Eberhard Schmidhäuser: Unterschied zwischen den Versionen

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Eberhard Schmidhäuser (*10.10.1920 in Stuttgart; 2004) war seit 1963 Strafrechtsprofessor in Hamburg. Kindheit und Jugend verbrachte Schmidhäuser in Heilbronn, wo sein Vater seit 1924 die Strafanstalten leitete. Während seines Wehrdienstes begann der Russlandfeldzug, an dessen erstem Tag Schmidhäuser so schwer verwundet wurde, dass er über ein Jahr in Lazaretten verbrachte. Er begann vom Lazarett aus ein Studium in Stuttgart, dann von seinem Ersatztruppenteil aus in Straßburg das Jurastudium.
Eberhard Schmidhäuser (*10.10.1920 in Stuttgart; 2004) war seit 1963 Strafrechtsprofessor in Hamburg. Kindheit und Jugend verbrachte Schmidhäuser in Heilbronn, wo sein Vater seit 1924 die Strafanstalten leitete. Während seines Wehrdienstes begann der Russlandfeldzug, an dessen erstem Tag Schmidhäuser so schwer verwundet wurde, dass er über ein Jahr in Lazaretten verbrachte. Er begann vom Lazarett aus ein Studium in Stuttgart, dann von seinem Ersatztruppenteil aus in Straßburg das Jurastudium.
tudierte nach dem Schulbesuch in Heilbronn (Abitur 1938) und Kriegsdienst (1939–41, nach schwerer Verwundung entlassen) 1942-46 in Straßburg, Freiburg und Tübingen Rechtswissenschaften. Nach dem Referendardienst in Stuttgart 1949-52 Richter am dortigen Landgericht, wurde S. im Anschluß an die Promotion 1952 bei Eduard Kern in Tübingen dort Wissenschaftlicher Assistent und habilitierte sich 1955 mit einer Schrift über das von Wilhelm Gallas angeregte Thema „Gesinnungsmerkmale im Strafrecht“ (1958). 1959-63 war er Ordinarius für Strafrecht und Prozeßrecht in Göttingen, danach an der Univ. Hamburg, der er über seine Emeritierung 1986 hinaus bis zu seinem Tod in Forschung und Lehre verbunden blieb.
Die Strafrechtswissenschaft verdankt S. als bleibende Leistung die teleologische Straftatsystematik. Diese erfaßt die Straftatmerkmale, die in den klassifikatorischen Systemen der zuvor herrschenden sog. klassischen und der sog. finalen Verbrechenslehre als bloße Attribute der naturalistisch bzw. ontologisch verstandenen „Handlung“ als des Basisbegriffs fungierten, in ihrem materialen Gehalt und ordnet sie unter dem Leitaspekt der sachangemessenen Rechtsfolgenregelung. Werden so von der Rechtsfolge „Strafe“ her deren Voraussetzungen systematisiert, ergibt sich als tatbestandsmäßiges Unrecht ein rechtsgutsverletzendes Willensverhalten ei|nes Menschen, als tatbestandsmäßige Schuld seine darauf bezogene unrechtliche Gesinnung. S. stellte seine methodische Grundthese, wonach sich alle strafrechtliche Begriffsbildung und Systematik auf ihre Relevanz für die Strafrechtsfolgen hin zu rechtfertigen hat, in seinem Lehrbuch „Strafrecht, Allg. Teil“ (1970, 21975) umfassend dar und veranschaulichte sie in weiteren Abhandlungen aus dem Gesamtfeld des materiellen und des formellen Strafrechts. Mit seiner Schrift „Vom Sinn der Strafe“ (1963, 21971) beteiligte sich S. an den Auseinandersetzungen um die tradierten Straftheorien und erkannte darin die Generalprävention als Grundlage des staatlichen Strafens an, das sich für ihn aber nur im Hinblick auf die Existenzsicherung des Gemeinwesens als sinnhaft erweist. Schüler S.s waren u. a. Winrich Langer und Heiner Alwart.
Werke  ↑
Weitere W Objektive Strafbarkeitsbedingungen, in: ZStW 71, 1959, S. 545-64; Zur Frage nach d. Ziel d. Strafprozesses, in: FS f. Eberhard Schmidt, 1961, S. 511-24; Über Aktualität u. Potentialität d. Unrechtsbewußtseins, in: FS f. Hellmuth Mayer, 1966, S. 317-38; Zur Systematik d. Verbrechenslehre, in: Gedächtnisschr. f. Gustav Radbruch, 1968, S. 268-80; Vorsatzbegriff u. Begriffsjurisprudenz im Strafrecht, 1968; Der Unrechtstatbestand, in: FS f. Karl Engisch, 1969, S. 433-55; Einf. in d. Strafrecht, 1972; Strafrecht, Allg. Teil, Stud.buch, 1982, 21984 (mit H. Alwart); Strafrecht, Besonderer Teil, Grundriß, 1980, 21983; Das Verbrechen in Kleists „Marquise von O …“, in: Kleist-Jb. 1986, S. 156-75; Vom Verbrechen z. Strafe, Albert Gamus „Der Fremde“, 1992; Verbrechen u. Strafe, Ein Streifzug durch d. Weltlit. v. Sophokles bis Dürrenmatt, 1995, 21996; Über Strafe u. Gen.Prävention, in: FS f. E. A. Wolf, 1998, S. 443-58; Goethes Denken über Recht u. Staat aus d. Sicht v. gestern u. heute, in: Goethe-Jb. 116, 1999, S. 178-90.
Literatur  ↑
K. Lackner, Rez. v. Strafrecht Allg. T., Lehrb., 1970, in: Jur.ztg. 1973, S. 69-71; ders., Rez. v. Strafrecht Allg. T., Lehrb., 21975, ebd. 1978, S. 210-12; W. Langer, Strafrechtsdogmatik als Wiss., E. S. z. 70. Geb.tag am 10. Okt. 1990, in: Goltdammer's Archiv f. Strafrecht, 1990, S. 435-66; H. Müller-Dietz, (Straf-)Gerechtigkeit im Spiegel d. Weltlit., ebd., 1995, S. 499-514; W. Langer, E. S. z. 80. Geb.tag, in: NJW, 2000, S. 3045 f.; ders., ebd., 2002, S. 2008 f.; H. Alwart, in: Jur.ztg., 1992, S. 879 f.; Hamburger Univ.reden, NF 6, 2004 (P).





