Cesare Beccaria: Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 19: Zeile 19:
(Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen – Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, Einleitung, S. 49f., Frankfurt am Main / Leipzig: Insel Verlag Frankfurt am Main 1998.)
(Beccaria, Cesare: Über Verbrechen und Strafen – Nach der Ausgabe von 1766 übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Alff, Einleitung, S. 49f., Frankfurt am Main / Leipzig: Insel Verlag Frankfurt am Main 1998.)
   
   
*erster unabhängiger und von Rücksichten freier literarischer Ausdruck der Aufklärung in Italien
*erster unabhängiger und von Rücksichten freier literarischer Ausdruck der Aufklärung in Italien
*erste systematische auch für Nichtjuristen lesbare Strafrechtstheorie
*erste systematische auch für Nichtjuristen lesbare Strafrechtstheorie
Zeile 32: Zeile 31:
Schließt sich den Theorien des Gesellschaftsvertrages an. Um eines sicheren und fruchtbaren Zusammenlebens willen verzichten die Menschen auf einen Teil ihrer Freiheit und legen ihn „als heiliges Depositum“ in die Hände ihres Herrschers. Differenziert die verschiedenen Ausprägungen der Theorie des Gesellschaftsvertrages nicht. Das Recht ist nach Beccaria die für das Wohl und den Nutzen aller unerlässliche Einschränkung der persönlichen Freiheit. Beccaria bezieht sich mit der Ablehnung der Folter ausdrücklich auf Montesquieus „De l’esprit des lois“ (7. Buch, 12. Kapitel), stellt aber Montesquieus Auffassung vom Adel als nützlicher und notwendiger Zwischengewalt zwischen Krone und Volk zur Sicherung der Freiheit in Frage. Er fragt, ob der Adel „nicht vielmehr eine Schicht bildet, welche alles Ansehen und alle Chancen, an denen die Menschen beteiligt wären, auf einen sehr engen gesellschaftlichen Kreis beschränkt, den fruchtbaren und lieblichen Oasen gleich, die in den weiten Sandwüsten Arabiens auftauchen“ (XXI. Kapitel).  
Schließt sich den Theorien des Gesellschaftsvertrages an. Um eines sicheren und fruchtbaren Zusammenlebens willen verzichten die Menschen auf einen Teil ihrer Freiheit und legen ihn „als heiliges Depositum“ in die Hände ihres Herrschers. Differenziert die verschiedenen Ausprägungen der Theorie des Gesellschaftsvertrages nicht. Das Recht ist nach Beccaria die für das Wohl und den Nutzen aller unerlässliche Einschränkung der persönlichen Freiheit. Beccaria bezieht sich mit der Ablehnung der Folter ausdrücklich auf Montesquieus „De l’esprit des lois“ (7. Buch, 12. Kapitel), stellt aber Montesquieus Auffassung vom Adel als nützlicher und notwendiger Zwischengewalt zwischen Krone und Volk zur Sicherung der Freiheit in Frage. Er fragt, ob der Adel „nicht vielmehr eine Schicht bildet, welche alles Ansehen und alle Chancen, an denen die Menschen beteiligt wären, auf einen sehr engen gesellschaftlichen Kreis beschränkt, den fruchtbaren und lieblichen Oasen gleich, die in den weiten Sandwüsten Arabiens auftauchen“ (XXI. Kapitel).  


