteren Sinne“. Intendiert war damit eine teilweise Abwendung des kriminalsoziologischen Untersuchungsprogramms von "Täter" hin zu einer  Beschäftigung mit den gesellschaftlichen und staatlichen Bezügen des Phänomens Kriminalität. Die Instanzen der sozialen Kontrolle und "die Gesellschaft" sollten gleichberechtigt mit dem Handeln "der Kriminellen" als kriminologische Objekte analysiert werden.   
Endgültig über den von Franz von Liszt gezogenen Rahmen hinaus begab sich Exner sodann mit der „Kriminalsoziologie im weiteren Sinne“. Intendiert war damit eine teilweise Abwendung des kriminalsoziologischen Untersuchungsprogramms von "Täter" hin zu einer  Beschäftigung mit den gesellschaftlichen und staatlichen Bezügen des Phänomens Kriminalität. Die Instanzen der sozialen Kontrolle und "die Gesellschaft" sollten gleichberechtigt mit dem Handeln "der Kriminellen" als kriminologische Objekte analysiert werden.   


Der „Soziologie der Verbrechensverfolgung“ fiel hierbei die Aufgabe einer empirischen Erforschung des Kriminaljustizsystems und der in ihm tätigen Personen (Richter, Staatsanwälte usw.) zu. Seine Studie über die "Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte" (1931) kann in diesem Zusammenhang auch als ein früher Beitrag zur kriminologischen [[Justizforschung]] angesehen werden. Aufgrund einer Analyse justizstatistischen Materials der Jahre 1880-1927 stellt Exner in dieser Studie für den Untersuchungszeitraum beträchtliche Veränderungen der verhängten Strafen und ein Auseinanderklaffen des gestzlichen und des richterlichen Strafmaßes fest. Die Unterschiede zwischen gesetzlicher und richterlicher Beurteilungsweise führt Exner darauf zurück, daß die richterliche Betrachtung im Gegensatz zur gesetzlichen moralisierend im Sinne einer Ethik des "alltäglichen Lebens sei". Anknüpfend an eine Ausdrucksweise Max Webers resümmiert Exner, das richterliche Handeln sei im wesentlichen "traditional, nicht rational".   
Der „Soziologie der Verbrechensverfolgung“ fiel hierbei die Aufgabe einer empirischen Erforschung des Kriminaljustizsystems und der in ihm tätigen Personen (Richter, Staatsanwälte usw.) zu. Seine Studie über die "Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte" (1931) kann in diesem Zusammenhang auch als ein früher Beitrag zur kriminologischen [[Justizforschung]] angesehen werden. Aufgrund einer Analyse justizstatistischen Materials der Jahre 1880-1927 stellte Exner in dieser Studie für den Untersuchungszeitraum beträchtliche Veränderungen der verhängten Strafen und ein Auseinanderklaffen des gesetzlichen und des richterlichen Strafmaßes fest. Die Unterschiede zwischen gesetzlicher und richterlicher Beurteilungsweise führte Exner darauf zurück, daß die richterliche Betrachtung im Gegensatz zur gesetzlichen moralisierend im Sinne einer Ethik des "alltäglichen Lebens sei". Anknüpfend an eine Ausdrucksweise Max Webers resümmierte Exner, das richterliche Handeln sei im wesentlichen "traditional, nicht rational".   


Darüber hinaus sollte eine „Soziologie der Verbrechensauffassung“ herausarbeiten, wie die „Gesellschaft“ das Verbrechen definiert und auf kriminelle Handlungen reagiere, um diese Betrachtungsweise der staatlichen Herangehensweise wissenschaftlich gegenüberstellen zu können.[12] Exner hatte dies in ersten Ansätzen bereits in seinem Aufsatz "Gesellschaftliche und Staatliche Strafjustiz" aus dem Jahre 1919 getan. Er war damals zu dem Ergebnis gekommen, daß sich die gesellschaftliche und die staatliche Beurteilung bestimmter Verbrechen (vor allem, aber nicht nur im Hinblick auf politische Delikte und Fahrlässigkeitstaten) teilweise erheblich voneinander unterschieden. Im Gegensatz zum Staat tendiere "die Gesellschaft" zu einer moralisierenden Vergeltungsjustiz. Sie achte viel mehr auf - für den staatlichen Strafanspruch mehr oder weniger gleichgültige - Details der inneren Einstellung zur Tat und stehe den politischen Verbrechern sogar teilweise wohlwollend gegenüber.     
Darüber hinaus sollte eine „Soziologie der Verbrechensauffassung“ herausarbeiten, wie die „Gesellschaft“ das Verbrechen beurteile und auf kriminelle Handlungen reagiere, um diese Betrachtungsweise der staatlichen Herangehensweise wissenschaftlich gegenüberstellen zu können.[12] Exner hatte dies in ersten Ansätzen bereits in seinem Aufsatz "Gesellschaftliche und Staatliche Strafjustiz" aus dem Jahre 1919 getan. Er war damals zu dem Ergebnis gekommen, daß sich die gesellschaftliche und die staatliche Beurteilung bestimmter Verbrechen (vor allem, aber nicht nur im Hinblick auf politische Delikte und Fahrlässigkeitstaten) teilweise erheblich voneinander unterschieden. Im Gegensatz zum Staat tendiere "die Gesellschaft" zu einer moralisierenden Vergeltungsjustiz. Sie achte viel mehr auf - für den staatlichen Strafanspruch mehr oder weniger gleichgültige - Details der inneren Einstellung zur Tat und stehe den politischen Verbrechern sogar teilweise wohlwollend gegenüber.     


Indem Exner der Kriminalsoziologie bereits Anfang der dreißiger Jahre ein solch weites Forschungsgebiet eröffnete, nahm er wichtige Teilforderungen der sich im deutschsprachigen Raum erst in den 1960er Jahren formierenden „[[Kritische Kriminologie|Kritischen Kriminologie]]“ und des [[Labelling Approach]] vorweg. Richard Wetzell zog daher den Schluss, dass Exner sich bereits damals der „teilweisen sozialen Konstruktion des Phänomens Kriminalität“ bewusst gewesen sein müsse.[13] Dieser Auffassung ist jedoch entgegenzuhalten, daß Exner auch weiterhin an einer kriminalpolitisch praktischen Anwendung seiner Forschungsergebnisse interessiert blieb. Die Kriminalsoziologie blieb für Exner Zeit seines Lebens eine - wenn auch weitgehend autonome - "Hilfswissenschaft des Strafrechts". Kritische Absichten sind somit auch Exners "weitem Verständnis von Kriminalsoziologie" nicht zu unterstellen.
Indem Exner der Kriminalsoziologie bereits Anfang der dreißiger Jahre ein solch weites Forschungsgebiet eröffnete, nahm er wichtige Teilforderungen der sich im deutschsprachigen Raum erst in den 1960er Jahren formierenden „[[Kritische Kriminologie|Kritischen Kriminologie]]“ und des [[Labelling Approach]] vorweg. Richard Wetzell zog daher den Schluss, dass Exner sich bereits damals der „teilweisen sozialen Konstruktion des Phänomens Kriminalität“ bewusst gewesen sein müsse.[13] Dieser Auffassung ist jedoch entgegenzuhalten, daß Exner auch weiterhin an einer kriminalpolitisch praktischen Anwendung seiner Forschungsergebnisse interessiert blieb. Die Kriminalsoziologie blieb für Exner Zeit seines Lebens eine - wenn auch weitgehend autonome - "Hilfswissenschaft des Strafrechts". Kritische Absichten sind somit auch Exners "weitem Verständnis von Kriminalsoziologie" nicht zu unterstellen.
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