Legitimität der Prohibition

Die klassische Aufgabe des Staates ist der negative Schutz des Bürgers, d.h. vor Schädigungen durch Dritte (v. Humboldt 1792). Unfähig und unberechtigt ist der Staat hingegen zum positiven Schutz seiner Bürger im Sinne von Druck oder Zwang, der den Bürger dazu bringen soll, zu seinem eigenen Besten seine positiven Potentiale zu verwirklichen. 1854 griff John Stuart Mill in seinem Essay On Liberty diese Unterscheidung wieder auf. Sie ging auch in die Verfassungen vieler Staaten ein, darunter in Artikel 2 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes. Das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit schließt das Recht auf Selbstgefährdungen etwa durch riskante Freizeitvergnügungen, Extremsportarten usw. ein.

Im Hinblick auf eine Prohibition von Tabak (Zigaretten, Zigarren) wird dieser Grundsatz auch berücksichtigt. Trotz der lebensgefährlichen Folgen des Tabakrauchens wird auf ein strafrechtliches Verbot verzichtet. Das bedeutet, dass die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit unterhalb des Strafrechts angesiedelt werden. Die Maßnahmen "sollen auf dirigistische Einflüsse verzichten und das eigenverantwortliche Handeln stärken. Sie sollen überzeugen, nicht Zwang ausüben." Selbst dort, wo Fremdschädigungen erfolgen, bleibt man vorsichtig, "ausgehend von dem Grundsatz, dass gesetzliche Eingriffe auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken sind" (Bundesregierung 1974: 11 f.; 1977:6).

Ein strafrechtliches Rauchverbot wäre auch unzweckmäßig. Es würde ein Schwarzmarkt entstehen, der nicht zu kontrollieren wäre und neue und größere Risiken heraufbeschwören würde.

Auch bei anderen Drogen als bei Tabak - etwa bei Heroin, Kokain, Cannabis usw. - wird in vielen Rechtsordnungen der liberale Grundsatz der Straffreiheit der Selbstgefährdung im Prinzip anerkannt. Das findet seinen Ausdruck darin, dass der Konsum nicht mit Strafe bedroht wird.

Allerdings ist der Grundsatz der Akzessorietät der Beihilfe in diesen Fällen durchbrochen. Denn alle Handlungen, die eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ermöglichen können (wie z.B. Einfuhr, Abgabe, Erwerb, Besitz usw.) sind strafbar, obwohl die eigentliche Haupttat - der Konsumakt - ja gerade straflos ist. Nach den Regeln der Akzessorietät sind aber alle Handlungen, die nur der Beihilfe zu einer straflosen Haupttat dienen, ebenfalls straflos. In einem Rechtsstaat dürfte sich der Drogenhändler nicht mehr und nicht weniger strafbar machen als ein Spirituosenhändler. Was der erwachsene Käufer mit dem Alkohol macht, liegt in seiner Verantwortung, nicht derjenigen des Händlers. Anders ist das nur dann, wenn der Konsument nicht selbstverantwortlich handeln kann (z.B. bei Minderjährigen, Geisteskranken, Betrunkenen). Ein solcher Mangel der Eigenverantwortung kann nicht ohne weiteres bei allen Drogenkonsumenten angenommen werden. Erstens ist die große Mehrzahl nicht süchtig und läuft auch nicht Gefahr, süchtig zu werden - und zweitens beseitigt der als Sucht empfundene Zwang zur Einnahme nicht die individuelle Autonomie und Wahlfreiheit (Husak 1992: 81-130). Die Rechtsprechung erkennt das insofern auch an, als sie die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Süchtigen keineswegs grundsätzlich ausschließt und insofern auch kein Argument für die heutige Praxis liefert, per Gesetzgebung die Verantwortung für Schäden durch Drogen auf diejenigen abzuschieben, die als Dealer eine abstrakte Gefährdung herstellen.

Drogenkonsum kann allerdings die Volksgesundheit und damit Interessen Dritter tangieren. Die Volksgesundheit ist jedoch kein geeignetes strafrechtliches Rechtsgut. Denn es gibt keine strafrechtliche Pflicht, seine sozialen Beziehungen nicht zu vernachlässigen oder ein gesundes Leben zu führen. "Wenn aber ein Verhalten, das unmittelbar schädigend sein kann, kein strafrechtliches Unrecht darstellt, kann ein vorgelagertes Verhalten, welches das potentiell schädigende Verhalten ermöglicht, erst recht kein strafrechtliches Unrecht begründen" (Nestler 1998: 792).

Nutzen und Nachteil der Prohibition

Literatur

  • Hess, Henner (2008) Repression oder Legalisierung? Ein drogenpolitisches Nachwort, in: Bernd Werse, Hg., Drogenmärkte - Strukturen und Szenen des Kleinhandels. Frankfurt/New York: Campus
  • v. Humboldt, Wilhelm (1792) Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen.