Brechmitteleinsatz: Unterschied zwischen den Versionen

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*Inhaltsverzeichnis
== Vorgehensweise der Ermittlungsmethode ==
*1.Vorgehensweise der Ermittlungsmethode
**1.1. Risiken
**1.2. Empirische Realität
*2.Meinungsbild
**2.1. Positive Einschätzung der Methode
**2.2. Kritik an der Methode
*3.Juristische Betrachtungsweise
**3.1. Ermächtigungsgrundlage§ 81a StPO
**3.2. Verhältnismäßigkeit
**3.3. Urteil vom EGMR 11.Juli 2006
**3.4. Strafprozessuale Folgen
*4.Kriminalpolitische Sicht
*5.Literatur         


 
Der Einsatz von Emetika ( wörtlich „das Brechreizende“) dient zur Exkorpuration von verschluckten Drogencontainern ( oder auch Bubbles, Kokainkügelchen oder Betäubungsmittelbehältnisse genannt). Dabei wird hauptsächlich der Sirup der südamerikanischen Brechwurzel Ipecacuanha verwendet. Die so erhoffte Beweisgewinnung erfolgt bei den sog. Straßendealern, da professionelle Drogenkuriere die [[Drogen]] Stunden vorher runterschlucken oder direkt in den Darm einbringen. Der Brechmitteleinsatz kann aber nur erfolgreich sein, solange die Drogenkügelchen sich noch im Magen aufhalten und noch nicht im Darm gelandet sind. Daher beschränkt sich das vorhandene Zeitfenster zur Sicherstellung der Drogen auf ungefähr 2 Stunden, bevor die Drogen den Magen passiert haben.  
 
'''1. Vorgehensweise der Ermittlungsmethode'''
 