==Forderungen==
===Forderungen===
Während die Notwendigkeit von Strafen aus der egoistischen Natur des Menschen und die Befugnis zu Strafen aus dem Gesellschaftsvertrag erwächst, beschränkt sich diese Befugnis auf das für den Erhalt der Gesellschaft erforderliche Maß. Wichtigster Strafzweck ist die Abschreckung. Strafen müssen unmittelbar, kräftig und unaufhörlich auf die Sinne einwirken. Einziger Maßstab für die Beurteilung von Strafen ist der Schaden, der der Allgemeinheit und Einzelpersonen zugefügt wird.  
Während die Notwendigkeit von Strafen aus der egoistischen Natur des Menschen und die Befugnis zu Strafen aus dem Gesellschaftsvertrag erwächst, beschränkt sich diese Befugnis auf das für den Erhalt der Gesellschaft erforderliche Maß. Wichtigster Strafzweck ist die Abschreckung. Strafen müssen unmittelbar, kräftig und unaufhörlich auf die Sinne einwirken. Einziger Maßstab für die Beurteilung von Strafen ist der Schaden, der der Allgemeinheit und Einzelpersonen zugefügt wird.  


Zeile 59: Zeile 58:
*Kriminalpolitik, die durch bessere Aufklärung der Bürger, durch weltanschauliche Toleranz, durch Bildung und Erziehung dem Verbrechen vorzubeugen sucht
*Kriminalpolitik, die durch bessere Aufklärung der Bürger, durch weltanschauliche Toleranz, durch Bildung und Erziehung dem Verbrechen vorzubeugen sucht


==Einfluss==
===Einfluss===


In der Spannung zwischen den unmenschlichen Rechtsverhältnissen und der fast übereinstimmenden Ablehnung derselben durch die Philosophen war der Erfolg Beccarias gesichert. Er war einer der ersten Denker der Neuzeit, der sich mit Fragen der Rechts- und Kriminalpolitik befasste und weitreichende Vorschläge zur Verhinderung des Verbrechens machte. Er war der aristokratischen Republik Venedig gefährlich; veranlasste Gegenschrift des Mönches Ferdinando Facchinei. Alessandro Verri schrieb Verteidigungsschrift, die anonym erschien.
In der Spannung zwischen den unmenschlichen Rechtsverhältnissen und der fast übereinstimmenden Ablehnung derselben durch die Philosophen war der Erfolg Beccarias gesichert. Er war einer der ersten Denker der Neuzeit, der sich mit Fragen der Rechts- und Kriminalpolitik befasste und weitreichende Vorschläge zur Verhinderung des Verbrechens machte. Er war der aristokratischen Republik Venedig gefährlich; veranlasste Gegenschrift des Mönches Ferdinando Facchinei. Alessandro Verri schrieb Verteidigungsschrift, die anonym erschien.
Zeile 69: Zeile 68:


   
   
