Der Mord im Zusammenhang des Tötens

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Der Mord als Schlüsselbegriff der Kriminologie

Wer nach einer Definition der Kriminologie fragt, findet in den Standardwerken der Zunft oft die Antwort: die Kriminologie, das ist die empirische Wissenschaft vom Verbrechen. Fragt man weiter, was denn das Verbrechen sei, erhält man von Juristen gern die Auskunft: ein Verbrechen, das ist jede rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht ist (§ 12 Absatz 1 StGB). Fragte man hingegen außerhalb des Universitätsgeländes zehn beliebige Passanten: Was ist ein Verbrechen? Dann antworteten wahrscheinlich die meisten nicht mit einer Definition, sondern mit einem Beispiel: "'Ein Verbrechen, das ist zum Beispiel ein Mord.' Die Häufigkeit dieser Antwort steht in keinem Verhältnis zur Kriminalstatistik, in der ganz andere Delikte die Hauptrolle spielen. Obwohl er relativ selten ist, spielt der Mord im allgemeinen Bewußtsein eine Schlüsselrolle. Kraft seines Beispiels wird überhaupt erst verstanden, was ein Verbrechen ist" (Enzensberger 1964: 10).

Zusammen mit seinem kleinen Bruder, dem Totschlag, öffnet uns der Mord einen Spalt breit die Tür in eine andere Welt jenseits der Alltagsroutine: die Welt von Blut und Gewalt, von Grenzerfahrungen, ungebremster Aggression und teuflischer Grausamkeit. Es ist die Welt der vermischten Nachrichten aus aller Welt, des Traums, des Theaters, der Dokumentarfilme und des sonntäglichen Tatort-Krimis. Unser Gedanken- und Gefühlshaushalt scheint die Befassung mit der Grausamkeit als Kontrastfolie zu benötigen: einerseits als divertimento, also als Nervenkitzel, um sich vor "tödlicher Langeweile" zu bewahren, andererseits aber auch als eine - zum Glück - in die Sphäre der Repräsentation verlagerte psychohygienische Abfuhr konfligierender emotionaler Unruhezustände, als Katharsis eines auch vielen Experten immer noch rätselhaften Angst-Aggressions-Lust-Komplexes. Die Repräsentationen der Gewalt werden intensiv verbreitet, sie werden aber auch zugleich wie süchtig konsumiert - und wie der Leibhaftige geächtet. Gewaltdarstellungen in den Medien werden kritisch bewertet, für die reale Gewalt verantwortlich gemacht und müssen oft genug als Sündenböcke herhalten. Das ist nicht ganz gerecht und übersieht regelmäßig die womöglich für jede Gesellschaft überlebensnotwendige Funktion symbolischer Gewaltarbeit (Schäffauer 2011). Das scheint mir auch und besonders für die filmische und literarische Befassung mit der Figur des Serienkillers zu gelten - eine populäre Ikone, die so viele Ambivalenzen bündelt, dass sie selbst in der Wissenschaft Stirnrunzeln hervorruft; was genau es ist, was eine Rezeption und Durcharbeitung des medialen wie des realen Phänomens blockiert, kann ich an dieser Stelle nicht weiter untersuchen. Bei vielen Serienmördern in der Realität jedenfalls war immer wieder festzustellen, dass ihnen die Fähigkeit zur Differenzierung zwischen materieller und symbolischer Realität abging. Vereinfacht ausgedrückt: wo andere die Dinge im Traum, im künstlerischen Ausdruck oder in anderer sublimierter Form ausdrücken, müssen sie den Akt selbst ausführen. Vielleicht ist es der Verlust an Symbolisierungsfähigkeit, der uns Angst macht; jedenfalls kann man sagen: je deutlicher die realen Konsequenzen dieses Verlustes hervortreten, desto gründlicher werden sie ignoriert.

Der Mord ist aber auch ein Schlüsselbegriff der Kriminologie selbst. Im kontroversen Fundament der Kriminologie als Wissenschaft, den Verbrecherbildern des Turiner Mediziners Cesare Lombroso aus dem Jahre 1876, spielt die Beschreibung des Mörders als des Inbegriffs des geborenen Verbrechers die zentrale Rolle. Im Zeitalter der Klassifikationen und Typologien investierte die Wissenschaft in die möglichst präzise Beschreibung unterschiedlicher Erscheinungsformen des Verbrechers, wobei man anscheinend der Überzeugung war, dass jedem gesetzlichen Straftatbestand ein klar abgrenzbarer Menschentypus entspräche. So wie das Gesetz zwischen Mord, Totschlag, Vergewaltigung und so weiter unterschied, so unterschied die Kriminologie den Mörder vom Totschläger und diesen wiederum vom Vergewaltiger, vom Taschendieb und vom Betrüger.

