Chicago School: Unterschied zwischen den Versionen

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In der ‚zone in transition’ ist damit das Zusammenspiel von '''sozialer Organisation''' und '''sozialer Desorganisation''' beobachtbar. Beide Vorgänge sind '''reziprok''' zueinander zu betrachten und bilden im Gleichgewicht eine Art Kreislauf, den Burgess mit dem Stoffwechsel im menschlichen Körper vergleicht. Auf soziale Organisation (z.B. Vergemeinschaftung nach Immigration) folgt zwingend Desorganisation (z.B. das Versagen, zwei unterschiedliche Lebenswelten zusammenzubringen → abweichendes Verhalten), worauf in der Regel mit Reorganisation und besserer Anpassung reagiert wird. Damit wird abweichendes Verhalten, wie zum Beispiel auch fremde Kulturen, nicht als pathologisch, sondern als notwendiger Teil sozialen Zusammenlebens klassifiziert. Somit stellt Burgess auch die These auf, dass mit ansteigender Geschwindigkeit großstädtischer Expansion, dem unnatürlich schnellen Anwachsen der Population und sozialer Segregation auch –natürlicherweise- die [[Kriminalitätsrate]] steigt.
In der ‚zone in transition’ ist damit das Zusammenspiel von '''sozialer Organisation''' und '''sozialer Desorganisation''' beobachtbar. Beide Vorgänge sind '''reziprok''' zueinander zu betrachten und bilden im Gleichgewicht eine Art Kreislauf, den Burgess mit dem Stoffwechsel im menschlichen Körper vergleicht. Auf soziale Organisation (z.B. Vergemeinschaftung nach Immigration) folgt zwingend Desorganisation (z.B. das Versagen, zwei unterschiedliche Lebenswelten zusammenzubringen → abweichendes Verhalten), worauf in der Regel mit Reorganisation und besserer Anpassung reagiert wird. Damit wird abweichendes Verhalten, wie zum Beispiel auch fremde Kulturen, nicht als pathologisch, sondern als notwendiger Teil sozialen Zusammenlebens klassifiziert. Somit stellt Burgess auch die These auf, dass mit ansteigender Geschwindigkeit großstädtischer Expansion, dem unnatürlich schnellen Anwachsen der Population und sozialer Segregation auch –natürlicherweise- die [[Kriminalitätsrate]] steigt.


== 3.4 Reaktionen auf die Theorien ==
===Reaktionen auf die Theorien ===


Nicht alle Soziologen haben Parks und Burgess Theorien als wichtig akzeptiert. A.M.Guest kritisiert zum Beispiel Parks Konzept der ‚moral regions’. Park hätte vor allem die '''‚Dauer der Existenz’''' einer Gemeinschaft als einen konstitutiven Faktor für die Bildung derer nicht mit einbezogen. Der Kampf um räumliche Ressourcen würde sich außerdem negativ auf die Entwicklung einer gemeinsamen Kultur oder einer stabilen moralischen Gemeinschaft auswirken. Zusätzlich würde die Ankunft neuer Immigranten (Invasion) als ein bedrohendes Element von außen eher Gemeinschafts-fördernd, als destabilisierend wirken.
Nicht alle Soziologen haben Parks und Burgess Theorien als wichtig akzeptiert. A.M.Guest kritisiert zum Beispiel Parks Konzept der ‚moral regions’. Park hätte vor allem die '''‚Dauer der Existenz’''' einer Gemeinschaft als einen konstitutiven Faktor für die Bildung derer nicht mit einbezogen. Der Kampf um räumliche Ressourcen würde sich außerdem negativ auf die Entwicklung einer gemeinsamen Kultur oder einer stabilen moralischen Gemeinschaft auswirken. Zusätzlich würde die Ankunft neuer Immigranten (Invasion) als ein bedrohendes Element von außen eher Gemeinschafts-fördernd, als destabilisierend wirken.


