1.385
Bearbeitungen
Tiao (Diskussion | Beiträge) |
K |
||
(5 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
Daniel Jonah Goldhagen (* 30. Juni 1959 in Boston, Massachusetts) ist ein US-amerikanischer Soziologe und Politikwissenschaftler, der vor allem durch sein Buch "Hitlers willige Vollstrecker" bekannt wurde, das die sog. "Goldhagen-Debatte" auslöste. | [[File:Daniel Goldhagen Crop.jpg|thumb|Daniel Goldhagen Crop]]'''Daniel Jonah Goldhagen''' (* 30. Juni 1959 in Boston, Massachusetts) ist ein US-amerikanischer Soziologe und Politikwissenschaftler, der vor allem durch sein Buch "Hitlers willige Vollstrecker" bekannt wurde, das 1996 in Deutschland die sog. "Goldhagen-Debatte" auslöste. | ||
In seinem 2009 erschienenen Buch "Schlimmer als Krieg: Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist" beschäftigt sich Goldhagen mit Völkermord und unterbreitet u.a. den Vorschlag, Kopfgelder auf Völkermörder auszusetzen und bei ihrer Verfolgung rechtsstaatliche Grundsätze außer Acht zu lassen. | |||
== Leben == | == Leben == | ||
Goldhagen war einige Jahre lang Assistenzprofessor an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts), USA, an der auch sein Vater, der Historiker Erich Goldhagen, lehrte. Er beschäftigte sich in dieser Zeit an seiner Forschungsarbeit mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust. Goldhagen wohnt mit seiner Frau Sarah Williams Goldhagen – einer Dozentin für Architektur an der Harvard-Universität – und seinen beiden Kindern in Newton, einem Vorort von Boston. | Goldhagen war einige Jahre lang Assistenzprofessor an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts), USA, an der auch sein Vater, der Historiker Erich Goldhagen, lehrte. Er beschäftigte sich in dieser Zeit an seiner Forschungsarbeit mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust. Goldhagen wohnt mit seiner Frau Sarah Williams Goldhagen – einer Dozentin für Architektur an der Harvard-Universität – und seinen beiden Kindern in Newton, einem Vorort von Boston. Am 10. März 1997 wurde Daniel Goldhagen von den "Blättern für deutsche und internationale Politik" der Demokratiepreis verliehen. | ||
== Die Goldhagen-Debatte == | == Die Goldhagen-Debatte == | ||
=== | === Goldhagens Thesen === | ||
Goldhagen geht der Frage nach, warum und wie der Holocaust geschah und was ihn ermöglichte [1]. Seine Antwort: Hitler und die Deutschen verunglimpften, verfolgten und vernichteten die Juden aus eliminatorischem Antisemitismus heraus [2]. Zwar gab es auch in anderen Ländern Antisemitismus; doch nur in Deutschland waren drei Bedingungen erfüllt: Erstens regierten dort die radikalsten Antisemiten der Geschichte, zweitens dachte die Mehrheit der Bevölkerung schlecht von den Juden, und drittens verfügte der Staat über die militärische Macht, infolge des Krieges den Großteil der europäischen Juden in seine Gewalt zu bringen [3]. Indem Goldhagen den gesamtgesellschaftlichen deutschen Antisemitismus als zentrale Triebkraft des Holocaust ausmacht, widerspricht er den vorherrschenden populären und wissenschaftlichen Erklärungsversuchen. | Goldhagen geht der Frage nach, warum und wie der Holocaust geschah und was ihn ermöglichte [1]. Seine Antwort: Hitler und die Deutschen verunglimpften, verfolgten und vernichteten die Juden aus eliminatorischem Antisemitismus heraus [2]. Zwar gab es auch in anderen Ländern Antisemitismus; doch nur in Deutschland waren drei Bedingungen erfüllt: Erstens regierten dort die radikalsten Antisemiten der Geschichte, zweitens dachte die Mehrheit der Bevölkerung schlecht von den Juden, und drittens verfügte der Staat über die militärische Macht, infolge des Krieges den Großteil der europäischen Juden in seine Gewalt zu bringen [3]. Indem Goldhagen den gesamtgesellschaftlichen deutschen Antisemitismus als zentrale Triebkraft des Holocaust ausmacht, widerspricht er den vorherrschenden populären und wissenschaftlichen Erklärungsversuchen. | ||
Zeile 50: | Zeile 49: | ||
===Ergebnisse=== | ===Ergebnisse=== | ||
