Edwin Hardin Sutherland (* 13. August 1883 in Gibbon/Nebraska; † 11. Oktober 1950 in Bloomington/Indiana) war Soziologe und Kriminologe und zählt zu den bedeutesten Vertretern der amerikanischen Kriminologie


Leben

Der Sohn eines Hochschulpräsidenten, wuchs auf in Ottawa/Kansas und Grand Island/Nebraska.

1904 erwarb er den B.A.-Grad am Grand Island College. Danach unterrichtete er für zwei Jahre Latain, Griechisch, Geschichte und Stenographie am Sioux Fall College/South Dakota.

1906 kam Sutherland an die Universität von Chicago und belegte einen Kurs in Soziologie. Von da an entschied er sich bei der Soziologie zu bleiben. Er promovierte 1913 an der Universität von Chicago.

Anschließend war er von 1913-1919 Professor der Soziologie an der William Jewell Hochschule; von 1919 - 1925 Assistenzprofessor, von 1925 - 1926 Assozierter Professor der Soziologie an der Universität von Illinois, von 1926 - 1929 Professor der Soziologie an der Universität von Minnesota, von 1930 - 1935 an der Universität von Chicago und schließlich von 1935 - 1945 Dekan der Soziologiefakultät an der Indiana Universität.

Er war Gastprofessor an der Universität von Kansas (1918), Nord-West-Universität(1922), Universität von Washington (1942).

Er war Präsident des Indiana Universitätsinstituts für Strafrecht und Kriminologie; von der amerikanischen Gefängnis-Vereinigung; von der Chicago Akademie der Krimonologie.

1939 wurde Sutherland zum Präsidenten der amerikanischen soziologischen Gesellschaft und 1940 zum Präsidenten der soziologischen Forschungs-Vereinigung gewählt.

Zu seinen Studenten gehörten Albert Cohen, Lloyd Ohlin, Karl Schuessler, sowie Donald Cressey. Letztere entwickelte sein Lehrbuch weiter.


In der Anerkennung seiner, wird jährlich der wichtigste Preis der amerikanischen Gesellschaft der Kriminologie (ASA) vergeben, der seinen Namen trägt.


Werk

Theorie der differentiellen Assoziation

Sutherland geht davon aus, das kriminelles Verhalten in Interaktion mit anderen Personen in einem Kommunikationsprozess gelernt wird. Aus dieser Annahme erklärt sich der Name der Theorie: Der Begriff der „Assoziation“ bezeichnet die Kontakte zu anderen Personen bzw. Verhaltensmustern. Das Erlernen krimineller Verhaltensweisen findet nach Sutherland hauptsächlich in kleinen persönlichen Gruppen statt. Den Medien misst er nur eine relativ unbedeutende Rolle bei der Entstehung kriminellen Verhaltens bei.

Wichtig ist für Sutherland, was gelernt werden muss, damit es zu kriminellem Verhalten kommt. Für ihn schließt das Lernen kriminellen Verhaltens zweierlei ein: das Erlernen der Techniken zur Ausführung des Verbrechens und das Erlernen der spezifischen Richtung von Motiven, Trieben, Rationalisierungen (d. h. verstandesmäßigen Rechtfertigungen) und Attitüden (Einstellungen). Welche spezifische Richtung die Motive und Triebe nehmen, ob sie also mehr zu normkonformem oder zu normabweichendem Verhalten drängen, ist dabei von der Bedeutung abhängig, die die unmittelbare Umgebung des Betreffenden den Rechtsnormen beimisst. Aus diesen Vorüberlegungen leitet Sutherland seine zentrale These ab:

„Eine Person wird delinquent infolge des Überwiegens der die Verletzung begünstigenden Einstellungen über jene, die Gesetzesverletzungen negativ beurteilen.“

Er geht dabei davon aus, dass jeder Mensch sowohl kriminalitätsbegünstigende als auch konformes Verhalten begünstigende Kontakte habe (dies ist mit dem Begriff der „differentiellen“ Kontakte gemeint), und dass es für die Frage, ob ein Mensch selbst kriminell werde, auf das Überwiegen der kriminalitätsbegünstigenden Kontakte ankomme. Welche Art von Kontakten überwiege, sei von der Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität der Kontakte abhängig.

