Drogendelikte im Straßenverkehr: Unterschied zwischen den Versionen

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==''' Begriffsdefintion'''==  
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Version vom 16. Oktober 2015, 08:55 Uhr


Begriffsdefintion

Unter Drogendelikten im Straßenverkehr versteht man die Summe der Tatbestände, welche den Gebrauch von (Kraft-)fahrzeugen im öffentlichen Verkehrsraum unter dem Einfluss berauschender Mittel sanktionieren. Darunter fallen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Aufgenommen werden diese Delikte von der Polizei, welche gesetzlich ermächtigt ist Verkehrskontrollen durchzuführen. Dieser Artikel soll die Situation in Deutschland darstellen, einen Überblick über die vorhandenen Tatbestände bieten, sowie Kontroll-, Test- und Nachweisverfahren erläutern. Anschließend wird im Sinne der Normgenese ein kriminologisch konstruktiv-kritischer Blick auf die vorgestellten Tatbestände geworfen.

Rechtslage

Straftaten

§29 BtMG

§29 BtMG stellt u.a. alle Besitz-, Einfuhr- und Veräußerungsformen von Betäubungsmitteln unter Strafe. Sollten bei einem Verkehrsteilnehmer Betäubungsmittel gefunden werden, wird ein solches Strafverfahren eingeleitet. Bei ausschließlichem Nachweis von Betäubungsmitteln im Blut erfolgt die Verfahrenseinleitung nach §29 BtMG mit der Begründung, dass in der Regel der Konsum den Besitz von Betäubungsmitteln impliziert. Deutschlandweit wird die Verfahrenseinleitung bei reinen Verkehrsdelikten unterschiedlich gehandhabt.

§316 StGB

§316 StGB – „Trunkenheit im Verkehr“ stellt das unsichere Führen von Fahrzeugen unter der Wirkung von Alkohol und „anderen berauschenden Mitteln“ unter Strafe. Mit „anderen berauschenden Mitteln“ werden nach dem BtmG illegale Betäubungsmittel (Drogen) sowie jegliche Form von sonstigen Rauschmitteln (auch Medikamente) unter diesen Tatbestand subsumiert. Die Anwendung des Tatbestands ist nicht auf das Führen von Kraftfahrzeugen beschränkt, sondern gilt für alle Fahrzeuge, damit z.B. auch Fahrräder. Im Gegensatz zur alkoholbedingten Verkehrsunsicherheit (z.B. absolute Verkehrsuntüchtigkeit von Kraftfahrzeugführern ab 1,1 Promille im Blut) sind bisher für die berauschenden Mittel keine Grenzwerte durch Rechtsprechung für das Vorhandensein der Verkehrsuntüchtigkeit entwickelt worden (vgl. BGH 4 StR 477/11 -21.12.2011). Der §316 StGB wird auch als die „folgenlose Trunkenheitsfahrt“ bezeichnet, um ihn klar von §315c StGB abzugrenzen. Regelbeispiel für eine Tatbegehung gem. §316 StGB ist eine durch Rauschmittel verursachte verkehrsunsichere Teilnahme am Straßenverkehr, ohne konkrete Gefährdung anderer Personen oder fremder Sachen.

§315c StGB

§315c StGB –„Gefährdung des Straßenverkehrs“ stellt §316 StGB u.a. mit der Erweiterung einer konkreten Gefährdung (Leib oder Leben von Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert) unter Strafe. Als eine Art Auffangtatbestand bei Verkehrsunsicherheiten ohne Rauschmittelbeeinflussung ist das Führen von Fahrzeugen infolge geistiger und körperlicher Mängel mit konkreter Gefährdung erfasst. Weiterhin werden sieben grob verkehrswidrig und rücksichtslos begangene Verkehrsvorgänge unter Strafe gestellt, deren nähere Erläuterung hier nicht relevant ist. Regelbeispiel für die Tatbegehung des §315c StGB ist ein Verkehrsunfall unter Alkohol- oder Drogenbeeinflussung.

