Ehrenmord: Unterschied zwischen den Versionen

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Ehrenmord ist die Bezeichnung für die vorsätzliche Tötung einer Person (meistens einer Frau), die die Ehre der Familie beschmutzt hat, um das Ansehen der Familie wieder herzustellen. Idealtypisch ist der Ehrenmord in einer traditional-agrarischen Gesellschaft, der aufgrund einer außerehelichen Beziehung einer Ehefrau nach ausführlicher Beratung im Familienrat des Ehemannes beschlossen und von einem Mitglied der Familie im Auftrag der Familie in aller Öffentlichkeit auf grausame Art und Weise ausgeführt wird. Täter sind meist männlichen, Opfer meist weiblichen Geschlechts. Jährlich gibt es weltweit Tausende, wenn nicht Zehntausende von Ehrenmorden, die von der öffentlichen Meinung und der Justiz verschiedener Gesellschaften auch verschieden bewertet und sanktioniert werden. In letzter Zeit gibt es vermehrt nationale wie auch internationale Initiativen zur Ächtung des Ehrenmords.   
Als '''Ehrenmord''' bezeichnet man die Tötung eines Menschen, der für eine Verletzung der Reputation verantwortlich gemacht wird. Das Phänomen des Ehrenmordes ist charakteristisch für traditionale agrarische Gesellschaften, wo insbesondere die Verletzung sexueller Verhaltensnormen durch weibliche Familienmitglieder als todeswürdige Verletzung der Familienehre sanktioniert werden kann. Die Tötung erfolgt häufig in der Öffentlichkeit und auf besonders grausame Art und Weise durch ein (von der Familie bestimmtes) Mitglied der vom Ehrverlust betroffenen Familie. Täter sind meist männlichen, Opfer meist weiblichen Geschlechts.
 
Weltweit fordern Ehrenmorde eine unbekannte Zahl von Opfern (Schätzungen rangieren zwischen 10.000 und 100.000 pro Jahr).   




== Begriff ==
== Begriff ==


In Sozialverbänden, für die die Ehre den höchsten Wert und das wichtigste "soziale Kapital" (Bourdieu) darstellt, werden Verletzungen der Ehre mit den jeweils schärfsten Sanktionen bestraft, häufig mit einer demonstrativ grausamen öffentlichen Tötung, die von den Tätern als legitim erachtet und deshalb nicht als "Mord" bezeichnet werden, sondern als Bestrafung zur Wiederherstellung der durch das Opfer "beschmutzten" Ehre.


== Verbreitung ==
Der Begriff des Ehrenmordes ist deshalb eine Fremdbezeichnung, keine Bezeichnung, die von den Akteuren selbst benutzt wird.


Ehrenmorde kommen traditionell in vielen ländlich geprägten Teilen der Welt vor. Dazu gehören Teile Westafrikas, die südöstliche Türkei, Pakistan, christliche und drusische Gemeinschaften in manchen arabischen Ländern und Hindus und Sikhs in Indien. Außerdem kommen Ehrenmorde dort vor, wo größere Einwanderermilieus dieser Art existieren, also etwa in vielen Ländern Westeuropas, in den USA und Kanada. Sehr selten oder nichtexistent sind Ehrenmorde hingegen in den meisten moslemischen Gemeinschaften Zentralasiens (einschließlich Kasachstans und Kirgistans), in Bangladesh, Sri Lanka, in Afrika südlich der Sahara, Malaysia und Indonesien.
2005 wurde "Ehrenmord" zum "Unwort des Jahres" gewählt.
 
Das Bundeskriminalamt definiert Ehrenmorde als "Tötungsdelikte, die aus vermeintlich kultureller Verpflichtung heraus innerhalb des eigenen Familienverbandes verübt werden, um der Familienehre gerecht zu werden."
 
== Umfang und Erscheinungsformen ==
 
Ehrenmord ist kein überaus seltenes Phänomen: weltweit werden jährlich rund 5000 Ehrenmorde polizeilich registriert - nimmt man das geschätzte Dunkelfeld hinzu, kommt man ohne weiteres auf bis zu 100.000 Fälle pro Jahr.
 
Ehrenmorde sind ein Phänomen traditioneller Gesellschaften. Sie gehören zum Gewohnheitsrecht in vielen ländlich geprägten Gesellschaften in Westafrika, in der südöstlichen Türkei, in Pakistan, in christlich christlich oder drusisch geprägten Gemeinschaften in manchen arabischen Ländern und bei den Hindus und Sikhs in Indien. Außerdem kommen Ehrenmorde dort vor, wo größere Einwanderermilieus dieser Art existieren, also etwa in vielen Ländern Westeuropas, in den USA und Kanada. Sehr selten oder nichtexistent sind Ehrenmorde hingegen in den meisten moslemischen Gemeinschaften Zentralasiens (einschließlich Kasachstans und Kirgistans), in Bangladesh, Sri Lanka, in Afrika südlich der Sahara, Malaysia und Indonesien.


== Häufigkeit ==
== Häufigkeit ==
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=== Türkei ===
=== Türkei ===
In der Türkei werden Ehrenmorde zwar auch in den Großstädten begangen, doch gehören die Täter meistens bestimmten Milieus von innertürkischen Migranten - insbesondere demjenigen der Kurden aus armen ruralen Gebieten Ost- und Südanatoliens - an (Yazgan 2009).
== Alternativen ==
In der Praxis gibt es folgende Alternativen zum Ehrenmord:
* Geheimhaltung der Information, die zu Ehrverlust führen könnte (z.B. einer Vergewaltigung)
* Verheiratung (z.B. möglichst schnelle Verheiratung eines Mädchens, dessen Ehrhaftigkeit problematisiert wird)
* Räumliche Trennung (z.B. Verstoßen der gefährdeten Person; Umzug einer ganzen Familie; oder: Wegschicken der gefährdeten Person zu entfernten Verwandten, bis Gras über die Angelegenheit gewachsen ist)
* Warnung (z.B. verbal oder praktisch, etwa durch Abschneiden der Nase = Warnung vor Ehrenmord beim nächsten Mal)
* Suizid der gefährdeten Person
* Schadensersatz (z.B. Zahlung einer hohen Summe an die Familie einer entführten Braut)
* Akzeptanz der Ehrverletzung (z.B., wenn sich die Ehrverletzung so gut auszahlt, dass ein Ehrenmord zu hohe Kosten verursachen würde - wenn also z.B. ein reicher Geliebter einer Witwe, mit der er ein Verhältnis beginnt, ein Studium finanziert)


== Literatur ==
== Literatur ==
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*Warraich, S. (2005): Honour killings and the law in Pakistan, in: Welchman, L. / Hossein, S., ‘Honor’-Crimes, Paradigms and Violence Against Women. London: Zed Books, 78-110.
*Warraich, S. (2005): Honour killings and the law in Pakistan, in: Welchman, L. / Hossein, S., ‘Honor’-Crimes, Paradigms and Violence Against Women. London: Zed Books, 78-110.
*Yazgan, Ayfer (2009) Ehrenmorde in der Türkei. Eine Pilotstudie anhand der Berichterstattung im Jahre 2005. Unv. Diss. Hamburg (FB Sozialwissenschaften).


== Filme ==
== Filme ==


*Zur Ehe gezwungen. Ein Film von Renate Bernhard und Sigrid Dethloff. http://www.mdr.de/nah_dran/1835777.html
*Zur Ehe gezwungen. Ein Film von Renate Bernhard und Sigrid Dethloff. http://www.mdr.de/nah_dran/1835777.html
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