Forensische Entomologie: Unterschied zwischen den Versionen

 
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==Postmortale Leichenliegezeitbestimmung==
==Postmortale Leichenliegezeitbestimmung==
Eine Leiche wird früher oder später von Insekten besiedelt und zersetzt. Zum Beispiel entwickeln sich aus abgelegten Fliegeneiern erst einmal Maden, die sich verpuppen und dann zu erwachsenen Fliegen werden, die ihrerseits wieder Eier legen usw. Um nun die Liegezeit einer Leiche zu bestimmen, benötigt man Informationen über Dauer und Verlauf insektenbedingter Leichenbesiedlung und Leichenzersetzung. Die ''„minimale Leichenliegezeitbestimmung“''trifft Aussagen darüber, wann die Leiche zum ersten Mal von Insekten besiedelt wurde.  
Eine Leiche wird früher oder später von Insekten besiedelt und zersetzt. Zum Beispiel entwickeln sich aus abgelegten Fliegeneiern erst einmal Maden, die sich verpuppen und dann zu erwachsenen Fliegen werden, die ihrerseits wieder Eier legen usw. Um nun die Liegezeit einer Leiche zu bestimmen, benötigt man Informationen über Dauer und Verlauf insektenbedingter Leichenbesiedlung und Leichenzersetzung. Die ''„minimale Leichenliegezeitbestimmung“'' trifft Aussagen darüber, wann die Leiche zum ersten Mal von Insekten besiedelt wurde.  




===Leichenfaune===
===Leichenfauna===
Es wird die Unterscheidung gemacht zwischen ''„nekrophage, nekrophile, omnivore und opportunistische Insekten“'' Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Insekten, die sich konkret von dem Leichengewebe ernähren. Nekrophile Insekten sind Räuber und Parasiten der ersteren Gruppe. Beispiele für Omnivoren sind Wespen, Ameisen und Käfer, die sich sowohl von dem Gewebe der Leiche als auch von den darauf befindlichen Insekten ernähren. Die letzte Gruppe der opportunistischen Insekten, wie beispielsweise Spinnen, benutzt den Leichnam lediglich mit.
Unterschieden werden nekrophage, nekrophile, omnivore und opportunistische Insekten. Für die forensische Entomologie sind die nekrophagen die wichtigsten, gefolgt von den nekrophilen. Nekrophag sind Insekten, die sich von Leichengewebe ernähren. Nekrophile Insekten sind Räuber und Parasiten der Nekrophagen. Beispiele für Omnivoren sind Wespen, Ameisen und Käfer, die sich sowohl von dem Gewebe der Leiche als auch von den darauf befindlichen Insekten ernähren. Opportunistische Insekten (z.B. Spinnen) benutzt den Leichnam lediglich mit.
 
Die ersten beiden Gruppen der nekrophagen und nekrophilen Insekten sind die beiden wichtigsten und aussagekräftigsten für die kriminalistische Fragestellung, weil sie unmittelbar mit der Leiche in Verbindung stehen und sich aus der Beobachtung dieser Gruppen die nützlichsten Informationen ziehen lassen. Bereiche zur Eiablagen sind vor allem natürliche Körperöffnungen wie Mund, Nase, Augen, Ohren und Genitalbereiche. Wenn Wunden vorhanden sind, dann werden diese bevorzugt besiedelt. Voraussetzung hierfür ist ihre Zugänglichkeit, was gleichzeitig eine Informationsquelle darstellt. Beim Eintreten des Falles, dass Insekten sich nicht in natürlichen Körperöffnungen finden, kann davon ausgegangen werden, dass Verletzungen vorhanden sind, die sie stattdessen genutzt haben. Aus dieser Information ergeben sich dann Tatsachen, die bezüglich des Todes dieser Person verwendet werden.
 
Bevor Maden sich verpuppen, verlassen sie zum Schutz die Leiche und hinterlassen meist sogenannte Kriechspuren, die von dem Körper wegführen und mit der Leichenflüssigkeit, die die Maden mit sich ziehen, erklärt werden. Aber auch Informationen, die mit dem Auftauchen von Insekten aus der Gruppe der Omnivoren können wichtige Erkenntnisse liefern, wie beispielsweise der Hinweis auf einen konkreten Täter.