Version vom 6. Januar 2012, 16:53 Uhr

Eberhard Schmidhäuser (*10.10.1920 in Stuttgart; 2004) war seit 1963 Strafrechtsprofessor in Hamburg. Kindheit und Jugend verbrachte Schmidhäuser in Heilbronn, wo sein Vater seit 1924 die Strafanstalten leitete. Während seines Wehrdienstes begann der Russlandfeldzug, an dessen erstem Tag Schmidhäuser so schwer verwundet wurde, dass er über ein Jahr in Lazaretten verbrachte. Er begann vom Lazarett aus ein Studium in Stuttgart, dann von seinem Ersatztruppenteil aus in Straßburg das Jurastudium. tudierte nach dem Schulbesuch in Heilbronn (Abitur 1938) und Kriegsdienst (1939–41, nach schwerer Verwundung entlassen) 1942-46 in Straßburg, Freiburg und Tübingen Rechtswissenschaften. Nach dem Referendardienst in Stuttgart 1949-52 Richter am dortigen Landgericht, wurde S. im Anschluß an die Promotion 1952 bei Eduard Kern in Tübingen dort Wissenschaftlicher Assistent und habilitierte sich 1955 mit einer Schrift über das von Wilhelm Gallas angeregte Thema „Gesinnungsmerkmale im Strafrecht“ (1958). 1959-63 war er Ordinarius für Strafrecht und Prozeßrecht in Göttingen, danach an der Univ. Hamburg, der er über seine Emeritierung 1986 hinaus bis zu seinem Tod in Forschung und Lehre verbunden blieb. Die Strafrechtswissenschaft verdankt S. als bleibende Leistung die teleologische Straftatsystematik. Diese erfaßt die Straftatmerkmale, die in den klassifikatorischen Systemen der zuvor herrschenden sog. klassischen und der sog. finalen Verbrechenslehre als bloße Attribute der naturalistisch bzw. ontologisch verstandenen „Handlung“ als des Basisbegriffs fungierten, in ihrem materialen Gehalt und ordnet sie unter dem Leitaspekt der sachangemessenen Rechtsfolgenregelung. Werden so von der Rechtsfolge „Strafe“ her deren Voraussetzungen systematisiert, ergibt sich als tatbestandsmäßiges Unrecht ein rechtsgutsverletzendes Willensverhalten ei|nes Menschen, als tatbestandsmäßige Schuld seine darauf bezogene unrechtliche Gesinnung. S. stellte seine methodische Grundthese, wonach sich alle strafrechtliche Begriffsbildung und Systematik auf ihre Relevanz für die Strafrechtsfolgen hin zu rechtfertigen hat, in seinem Lehrbuch „Strafrecht, Allg. Teil“ (1970, 21975) umfassend dar und veranschaulichte sie in weiteren Abhandlungen aus dem Gesamtfeld des materiellen und des formellen Strafrechts. Mit seiner Schrift „Vom Sinn der Strafe“ (1963, 21971) beteiligte sich S. an den Auseinandersetzungen um die tradierten Straftheorien und erkannte darin die Generalprävention als Grundlage des staatlichen Strafens an, das sich für ihn aber nur im Hinblick auf die Existenzsicherung des Gemeinwesens als sinnhaft erweist. Schüler S.s waren u. a. Winrich Langer und Heiner Alwart.