§323a StGB

§323a StGB – „Vollrausch“ stellt die Begehung einer rechtswidrigen Tat unter Rauschmitteleinfluss unter Strafe. Bei §323a StGB handelt es sich um ein Auffangdelikt, welches immer dann greift, wenn ein Delikt nicht mehr bestraft werden kann, weil sich der Täter auf Grund des Rausches in einem Zustand der Schuldunfähigkeit (§§20, 21 StGB) befunden hat. Auch hier sind für die alkoholbedingte Begehung durch Rechtsprechung Grenzwerte entwickelt worden. Ab 3,0 Promille Blutalkoholkonzentration wird die Schuldunfähigkeit regelmäßig durch Verfolgungsbehörden geprüft. Für anderweitige Betäubungsmittel kann die Schuldunfähigkeit nicht mittels Blutgutachten allein nachgewiesen werden, sondern bedarf einer Gesamtbetrachtung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Diese erfolgt in der Regel durch die den Sachverhalt aufnehmenden Polizeibeamten und ein weiteres Mal durch einen Arzt, der im Anschluss an die Blutentnahme eigenständige motorische Tests durchführt.

Ordnungswidrigkeit

§24a II StVG

§24a II StVG ist ein Ordnungswidrigkeitentatbestand, welcher das Führen eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung eines berauschenden Mittels im öffentlichen Verkehrsraum sanktioniert. §24a II StVG ist bei Betäubungsmittelverstößen im Straßenverkehr der am häufigsten erfüllte und angezeigte Tatbestand. Die Bußgelder sind katalogisiert und werden nach Häufigkeit der Begehung gestaffelt erhöht. Bei einem Erstverstoß ist ein Bußgeld von 500€ angesetzt. Bei weiteren Verstößen erhöht es sich jeweils um 500€. Sollte eine vorsätzliche Tatbegehung nachgewiesen werden, verdoppelt sich das angesetzte Bußgeld auf bis zu 3000€. Die Norm kann als Auffangtatbestand für Rauschmittelbeeinflussungen im Straßenverkehr gesehen werden, die nicht nach §§316, 315c StGB strafbar sind. Die Norm wurde 1998 eingeführt. Anders als bei den vorgestellten Straftatbeständen werden keine Verkehrsunsicherheiten oder Ausfallerscheinungen bei dem betroffenen Fahrzeugführer gefordert. Für lediglich alkoholbeeinflusste Fahrzeugführer ohne Ausfallerscheinungen wurde der Tatbestand des §24a I StVG geschaffen. Für die Erfüllung des Tatbestandes §24a II StVG genügt es, wenn eine entsprechende Substanz, welche in einer Anlage zu dieser Norm im Straßenverkehrsgesetz abschließend aufgeführt ist, im Blut des Betroffenen gefunden wird. Der Gesetzgeber hat damit zunächst einen „Null-Promille-Grenzwert“ für jeglichen Drogenkonsum in Verbindung mit dem Straßenverkehr eingeführt. Folgende Substanzen sind vom Tatbestand betroffen:

  • Cannabis / Tetrahydrocannabinol (THC)
  • Heroin
  • Morphin
  • Kokain
  • Kokain / Benzoylecgonin
  • Amphetamin
  • Metamphetamin
  • Methylendioxyamphetamin (MDA)
  • Methylendioxyethylamphetamin (MDE)
  • Methylendioxymethamphetamin (MDMA)


Durch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vom (BVerfG 21.12.2004 – 1 BvR 2652/03) wurden Wirkstoffgrenzen für Verstöße gem. §24a II StVG gefordert. Diese Gerichtsentscheidung sorgte dafür, dass nicht mehr jede Menge des berauschenden Mittels, die im Blut des Betroffenen nachgewiesen wird, zur Erfüllung des Tatbestandes ausreicht. Gefordert ist nun eine Wirkstoffkonzentration, die es als möglich erscheinen lässt, dass der Betroffene in seiner Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, entwickelte im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums die sogenannte „Grenzwertkommission“ folgende Empfehlungen zu Wirkstoffnachweisen im Blut:

