Erweiterter Suizid: Unterschied zwischen den Versionen

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===Begriffsvielfalt===
=== Begriffsvielfalt ===


Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin im Jahr 1907 wurde unter dem Rahmenthema „Familienmord“ der Begriff kombinierte Selbstmorde vorgeschlagen (Geiger 1991; Foerster 2009), im Verlauf der damaligen Diskussion etablierte sich jedoch der unter den Psychiatern vorwiegend gebrauchte Terminus des „erweiterten Suizids“. Über 100 Jahre später gibt es heute allerdings immer noch keine einheitliche Verwendung für den Begriff erweiterter Suizid. Je nach professioneller Ausrichtung und Interessenlage werden unterschiedliche Begriffe in der Literatur bevorzugt. So ist in juristischen Publikationen meist von Mitnahmesuizid die Rede. Weitere häufig verwendete Begriffe sind kombinierter Suizid, komplizierter Suizid, Filizid, Doppelsuizid, Familiensuizid, gemeinschaftlicher Selbstmord, induzierter Suizid, Massensuizid oder Mord- (Totschlag)-Selbstmord-Kombination. Jedoch konnte sich bis heute keine einheitliche und eindeutige Definition durchsetzen (Hellen u.a. 2014:1144). In der neueren Literatur wird daher der Begriff Tötung mit anschließendem Suizid vorgeschlagen.
Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin im Jahr 1907 wurde unter dem Rahmenthema „Familienmord“ der Begriff kombinierte Selbstmorde vorgeschlagen (Geiger 1991; Foerster 2009), im Verlauf der damaligen Diskussion etablierte sich jedoch der unter den Psychiatern vorwiegend gebrauchte Terminus des „erweiterten Suizids“. Über 100 Jahre später gibt es heute allerdings immer noch keine einheitliche Verwendung für den Begriff erweiterter Suizid. Je nach professioneller Ausrichtung und Interessenlage werden unterschiedliche Begriffe in der Literatur bevorzugt. So ist in juristischen Publikationen meist von Mitnahmesuizid die Rede. Weitere häufig verwendete Begriffe sind kombinierter Suizid, komplizierter Suizid, Filizid, Doppelsuizid, Familiensuizid, gemeinschaftlicher Selbstmord, induzierter Suizid, Massensuizid oder Mord- (Totschlag)-Selbstmord-Kombination. Jedoch konnte sich bis heute keine einheitliche und eindeutige Definition durchsetzen (Hellen u.a. 2014:1144). In der neueren Literatur wird daher der Begriff Tötung mit anschließendem Suizid vorgeschlagen.




===Begriffskritik===  
=== Begriffskritik ===  


Anhand der Aufzählung der oben erwähnten Begriffe ist es offensichtlich, dass die Unterscheidung zwischen Täter/in und Opfer oder auch die Charakterisierung des Auslösers schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist. Insbesondere wurde viel Kritik am Begriff erweiterter Suizid geübt, da die unfreiwillig getöteten Personen nicht als Opfer einer Straftat wahrgenommen werden, sondern vielmehr als Begleitumstand der Selbsttötung des Täters betrachtet werden (Foerster 2009). Hellen u.a. (2014) bevorzugen deshalb den im angelsächsischen Sprachraum verbreiteten Begriff „homicide-suicide“, was Homizid mit nachfolgendem Suizid bedeutet, da er einen neutralen, eher deskriptiven Begriff darstellt (Hellen u.a. 2014: 1144). Paschen (2006) kritisiert dagegen an diesem Terminus, dass er nichts über die Beziehung der Beteiligten aussagt, die beim erweiterten Suizid eine wesentliche Rolle spielt.
Anhand der Aufzählung der oben erwähnten Begriffe ist es offensichtlich, dass die Unterscheidung zwischen Täter/in und Opfer oder auch die Charakterisierung des Auslösers schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist. Insbesondere wurde viel Kritik am Begriff erweiterter Suizid geübt, da die unfreiwillig getöteten Personen nicht als Opfer einer Straftat wahrgenommen werden, sondern vielmehr als Begleitumstand der Selbsttötung des Täters betrachtet werden (Foerster 2009). Hellen u.a. (2014) bevorzugen deshalb den im angelsächsischen Sprachraum verbreiteten Begriff „homicide-suicide“, was Homizid mit nachfolgendem Suizid bedeutet, da er einen neutralen, eher deskriptiven Begriff darstellt (Hellen u.a. 2014: 1144). Paschen (2006) kritisiert dagegen an diesem Terminus, dass er nichts über die Beziehung der Beteiligten aussagt, die beim erweiterten Suizid eine wesentliche Rolle spielt.




