Ethik des Terrorismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Philosophische Überlegungen über die Möglichkeit einer Rechtfertigung von Terrorismus wirken zwar zunächst kontraintuitiv. Das schließt aber ihre Richtigkeit nicht aus. Mit solchen Überlegungen hat sich in letzter Zeit u.a. Uwe Steinhoff (2003) befasst. Er sieht im wesentlichen - teilweise unterstützt von anderen PhilosophInnen - zwei Rechtfertigungsmöglichkeiten.  
Philosophische Überlegungen über die Möglichkeit einer Rechtfertigung von Terrorismus wirken zwar zunächst kontraintuitiv. Das schließt aber ihre Richtigkeit nicht aus. Mit solchen Überlegungen hat sich in letzter Zeit u.a. Uwe Steinhoff (2003) befasst. Er sieht im wesentlichen - teilweise unterstützt von anderen PhilosophInnen - zwei Rechtfertigungsmöglichkeiten.  


(1) Ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa). Das wäre der Fall, wenn eine Partei, die überproportional viele Rechtsverletzungen zu erdulden hatte, nun ihrerseits in einer Übergangsperiode Rechtsverletzungen begeht, um die andere Seite zur Einstellung der Rechtsverletzungen zu bewegen. Eine derartige Angleichung der Rechtsverletzungen auf beiden Seiten wird von Virginia Held (1991) der Fortsetzung unilateraler Rechtsverletzungen jedenfalls im Falle vergleichbarer Schweregrade der Rechtsverletzungen vorgezogen: "If we must have rights violations, a more equitable distribution of such violations is better than a less equitable distribution" (Held 1991: 78). Die Unterdrückten müssen also eine zu ihren Ungunsten ungleiche Verteilung von Rechtsverletzungen nicht unbedingt ertragen, sondern könnten die Rechtsverletzungs-Bilanz auszugleichen versuchen, indem sie zwecks Beendigung ihres Erdulden-Müssens von Rechtsverletzungen selbst Rechtsverletzungen begehen. Wenn zum Beispiel eine überlegene Konfliktpartei andauernd Rechtsverletzungen begeht, die sich (zumindest auch) gegen Unschuldige richten, dann wäre eine Retaliation mittels des Begehens vergleichbarer Rechtsverletzungen unter Umständen zu rechtfertigen.  
(1) Ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa). Ausgleichende Gerechtigkeit könnte Rechtsverletzungen seitens einer unterlegenen Partei, die überproportional viele Rechtsverletzungen zu erdulden hatte, rechtfertigen, sofern diese z.B. ihrerseits Rechtsverletzungen begeht, um die andere Seite zur Einstellung der Rechtsverletzungen zu bewegen. Dass die unterlegene Partei eine Menge X von Rechtsverletzungen begeht, ist dann "gerechter", als wenn die überlegene Partei, die bereits die vorhergehenden Rechtsverletzungen beging, zu den bereits begangenen Rechtsverletzungen die Menge X von weiteren Rechtsverletzungen hinzufügte. In so einem Fall geht es nach dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit lediglich um eine ausgeglichene Verteilung der Rechtsverletzungen: "If we must have rights violations, a more equitable distribution of such violations is better than a less equitable distribution" (Held 1991: 78). Wenn zum Beispiel die Überlegenen in einem Konflikt andauernd Rechtsverletzungen begehen, die sich auch gegen Unschuldige richten, dann wäre auf der Grundlage des aristotelischen Prinzips der iustitia commutativa das Begehen vergleichbarer Rechtsverletzungen durch die Unterdrückten unter Umständen zu rechtfertigen.  


(2) Notwehr (ultima ratio). Wenn ein Individuum, eine Gemeinschaft oder ein Staat in einer Weise bedroht wird, dass das Überleben in Frage gestellt wird, und wenn keine andere offensive Waffe zur Verfügung steht als die Ausübung von Terrorismus, dann liegt es nahe, die Anwendung dieser Waffe als gerechtfertigt anzusehen. Michael Walzer (2000: 255-263) hat diese Argumentation jedenfalls für den Fall von Staaten und für deren Rückgriff auf Terrorangriffe befürwortet. Andererseits hat er das Manifest von 58 amerikanischen Gelehrten unterzeichnet, in dem es nach dem 11. September 2001 hieß, dass "no appeal to the merits or demerits of specific foreign policies can ever justify (...) the mass slaughter of innocent persons" (Institute for American Values 2002). Da Walzer die Rechte von Staaten aber ebenfalls ausdrücklich (2000: 53-55) aus jenen von Gemeinschaften und diese wieder aus jenen von Individuen ableitet, kann für substaatliche Akteure logischerweise kaum etwas anderes gelten. Oder, wie Andrew Valls (2000: 73) fragt: "But why is it that the territorial integrity and political independence of, say, Britain, justify the resort to (...) violence that targets civilians - but the right of self-determination of a stateless nation never does?"
(2) Notwehr (ultima ratio). Wenn ein Individuum, eine Gemeinschaft oder ein Staat in einer Weise bedroht wird, dass das Überleben in Frage gestellt wird, und wenn keine andere offensive Waffe zur Verfügung steht als die Ausübung von Terrorismus, dann liegt es nahe, die Anwendung dieser Waffe als gerechtfertigt anzusehen. Michael Walzer (2000: 255-263) hat diese Argumentation jedenfalls für den Fall von Staaten und für deren Rückgriff auf Terrorangriffe befürwortet. Andererseits hat er das Manifest von 58 amerikanischen Gelehrten unterzeichnet, in dem es nach dem 11. September 2001 hieß, dass "no appeal to the merits or demerits of specific foreign policies can ever justify (...) the mass slaughter of innocent persons" (Institute for American Values 2002). Da Walzer die Rechte von Staaten aber ebenfalls ausdrücklich (2000: 53-55) aus jenen von Gemeinschaften und diese wieder aus jenen von Individuen ableitet, kann für substaatliche Akteure logischerweise kaum etwas anderes gelten. Oder, wie Andrew Valls (2000: 73) fragt: "But why is it that the territorial integrity and political independence of, say, Britain, justify the resort to (...) violence that targets civilians - but the right of self-determination of a stateless nation never does?"


Zu dem letztgenannten Aspekt steuert Seto (2003: 1259) auf der Grundlage seiner eigenen, unter anderem spiel- und evolutionstheoretisch formulierten Theorie den Gedanken bei, dass - im Gegensatz zu Terrorismus seitens substaatlicher Akteure - zwar eine Vermutung für die Rechtfertigung staatlicher Gewalt (etwa in der Form der Strafe) spreche, dass diese Vermutung aber keine Rolle mehr spiele, wenn sich die staatliche Gewalt nicht an die Regeln halte: "This means that if we are going to condemn a particular type of politically motivated violence when untertaken by terrorists, we must equally condem the same type of violence when undertaken by the U.S. Army or the CIA, we must similarly admit the possibility that similar violence undertaken by Al Qaeda may be equally justified. The fact that the U.S. Army and the CIA are agents of a state does not make their actions any more or less moral."




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