Aus den Fundstellen von Insekten (bzw. Insekteneiern, Larven etc.) lassen sich u.U. wichtige Informationen über das Geschehen ableiten. Bevorzugte Bereiche zur Eiablagen sind vor allem natürliche Körperöffnungen wie Mund, Nase, Augen, Ohren und Genitalbereiche; allerdings werden Wunden, so vorhanden, bevorzugt besiedelt. Bevor Maden sich verpuppen, verlassen sie zum Schutz die Leiche und hinterlassen meist sogenannte Kriechspuren, die von dem Körper wegführen und mit der Leichenflüssigkeit, die die Maden mit sich ziehen, erklärt werden. Aber auch Informationen, die mit dem Auftauchen von Insekten aus der Gruppe der Omnivoren zusammenhängen, können wichtige Erkenntnisse liefern.


===Sukzession===
===Sukzession===
Mit Hilfe der Sukzession lassen sich die einzelnen Faktoren der Insektenbesiedlung zu einer Gesamtaussage bezüglich der Leiche, Liegezeit, etc. zusammenführen. Damit wird die „chronologische Abfolge des Auftretens von Arten bzw. Artengemeinschaften in einem sich verändernden Lebensraum“ beschrieben. In den ersten Wochen finden sich Fliegenmaden, vor allem Schmeißfliegen, die bereits nach wenigen Minuten oder Stunden ihre Eier ablegen. Mit zunehmender Verwesung kommen auch andere Fliegenfamilien hinzu, wie zum Beispiel Käsefliegen oder Buckelfliegen. Mit zunehmender Austrocknung bietet der Leichnam Raum für Speckkäfer und Raupen von Teppichmotten. Das sind Kriterien, mit deren Zuhilfenahme und der damit einhergehenden genauen Berechnungen der jeweiligen Zyklen Aussagen zur Liegezeit gemacht werden.
Als Sukzession bezeichnet man die zeitliche Abfolge des Auftretens von Arten bzw. Artengemeinschaften in einem sich verändernden Lebensraum. Die Analyse der zeitlichen Abfolge der Insektenbesiedlung kann wichtige Hinweise geben. In den ersten Wochen finden sich Fliegenmaden, vor allem Schmeißfliegen, die bereits nach wenigen Minuten oder Stunden ihre Eier ablegen. Mit zunehmender Verwesung kommen auch andere Fliegenfamilien hinzu, wie zum Beispiel Käsefliegen oder Buckelfliegen. Mit zunehmender Austrocknung bietet der Leichnam Raum für Speckkäfer und Raupen von Teppichmotten. Das sind Kriterien, mit deren Zuhilfenahme und der damit einhergehenden genauen Berechnungen der jeweiligen Zyklen Aussagen zur Liegezeit gemacht werden.
 


===Wohnungsleichen===
===Wohnungsleichen===
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Einer der wichtigsten Funde ist derjenige der Erzwespe Nasonia vitripennis. Diese Art legt ihre Eier in Puppen, die zwei bis drei Tage alt sind und lässt so, in Anbetracht der Berechnungen der Entwicklung der Puppen und der Wespen, auf eine Mindestliegedauer von 14 Tagen schließen.
Einer der wichtigsten Funde ist derjenige der Erzwespe Nasonia vitripennis. Diese Art legt ihre Eier in Puppen, die zwei bis drei Tage alt sind und lässt so, in Anbetracht der Berechnungen der Entwicklung der Puppen und der Wespen, auf eine Mindestliegedauer von 14 Tagen schließen.