In Mailand geriet Beccaria schnell in die lebhaften Diskussionen um die Aufklärung. Er schloss sich dem Grafen Pietro Verri an und half diesem dabei, eine literarische Gesellschaft zu gründen und mit Leben zu erfüllen. 1762 erschien seine erste Veröffentlichung: eine Broschüre über die Münzreform. Auch publizierte Beccaria in der Zeitschrift Il Caffè, die dem englischen The Spectator nachgebildet war. 1764 veröffentlichte er sodann (zunächst anonym) "Dei delitti e delle pene". Auch danach blieb er konstruktiv und produktiv, doch erreichten seine Arbeiten über Wirtschaftsfragen, denen er sich dann zuwandte, bei weitem nicht die Erfolge, die seiner strafreformerischen Arbeit vergönnt waren. 1768 nahm er einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Nationalökonomie in Mailand an - die Vorlesungen, die er dort über zwei Jahre hielt, machten ihn zu einem Pionier im Bereich der ökonomischen Analyse. Sie wurden postum 1804 unter dem Titel Elementi di economia pubblica (“Elements der Volkswirtschaft") erschienen. Er antizipierte einige Ideen von Adam Smith und Thomas Malthus. 1771 wurde er Mitglied des obersten Wirtschaftsrates von Mailand und blieb für den Rest seines Lebens Träger öffentlicher Ämter. Er kümmerte sich um eine große Bandbreite von Themen, von Münz- und Finanzfragen über das Arbeitsrecht bis hin zur Reform des öffentlichen Erziehungswesens. Ein Bericht Beccarias beeinflusste sogar die Entscheidung Frankreichs zugunsten des metrischen Systems.
Beccaria schloss sich dem Grafen Pietro Verri an und half diesem dabei, eine literarische Gesellschaft zu gründen und mit Leben zu erfüllen. 1762 erschien seine erste Veröffentlichung: eine Broschüre über die Münzreform. Auch publizierte Beccaria in der Zeitschrift Il Caffè, die dem englischen The Spectator nachgebildet war. 1764 veröffentlichte er sodann (zunächst anonym) "Dei delitti e delle pene". Auch danach blieb er konstruktiv und produktiv, doch erreichten seine Arbeiten über Wirtschaftsfragen, denen er sich dann zuwandte, bei weitem nicht die Erfolge, die seiner strafreformerischen Arbeit vergönnt waren. 1768 nahm er einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Nationalökonomie in Mailand an - die Vorlesungen, die er dort über zwei Jahre hielt, machten ihn zu einem Pionier im Bereich der ökonomischen Analyse. Sie wurden postum 1804 unter dem Titel Elementi di economia pubblica (“Elements der Volkswirtschaft") erschienen. Er antizipierte einige Ideen von Adam Smith und Thomas Malthus. 1771 wurde er Mitglied des obersten Wirtschaftsrates von Mailand und blieb für den Rest seines Lebens Träger öffentlicher Ämter. Er kümmerte sich um eine große Bandbreite von Themen, von Münz- und Finanzfragen über das Arbeitsrecht bis hin zur Reform des öffentlichen Erziehungswesens. Ein Bericht Beccarias beeinflusste sogar die Entscheidung Frankreichs zugunsten des metrischen Systems.


In seinen letzten Lebensjahren litt Beccaria zunehmend unter familiären und gesundheitlichen Problemen. Seine Rolle als Prominenter genoss er überhaupt nicht. 1766 brach er einen Paris-Besuch, der ihn mit der Elite der Zeit zusammenbrachte, vorzeitig ab. Seine Frau starb 1774 nach längerem Leiden. Drei Monate nach dem Tod seiner Frau heiratete er erneut. Seine zwei Brüder und seine Schwester strengten Prozesse an, die ihn viele Jahre beschäftigten. Beccarias letzte Monate waren überschattet von der Tatsache, dass die von ihm begrüßte Französische Revolution in eine Phase des Terrors abglitt.
In seinen letzten Lebensjahren litt Beccaria zunehmend unter familiären und gesundheitlichen Problemen. Seine Rolle als Prominenter genoss er überhaupt nicht. 1766 brach er einen Paris-Besuch, der ihn mit der Elite der Zeit zusammenbrachte, vorzeitig ab. Seine Frau starb 1774 nach längerem Leiden. Drei Monate nach dem Tod seiner Frau heiratete er erneut. Seine zwei Brüder und seine Schwester strengten Prozesse an, die ihn viele Jahre beschäftigten. Beccarias letzte Monate waren überschattet von der Tatsache, dass die von ihm begrüßte Französische Revolution in eine Phase des Terrors abglitt.


== Reformgedanken ==
=== Reformgedanken ===
 
[[Bild:VonVerbrechenundStrafen.jpg|thumb|left]]


In der Kriminologie werden häufig Beccarias Reformbemühungen hervorgehoben:
In der Kriminologie werden häufig Beccarias Reformbemühungen hervorgehoben:
Zeile 105: Zeile 102:
==Werke==
==Werke==
*1764: ''Dei delitti e delle pene'' (''Von Verbrechen und Strafen'').
*1764: ''Dei delitti e delle pene'' (''Von Verbrechen und Strafen'').


Deutsche Übersetzungendes Hauptwerks in absteigender Reihenfolge:
Deutsche Übersetzungendes Hauptwerks in absteigender Reihenfolge:
31.738

Bearbeitungen