Der von Comte und Darwin beeinflusste Lombroso glaubte ebenso wie sein Freund und Schüler Enrico Ferri, Mörder schon nach ihrem Äußeren von Vergewaltigern unterscheiden zu können: "Die Mörder haben einen glasigen, eisigen, starren Blick, ihr Auge ist bisweilen blutunterlaufen. Die Nase ist groß, oft eine Adler- oder vielmehr Habichtsnase; die Kiefer starkknochig, die Ohren lang, die Wangen breit, die Haare gekräuselt, voll und dunkel, der Bart oft spärlich; die Lippen dünn, die Eckzähne groß. Nystagmus ist häufig, auch einseitiges Gesichtszucken, wobei sie die Eckzähne zeigen, gleichsam grinsend oder drohend". Die Vergewaltiger hingegen "haben fast immer ein funkelndes Auge, feines Gesicht, schwellende Lippen und Brauen, aber einen starken Unterkiefer. Meist sind die gracil gebaut, bisweilen jedoch bucklig" (Lombroso 1894: 229 ff.). Enrico Ferri (1856-1929) versicherte , dass auch er im Stande sei, "allein aus den organischen Erscheinungen die Diagnose des Mörders zu machen inmitten anderer Verbrecher" (Ferri 1896: 38). Die sog. Lyoner Schule unter Alexandre Lacassagne (1843-1924) wiederum konterte derlei Biologismen gerne mit dem Hinweis auf sozialstrukturelle Ursachen aller Kriminalität und wurde für das Motto bekannt: "Jede Gesellschaft hat die Verbrecher, die sie verdient" (Lacassagne 1913: 364). So begann der Streit zwischen den beiden großen Lagern: ist es die Anlage oder ist es die Umwelt, die den Menschen zum Verbrecher macht? Ein Streit, der bis heute nicht beigelegt ist, denn auch der radikal anti-ätiologische Labeling Approach, der den gordischen Knoten mit einem entschiedenen Weder-Noch durchschlagen wollte, kommt ja aus diesem Bezugsrahmen nicht heraus. Nur dass bei ihm die Rolle der Umwelt auf Gesetz, Polizei und Justiz verengt werden: es ist die Gesellschaft in Gestalt dieser Institutionen, die den Menschen kriminalisiert, ihm das Etikett und die Rolle des Delinquenten als ein "negatives Gut" zuweist. Hier macht die Umwelt den Menschen zum Verbrecher, nicht indem sie ihn etwas tun lässt, sondern allein dadurch, dass sie ihn als Verbrecher bezeichnet und behandelt.


Die Nichtverfügbarkeit (elusiveness) des Mordes

Je näher man dem Mord zu kommen versucht, desto mehr entzieht er sich. Im Englischen gibt es für dieses Phänomen das schöne Wort elusiveness, das allerdings mit ausweichendem Verhalten, Nichtkategorisierbarkeit und Undefinierbarkeit noch nicht die richtigen Übersetzungen gefunden hat. Einen Eindruck von diesem Phänomen vermittelt die Kriminalstatistik. In ihr zählt die Polizei die Delikte. Zählt sie aber auch die Morde? Das traut sie sich nicht zu. Es scheint doch schwer zu unterscheiden, was ein Mord ist - und was ein Totschlag.

Also zählt man "Mord und Totschlag" in einer Kategorie. Und Versuche und vollendete Delikte auch noch dazu. Um die Versuche dann nachträglich wieder herauszurechnen. Aber die Morde werden aus den vorsätzlichen Tötungsdelikten nicht wieder isoliert. So weiß man nicht: wie viel Morde werden eigentlich in Deutschland, in den USA, auf der Welt an einem Tag, in einer Woche, in einem Jahr begangen?

International hat sich der Brauch etabliert, vorsätzliche Tötungen zusammen zu veranschlagen. "Murder and non-negligent manslaughter" (USA). "Mord und Totschlag" (D), "homicide", also "Homizide" - Menschentötungen - in den internationalen Statistiken. Die werden dann bei der Weiterverbreitung leicht zu "Mordraten".

Für Deutschland gilt als Faustregel: pro Tag ein Opfer. 2009 zählte die Statistik genau 365 Opfer von vorsätzlichen Tötungsdelikten.

Für Mord und Totschlag zusammen kommen wir in Deutschland laut Kriminalstatistik auf eine getötete Person pro Tag: im Jahr 2009 registrierte die Statistik genau 365 Opfer von Tötungsdelikten. In anderen Jahren sind es mal mehr, mal weniger, aber nie über 800 und nie unter 200. Und von den 703 Fällen (Mord und Totschlag, einschl. Versuche) des Jahres 2009 waren mehr als die Hälfte Versuche - es blieben noch 299 vollendete Taten - und von den 299 vollendeten Taten dürfte die große Mehrzahl schließlich als Totschlag verurteilt worden sein.