 
Der Einsatz von Emetika ( wörtlich „das Brechreizende“) dient zur Exkorpuration von verschluckten Drogencontainern ( oder auch Bubbles, Kokainkügelchen oder Betäubungsmittelbehältnisse genannt). Dabei wird hauptsächlich der Sirup der südamerikanischen Brechwurzel Ipecacuanha verwendet. Die so erhoffte Beweisgewinnung erfolgt bei den sog. Straßendealern, da professionelle Drogenkuriere die Drogen Stunden vorher runterschlucken oder direkt in den Darm einbringen. Der Brechmitteleinsatz kann aber nur erfolgreich sein, solange die Drogenkügelchen sich noch im Magen aufhalten und noch nicht im Darm gelandet sind. Daher beschränkt sich das vorhandene Zeitfenster zur Sicherstellung der Drogen auf ungefähr 2 Stunden, bevor die Drogen den Magen passiert haben.  
Der Brechmitteleinsatz kann angeordnet werden, wenn entsprechende Verkaufsverhandlungen und/oder Drogencontainer im Mund des Betroffenen gesehen wurden und eventuelle Zeugenaussagen dieses bestätigen. Außerdem muss bei der Festnahme eine „typische Schluckbewegung“ gesehen werden. Der Verdacht der Beamten reicht aus, dass der Festgenommene mit harten Drogen gehandelt hat.  
Der Brechmitteleinsatz kann angeordnet werden, wenn entsprechende Verkaufsverhandlungen und/oder Drogencontainer im Mund des Betroffenen gesehen wurden und eventuelle Zeugenaussagen dieses bestätigen. Außerdem muss bei der Festnahme eine „typische Schluckbewegung“ gesehen werden. Der Verdacht der Beamten reicht aus, dass der Festgenommene mit harten Drogen gehandelt hat.  
Der Beschuldigte wird anschließend entweder auf eine Polizeiwache oder auch in ein Rechtsmedizinisches Institut ( siehe Hamburg) gebracht, wo dann der Brechmitteleinsatz entweder durch einen Polizeiarzt oder Rechtsmediziner durchgeführt wird.  
Der Beschuldigte wird anschließend entweder auf eine Polizeiwache oder auch in ein Rechtsmedizinisches Institut (siehe Hamburg) gebracht, wo dann der Brechmitteleinsatz entweder durch einen Polizeiarzt oder Rechtsmediziner durchgeführt wird.  
Der Beschuldigte muss sich zunächst vor den Beamten und dem Mediziner komplett entkleiden und wird nochmal auf Drogen in Haaren und Körperöffnungen untersucht.  
Der Beschuldigte muss sich zunächst vor den Beamten und dem Mediziner komplett entkleiden und wird nochmal auf Drogen in Haaren und Körperöffnungen untersucht.  
Vor der Brechmittelvergabe hat eine Aufklärung über die Maßnahme stattzufinden, sowie eine Anamese um mögliche Kontraindikationen auszuschließen.  
Vor der Brechmittelvergabe hat eine Aufklärung über die Maßnahme stattzufinden, sowie eine Anamese um mögliche Kontraindikationen auszuschließen.  
Danach bekommt der Beschuldigte die Möglichkeit einen Becher mit 30-60 ml des Sirups und Wasser zu trinken. Teilweise wird auch eine salzhaltige Wasserlösung genommen, um das Erbrechen zu beschleunigen. Schluckt der Beschuldigte nicht freiwillig den Sirup, wird ihm eine Magensonde durch die Nase gelegt und so der Sirup plus Wasser eingeflösst. Wehrt sich der Betroffene kann er durch die Beamten gewaltsam fixiert werden. Nach ca.30 Minuten kommt es dann zu einem heftigen, schwallartigen Erbrechen. Die ganze Prozedur wird solange fortgesetzt, bis die Drogencontainer erbrochen werden oder nach mehrmaliger Wiederholung der Behandlung sich nichts finden lässt. Nach dem Brechmitteleinsatz ist der Beschuldigte zu untersuchen und ca. eine halbe Stunde zu beobachten. Danach wird er auf freien Fuß gesetzt.  
Danach bekommt der Beschuldigte die Möglichkeit einen Becher mit 30-60 ml des Sirups und Wasser zu trinken. Teilweise wird auch eine salzhaltige Wasserlösung genommen, um das Erbrechen zu beschleunigen. Schluckt der Beschuldigte nicht freiwillig den Sirup, wird ihm eine Magensonde durch die Nase gelegt und so der Sirup plus Wasser eingeflößt. Wehrt sich der Betroffene kann er durch die Beamten gewaltsam fixiert werden. Nach ca.30 Minuten kommt es dann zu einem heftigen, schwallartigen Erbrechen. Die ganze Prozedur wird solange fortgesetzt, bis die Drogencontainer erbrochen werden oder nach mehrmaliger Wiederholung der Behandlung sich nichts finden lässt. Nach dem Brechmitteleinsatz ist der Beschuldigte zu untersuchen und ca. eine halbe Stunde zu beobachten. Danach wird er auf freien Fuß gesetzt.  
Der Brechmitteleinsatz dauert somit ungefähr 2 Stunden.  
Der Brechmitteleinsatz dauert somit ungefähr 2 Stunden.  


 
=== Risiken ===
 
:'''1.1. Risiken'''
 


Laut einigen Rechtsmediziner ist in der Vergabe von Emetika wie bsp. Ipecacuanha überhaupt keine Gefährdung zu sehen. Der Sirup werde schließlich auch schon Kindern verabreicht, wenn diese an einer Vergiftung leiden. Auch die zwangsweise Verabreichung mittels einer Magensonde stelle kein besonderes Risiko dar. Die Schläuche seihen mittlerweile so dünn und biegsam, dass es zu keinen Komplikationen kommt.  
Laut einigen Rechtsmediziner ist in der Vergabe von Emetika wie bsp. Ipecacuanha überhaupt keine Gefährdung zu sehen. Der Sirup werde schließlich auch schon Kindern verabreicht, wenn diese an einer Vergiftung leiden. Auch die zwangsweise Verabreichung mittels einer Magensonde stelle kein besonderes Risiko dar. Die Schläuche seihen mittlerweile so dünn und biegsam, dass es zu keinen Komplikationen kommt.  
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Im Jahr 2001 starb in Hamburg der 19 jährige Achidi John an einem Herzstillstand nach der gewaltsamen Verabreichung des Brechmittels. Im Jahr 2005 starb in Bremen der 35 jährige Layle-Alama Conde nach zwangsweiser Vergabe des Brechmittels, weil ihm zuviel Wasser in die Lunge gepumpt wurde, so dass er schließlich ertrank.  
Im Jahr 2001 starb in Hamburg der 19 jährige Achidi John an einem Herzstillstand nach der gewaltsamen Verabreichung des Brechmittels. Im Jahr 2005 starb in Bremen der 35 jährige Layle-Alama Conde nach zwangsweiser Vergabe des Brechmittels, weil ihm zuviel Wasser in die Lunge gepumpt wurde, so dass er schließlich ertrank.  