  • Tetrahydrocannabinol (THC) 1 ng/ml
  • Morphin/Heroin 10 ng/ml
  • Benzoylecgonin (BZE) 75 ng/ml
  • Methylendioxy-N-methylamphetamin (MDMA) 25 ng/ml
  • Methylendioxy-N-ethylamphetamin (MDE) oder Methylendioxyamphetamin (MDA) 25 ng/ml
  • Amphetamin 25 ng/ml
  • Methamphetmin 25 ng/ml


Wird im Blut des Betroffenen eine geringere, als die oben angegebene Wirkstoffkonzentration gefunden, wird das Verfahren gem. §24a II StVG seitens der Verfolgungsbehörden eingestellt. Werden mehrere Substanzen gleichzeitig oder eine Substanz in Kombination mit Alkohol nachgewiesen, entfallen die festgelegten Wirkstoffuntergrenzen. Durch das Bundesverwaltungsgericht wurde der durch die Grenzwertkommission festgelegte Wert von 1ng/ml THC im Blut inzwischen höchstrichterlich bestätigt. (BVerwG, Urt. v. 23.10.2014; 3 C 3.13)

Kontroll- und Testverfahren

Die beschriebenen Tatbestände werden durch die Polizei bei Verkehrskontrollen festgestellt. Anlass der Kontrolle sind bei den skizzierten Straftatbeständen in der Regel Fahrauffälligkeiten oder ein Verkehrsunfall. Rechtsgrundlage der Polizeikontrolle wäre in solchen Fällen §163b StPO. Die häufigste Form der Verkehrskontrolle ist die sogenannte „verdachtsunabhängige Verkehrskontrolle“ gem. §36 Abs. 5 StVO. Die Polizei ist durch diese Norm u.a. befugt, unabhängig eines Verdachtes jeden Verkehrsteilnehmer zur Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit anzuhalten und zu kontrollieren. Erlangen Polizeibeamte bei der Kontrolle des Fahrzeugführers Hinweise auf eine Beeinflussung durch Rauschmittel, wird dieses z.B. durch standardisierte motorische Tests vor Ort weiter überprüft. Erhärtet sich der Tatverdacht, wird ein Atemalkohol- bzw. Drogenvortest auf Urinbasis angeboten. Dieser kann für die tatbetroffenen Fahrzeugführer be- oder entlastend wirken. Für einen Urintest genügen bereits wenige Tropfen. Ein anschließender Einmal-Schnelltest untersucht den Urin auf Abbauprodukte der gängigsten Betäubungsmittel. Für den Nachweis von Drogen im Körper werden auch Vortests auf Speichelbasis angeboten. Diese sind einfacher durchzuführen, da keine Urinabgabe mehr nötig ist. Das zuverlässigste Gerät wird seitens der Firma Dräger angeboten (Dräger Drugtest 5000). Herstellerübergreifend sind die Auslesegeräte und Probensätze wesentlich teurer als die Einmal-Urintests. Bundesweit werden seitens der Polizeibehörden daher maßgeblich Urin-Schnelltest verwendet. Verläuft ein Schnelltest positiv, wird eine Blutprobe angeordnet. Für die beschuldigten oder betroffenen Fahrzeugführer sind, formal betrachtet, sämtliche Vortests freiwillig. Wird ein Vortest abgelehnt, kann dennoch eine Blutprobe angeordnet werden. Blutentnahmen gem. §81a StPO unterliegen dem Richtervorbehalt. Bei Einwilligung des Tatbetroffenen entfällt dieser. Ein zuständiger Richter kann nicht immer rund um die Uhr erreicht werden. Die zuständigen Gerichtsbezirke sind nicht verpflichtet, zur Nachtzeit einen Bereitschaftsdienst für Blutentnahmen bei Verkehrsdelikten zu stellen (VerfGH Saarland, Urt. V.15.04.2010 - Lv 5/09). Gefährdet die Verzögerung bis zum Erreichen eines Richters den Untersuchungserfolg, kann die Blutentnahme gem. §81a II StPO auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (Polizeibeamte) angeordnet werden.