Werke ↑ Weitere W Objektive Strafbarkeitsbedingungen, in: ZStW 71, 1959, S. 545-64; Zur Frage nach d. Ziel d. Strafprozesses, in: FS f. Eberhard Schmidt, 1961, S. 511-24; Über Aktualität u. Potentialität d. Unrechtsbewußtseins, in: FS f. Hellmuth Mayer, 1966, S. 317-38; Zur Systematik d. Verbrechenslehre, in: Gedächtnisschr. f. Gustav Radbruch, 1968, S. 268-80; Vorsatzbegriff u. Begriffsjurisprudenz im Strafrecht, 1968; Der Unrechtstatbestand, in: FS f. Karl Engisch, 1969, S. 433-55; Einf. in d. Strafrecht, 1972; Strafrecht, Allg. Teil, Stud.buch, 1982, 21984 (mit H. Alwart); Strafrecht, Besonderer Teil, Grundriß, 1980, 21983; Das Verbrechen in Kleists „Marquise von O …“, in: Kleist-Jb. 1986, S. 156-75; Vom Verbrechen z. Strafe, Albert Gamus „Der Fremde“, 1992; Verbrechen u. Strafe, Ein Streifzug durch d. Weltlit. v. Sophokles bis Dürrenmatt, 1995, 21996; Über Strafe u. Gen.Prävention, in: FS f. E. A. Wolf, 1998, S. 443-58; Goethes Denken über Recht u. Staat aus d. Sicht v. gestern u. heute, in: Goethe-Jb. 116, 1999, S. 178-90.

Literatur ↑ K. Lackner, Rez. v. Strafrecht Allg. T., Lehrb., 1970, in: Jur.ztg. 1973, S. 69-71; ders., Rez. v. Strafrecht Allg. T., Lehrb., 21975, ebd. 1978, S. 210-12; W. Langer, Strafrechtsdogmatik als Wiss., E. S. z. 70. Geb.tag am 10. Okt. 1990, in: Goltdammer's Archiv f. Strafrecht, 1990, S. 435-66; H. Müller-Dietz, (Straf-)Gerechtigkeit im Spiegel d. Weltlit., ebd., 1995, S. 499-514; W. Langer, E. S. z. 80. Geb.tag, in: NJW, 2000, S. 3045 f.; ders., ebd., 2002, S. 2008 f.; H. Alwart, in: Jur.ztg., 1992, S. 879 f.; Hamburger Univ.reden, NF 6, 2004 (P).


