Franz Exner: Unterschied zwischen den Versionen

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Exner fasste den Begriff der „Kriminalsoziologie“ − wie er ihn in seinem Aufsatz Kriminalsoziologie (1931) definierte – für die damalige Zeit überraschend weit.[10] Er stellte der „Kriminalsoziologie im engeren Sinne“ eine „Kriminalsoziologie im weiteren Sinne“ gegenüber:
Exner fasste den Begriff der „Kriminalsoziologie“ − wie er ihn in seinem Aufsatz Kriminalsoziologie (1931) definierte – für die damalige Zeit überraschend weit.[10] Er stellte der „Kriminalsoziologie im engeren Sinne“ eine „Kriminalsoziologie im weiteren Sinne“ gegenüber:


Bereits Exners Definition der „Kriminalsoziologie im engeren Sinne“ kann für die damalige Zeit als durchaus innovativ angesehen werden: Ihre Aufgabe sei es, das Verbrechen als eine gesellschaftliche Erscheinung zu beschreiben und in seiner  gesellschaflichen Bedingtheit zu erklären. [11] Diese Herangehensweise entsprach zwar dem Paradigma einer [[Ätiologie|ätiologischen]] (verursachungsgemäßen) Kriminologie. Vor Franz Exner hatte jedoch noch kein deutschsprachiger Kriminologe eine ähnliche, sich rein auf die gesellschaftlichen Ursachen der Kriminalität beziehende Definition der Kriminalsoziologie dargelegt. Franz von Liszt beispielsweise, der das Verbrechen ebenfalls bereits als eine "gesellschaftliche Erscheinung" bezeichnete, hatte unter Kriminalsoziologie noch eine Art Oberdisziplin unter Einschluß der Kriminalanthroplogie verstanden
Bereits Exners Definition der „Kriminalsoziologie im engeren Sinne“ kann für die damalige Zeit als durchaus innovativ angesehen werden: Ihre Aufgabe sei es, das Verbrechen als eine gesellschaftliche Erscheinung zu beschreiben und in seiner  gesellschaflichen Bedingtheit zu erklären. [11] Diese Herangehensweise entsprach zwar dem Paradigma einer [[Ätiologie|ätiologischen]] (verursachungsgemäßen) Kriminologie. Vor Franz Exner hatte jedoch noch kein deutschsprachiger Kriminologe eine ähnliche, sich rein auf die gesellschaftlichen Ursachen der Kriminalität beziehende Definition der Kriminalsoziologie dargelegt. Franz von Liszt beispielsweise, der das Verbrechen ebenfalls bereits als eine "gesellschaftliche Erscheinung" bezeichnete, hatte unter Kriminalsoziologie noch eine Art Oberdisziplin unter Einschluß der Kriminalanthroplogie verstanden.


Endgültig über den von Franz von Liszt gezogenen Rahmen hinaus begab sich Exner sodann mit der „Kriminalsoziologie im weiteren Sinne“. Diese (Sub-)Disziplin sollte zusätzlich auch die gesellschaftlichen und staatlichen Bezüge des Phänomens Kriminalität untersuchen. Der „Soziologie der Verbrechensverfolgung“ fiel hierbei die Aufgabe einer empirischen Erforschung des Kriminaljustizsystems und der in ihm tätigen Personen (Richter, Staatsanwälte usw.) zu. Darüber hinaus sollte eine „Soziologie der Verbrechensauffassung“ herausarbeiten, wie die „Gesellschaft“ das Verbrechen definiert und auf kriminelle Handlungen reagiert, um diese Betrachtungsweise der staatlichen Herangehensweise wissenschaftlich gegenüberstellen zu können.[12]
Endgültig über den von Franz von Liszt gezogenen Rahmen hinaus begab sich Exner sodann mit der „Kriminalsoziologie im weiteren Sinne“. Diese (Sub-)Disziplin sollte zusätzlich auch die gesellschaftlichen und staatlichen Bezüge des Phänomens Kriminalität untersuchen. Der „Soziologie der Verbrechensverfolgung“ fiel hierbei die Aufgabe einer empirischen Erforschung des Kriminaljustizsystems und der in ihm tätigen Personen (Richter, Staatsanwälte usw.) zu. Seine Studie über die "Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte" (1931) kann in diesem Zusammenhang auch als ein früher Beitrag zur kriminologischen [[Justizforschung]] angesehen werden. Darüber hinaus sollte eine „Soziologie der Verbrechensauffassung“ herausarbeiten, wie die „Gesellschaft“ das Verbrechen definiert und auf kriminelle Handlungen reagiert, um diese Betrachtungsweise der staatlichen Herangehensweise wissenschaftlich gegenüberstellen zu können.[12]


Indem Exner der Kriminalsoziologie bereits 1931 ein solch weites Forschungsgebiet eröffnete, nahm er wichtige Forderungen der sich im deutschsprachigen Raum erst in den 1960er Jahren formierenden „Kritischen Kriminologie“ und des Labeling Approach vorweg. Richard Wetzell zog daher den Schluss, dass Exner sich bereits damals der „teilweisen sozialen Konstruktion des Phänomens Kriminalität“ bewusst gewesen sein müsse.[13]
Indem Exner der Kriminalsoziologie bereits 1931 ein solch weites Forschungsgebiet eröffnete, nahm er wichtige Forderungen der sich im deutschsprachigen Raum erst in den 1960er Jahren formierenden „Kritischen Kriminologie“ und des Labeling Approach vorweg. Richard Wetzell zog daher den Schluss, dass Exner sich bereits damals der „teilweisen sozialen Konstruktion des Phänomens Kriminalität“ bewusst gewesen sein müsse.[13] Dieser Auffassung ist jedoch entgegenzuhalten, daß Exner auch weiterhin an einer kriminalpolitisch praktischen Anwendung seiner Forschungsergebnisse interessiert blieb. Die Kriminalsoziologie blieb für Exner Zeit seines Lebens eine - wenn auch weitgehend autonome - "Hilfswissenschaft des Strafrechts". Kritische Absichten sind somit auch Exners "weitem Verständnis von Kriminalsoziologie" nicht zu unterstellen.


Während der Herrschaft des Nationalsozialismus griff Exner auf diese weitreichenden Fragestellungen nicht mehr zurück. Die kriminalsoziologischen Kapitel seines 1939 erschienen Hauptwerkes „Kriminalbiologie“ beschränkten sich auf die ätiologischen Fragestellungen der „Kriminalsoziologie im engeren Sinne“.
Während der Herrschaft des Nationalsozialismus griff Exner auf diese weitreichenden Fragestellungen nicht mehr zurück. Die kriminalsoziologischen Kapitel seines 1939 erschienen Hauptwerkes „Kriminalbiologie“ beschränkten sich auf die ätiologischen Fragestellungen der „Kriminalsoziologie im engeren Sinne“.
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