Nachweis

Bei einem hinreichenden konkreten Tatverdacht der Alkohol- oder Drogenbeeinflussung des Fahrzeugführers erfolgt auch bei Verweigerung der Vortests die Anordnung einer Blutprobe gem. §81a StPO, welche nötigenfalls auch zwangsweise durchgeführt wird. Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren erfolgt zum Nachweis nötigenfalls eine Blutprobe gem. §81a StPO i.V.m. §46 OWiG. Wegen der Geringfügigkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist die Blutentnahme auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren verhältnismäßig (vgl. Rodorf). Der gerichtsverwertbare Nachweis sämtlicher Drogendelikte im Straßenverkehr erfolgt ausschließlich über die Blutprobe und deren anschließende Laboranalyse. Ein positiver Urin-Schnelltest ist für das Verfahren nicht ausreichend (vgl. Burhoff). Eine Ausnahme bietet der Ordnungswidrigkeitentatbestand gem. §24a I StVG. Der Tatbestand gilt für Fahrzeugführer, die lediglich eine Atemalkoholkonzentration zwischen 0,5 - 1,09 Promille ohne körperliche und fahrerische Auffälligkeiten aufweisen. Sie können freiwillig in eine protokollierte Messung ihrer Atemalkoholkonzentration einwilligen. Eine erfolgreiche Messung befreit von der Blutentnahme und ist gerichtsverwertbar (vgl. Nds-Blutentnahme-Erlass). Für drogenbeeinflusste Fahrzeugführer fehlt diese Möglichkeit bislang.

Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörden

Über das Verwaltungsrecht können die Fahrererlaubnisbehörden unabhängig vom Ausgang eines drogenbedingten Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens Zweifel an der Eignung des Fahrzeugführers am öffentlichen Straßenverkehr begründen. Das gilt für Personen, die eine amtliche Fahrerlaubnis besitzen oder diese zukünftig erwerben wollen. Dieses ergibt sich aus den Normen des §11 und §14 – i.V.m. der Anlage IV der Fahrerlaubnisverordnung. Es genügt der Nachweis des Konsums oder des Besitzes. Eine Teilnahme am Straßenverkehr ist nicht zwingend erforderlich. (BVerwG, Urt.v.14.11.2013; 3 C 32.12). Durch das Bundesverwaltungsgericht wurde bestätigt, dass die Fahrerlaubnisbehörden auch bei Weichdrogen wie Cannabis ab einem nachgewiesenen Konsum in Höhe des Grenzwertes von 1ng/ml Blut eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) anordnen dürfen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2014; 3 C 3.13). Bei synthetischen Drogen genügt der Besitz oder der Nachweis des Konsums, unabhängig der Höhe der festgestellten Werte im Blut. Das Verwaltungsverfahren läuft parallel zum Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Kriminologisch betrachtet, ist hier besonders interessant, dass oft noch bevor über die Rechtsfolgen des Verfahrens seitens der Staatsanwaltschaft, des Gerichtes oder der Bußgeldstellen entschieden wurde, die Fahrerlaubnisbehörden den Führerschein nach Kenntnisnahme des Blutgutachtens bereits dauerhaft entzogen haben. Die Anordnung von Fahrverboten im Hauptverfahren laufen daher häufig ins Leere (Pütz 2013).