Straftheorie

Seine Reflexionen über den „Sinn der Strafe“ (1963) lenken den Blick u.a. "auf das Bild der Strafe, die Phänomene in ihrer historischen Spannweite – von der entsetzlich grausamen Hinrichtung eines Königsmörders im 18. Jahrhundert über den Vollzug einer langen Freiheitsstrafe in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, die mit der offenbar gelungenen Resozialisierung des Täters endete, bis hin zu einer fast verbrechens- und straflosen Gesellschaft, die Stefan Andres in seiner Novelle Wir sind Utopia vorstellt. Dabei geht es Schmidhäuser weniger um den mühsamen Fortschritt – die Utopie ist ohnehin außerhalb des Möglichen – als vielmehr um das Grund-Beunruhigende dieser Extreme" (Köhler 2004: 63).

Für Schmidhäuser begründet sich die Strafe weder als vergeltende Gerechtigkeit per se noch aus spezialpräventiven Nutzenerwägungen. Sie ist häufig sogar im Verhältnis zum Täter sinnlos. Aber sie "bleibt dennoch notwendig, um zu verhindern, „daß sich das Verbrechen offen in der Gemeinschaft behauptet“. Schmidhäuser belegt dieses Verständnis mit dem Terminus Generalprävention ‒ allgemeine Vorbeugung ‒ und meint auch zugestehen zu müssen, der Verbrecher werde hierbei als Mittel zum Zweck der Gesellschaft gebraucht – gegen den auch nach meiner Überzeugung zwingenden Einwand Kants. Aber in der kritischen Fortentwicklung seines Ansatzes gewinnt das, was Generalprävention genannt wird, einen Prinzipiengehalt, der jedenfalls mit dem Empirismus einer bloß instrumentellen Abschreckung, auch mit Feuerbachs Theorie des psychologischen Zwangs oder mit aktuellen Vorstellungen einer subjektlosen Systemstabilisierung, nicht identifiziert werden kann. Gegen die Reduktion auf psychologische Mechanismen und gegen eine moralitätsvergessene Sozialontologie wendet Schmidhäuser sich gleicherweise. Vielmehr steht ihm Generalprävention nach Grund und Ziel für die Gemeinsamkeit eines „einigermaßen gedeihlichen Zusammenlebens“. Zitiert sei aus dem Aufsatz Über Strafe und Generalprävention in der Festschrift für Ernst Amadeus Wolff (1998): „Meine Antwort kommt natürlich (!) auf den Not- und Verstandesstaat (Hegel, Rechtsphilosophie, § 183) hinaus, bedingt allein durch die Tatsache, daß nun einmal Menschen auf dieser Erde leben, die dafür zu sorgen haben, daß ihnen dieses Dasein einigermaßen erträglich sei. Dann ist das Strafen notwendig, um die Friedensordnung zu ermöglichen und zu erhalten, und es ist das Strafrecht notwendig, um die strafende Gewalt in vernünftige Bahnen zu lenken.“ - Im gleichen Kontext gewichtet er den Kant’schen Einwand neu: Wir dürfen den Bestraften keineswegs „unter die Gegenstände des Sachenrechts“ mengen, sondern müssen „in de Person des Bestraften die Menschenwürde achten“, und: „Die Beachtung des Schuldprinzips ist hierin eingeschlossen.“ Also: Der Täter wird bestraft zur Aufrechterhaltung der äußeren Friedensordnung, an der er selbst begründend teilhat" (Köhler 2004: 67 ff.).


Zitate

"Unsere Kinder haben wir […] dazu zu erziehen, Verantwortung zu tragen und Strafe auf sich zu nehmen, ohne daß sie in der Strafe eine Verdammung ihrer Person sehen. Wenn sie gelernt haben, ihre Untaten als etwas, das in uns allen steckt, zu bekennen, dann werden sie auch einer staatlichen Strafe einen Sinn zu geben vermögen: daß sie nicht an ihr zugrunde gehen, sondern an ihr wachsen“ (Vom Sinn der Strafe, 2. Aufl., Göttingen 1971, S. 108).

„Die gedeihliche Existenz jedes staatlichen Gemeinwesens hängt davon ab, daß sich eine Mindestordnung des Zusammenlebens gegen den Egoismus jedes einzelnen notfalls mit Gewalt durchsetzt" (Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 2. Aufl., Tübingen 1975, Rn. 3/4).

Veröffentlichungen von Eberhard Schmidhäuser

  • Verbrechen und Strafe (1996) München : Beck, 2., überarb. Aufl.

Weblinks