Als wäre es auch zu schwierig, zwischen einem versuchten und einem vollendeten Delikt zu unterscheiden, wirft sie auch Versuche und Vollendungen zusammen. So kommt es, dass wir auf die Frage, wie viele Morde es pro Jahr oder pro Woche oder pro Tag in Deutschland gibt, von denen, deren Aufgabe unter anderem in der Registrierung der Straftaten besteht, keine Antwort bekommen.



  • national/international
  • Mord/Totschlag
  • Homizid
  • Dunkelfelduntersuchungen



die Welt der Nie Welt nicht dspielt der Mord Von anderen Menschen sind.ist die Wissenschaft voDer Mord Töten bedeutet ein Leben aktiv beenden. Üblich ist das Töten fremden Lebens. An was denken wir dabei zuerst: an Mord. Das ist aber voreilig. Das Töten ist ubiquitär, es ist Teil der Natur und überall vorhanden. Das Töten ist unter Tieren gang und gäbe, aber auch Pflanzen töten sich gegenseitig oder manchmal auch Tiere. Tiere wiederum töten Pflanzen und vor allem auch andere Tiere, manchmal auch Menschen. Menschen ihrerseits töten Pflanzen und Tiere und andere Menschen. Das Töten anderer Menschen erfolgt aus den verschiedensten Ursachen, auf die unterschiedlichsten Arten und wird sozial höchst unterschiedlich bewertet. Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Zunächst einmal halten wir fest: das Töten - also die aktive Beendigung fremden Lebens - ist ein allgemeines Phänomen. Es ist alltäglich und es ist durch und durch natürlich.

Das gilt nicht ohne Weiteres für die Selbst-Tötung. Der Suizid ist eine Besonderheit, die vor allem die Menschen betrifft und auf der Welt gegenwärtig so etwa eine Million Mal pro Jahr vorkommt. In Europa gibt es pro Jahr 120.000 Suizide, davon betreffen 80% Männer. Suizidversuche sind etwa 20 mal so häufig und bei denen ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichener. In Deutschland gibt es etwa doppelt so viele Suizide wie Todesfälle durch Verkehrsunfälle - rund 10.000 zu 5.000. Nach fast einer Generation zurückgehender Suizid-Raten gehen sie in letzter Zeit wieder hoch. Aber das ist ein anderes Thema.

These 1 lautet demzufolge: das Töten fremden Lebens ist Teil des Lebens selbst. Dies gilt in besonderem Maße für die Fauna. Tiere töten Tiere und Pflanzen und Menschen, Menschen töten Tiere und Pflanzen und andere Menschen.

Der evolutionäre Vorteil des Tötens

In der Natur ist das Leben ohne Töten gar nicht vorstellbar. Der Grund dafür ist einfach: das Töten bietet manifeste Vorteile für die Selbst- und Arterhaltung.

Evolutionär gesehen hat das Töten erhebliche Vor- und Nachteile. Es wird deshalb sowohl gefördert als auch gehemmt. David M. Buss und Joshua D. Duntley (2002) sprechen deshalb von einem evolutionären Rüstungswettlauf ...

Die Kriminologie des Mordes

Die Abgrenzungsproblematik zum Totschlag und anderen Tötungsdelikten

Häufigkeit und Erscheinungsformen

Motive

Soziale Bewertungen des Tötens

Tötungsverbote und Tötungshemmungen

Die Überwindung von Tötungshemmungen

Semantik und höhere Autorität

Gewohnheit und Gruppendruck

Evolutionäre Spaltung der Tötungsethik

Die Gegenwart des Mordes

Die Seltenheit des Mordes in Europa

Problem: falsche Todesursachenermittlung

Vier Mord-Definitionen

Moralunternehmerisch definierte Morde

Der Mut zur Subsumtion

Weiße Rose; Tutu ...

Traditionelle und kritische Kriminologie

Literatur

Weblinks

  • Murder by Design:

Als zwar gelegentlich auch triebhaft handelndes, aber vor allem doch nach Nietzsche "nicht festgestelltes Tier" ist der Mensch zur Verhaltenslenkung auf soziale Normensysteme angewiesen. Diese sozialen Normen kommen in verschiedenen Erscheinungsformen - und meist natürlich nicht mit der Überschrift "Dies ist eine soziale Norm", sondern als Sitte, Gebrauch, Moral oder als System religiöser Gebote mit einem sozialen Sinn.

Was das Auslöschen von Leben angeht - und der Mord ist sozusagen der Inbegriff der aktiven Beendigung der Existenz - so gibt es, wie wir alle wissen, in wahrscheinlich allen Religionen eine Art Tabuzone, die um diesen Handlungstypus gezogen wird. Im Alten Testament findet sich das Gebot: "Du sollst nicht töten".