D. Matza bezeichnet die Theorie der sozialen Desorganisation als eher schwache Antwort der Chicagoer auf das '''Dilemma''' von der Verschiedenartigkeit der Kulturen in amerikanischen Großstädten und der Aufrechterhaltung von pathologischem Verhalten. In seinen Augen wird mit der sozialen Desorganisation das Problem der Kriminalität nur von dem persönlichen Level auf die Gesellschaft abgewälzt. Taylor, Walton und Young sehen auch die Schwäche, dass '''‚Gesellschaft als Konsens’''' einfach in eine '''‚Gesellschaft der normativen Pluralität’''' umdefiniert wurde, um verschiedene kulturelle Ausprägungen nicht als abweichendes Verhalten klassifizieren zu müssen.
D. [[Matza]] bezeichnet die Theorie der sozialen Desorganisation als eher schwache Antwort der Chicagoer auf das '''Dilemma''' von der Verschiedenartigkeit der Kulturen in amerikanischen Großstädten und der Aufrechterhaltung von pathologischem Verhalten. In seinen Augen wird mit der sozialen Desorganisation das Problem der Kriminalität nur von dem persönlichen Level auf die Gesellschaft abgewälzt. Taylor, Walton und Young sehen auch die Schwäche, dass '''‚Gesellschaft als Konsens’''' einfach in eine '''‚Gesellschaft der normativen Pluralität’''' umdefiniert wurde, um verschiedene kulturelle Ausprägungen nicht als abweichendes Verhalten klassifizieren zu müssen.


David Downes ‚entlarvt’ die Methodologie hinter der Theorie der Sozialen Desorganisation als '''tautologisch''': die Kriminalitätsrate eines Gebiets dient als Kriterium für den Grad ihrer sozialen Desorganisation. Diese wird wiederum herangezogen, um die Kriminalitätsrate zu erklären. Außerdem, so Bottoms und Wiles, muss Kriminalität nicht immer als Folge von Desorganisation auftauchen, sondern sehr wohl auch von '''sozialer Organisation'''.
David Downes ‚entlarvt’ die Methodologie hinter der Theorie der Sozialen Desorganisation als '''tautologisch''': die Kriminalitätsrate eines Gebiets dient als Kriterium für den Grad ihrer sozialen Desorganisation. Diese wird wiederum herangezogen, um die Kriminalitätsrate zu erklären. Außerdem, so Bottoms und Wiles, muss Kriminalität nicht immer als Folge von Desorganisation auftauchen, sondern sehr wohl auch von '''sozialer Organisation'''.


Aller Kritik zum Trotz haben die Theorien der Chicagoer Soziologen auch Anklang gefunden und als Ausgangspunkt für vielerlei wichtige soziologische und kriminologische Erkenntnisse gedient. Die Idee Raum als '''sozialen Raum''' zu begreifen und die '''Beschaffenheit eines Raumes''' im Hinblick auf die Kriminalitätsrate zu untersuchen war zu Zeiten der Chicagoer Soziologen innovativ und ist bis heute ein Thema der Kriminologie. Die Begriffe der Sozialökologie finden noch heute Anwendung. Nicht nur Cloward und Ohlin nutzten das Konzept der sozialen Desorganisation für ihre '''Subkultur-Theorie''', sondern auch für Sutherland ist es der Ausgangspunkt für die Theorie der '''Differentiellen Assoziation'''. Thrasher hat als erster das Phänomen '''‚Jugendbanden’''' im Rahmen des sozialökologischen Ansatzes untersucht.
Aller Kritik zum Trotz haben die Theorien der Chicagoer Soziologen auch Anklang gefunden und als Ausgangspunkt für vielerlei wichtige soziologische und kriminologische Erkenntnisse gedient. Die Idee Raum als '''sozialen Raum''' zu begreifen und die '''Beschaffenheit eines Raumes''' im Hinblick auf die Kriminalitätsrate zu untersuchen war zu Zeiten der Chicagoer Soziologen innovativ und ist bis heute ein Thema der [[Kriminologie]]. Die Begriffe der Sozialökologie finden noch heute Anwendung. Nicht nur [[Cloward]] und [[Ohlin]] nutzten das Konzept der sozialen Desorganisation für ihre '''[[Subkultur]]-Theorie''', sondern auch für [[Sutherland]] ist es der Ausgangspunkt für die [[Theorie der '''Differentiellen Assoziation''']]. [[Thrasher]] hat als erster das Phänomen '''‚Jugendbanden’''' im Rahmen des sozialökologischen Ansatzes untersucht.


== 4 Forschungsprojekte der Chicago School of Sociology ==
== 4 Forschungsprojekte der Chicago School of Sociology ==