===Empirische Realität===


:'''1.2. Empirische Realität'''
Nach einer durchgeführten Untersuchung von Schlegel zeigt sich, dass es sich bei dem Brechmitteleinsatz nicht um eine gängige polizeiliche Ermittlungsmethode handelt. Demnach wurde der Brechmitteleinsatz in Berlin, Bremen (nach dem Todesfall 2005 nur noch freiwillig), Hessen und Hamburg durchgeführt. Die anderen Bundesländer sehen den Brechmitteleinsatz teilweise als unverhältnismäßig an oder geben an, dass bei ihnen das Problem der [[Drogenkriminalität]] in dieser Form nicht bestehe.  
 
 
Nach einer durchgeführten Untersuchung von Schlegel zeigt sich, dass es sich bei dem Brechmitteleinsatz nicht um eine gängige polizeiliche Ermittlungsmethode handelt. Demnach wurde der Brechmitteleinsatz in Berlin, Bremen ( nach dem Todesfall 2005 nur noch freiwillig), Hessen und Hamburg durchgeführt. Die anderen Bundesländer sehen den Brechmitteleinsatz teilweise als unverhältnismäßig an oder geben an, dass bei ihnen das Problem der Drogenkriminalität in dieser Form nicht bestehe.  
Schlegel hat am Beispiel Hamburg herausgefunden, dass in den Jahren 2001-2005 es zu 506 Anordnungen kam von denen 392 ausgeführt wurden. Dabei lag bei keinem der Fälle eine richterliche Anordnung vor. In 33 Fällen wurde unmittelbarer Zwang ausgeübt. 82 % der Beschuldigten waren afrikanischer Herkunft.  
Schlegel hat am Beispiel Hamburg herausgefunden, dass in den Jahren 2001-2005 es zu 506 Anordnungen kam von denen 392 ausgeführt wurden. Dabei lag bei keinem der Fälle eine richterliche Anordnung vor. In 33 Fällen wurde unmittelbarer Zwang ausgeübt. 82 % der Beschuldigten waren afrikanischer Herkunft.  


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'''2. Meinungsbild'''
== Meinungsbild ==
 


Das Meinungsbild über Brechmitteleinsätze geht teilweise stark auseinander. Dabei werden unterschiedliche Ansichten von Ärzten, Rechtsmedizinern, Politikern und der Bevölkerung abgegeben.  
Das Meinungsbild über Brechmitteleinsätze geht teilweise stark auseinander. Dabei werden unterschiedliche Ansichten von Ärzten, Rechtsmedizinern, Politikern und der Bevölkerung abgegeben.  
   
   


:'''2.1. Positive Einschätzung der Methode'''
 
=== Positive Einschätzung der Methode ===




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:'''2.2. Kritik an der Methode'''
===Kritik an der Methode===




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'''3. Juristische Betrachtungsweise'''
==Juristische Betrachtungsweise==




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:'''3.1. Ermächtigungsgrundlage § 81a StPO'''
===Ermächtigungsgrundlage § 81a StPO===