Kriminologische Relevanz und Kritik

Kriminologisch betrachtet handelt es sich bei Kontrolle von Fahrzeugführern hinsichtlich ihrer Verkehrstüchtigkeit um Vorgänge institutioneller sozialer Kontrolle in Form der aufgeführten gesetzlichen Tatbestände und Eingriffsmaßnahmen. Bei den durch die Polizei durchgeführten Drogen- und Alkoholvortests handelt es sich zudem um Kontrolltechniken in Form eines technischen Verfahrens. Festgestellte Normabweichungen der betroffenen Personen werden hierdurch sichtbar gemacht. (Paul/Egbert 2013). In Bezug auf den Labeling-Ansatz wird kritisiert, dass der Staat bei Drogenkontrollen seine Bürger kriminalisiert, unabhängig vom Erfolg der Kontrolle. Fahrzeugführer, die vermehrt aufgrund von Auswahlfaktoren seitens der Polizei in diesem Rahmen kontrolliert werden, fühlen sich stigmatisiert (Stöver 2008 / Pütz 2013). Dazu trägt insbesondere bei, dass positiv getestete Personen in polizeilichen Abfragesystemen gespeichert werden. Auch Jahre später kann der dortige Eintrag „Betäubungsmittelkonsument“ bei Personenüberprüfungen zu einem entsprechenden Kontrollfokus führen. Sollte das Ergebnis einer Blutentnahme später knapp positive Werte ergeben, obwohl der Fahrzeugführer wissenschaftlich und ärztlich betrachtet gar nicht verkehrsunsicher berauscht war, hätte die Polizei tatsächlich Kriminalität durch ihr Handeln selbst erschaffen. In Bezug auf Strafverfahren zum Besitz von Betäubungsmitteln urteilte das Bundesverfassungsgericht 1994 grundsätzlich positiv zur Strafbarkeit von geringfügigen Verstößen. Im Ergebnis wurden seitens der Bundesländer unterschiedliche Grenzwerte für eine „geringe Menge“ Betäubungsmittel definiert (§§ 29 V, 31a BtMG), bei der von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen werden kann. Seitens der Staatsanwaltschaften wird die Thematik der „geringen Mengen“ je nach Gerichtsbezirk äußerst unterschiedlich gehandhabt und führt im Ergebnis zu einer massiven rechtlichen Verunsicherung der Konsumenten. Die Entkriminalisierung des Besitzes von kleinen Mengen Drogen führte dazu, dass sich die staatliche Sanktionierung des Drogenkonsums in den Bereich der Verkehrssicherheit verschoben hat (Pütz 2013). Nicht nachvollziehbar erscheint für Gelegenheitskonsumenten, weshalb ein nachgewiesener und von der Teilnahme am Straßenverkehr völlig getrennter Konsum von Cannabis zum Entzug der Fahrerlaubnis und Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung führen kann. Seitens der Betroffenen wird die Rechtspraxis im Verwaltungs- und Verkehrsrecht als eine Art Ersatzstrafrecht für die Verfolgung der Cannabiskonsumenten empfunden (Pütz 2013). Die Nulltoleranzgrenze des Verkehrsrechts ist als ein Teil der derzeitigen Drogen- und Gesundheitspolitik zu sehen (Schnabel 2005). Insbesondere die deutschen Grenzwerte für das Ordnungswidrigkeitenverfahren gem. §24a II StVG stehen in der Kritik. International üblich werden die Messergebnisse für Betäubungsmittel im Gesamtblut bestimmt. In Deutschland hingegen ermittelt man die Betäubungsmittelbeeinflussung aus dem Blutserum. Dies führt bei der Auswertung tendenziell zu ca. doppelt so hohen Werten wie die Analyse des Gesamtblutes (Schulz/Vollrath 1997 sowie Vollrath/Löbmann 2007 ). Im Rahmen einer europäischen Studie (DRUID 2011) wurden auch nur Drogenfahrten ab einem THC-Nachweis von 1ng/ml Gesamtblut erfasst. In Deutschland entsprechen allerdings 0,5 ng/ml im Gesamtblut schon einem Wert von 1 ng/ml im Blutserum und führen zu einer Ordnungswidrigkeit gem. §24a II StVG. Die deutschen Grenzwerte für Drogenfahrten sind damit vergleichsweise streng. In der Wissenschaft herrscht generell noch Uneinigkeit bzgl. einer Festlegung von Betäubungsmittelgrenzwerten im Straßenverkehr. Generell setzt man seitens der Wissenschaft deutlich höhere Werte an, als die deutsche Grenzwertkommission ermittelt hat: Bei einem Vergleich zur Rauschwirkung von Alkohol und der deutschen 0,5 Promillegrenze wurde in Bezug auf Cannabis ein Grenzwert von 7-8ng THC/ml Blutserum ermittelt und als neuer Grenzwert vorgeschlagen (Schnabel 2005 / Berghaus 2005). Wissenschaftlich wird allerdings auch ausgeführt, dass z.B. Cannabis auf den einzelnen Konsumenten höchst unterschiedlich wirkt und sich somit ein pauschaler Vergleich von Cannabis und Alkohol im Bezug zu einer festgelegten Grenze der Fahruntüchtigkeit generell verbietet. (Vollrath/Löbmann 2007). In der Schweiz existiert ein gesetzlicher Cannabisgrenzwert von 1,5ng/ml für Fahrdienstpersonal (Bus und Bahn) und in Colorado (USA) ein Wert von 5ng/ml für normale Verkehrsteilnehmer – jeweils gemessen im Gesamtblut. Rechnet man die Unterschiede durch die Messerverfahren heraus, stellt sich an die politisch Verantwortlichen die Frage, aus welchem Grund Fahrpersonal in der Schweiz mit umgerechnet 3ng/THC/ml Blutserum als verkehrssicher gilt. Noch deutlicher wird es im Vergleich zu den USA - dem Mutterland des „War on Drugs“. Dort liegt der Grenzwert für Cannabis bei umgerechnet 10ng/THC/ml Blutserum, der damit zehnmal höher liegt als der Wert der Grenzwertkommission in Deutschland. Die Wirkmechanismen von Betäubungsmitteln sind insgesamt vielschichtiger als die von Alkohol. Es existieren keine klaren Rückrechnungsregeln, die bestimmen ab wann ein Konsument aus verkehrsrechtlicher Sicht wieder nüchtern ist. Insgesamt ist die Nachweisbarkeit synthetischer Drogen im Urin und im Blut wesentlich kürzer, als die von Cannabis. Durch den äußerst strengen Cannabisgrenzwert von 1ng/THC/ml Blutserum, der auch noch Tage nach dem letzten Konsum vorhanden sein kann, wäre es aus Sicht eines deutschen Drogenkonsumenten verkehrsrechtlich naheliegend, auf gefährlichere synthetische Substanzen umzusteigen. Die deutsche Drogen- und Gesundheitspolitik wäre durch derartige Handlungen ad absurdum geführt.