==Auslöser und Motivation==
== Auslöser und Motivation ==


Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei Tötungen mit anschließendem Suizid nicht um Impulstaten handelt (Geiger 1991; Dubbert 2013). Nach einer Phase von ausgeprägten psychischen Belastungen kann die Tat als eine Art Abschluss dieser erlebten Belastungsphase betrachtet werden. (vergl. Geiger 1991). Nicht selten ist ein Streit der letzte tatsächliche Auslöser der Tat. Darüber hinaus sind viele Täter/innen aus psychiatrischer Sicht auffällig. Besonders häufig sind narzisstische Persönlichkeitsmerkmale, emotionale Instabilität, Impulsivität, Substanzmittelmissbrauch oder Depression festzustellen (vergl. Foerster 2009).
Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei Tötungen mit anschließendem Suizid nicht um Impulstaten handelt (Geiger 1991; Dubbert 2013). Nach einer Phase von ausgeprägten psychischen Belastungen kann die Tat als eine Art Abschluss dieser erlebten Belastungsphase betrachtet werden. (vergl. Geiger 1991). Nicht selten ist ein Streit der letzte tatsächliche Auslöser der Tat. Darüber hinaus sind viele Täter/innen aus psychiatrischer Sicht auffällig. Besonders häufig sind narzisstische Persönlichkeitsmerkmale, emotionale Instabilität, Impulsivität, Substanzmittelmissbrauch oder Depression festzustellen (vergl. Foerster 2009).
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==Kategorien und Erscheinungsformen==
== Kategorien und Erscheinungsformen ==


Foerster bemerkte 2009, dass das Fehlen einer eindeutigen Definition und das Manko einer eigenen Kategorie in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) eine Vergleichbarkeit für die wissenschaftliche Forschung nahezu unmöglich macht. Exemplarisch sollen hier die von Pollak entwickelten Kategorien aufgezeigt werden (Pollak 2009: 73-77):
Foerster bemerkte 2009, dass das Fehlen einer eindeutigen Definition und das Manko einer eigenen Kategorie in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) eine Vergleichbarkeit für die wissenschaftliche Forschung nahezu unmöglich macht. Exemplarisch sollen hier die von Pollak entwickelten Kategorien aufgezeigt werden (Pollak 2009: 73-77):
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==Tötungsarten==
== Tötungsarten ==


Im Rahmen der Homizid-Suizid-Taten ist die häufigste Fremd- und Selbsttötungsart das Erschießen, gefolgt von der sogenannten scharfen Gewalt. Betrachtet man Täterinnen isoliert, belegt den zweiten Platz die Intoxikation. An dritter Stelle steht die Strangulation (Geiger 1991).
Im Rahmen der Homizid-Suizid-Taten ist die häufigste Fremd- und Selbsttötungsart das Erschießen, gefolgt von der sogenannten scharfen Gewalt. Betrachtet man Täterinnen isoliert, belegt den zweiten Platz die Intoxikation. An dritter Stelle steht die Strangulation (Geiger 1991).




===Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Tätern und Opfern===
=== Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Tätern und Opfern ===


Analog zu den Suizidzahlen gibt es mehr männliche als weibliche Homizid-Suizidenten. Weltweit werden 75% aller begangenen Suizide von Männern durchgeführt und nur ca. 25% von Frauen (Wotzka, 2015). Da Frauen sich weniger aggressiver Methoden, wie z.B. Medikamenten- oder CO-Vergiftungen und Ertrinken bedienen, sind sie, wie Fishbain (1986) und später Pollak (2006) ebenfalls zeigten, sowohl beim Suizid, als auch beim Homizid-Suizid weniger erfolgreich als Männer. Diese bevorzugen als Methode das Erhängen und Erschießen (Hellen u.a. 2014).
Analog zu den Suizidzahlen gibt es mehr männliche als weibliche Homizid-Suizidenten. Weltweit werden 75% aller begangenen Suizide von Männern durchgeführt und nur ca. 25% von Frauen (Wotzka, 2015). Da Frauen sich weniger aggressiver Methoden, wie z.B. Medikamenten- oder CO-Vergiftungen und Ertrinken bedienen, sind sie, wie Fishbain (1986) und später Pollak (2006) ebenfalls zeigten, sowohl beim Suizid, als auch beim Homizid-Suizid weniger erfolgreich als Männer. Diese bevorzugen als Methode das Erhängen und Erschießen (Hellen u.a. 2014).