In wenigen Wochen wurden über 80.000 Exemplare verkauft und die Veranstalter der „Lese-Tour“ konnten kaum den Andrang bewältigen.[4] In der Fachwelt konnte vor allem „über noch zu lösende Forschungsaufgaben, als über Goldhagens konkrete Forschungsergebnisse“ eine „Art von Konsens“ festgestellt werden.[4] Zu diesen noch offenen Fragestellungen gehörte die „Frage nach der Rolle des Antisemitismus in der deutschen Geschichte.“ Bislang habe die Holocaustforschung darauf noch keine Antwort.[4] Einigkeit bestand auch über die „Kernthese“ Goldhagens: „Die Täter waren Deutsche, und ohne Hitler und das Dritte Reich hätte es keine Endlösung der Judenfrage gegeben.“[4] Die anfänglich grundlegende Ablehnung der Historiker – trotz vielfacher Überschneidungen in den Positionen und seltener in den Perspektiven – wurde mit der grundsätzlichen „Historiker-Schelte“ Goldhagens erklärt.[4] Die Debatte selbst wurde auch als Prüfstein für die „politische Kultur“ der deutschen Gesellschaft wahrgenommen, in der die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gesehen wird. Das nationale „Selbstbewusstsein“ sei eben auch mit dieser „politischen Kultur“ verbunden. Die Debatte könne auch als „funktionales Äquivalent für eine Diskussion über das politische Selbstverständnis des vereinten Deutschland interpretiert werden, die nicht stattgefunden hat“ (Schneider).[4] | In wenigen Wochen wurden über 80.000 Exemplare verkauft und die Veranstalter der „Lese-Tour“ konnten kaum den Andrang bewältigen.[4] In der Fachwelt konnte vor allem „über noch zu lösende Forschungsaufgaben, als über Goldhagens konkrete Forschungsergebnisse“ eine „Art von Konsens“ festgestellt werden.[4] Zu diesen noch offenen Fragestellungen gehörte die „Frage nach der Rolle des Antisemitismus in der deutschen Geschichte.“ Bislang habe die Holocaustforschung darauf noch keine Antwort.[4] Einigkeit bestand auch über die „Kernthese“ Goldhagens: „Die Täter waren Deutsche, und ohne Hitler und das Dritte Reich hätte es keine Endlösung der Judenfrage gegeben.“[4] Die anfänglich grundlegende Ablehnung der Historiker – trotz vielfacher Überschneidungen in den Positionen und seltener in den Perspektiven – wurde mit der grundsätzlichen „Historiker-Schelte“ Goldhagens erklärt.[4] Die Debatte selbst wurde auch als Prüfstein für die „politische Kultur“ der deutschen Gesellschaft wahrgenommen, in der die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gesehen wird. Das nationale „Selbstbewusstsein“ sei eben auch mit dieser „politischen Kultur“ verbunden. Die Debatte könne auch als „funktionales Äquivalent für eine Diskussion über das politische Selbstverständnis des vereinten Deutschland interpretiert werden, die nicht stattgefunden hat“ (Schneider).[4] | ||
==Literatur == | |||
=== Von Goldhagen === | |||
*1996 – Hitlers willige Vollstrecker. ISBN 3-442-15088-4 (Hitler's Willing Executioners. ISBN 0-679-77268-5) | |||
*2003 – Die katholische Kirche und der Holocaust. ISBN 3-88680-770-3 (A Moral Reckoning. ISBN 0-349-11693-8) | |||
*2009 - Schlimmer als Krieg: Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist. Siedler Verlag, ISBN 978-3886806980. (Worse Than War: Genocide, Eliminationism, And The Ongoing Assault On Humanity, PublicAffairs, New York, ISBN 978-1-58648-769-0) | |||
*Was dachten die Mörder?. Interview mit Rudolf Augstein. In: Der Spiegel Nr. 33, 12. August 1996. | *Was dachten die Mörder?. Interview mit Rudolf Augstein. In: Der Spiegel Nr. 33, 12. August 1996. | ||
*Der alltägliche Abgrund. In dem andauernden Historikerstreit über die Ursachen des Holocaust und die beste Methode, sie zu finden, hat Saul Friedländers Studie „Das Dritte Reich und die Juden“ großes Gewicht. In: Der Spiegel Nr. 34, 1998. | *Der alltägliche Abgrund. In dem andauernden Historikerstreit über die Ursachen des Holocaust und die beste Methode, sie zu finden, hat Saul Friedländers Studie „Das Dritte Reich und die Juden“ großes Gewicht. In: Der Spiegel Nr. 34, 1998. | ||
Zeile 71: | Zeile 64: | ||
*„Hitler war populär“. Gespräch mit Stefan Wirner und Deniz Yücel über den 8. Mai, die deutsche Geschichtspolitik und Deutschland 60 Jahre danach. In: Jungle World, 4. Mai 2005. | *„Hitler war populär“. Gespräch mit Stefan Wirner und Deniz Yücel über den 8. Mai, die deutsche Geschichtspolitik und Deutschland 60 Jahre danach. In: Jungle World, 4. Mai 2005. | ||
== | === Über Goldhagen === | ||
*Michael F. Feldkamp: Goldhagens unwillige Kirche. Alte und neue Fälschungen über Kirche und Papst während der NS-Herrschaft. Olzog Verlag: München 2003, ISBN 3-7892-8127-1. | *Michael F. Feldkamp: Goldhagens unwillige Kirche. Alte und neue Fälschungen über Kirche und Papst während der NS-Herrschaft. Olzog Verlag: München 2003, ISBN 3-7892-8127-1. | ||