Warum gibt es dieses Gebot? Nun, es bräuchte dieses Gebot nicht, wenn denn die Instinkte des Menschen ihm genug Hemmungen auferlegten, seine Artgenossen - oder gar überhaupt - zu töten. Doch dem ist nicht so. Biologisch gesehen sind wir Menschen leider durchaus frei, unsere Artgenossen zu töten; unsere instinktive Hemmung dagegen reicht nicht aus (vgl. v. Weizsäcker 1979: 85). Daher die Notwendigkeit, es uns noch einmal als soziale Norm mit möglichst viel Autorität ins Stammbuch zu schreiben.

Wer mordet, versündigt sich religiös gesprochen an Gott. Religionssoziologisch gesprochen: sein Verhalten wird sozial auf das Schärfste missbilligt, es ist absolut unerwünscht, verachtenswert und strafwürdig. Wer mordet, verhält sich deshalb in höchstem Maße anti-sozial. Der Verdacht liegt nahe, dass er religiös gesprochen vom Teufel besessen sein muss, wenn er es trotz der drohenden Diesseits- und Jenseitsstrafen trotzdem macht. Heute würde man sagen: der Verdacht liegt nahe, dass er unter einer anti-sozialen Persönlichkeitsstörung leidet. Mord ist so gesehen die größte denkbare Abweichung von den Erwartungen jeder menschlichen Gemeinschaft und Gesellschaft.

Wäre das alles, dann hätten wir es leicht. Und so hat die Kriminologie die Dinge lange Zeit gesehen: Mord als größte denkbare Abweichung, der Mörder als antisoziales Wesen.

Leider verhält es sich aber nicht ganz so. Denn die religiös verbrämte soziale Norm "Du sollst nicht töten" steht in der Bibel und im wirklichen Leben ja nicht allein. Schon in der Bibel gibt es ein anderes Gebot, das ebenfalls den Charakter einer sozialen Richtschnur für das menschliche Handeln besitzt und das regelmäßig den Befehl ausspricht: "Du sollst töten".

Wenn nämlich Gott befiehlt zu töten, dann musst Du töten. Dein Gehorsam gegen Gott ist höherwertig als das Verbot zu töten. So wie Bundesrecht Landesrecht bricht, wie Verfassungsrecht einfaches Gesetzesrecht bricht, wie jedes höherrangige Recht niederes Recht bricht, so bricht Gottes Befehl jedes einfache Ge- und Verbot.

Gott befiehlt Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern. Er befiehlt dem Volk Israel, seine Gegner auszulöschen. Gegner sind alle Völker, die dort leben, wo das Volk Israel nach seinem Auszug aus Ägypten leben will. Das sind laut Altem Testament nicht weniger als sieben Völker, jedes davon größer und mächtiger als das Volk Israel. Und Gott befiehlt dem Volk Israel, diese Völker anzugreifen und zu vernichten. ###

Psychologen würden hier vielleicht von einer double-bind Situation sprechen. Einerseits heißt es: Du sollst nicht töten, andererseits heißt es seitens desselben Normgebers: Du sollst doch töten. Und es nicht zu tun, heißt, des Todes zu sein.

Hier kann man, muss man die Frage nach dem sozialen Sinn dieses scheinbar widersprüchlichen Normbefehls stellen. Dieser soziale Sinn erschließt sich dann allerdings auch relativ schnell, wenn man bedenkt, was mit dem Satz "Du sollst nicht töten" überhaupt nur gemeint sein kann. Gemeint sein kann nur: "Du sollst nicht auf eigene Faust, aus eigenen Antrieb, aus egoistischen Motiven töten. Du sollst aber dann töten, wenn ich, Dein Gott, es Dir befehle, denn dann geht es nicht um Deinen Nutzen, sondern um die Interessen Deiner Gruppe, Deines Kollektivs, und indem Du bereit bist, andere für Dein Kollektiv zu töten und Dich dabei auch selbst in Gefahr zu bringen, getötet zu werden, erfüllst Du eine soziale Erwartung, bringst einen sozialen Nutzen, während ein Mord aus egoistischen Gründen für die Gruppe ein überaus großer Schaden wäre."

Das ist so natürlich schwer auf Steintafeln zu kriegen, wenn man jeden Buchstaben meißeln muss. Also heißt es "Du sollst nicht töten", und der Rest liegt nicht auf den Schultern des Individuums, sondern ist eine Angelegenheit der Gruppe. Die soll töten und die muss töten, damit sie ihre Existenz sichern kann.

Das hat natürlich die Religion nicht erfunden. Es ist wahrscheinlich ein altes Menschheitsprinzip. Die Tötung innerhalb und gegen Mitglieder der eigenen Gruppe ist verboten, weil sie die Existenzchancen der ganzen Gemeinschaft tangiert. Die Tötung gegen Mitglieder fremder Gruppen ist nicht verboten, sondern im Zweifel erwünscht und lobenswert, weil sie im Interesse der eigenen Gruppe erfolgt. ## Evolution

In Wirklichkeit folgt der Mensch daher von Anbeginn an einer gespaltenen, einer doppelten, einer widersprüchlichen Tötungs-Ethik.