===Alter der Täter und Täterinnen===
=== Alter der Täter und Täterinnen ===


Was das Alter der Täter/innen von erweitertem Suiziden / Tötung mit anschließendem Suizid betrifft, kann festgehalten werden, dass die Mehrzahl der Täter/innen zwischen 30 und 60 Jahren alt sind (vergl. Geiger 191: 118). Paschen (2006: 89) stellt jedoch fest, dass Personen, die ihre Intimpartner ohne erkennbares Einverständnis töten, deutlich jünger sind, als jene, die ihre Partner im Einverständnis töten.
Was das Alter der Täter/innen von erweitertem Suiziden / Tötung mit anschließendem Suizid betrifft, kann festgehalten werden, dass die Mehrzahl der Täter/innen zwischen 30 und 60 Jahren alt sind (vergl. Geiger 191: 118). Paschen (2006: 89) stellt jedoch fest, dass Personen, die ihre Intimpartner ohne erkennbares Einverständnis töten, deutlich jünger sind, als jene, die ihre Partner im Einverständnis töten.


===Ort und Tatzeit===
=== Ort und Tatzeit ===
Der erweiterte Suizid findet größtenteils in der eigenen Wohnung, oft sogar im Ehebett statt. Geiger (1991) stellt einen eindeutigen Schwerpunkt hinsichtlich der Tatzeit fest, nämlich v.a. in der Nacht zwischen 00:00 und 06:00 Uhr, gefolgt von den davor liegenden Stunden zwischen 18:00 und 24:00 Uhr. Eine Abhängigkeit der Taten von Jahreszeit, Monat oder Wochentag konnte nicht gezeigt werden (Paschen 2006; Rasch 1966).
Der erweiterte Suizid findet größtenteils in der eigenen Wohnung, oft sogar im Ehebett statt. Geiger (1991) stellt einen eindeutigen Schwerpunkt hinsichtlich der Tatzeit fest, nämlich v.a. in der Nacht zwischen 00:00 und 06:00 Uhr, gefolgt von den davor liegenden Stunden zwischen 18:00 und 24:00 Uhr. Eine Abhängigkeit der Taten von Jahreszeit, Monat oder Wochentag konnte nicht gezeigt werden (Paschen 2006; Rasch 1966).




===Täter-Opfer-Beziehung===
=== Täter-Opfer-Beziehung ===


Wie bereits erwähnt, töten Männer überwiegend ihre Partnerinnen und sind im Sinne der Tat erfolgreicher. Insofern ist es schlüssig, dass die meisten Täter und Opfer in einer Intimbeziehung zueinander standen. Die zweitgrößte Gruppe bilden Mütter und ihre Kinder, an dritter Stelle stehen andere Angehörige, gefolgt von Bekannten.
Wie bereits erwähnt, töten Männer überwiegend ihre Partnerinnen und sind im Sinne der Tat erfolgreicher. Insofern ist es schlüssig, dass die meisten Täter und Opfer in einer Intimbeziehung zueinander standen. Die zweitgrößte Gruppe bilden Mütter und ihre Kinder, an dritter Stelle stehen andere Angehörige, gefolgt von Bekannten.




==Risikofaktoren für das Eintreten eines erweiterten Suizids==
== Risikofaktoren für das Eintreten eines erweiterten Suizids ==


Hellen u.a. (Hellen u.a. 2014: 1147) identifizieren folgende Risikofaktoren für die Realisation eines erweiterten Suizids, wobei laut ihrer Studie mindestens drei, meistens sogar vier oder auch mehr als vier Risikofaktoren vorliegen:
Hellen u.a. (Hellen u.a. 2014: 1147) identifizieren folgende Risikofaktoren für die Realisation eines erweiterten Suizids, wobei laut ihrer Studie mindestens drei, meistens sogar vier oder auch mehr als vier Risikofaktoren vorliegen:
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