Drogenprohibition: Unterschied zwischen den Versionen

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In einem geschlossenen Staatsterritorium mit totaler Kontrolle des öffentlichen und privaten Lebens ist es wahrscheinlich möglich, ein Marktgeschehen mittels des Strafrechts völlig zu eliminieren. Ein historisches Beispiel dafür könnte eventuell die Ausrottung des Opiumhandels und -konsums im kommunistischen China ab 1949 sein. Allerdings ist der Fall nicht gut erforscht - und es steht außer Frage, dass der illegale Drogenhandel im heutigen China trotz des massenweisen Einsatzes des Todesstrafe gegen Händler wieder ein ernstzunehmendes Ausmaß angenommen hat. Insofern ist Vorsicht angebracht.
In einem geschlossenen Staatsterritorium mit totaler Kontrolle des öffentlichen und privaten Lebens ist es wahrscheinlich möglich, ein Marktgeschehen mittels des Strafrechts völlig zu eliminieren. Ein historisches Beispiel dafür könnte eventuell die Ausrottung des Opiumhandels und -konsums im kommunistischen China ab 1949 sein. Allerdings ist der Fall nicht gut erforscht - und es steht außer Frage, dass der illegale Drogenhandel im heutigen China trotz des massenweisen Einsatzes des Todesstrafe gegen Händler wieder ein ernstzunehmendes Ausmaß angenommen hat. Insofern ist Vorsicht angebracht.


Der plausibelste Ansatz ist die Verhinderung der Produktion von Drogen. Wenn es keine Coca-Sträucher mehr gibt, dann gibt es auch keine aus Coca-Blättern gewonnenes Kokain mehr. Dasselbe gilt für Schlafmohn als Ausgangspflanze für die Gewinnung von Opium. Die Vernichtung und Substitution von Mohn, Coca und Hanf hat bislang allerdings noch keinen Erfolg gehabt. Die Anbaugebiete sind abgelegen und ersetzbar, die Bauern und die weiteren Profiteure (Militärs, Paramilitärs, Guerillaverbände usw.) sind dagegen und betreiben Obstruktion. Hinzu kommen die gesundheitlichen und umweltbelastenden Kollateralschäden, die oft größer sind als der Nutzen solcher Aktionen. Wo das Wohlergehen ganzer Regionen und Bevölkerungen vom Drogengeschäft abhängt, sind zudem oft gerade auch verantwortungsbewußte Politiker nicht an der Zerstörung der Lebensgrundlagen interessiert.
Der plausibelste Ansatz ist die Verhinderung der Produktion von Drogen. Wenn es keine Coca-Sträucher mehr gibt, dann gibt es auch kein aus Coca-Blättern gewonnenes Kokain mehr. Dasselbe gilt für Schlafmohn als Ausgangspflanze für die Gewinnung von Opium. Die Vernichtung und Substitution von Mohn, Coca und Hanf hat bislang allerdings noch keinen Erfolg gehabt. Die Anbaugebiete sind abgelegen und ersetzbar, die Bauern und die weiteren Profiteure (Militärs, Paramilitärs, Guerillaverbände usw.) sind dagegen und betreiben Obstruktion. Hinzu kommen die gesundheitlichen und umweltbelastenden Kollateralschäden, die oft größer sind als der Nutzen solcher Aktionen. Wo das Wohlergehen ganzer Regionen und Bevölkerungen vom Drogengeschäft abhängt, sind zudem oft gerade auch verantwortungsbewußte Politiker nicht an der Zerstörung der Lebensgrundlagen interessiert. Eine Alternative zur Vernichtung der Drogenpflanzen wäre die Rückkehr zum früher schon vielerorts praktizierten Lizenzsystem für den legalen Drogenanbau zu wissenschaftlichen, medizinischen und ggf. auch genießenden Gebrauch.
 
Die Methode, den Markt durch die Störung des Handels auszutrocknen, also durch polizeiliche Beschlagnahmungen und Vernichtungen, funktioniert punktuell und zeitlich begrenzt, hat sich im großen Ganzen jedoch nicht bewährt. Selbst eine Quote von 5, 10, 20 oder mehr Prozent an Sicherstellungen hat keinen entscheidenden Einfluss auf den Markt. Zu groß sind die vorhandenen Mengen, zu groß ist die Nachfrage - und zu hoch sind die Gewinne. Die Akteure können festgenommen werden, aber neue Akteure wachsen nach: man sehe sich nur die Bevölkerungsentwicklung und die Einkommensentwicklung sowie die Berufschancen der nachwachsenden Jahrgänge in den entsprechenden Weltgegenden an.
 
Während der legale Drogenmarkt Konzentrationsprozessen unterliegt und Neueinsteiger keine Chance haben, ist gerade die Illegalität eine Garantie für die Fragmentiertheit des verbotenen Marktes - und für einen ununterbrochenen Fluss von nachwachsendem Person und start-ups.
 