Quantitativ: die kollektive Tötung ist umfangreicher als die private. Enzensberger.

Wer also das Töten von Menschen durch Menschen verhindern oder vermindern will, der müsste mit den positiv konnotierten Tötungen beginnen. Der private Mord spielt nur eine geringe Rolle.

Früher: Vernichtungsrkiege. Völkerrecht: Hankel. Auch im Krieg nicht töten. Ächtung und Sanktion. Paradox der Todesstrafe.

Was wird überhaupt als Mord angesehen? Das Problem der (Verschiebung der) Mordgrenze.

Klassisch: Planung. 1941 Nürnberg: ganz normale Männer. Wird auch Mord genannt. Wenn: die Opfer Zivilisten sind. Aber: Vietnam. Irak.

Dialektik des Westens: einerseits Inklusion ("Mord an Tieren"), andererseits Angriffskriege. Aggressive Leitstaaten. Bush und Blair. Tutu.

Mit Nürnberg hat man der Wissenschaft einen Floh ins Ohr gesetzt. Aber die Politik spricht nicht mehr viel davon.l Sie müßte sich als Angriffskrieger selbst vor Gericht zerren.

Entwicklung der Mordrate in Honduras. Drogenkonsum in entwickelten Ländern. Die Kosten zahlen die anderen.




Merkwürdigerweise Insofern dieses Töten von Artgenossen sogar in jeder menschlichen Gesellschaft vorkommt, ist es zudem nach Émile Durkheims (1968) Kriterium soziologisch gesehen "normal".


Menschen müssen wenig, können aber viel. Sie verfügen über eine enorme Bandbreite möglichen Verhaltens. Deshalb müssen sie keine anderen Menschen töten, können es aber. Und tun es auch: nicht alle Menschen und nicht immerzu, aber doch mit einer mehr oder weniger vorhersehbaren Häufigkeit. Es gibt keinen Tag, an dem nicht Menschen andere Menschen umbringen. Manche dieser Taten sind Morde. Sie sind seltener als andere Formen des Tötens von Menschen, aber auch für sie gilt: es gibt keinen Tag, an dem nicht Menschen andere Menschen ermorden.

Der Mord ragt als spektakuläre Tat aus der Normalität des Tötens heraus. Werfen wir einen Blick auf diese Normalität des Tötens. In der gesamten Welt wird andauernd getötet: da wird pflanzliches Leben beendet und da wird tierisches Leben beendet - sowohl von anderen Pflanzen als auch von anderen Tieren. Und von dem gefährlichsten aller Tiere, dem Menschen. Menschen töten nicht-menschliches Leben immerzu und sie töten auch - sehr viel seltener, aber trotzdem andauernd und auch nicht ganz selten - menschliches Leben. Menschen töten pflanzliches Leben schon beim Unkrautjäten. Sie töten tierisches Leben, wenn sie Motten, Mücken, Fliegen, Mäuse und Ratten erschlagen oder vergiften. Sie töten allein innerhalb der Europäischen Union (European Commission 2008) mehrere Milliarden Hühner und weiteres Geflügel und 360 Millionen Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder für die Fleischerzeugung sowie 25 Millionen Tiere für die Pelzindustrie (pro Jahr).

Der Mensch kann natürlich auch anders. Es gibt eine Gemeinschaft von Menschen - die vor allem in Indien lebenden Jain - die das Prinzip der Gewaltlosigkeit mit größerer Konsequenz verfolgen als andere Menschen. Manche von ihnen tragen einen Mundschutz, um nicht versehentlich kleine Fliegen einzuatmen, viele achten darauf, kein Wurzelgemüse aus dem Boden zu reißen und selbst Äpfel verspeisen sie nach Möglichkeit nur, wenn sie bereits vom Baum gefallen sind. Die Devise des vor rund 2500 Jahren aus dem Brahmanismus entstandenen Jainismus klingt leicht und ist doch schwer: leben und leben lassen. Der Jainismus kennt keinen Gott und keine Priester, wohl aber Menschen, deren Leben als vorbildlich gilt. Ein Reporter, der einen dieser verehrrten Acharyas (namens Elacharya Shri Shrutsagar) im Jahre 2012 in Neu-Delhi besuchte, konnte berichten, dass dieser Mönch sich nicht nur - was die Nahrungsaufnahme anging - für den ganzen Tag mit einem im Stehen eingenommenen Frühstück aus Wasser und Linsenbrei begnügte, sonder aus Gründen der Gewaltfreiheit auch auf jede Körperwäsche verzichtete: "Auch die Einzeller im Wasser haben ein Recht auf Leben. Sie müssen nicht unnötig ausgelöscht werden." Selbst der Dalai Lama soll bei einem Besuch der Jain beeindruckt gewesen sein. Von ihm wird der Ausspruch überliefert: „Der Jainismus ist purer als der Hinduismus und der Buddhismus, weil er die Gewaltlosigkeit mit größerer Konsequenz verfolgt“ (Buchsteiner 2012).