Empirisch ist die Theorie nur schwer zu überprüfen, da Sutherland keine genauen Angaben dazu macht, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte beschaffen sein müssen, damit sie die gegenläufigen, konformes Verhalten begünstigenden Kontakte überwiegen. Der vage Hinweis auf „Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität“ lasst offen, wie sich diese Kategorien zueinander verhalten. Auch in theoretischer Hinsicht ist die Theorie Einwänden ausgesetzt, denn sie lässt offen, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte zustande kommen. Sozialstrukturelle Aspekte, wie sie insbersondere von der Anomietheorie thematisiert worden sind, werden von Sutherland vernachlässigt. Zudem fällt es schwer, mit Sutherlands Theorie die Kriminalität von solchen Tätern zu erklären, die allenfalls über geringe Kontakte zum kriminalitätsbegünstigenden Milieu verfügen; angesprochen ist insbesondere der Bereich der Wirtschaftskriminalität, der wesentlich durch rein ökonomische Überlegungen und Gewinnerwartungen geprägt ist. Der gewichtigste Einwand, der sich aus heutiger Sicht gegen Sutherlands Theorie erheben lässt, geht indessen dahin, dass ihr jeder Bezug zu den Prinzipien fehlt, die die allgemeine Lernpsychologie zur Erklärung von Lernvorgängen entwickelt hat. Diesem Einwand trägt erst die erst später entwickelte Theorie des sozialen Lernens von Akers Rechnung.


White Collar Crime (WCC)

In einem 1939 gehaltenen Vortrag wies Edwin Sutherland darauf hin, dass Straftaten nicht nur von Unterschicht-, sondern auch von Mittel- und Oberschichtangehörigen begangen würden – den Straftätern mit einem „weißen Kragen“.

Das Verständnis und die Erklärung von Kriminalität seien unvollständig und verzerrt, wenn die Kriminalität dieser Tätergruppe in der Kriminologie nicht berücksichtigt würde.

Als „white collar crime“ bezeichnete Sutherland die Straftaten, die von „Personen mit hohem Status im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit“ begangen würden. Dabei handelte es sich jedoch um keine trennscharfe Definition, sondern eher um ein heuristisches Konzept, das auf die besondere Bedeutung des bis dahin von der Kriminologie vernachlässigten Gegenstandsbereichs aufmerksam machen sollte. Sutherland ging es in erster Linie darum, der Kriminalität der „kleinen Leute“ die Kriminalität der wirtschaftlich und sozial Mächtigen gegenüber zu stellen und damit ein schichtadäquates Gleichgewicht in der kriminologischen Betrachtung herzustellen; die begrifflich-konzeptionelle Durchdringung der Materie war ihm weniger wichtig.

Aus heutiger Sicht ist Sutherlands Bergriffsbestimmung einerseits zu weit geraten, da sie ohne weitere Differenzierung alle Straftaten erfasst, die von den Angehörigen der prestigeträchtigen Berufe begangen werden, auch wenn sie keinen Bezug zum Wirtschaftsleben aufweisen (bspw. den Prozessbetrug eines Rechtsanwaltes oder den strafbaren Kunstfehler eines Arztes). Andererseits ist sie für die vollständige Erfassung der Wirtschaftkriminalität zu eng, da sie mit der Beschränkung auf die Kriminalität der sozial mächtigen Täter diejenigen Täter aus der Betrachtung ausschließt, die in der Unternehmenshierarchie unterhalb der Führungsebene tätig sind und in Ausübung ihres Berufes Delikte mit Bezug zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens begehen (z.B. Bestechlichkeit und Bestechung im mittleren Management). Sutherlands Definition hat sich deshalb in der Kriminologie nicht durchsetzen können.

Neuere Konzepte bemühen sich darum, Wirtschaftskriminalität nicht von der Person her zu definieren (Täter mit „weißem Kragen“), sondern an das Verhalten anzuknüpfen, da einen Vorgang zu einem Gegenstand von wirtschaftskriminologischem Interesse macht. Die neuere amerikanische Kriminologie unterscheidet dabei meist zwischen Straftaten, die im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen und Verbänden begangen werden (corporate crimes), und Straftaten, die aus Eigennutz im Kontext der Berufsausübung begangen werden (occupational crimes).


Literatur

von Sutherland

Sutherland, Edwin H. (1924) 'Principles of Criminology' Chicago: University of Chicago Press. Sutherland, Edwin H. (1936) With Locke, H.J. '24,000 Homeless Men' Philadelphia: J.B. Lippincott Sutherland, Edwin H. (1937) 'The Professional Thief' Chicago: University of Chicago Press. Sutherland, Edwin H. (1942) `Development of the Theory,' in Karl Schuessler (ed.) Edwin H. Sutherland on Analyzing Crime, pp. 13-29. Chicago: University of Chicago Press. Sutherland, Edwin H. (1949) 'White Collar Crime' New York: Holt Rinehart and Winston. Sutherland, Edwin H. (1950) 'The Diffusion of Sexual Psychopath Laws' American Journal of Sociology, Issue 56: pp. 142-8


Quellen

SUTHERLAND, Edwin H. (1968): Die Theorie der differentiellen Kontakte. In: Sack, Fritz, Rene König, Hrsg. (1968): Kriminalsoziologie. Frankfurt/M.: Akad. Verl. Gesellschaft: S. 395-99 [SB:V u 212]


Weblinks

http://www.asanet.org/page.ww?name=Edwin+H.+Sutherland&section=Presidents http://www.criminology.fsu.edu/crimtheory/sutherland.html