Im Kleinhandelsmilieu und auf der Strasse widerspricht die Repression der Krankheits-Theorie, scheitert aber auch an sozialen Barrieren im Mittel- und Oberschichtsmilieu. Hinzu kommt, dass die Selbstlegitimation der Repression auf die Figur des Großhändlers angewiesen ist, während man hier auf die Nur-Konsumenten und vor allem die problemlosen recreational user stößt.
 
Die Prohibition hat also ein Vollzugsdefizit. Aber sie ist nicht folgenlos.
 
=== Nutzen ===
Die Opiumproduktion ist von global 30 000 Tonnen im Jahre 1909 auf nun 5 000 Tonnen gesunken, während die Weltbevölkerung von 1,6 auf 6,4 Milliarden Menschen gestiegen ist. Immerhin gab es einst 25 Millionen Opiumraucher in China - und heute nur relativ wenige. Andererseits gibt es heute viel mehr Drogenarten und -konsumformen - und was die Chinesen angeht, so war es gerade nicht das globale Prohibitionsregime, das diesen Erfolg bewirkt hatte.
 
Auch nutzen nur rund 5% der Weltbevölkerung heute illegale Drogen. Während 28% der Weltbevölkerung der 15-64 Jahre alten Menschen Zigaretten rauchen. Und vielleicht trägt die Prohibition auch dazu bei, dass manche Menschen aus finanziellen und praktischen Gründen einen mäßigeren Konsum pflegen als dies sonst der Fall wäre.
 
=== Nachteil ===
*Staatlicher Kontrollverlust über Produktion und Distribution (quantitativ, qualitativ, fiskalisch)
*Gefährdung der Verbraucher (kein Verbraucherschutz, keine Qualitätssicherung, keine echte Drogenberatung)
*Verschiebung zu stärkerer Wirkstoffkonzentration (bei legalen Drogen umgekehrt) und härteren Konsumformen
*Beschaffungskriminalität
*Bindung von Strafverfolgungsressourcen
*Korrumpierung
*Erosion des Rechtsstaats durch geheimdienstliche Methoden bei opferlosen Delikten
*Massenweise Rechtsgutsverletzungen durch Strafen und extralegale Repressionen, obwohl die Legitimität der Strafbarkeit des Tuns zweifelhaft ist
*Massenweise entgangener Genuss und entgangene Ausübung von Freiheitsrechten (sowohl durch genussfeindliche Konsumformen als auch durch Verhinderung von Konsum)
 
 
== Anachronismus der Prohibition ==
Die sozial sichtbar werdenden Drogenkonsumenten entsprechen dem herrschenden ''Defizit-Paradigma'' - die Drogen dienen zur Scheinerklärung einer lumpenproletarischen Szene mit einem Touch von Bohème. Es gibt jedoch keine Logik, die vom Probierkonsum zur Verelendung führt. Es gibt hingegen eine große Mehrheit von Konsumenten, die ihren Konsum in ihr normales Alltagsleben integrieren. Wie beim Alkohol gehört die große Mehrheit dem ''Genuss-Paradigma'' an. Drogenkonsum ist kulturtypisches und nicht etwa pathologisches Verhalten. Was einst als Laster verboten war - Glücksspiel, Ehebruch, Homosexualität, Pornografie, Tabak, Alkohol usw. - ist heute weitgehend wertrational legitimiert und lebensstilmäßig auch autonom kontrolliert, nicht aber bei Strafe verboten.
 
Das spricht dafür, nicht nur ''harm reduction'' zu betreiben, sondern eine Legalisierung anzustreben.
 
== Folgen der Legalisierung ==
*Wegfall der gesetzlich konstruierten Kriminalität
*Rückkehr zu rechtsstaaatlichen Fahndungsmethoden
*Wegfall der gesetzlich induzierten Kriminalität (Konkurrenz, aktive Korruption, Geldwäscherei, Beschaffungskriminalität, passive Korruption, Hehlerei, Übergriffe der Kontrollorgane)
*Straftaten unter Drogeneinfluss bedürften besonderer Aufmerksamkeit
*Risikoverhalten im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz usw. bedarf ebenfalls besonderer Aufmerksamkeit (Teilprohibitionen in Bezug auf Alter, Situation, Raum etc.)
*Zunahme des Konsums? Des problematischen Konsums? Des süchtigen Konsums? Bisherige Evidenz: kein Grund zur Besorgnis.


== Literatur ==
== Literatur ==
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*v. Humboldt, Wilhelm (1792) Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen.
*v. Humboldt, Wilhelm (1792) Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen.
== Videos ==
*[http://www.youtube.com/watch?v=TXLkQVcpjmY Hilary Clinton Why Legalization Cannot Be Done]
31.738

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