Zeile 99: | Zeile 70: | ||
*Johannes Heil / Rainer Erb (Hrsg.): Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen. Fischer, Frankfurt a.M. 1998, ISBN 3-596-14065-X. Sammelband mit Beiträgen von Wolfgang Benz, Ruth Bettina Birn, Jane Caplan, Christof Dipper, Raul Hilberg u.v.m. | *Johannes Heil / Rainer Erb (Hrsg.): Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen. Fischer, Frankfurt a.M. 1998, ISBN 3-596-14065-X. Sammelband mit Beiträgen von Wolfgang Benz, Ruth Bettina Birn, Jane Caplan, Christof Dipper, Raul Hilberg u.v.m. | ||
*Matthias Küntzel: Goldhagen und die deutsche Linke. Oder die Gegenwart des Holocaust. Elefanten Press, Berlin 1997, ISBN 3-88520-639-0. | *Matthias Küntzel: Goldhagen und die deutsche Linke. Oder die Gegenwart des Holocaust. Elefanten Press, Berlin 1997, ISBN 3-88520-639-0. | ||
*David North: Antisemitismus, Faschismus und Holocaust. Eine kritische Besprechung des Buchs „Hitlers willige Vollstrecker“ von Daniel Goldhagen. Arbeiterpresse, Essen 1997, ISBN 3-88634-102-X | *David North: Antisemitismus, Faschismus und Holocaust. Eine kritische Besprechung des Buchs „Hitlers willige Vollstrecker“ von Daniel Goldhagen. Arbeiterpresse, Essen 1997, ISBN 3-88634-102-X | ||
*Matthias Heyl: Die Goldhagen-Debatte im Spiegel der englisch- und deutschsprachigen Rezensionen von Februar bis Juli 1996. Ein Überblick. In: Mittelweg. 36, 5. Jg., Nr. 4, August/September 1996, S. 41–56 | *Matthias Heyl: Die Goldhagen-Debatte im Spiegel der englisch- und deutschsprachigen Rezensionen von Februar bis Juli 1996. Ein Überblick. In: Mittelweg. 36, 5. Jg., Nr. 4, August/September 1996, S. 41–56 | ||
*Dieter Pohl: Die Holocaustforschung und Goldhagens Thesen. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 45/1997, S. 1–48. | *Dieter Pohl: Die Holocaustforschung und Goldhagens Thesen. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 45/1997, S. 1–48. | ||
*Gavriel D. Rosenfeld: The Controversy that Isn't: The Debate over Daniel J. Goldhagen's Hitler's Willing Executioners in Comparative Perspective. In: Contemporary European History. 8/1999, S. 249–273. | *Gavriel D. Rosenfeld: The Controversy that Isn't: The Debate over Daniel J. Goldhagen's Hitler's Willing Executioners in Comparative Perspective. In: Contemporary European History. 8/1999, S. 249–273. | ||
==Presse== | === Presse === | ||
*Y. M. Bodemann: Die Bösen und die ganz normalen Guten. Goldhagens Buch ist pornographisch, konservativ und eminent amerikanisch. In: taz, 7. August 1996. | *Y. M. Bodemann: Die Bösen und die ganz normalen Guten. Goldhagens Buch ist pornographisch, konservativ und eminent amerikanisch. In: taz, 7. August 1996. | ||
Zeile 127: | Zeile 92: | ||
*Goldhagen.com – persönliche Webseite Goldhagens | *Goldhagen.com – persönliche Webseite Goldhagens | ||
*Riesige Mehrheit. Die deutsche Übersetzung glättet Goldhagens Thesen. DER SPIEGEL 33.1996 (12. August) [[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9079914.html]] | *Riesige Mehrheit. Die deutsche Übersetzung glättet Goldhagens Thesen. DER SPIEGEL 33.1996 (12. August) [[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9079914.html]] | ||
*Julius H. Schoeps (Hrsg.): Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust. Hoffmann & Campe, Hamburg 1996, ISBN 3-455-10362-6. | |||
*Literatur von und über Daniel Goldhagen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek | *Literatur von und über Daniel Goldhagen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek | ||
*Tobias Korenke: Über den absichtlichen Verzicht auf Wissen: Goldhagens Widerstandsrezeption und das | *Tobias Korenke: Über den absichtlichen Verzicht auf Wissen: Goldhagens Widerstandsrezeption und das | ||
Zeile 135: | Zeile 101: | ||
Von „http://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Goldhagen“ . Diese Arbeitsgrundlage wartet auf kriminologische Fokussierung | Von „http://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Goldhagen“ . Diese Arbeitsgrundlage wartet auf kriminologische Fokussierung | ||
[[Kategorie:Politikwissenschaftler (21. Jahrhundert)]] | |||
[[Kategorie:Holocaustforscher]] | |||
[[Kategorie:Mann]] | |||
[[Kategorie:US-Amerikaner]] | |||
{{DEFAULTSORT:Goldhagen, Daniel}} | |||
[[Kategorie:Geboren 1959]] |
Bearbeitungen