Das heißt allerdings nicht, dass es auch moralisch als unproblematisch gilt. Vielmehr unterliegt das Töten sozial sehr unterschiedlichen Bewertungen, die von schärfster Verurteilung bis zu höchstem Lob reichen. Das Grundmuster, dem die Verteilung von Ächtung und Achtung folgt, sieht folgendermaßen aus. Das Töten von Nicht-Menschen gilt grundsätzlich als moralisch neutral. Das Töten von Artgenossen wird grundsätzlich dann als Gefahr für die Allgemeinheit wahrgenommen und dementsprechend missbilligt, wenn die Handlung aus (egoistischen) Motiven zum privaten Vorteil erfolgt. Demgegenüber wird das (altruistische) Töten zur Abwehr von Bedrohungen des Gemeinwesens innerhalb des betreffenden Gemeinwesens grundsätzlich als notwendig und gerechtfertigt, wenn nicht lobenswert und vorbildlich bewertet. Tötungen können den Status einer Person also beschädigen (Bestrafung, Verachtung), sie können ihn aber auch unberührt lassen (Indifferenz bei Notwehr oder bei der Tötung von Tieren) oder erhöhen (Orden, Ehrenzeichen, Denkmäler).

Die schiere Bandbreite sozialer Werturteile birgt ein gewisses Potential an Wertungswidersprüchen und -konflikten, deren Aufbrechen und Ausufern nicht nur den ethischen, sondern auch den politisch-ideologischen und damit den machtmäßigen Status Quo der Gesellschaft gefährden könnte. Diesem Risiko begegnet in gewisser Weise die Trennung zwischen privater und politischer Moral. Nach dem Prinzip Quod licet Iovi non licet bovi kann dann zwar der Staat das Töten verlangen und belohnen, doch gilt für Privatpersonen nichtsdestotrotz der Satz: Du sollst nicht töten. Eine Vielzahl von Ausnahmen und feinen Differenzierungen führt dazu, dass das soziale Bewertungskontinuum, das sich zwischen der verwerflichsten und der lobenswertesten Tötung erstreckt, letztlich dann aber doch nicht ganz deckungsgleich ist mit dem Kontinuum vom Privaten zum Öffentlichen: die Tötung aus privater Notwehr gilt zum Beispiel als achtens-, die extralegale Tötung von Zivilpersonen durch staatliche Akteure hingegen eher als ächtenswert.

Vor allem aber gibt es auch innerhalb der Klasse der sozial unerwünschten Tötungshandlungen noch erhebliche moralische Differenzierungen: wo die Tötung fahrlässig oder auf Verlangen des dann Getöteten erfolgte, wird sie generell weniger stark geächtet sein als dort, wo sie als Totschlag im Rahmen eines Eifersuchtsanfalls erfolgt oder gar ganz kaltblütig ein arg- und wehrloses Opfer langsam und qualvoll vom Leben zum Tode befördert. Für Taten vom Stile der letztgenannten Art haben die meisten Gesellschaften mittels besonderer Begriffe und Sanktionen eine von anderen Tötungsdelikten abgesonderte Klasse geschaffen, die als Inbegriff des größten Unrechts und der größten Schuld gilt, die ein Mensch auf sich laden kann. Insofern hat die Bezeichnung einer vorsätzlichen Tötung als Mord eine viel wuchtigere und metaphysisch aufgeladenere Bedeutung als wenn sie als Totschlag bezeichnet würde.

Welche Arten von Tötungen jeweils der Kategorie der höchsten Verwerflichkeit zugeordnet werden, unterscheidet sich nach Epochen, Kulturen und politischen Verhältnissen. Üblicherweise erfolgte (und erfolgt) die Abgrenzung im westlichen Kulturkreis mittels der Merkmale des Vorbedachts (im griechischen Alterum: ek pronoia) und der Planung (bouleusis).

In Deutschland herrscht allerdings insofern eine besondere Situation, als das hiesige Strafgesetz die Abgrenzung des Mordes vom Totschlag seit 1941 nicht mehr nach dem Merkmal der Überlegung vornimmt, sondern sich einer typisierenden Bewertung von Tatmotiven, Tatumständen und Tatzielen bedient. Zudem beschreibt das Gesetz seither nicht die Tat, sondern den Täter. "Mörder ist", heißt es in dem seit 1941 unveränderten, aus der nationalsozialistischen Tätertypenlehre stammenden Gesetzestext, "wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." Die semantische Absonderung geht einher mit einer speziellen Sanktionsandrohung. In Deutschland erfolgt das dadurch, dass das Gesetz (völlig untypischerweise) bei Vorliegen eines Mordes die lebenslange Freiheitsstrafe als einzig mögliche Strafe zwingend vorschreibt. Der heutige Gesetzeswortlaut "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft" gilt erst seit 1969 und geht über den seit 1953 geltenden Zwischenschritt "Der Mörder wird mit lebenslangem Zuchthaus bestraft" bis auf die 1941 eingeführte Formulierung zurück: "Der Mörder wird mit dem Tode bestraft." Zusätzlich kommt seit 1979 als symbolische Abgrenzung auch im Verhältnis zum Totschlag hinzu, dass Mord nicht mehr verjähren kann.