==Sammlung und Lagerung==
==Sammlung und Lagerung==
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Es ist immer von der Möglichkeit auszugehen, dass die Leiche vor ihrem Auffinden an einem anderen Ort gelagert wurde oder bei ihrer Lagerung luftdicht abgeschlossen war. Wenn das angenommen wird, so ist zu bedenken, dass das Einschränkungen darstellt, wenn es darum geht zu bestimmen, wann der Tod eingetreten ist. Der Forscher hat keine Kenntnis darüber, wie die Bedingungen an einem eventuell vorhergehenden Lageort und die dementsprechende Besiedlung waren. Auch eine luftdichte Verpackung der Leiche muss in Betracht gezogen werden. Der Zugang für Insekten wäre also in diesem Fall verhindert und könnte erst ab einem späteren Zeitpunkt als Interpretationsmöglichkeit eingesetzt werden. Letztendlich lässt sich das durch die Tatsache in die Ergebnisse einordnen, dass man nur die minimale Leichenliegezeit bestimmen kann und keine Kenntnisse bezüglich vorhergehender Bedingungen und Faktoren einbezogen werden.
Es ist immer von der Möglichkeit auszugehen, dass die Leiche vor ihrem Auffinden an einem anderen Ort gelagert wurde oder bei ihrer Lagerung luftdicht abgeschlossen war. Wenn das angenommen wird, so ist zu bedenken, dass das Einschränkungen darstellt, wenn es darum geht zu bestimmen, wann der Tod eingetreten ist. Der Forscher hat keine Kenntnis darüber, wie die Bedingungen an einem eventuell vorhergehenden Lageort und die dementsprechende Besiedlung waren. Auch eine luftdichte Verpackung der Leiche muss in Betracht gezogen werden. Der Zugang für Insekten wäre also in diesem Fall verhindert und könnte erst ab einem späteren Zeitpunkt als Interpretationsmöglichkeit eingesetzt werden. Letztendlich lässt sich das durch die Tatsache in die Ergebnisse einordnen, dass man nur die minimale Leichenliegezeit bestimmen kann und keine Kenntnisse bezüglich vorhergehender Bedingungen und Faktoren einbezogen werden.
Die beste Voraussetzung für eine optimale Gewährleistung gesicherter Ergebnisse ist eine wissenschaftliche Vorgehensweise, die sich nach international gültigen Standards richtet und dabei die Probleme, die sich aus der Arbeit ergeben, reflektiert in die jeweiligen Aussagen einarbeitet. Vor allem ist aber immer davon auszugehen, dass die forensische Entomologie Informationen liefert, die eine grob gesehene Annäherung an den tatsächlichen Ablauf darstellen und keine 100 prozentige Sicherheit, dass ein Sachverhalt sich in einer bestimmten Weise zugetragen hat.


==Literatur==
==Literatur==
Amendt, J. 2007. Forensische Entomologie. In: Herrmann, B.; Saternus, K.-S. (Hrsg.) Kriminalbiologie. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag.
*Amendt, J. 2007. Forensische Entomologie. In: Herrmann, B.; Saternus, K.-S. (Hrsg.) Kriminalbiologie. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag.


Amendt, J.; Klotzbach, H.; Benecke, M.; Krettek, R.; Zehner, R. 2004. Forensische Entomologie, In: Rechtsmedizin 14: 127-140.
*Amendt, J.; Klotzbach, H.; Benecke, M.; Krettek, R.; Zehner, R. 2004. Forensische Entomologie, In: Rechtsmedizin 14: 127-140.


Benecke, M. 1998. Rechtsmedizinisch angewandte kerb- und spinnentier-kundliche Begutachtungen in Europa. Eine kurze Übersicht über Ursprünge und den aktuellen Stand der Forschung. In: Rechtsmedizin 8: 153-155.
*Benecke, M. 1998. Rechtsmedizinisch angewandte kerb- und spinnentier-kundliche Begutachtungen in Europa. Eine kurze Übersicht über Ursprünge und den aktuellen Stand der Forschung. In: Rechtsmedizin 8: 153-155.


Benecke, M. 2004. Besiedlung durch Gliedertiere. In: Brinkmann, B.; Madea, B. (Hrsg.) Handbuch gerichtliche Medizin. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag.
*Benecke, M. 2004. Besiedlung durch Gliedertiere. In: Brinkmann, B.; Madea, B. (Hrsg.) Handbuch gerichtliche Medizin. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag.


Klotzbach, H. 2005. Zufallserscheinungen und Insektenbesiedelung menschlicher Leichen in häuslicher Umgebung. Rekonstruktion der zeitlichen Abläufe im Hinblick auf die Todeszeitbestimmung bei längerer Leichenliegezeit. Habilitationsschrift
*Klotzbach, H. 2005. Zufallserscheinungen und Insektenbesiedelung menschlicher Leichen in häuslicher Umgebung. Rekonstruktion der zeitlichen Abläufe im Hinblick auf die Todeszeitbestimmung bei längerer Leichenliegezeit. Habilitationsschrift


Schröder, H.; Klotzbach, H.; Oesterhelweg, L.; Gehl, A.; Püschel, K. 2001. Artenspektrum und zeitliches Auftreten von Insekten an Wohnungsleichen im Großraum Hamburg. In: Rechtsmedizin 11: 59-63.
*Schröder, H.; Klotzbach, H.; Oesterhelweg, L.; Gehl, A.; Püschel, K. 2001. Artenspektrum und zeitliches Auftreten von Insekten an Wohnungsleichen im Großraum Hamburg. In: Rechtsmedizin 11: 59-63.
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