Weblinks

Literatur/Quellen

  • Paul/Egbert: Augenscheinlich überführt: Drogentests als visuelle Selektionstechnologie. In Krankheitskonstruktionen und Krankheitstreiberei; Dellwing/ Harbusch ( Hrsg.) 2013 , Wiesbaden: Springer VS – Verlag für Sozialwissenschaften S.233-269. ISBN: 978-3-531-18783-9
  • Stöver: Sozialer Ausschluss und Soziale Arbeit; Roland Anhorn, Frank Bettinger, Johannes Stehr (Hrsg.) 2008, Wiesbaden: Springer VS – Verlag für Sozialwissenschaften S.336-338. ISBN: 978-3-531-90821-2
  • Pütz: Cannabis und Führerschein; 2013, Solothurn-Schweiz: Nachtschatten Verlag AG ISBN: 978-3-03788-279-5
  • Schulz/Vollrath: Fahruntüchtigkeit durch Cannabis, Amphetamine und Cocain: Literaturanalyse, Mensch und Sicherheit; 1997, Bremerhaven : Wirtschaftsverl. NW, Verl. für Neue Wiss.; S.26 ISBN: 978-3-897-01060-4
  • Vollrath/Löbmann: Fahrten unter Drogeneinfluss – Einflussfaktoren und Gefährdungspotenzial; in: Berr/Krause/Sachs (Hrsg.): Drogen im Straßenverkehr; 2007, C.F.Müller Juristischer Verlag Heidelberg, S.42-44 ISBN: 978-3811408456
  • Vergleichswerte Cannabis und Alkohol; Berghaus, 2005 in: Berr/Krause/Sachs (Hrsg.): Drogen im Straßenverkehr; 2007, C.F.Müller Juristischer Verlag Heidelberg, S.36-42 ISBN: 978-3811408456

Gerichtsurteile