Die symbolisch also gleich mehrfach gesicherte Exzeptionalität des Mordes gegenüber allen anderen Tötungen und Tötungsdelikten dient der Markierung der moralischen Grenzen zur Abschreckung potentieller Täter ebenso wie zur Beruhigung der rechtstreuen Bevölkerung. Zwar erfolgt die Bestrafung des Mordes in der Praxis nicht schon immer dann quasi automatisch, wenn der Täter bekannt ist und seine Tat die Merkmale des Mordes erfüllt, weil letztlich jeder Schritt der Ermittlung, der Subsumtion und des Prozesses in unterschiedlichem Ausmaß mit Machtverhältnissen und Interessenkonstellationen zusammenhängt und es durchaus vorkommen kann, dass eine Tötungshandlung, die nach dem Buchstaben des Gesetzes als Mord zu qualifizieren wäre, durch die Machtkonstellation erfolgreich umetikettiert und als fahrlässige Tötung, wenn nicht als Unfall, bzw. Tod durch Krankheit oder Altersschwäche dargestellt werden kann. Ist allerdings eine Tötung erst einmal verbindlich als Mord qualifiziert und die Tat einem Individuum zugeordnet, dann ist die damit verbundene Statusdegradierung kaum je wieder reparierbar - und der Staat hat seine Entschlossenheit zur Verteidigung der moralischen Grenzen des Gemeinwesens unter Beweis gestellt.

Die Heterogenität des Begriffsinhalts von Mord führt dazu, dass vergleichende Forschungen lieber auf die Kategorie der vorsätzlichen Tötungen ausweichen (Homizide) und gar nicht erst versuchen, den Mord im engeren Sinne zum Gegenstand historischer und interkultureller Komparatistik zu machen. Das ist insofern unglücklich, als man die Abgrenzungsfragen nur verlagert - und sich vor allem aber die Möglichkeit einer fokussierten Erforschung speziell der extremen Formen menschlicher Grausamkeit von vornherein verbaut.

Welche Arten von Tötungshandlungen als besonders verwerflich gelten, ist immer auch Gegenstand sozialer und ideologischer Konflikte. Alte Eliten kämpfen gegen die Abwertung und neue für die Verankerung ihrer jeweiligen Moralvorstellungen im Strafgesetzbuch. So unterliegt das, was vom Gesetzgeber mit dem Anspruch der Allgemeinverbindlichkeit als Mord bezeichnet wird, letztlich auch dem Wandel der gesellschaftlichen Einstellungen und der politischen Machtverhältnisse. Daraus ergibt sich, dass zu jeder Zeit mehrere Begriffe des Mordes in einer Gesellschaft benutzt werden. In der gesellschaftlichen Realität wird als Mord bezeichnet, was:

  1. im Gesetz abstrakt-generell als Mord definiert ist (abstrakte Gesetzes-Definition)
  2. soziale Gruppen als Mord geächtet wissen wollen (abstrakte Sozial-Definition)
  3. staatliche Institutionen offiziell als Mord registrieren (formelle Real-Definition)
  4. Historiker, Journalisten, Kriminologen und andere informell unter die gesetzliche Definition subsumieren (informelle Real-Definition).

Für die Sozialwissenschaften geht es nicht darum, welche der vorfindlichen Definitionen die richtige ist, sondern darum, dass jede dieser Definitionen eine soziale Tatsache darstellt, die etwas über das Recht und die Ideologie, die Konflikte und die Probleme in Staat und Gesellschaft aussagen kann. Die gesetzliche Definition des Mordes ist nicht nur deshalb besonders relevant, weil hinter ihrem Allgemeinverbindlichkeitsanspruch die Macht des Staatsapparates steht, sondern auch deshalb, weil sie etwas über die Herrschaftsverhältnisse und die herrschende Ideologie einer Zeit Auskunft gibt. Die Diskrepanz zwischen der gesetzlichen Definition des Mordes einerseits und konkurrierenden Definitionen in gesellschaftlichen Gruppen und sozialen Bewegungen andererseits kann Aufschluss geben über konfligierende Werte in der Gesellschaft, über Tendenzen sozialen und politischen Wandels und vieles mehr: konservative Kreise kämpfen für das ungeborene menschliche Leben und gegen ihren eigenen gesellschaftlichen Einflussverlust mit Kampagnen gegen den "Massenmord an ungeborenen Kindern"; eine zunehmende Zahl von Menschen sieht inzwischen auch ethische Probleme im Umgang mit anderen Lebewesen und verlangt die Ächtung dessen, was sie als "Mord an Tieren" bezeichnet (vgl. dazu Hoerster 2007); legale Hinrichtungen werden hingegen seit langer Zeit von kritischen Geistern als kalte Grausamkeit und "staatlicher Mord" verurteilt; eine ähnliche Delegitimierung staatlichen Tötens beabsichtigt auch der Ausdruck "Soldaten sind Mörder". Hier wie anderswo manifestiert sich ein Unbehagen an dem, was als Heuchelei und Doppelmoral einer gespaltenen Tötungsethik erscheint. Hinter derlei "Streit um Worte" stehen Konflikte von Lebensstilen, Ethiken und ganzen gesellschaftlichen Segmenten um die Frage, wessen Werte als allgemein verbindlich zu gelten haben. Eine selbstbewußter werdende Bürgergesellschaft sieht sich nicht mehr als Untertan des Staates, sondern diesen als eine Organisation im Dienste der Bürger - und würde ihm also am liebsten die Gesellschaftsmoral des Tötungsverbots oktroyieren. All diese Phänomene zeigen, dass es eine Differenz gibt zwischen den herrschenden Überzeugungen, wie sie im positiven Recht verankert sind, und den Werten und Normen gesellschaftlicher Gruppen, Bewegungen oder Subsysteme, aus denen historisch gesehen immer wieder auch rechtlicher Wandel entsteht. Insofern sensibilisieren diese Definitionen nicht nur für ethisch-ideologische Differenzen zwischen Herrschenden und Beherrschten, sondern sie gewähren auch einen Blick auf die Spannbreite dessen, was die Zukunft prägen könnte.

Eine weitere Diskrepanz besteht zwischen dem, was einerseits von Polizei und Justiz als Mord registriert und deshalb auch in die Statistiken eingespeist wird - und dem, was von anderen als den offiziell dazu berufenen Stellen als Mord angesehen wird. Viele Tötungen, die Mordmerkmale aufweisen, verbleiben im Dunkelfeld. Sie erreichen gar nicht erst die Polizei oder gar die Gerichte. Dennoch werden sie von den Opfern (oder sogar von den Tätern), von Journalisten oder Wissenschaftlern als solche wahrgenommen, beschrieben, bezeichnet und analysiert. Diese Definitionen sind oft unklarer und unsicherer als diejenigen von Gerichten (aber auch die sind oft nicht so solide, wie sie scheinen). Viele aber sind - auch wenn sie nicht vor Gericht landen - nicht weniger real und nicht weniger scheußlich als vor Gericht abgehandelte und formell als Mord definierte Tötungen. Dass diese (theoretisch in Howard S. Beckers Kategorie des „rule-breaking behavior“, bzw. in Michel Foucaults Konzept der „illégalismes“ gehörenden) Morde im Dunkelfeld, die "nur" informell so definiert werden, nicht als Morde in Gerichtsurteilen auftauchen, macht sie jedenfalls nicht schon deshalb weniger real oder gar weniger verwerflich. Oft sind es sogar die gravierendsten Taten, die im Dunkelfeld verbleiben. Denn je näher die Täter an der Macht operieren und je brutaler sind sie, desto größer ihr korruptiver und einschüchternder Einfluss und desto größer auch ihre Chance, sich der formellen Definition ihrer Taten als Mord für lange Zeit oder für immer zu entziehen. Wenn zum Beispiel die Opfer eines Massakers gefunden werden und die Funde keinen Zweifel daran lassen, dass hier unbewaffnete Zivilisten grausam zu Tode gebracht wurden, wenn aber die mutmaßlichen Täter längst gestorben oder aus anderen Gründen nicht zu belangen sind, dann können sie in keiner Polizei- oder Verurteiltenstatistik auftauchen - und doch wäre es absurd, die entsprechenden Individuen (man denke an diktatorische Staatsführungen des 20. Jahrhunderts, die nie zur Rechenschaft gezogen werden konnten) aus jeder kriminologischen Betrachtung auszuklammern, auch wenn die von Historikern zusammengetragenen Belege erdrückende Beweise für ihre Verantwortlichkeit liefern. Wer vom Mord spricht, ist deshalb gut beraten, seinen Blick auf die Welt nicht dadurch unnötig einzuschränken, dass er sich ausschließlich auf solche Taten und Akteure beschränkt, die von ordentlichen Gerichten rechtskräftig verurteilt wurden. Keine der vier Definitionen hat die Wahrheit gepachtet und keine ist - wenn man sie mit Vorsicht behandelt - als Erkenntnisquelle völlig zu entbehren.