Als Rechtsgrundlage für die Brechmitteleinsätze kommt § 81a StPO in Frage, der die körperliche Untersuchung eines Beschuldigten gestattet. Nach dieser Vorschrift sind körperliche Eingriffe nur zulässig, wenn sie von einem Mediziner nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen werden. Des weiteren sind körperliche Eingriffe ohne Einwilligung der Beschuldigten nur zulässig, wenn kein Nachteil für die Gesundheit zu befürchten ist. In Absatz 2 wird festgeschrieben, dass nur ein Richter Anordnungsbefugnis hat und lediglich bei „Gefahr im Verzug“ darf eine solche Maßnahme durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten vorgenommen werden.  
Als Rechtsgrundlage für die Brechmitteleinsätze kommt § 81a [[StPO]] in Frage, der die körperliche Untersuchung eines Beschuldigten gestattet. Nach dieser Vorschrift sind körperliche Eingriffe nur zulässig, wenn sie von einem Mediziner nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen werden. Des weiteren sind körperliche Eingriffe ohne Einwilligung der Beschuldigten nur zulässig, wenn kein Nachteil für die Gesundheit zu befürchten ist. In Absatz 2 wird festgeschrieben, dass nur ein Richter Anordnungsbefugnis hat und lediglich bei „Gefahr im Verzug“ darf eine solche Maßnahme durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten vorgenommen werden.  
Im Blickfeld steht nun was unter den Regeln der ärztlichen Kunst zu verstehen ist. Und inwieweit eine Gesundheitsgefährdung vorliegt.  
Im Blickfeld steht nun was unter den Regeln der ärztlichen Kunst zu verstehen ist. Und inwieweit eine Gesundheitsgefährdung vorliegt.  
Laut Montgomery, dem Vorsitzenden des Marburger Bundes, ist eine zwangsweise Einführung der Magensonde schon nicht mit den Regeln der ärztlichen Kunst vereinbar. Ein Berufsgrundsatz der Ärzte besagt; „nihil nocere“ – niemals schaden. Eine solche Gewaltanwendung, wie das Einführen der Magensonde sei in der Medizin ausschließlich nur mit Einwilligung des Patienten möglich.  
Laut Montgomery, dem Vorsitzenden des Marburger Bundes, ist eine zwangsweise Einführung der Magensonde schon nicht mit den Regeln der ärztlichen Kunst vereinbar. Ein Berufsgrundsatz der Ärzte besagt; „nihil nocere“ – niemals schaden. Eine solche Gewaltanwendung, wie das Einführen der Magensonde sei in der Medizin ausschließlich nur mit Einwilligung des Patienten möglich.  
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:'''3.2. Verhältnismäßigkeit'''
===Verhältnismäßigkeit===




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:'''3.3. Urteil vom EGMR 11.Juli 2006'''
===Urteil vom EGMR 11.Juli 2006===




Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in dem Fall Jalloh vs. Deutschland am 11.Juli 2006 entschieden, dass der Brechmitteleinsatz als eine unmenschliche und erniedrigende Handlung zu qualifizieren sei und gegen das absolute Folterverbot von Art.3 EMRK verstößt.
Der [[Europäische Gerichtshof für Menschenrechte]] hat in dem Fall Jalloh vs. Deutschland am 11.Juli 2006 entschieden, dass der Brechmitteleinsatz als eine unmenschliche und erniedrigende Handlung zu qualifizieren sei und gegen das absolute Folterverbot von Art.3 EMRK verstößt.
Dabei handelte es sich bei dem Kläger um einen typischen Fall eines Brechmitteleinsatzes. Jalloh wurde auf der Straße festgenommen und sollte dann das Brechmittel zu sich nehmen. Als er dies verweigerte, wurde ihm mittels einer Magensonde das Brechmittel verabreicht. Infolge der Behandlung erbrach er 1 Bubble. Noch Tage danach klagte er über Schmerzen.  
Dabei handelte es sich bei dem Kläger um einen typischen Fall eines Brechmitteleinsatzes. Jalloh wurde auf der Straße festgenommen und sollte dann das Brechmittel zu sich nehmen. Als er dies verweigerte, wurde ihm mittels einer Magensonde das Brechmittel verabreicht. Infolge der Behandlung erbrach er 1 Bubble. Noch Tage danach klagte er über Schmerzen.  
Das Gericht kam zur Überzeugung, dass die Maßnahme erhebliche gesundheitliche Risiken in sich birgt, was durch die 2 Todesopfer bestätigt wurde. Der Brechmitteleinsatz führe zu Angstzuständen , Demütigungen und vor allem psychischen Leiden bei den Betroffenen. Als zentrales Argument führte der Gerichtshof an, dass man durchhaus auf das mildere Mittel, die natürliche Darmtätigkeit zurückgreifen könnte. Andere Staaten würden schließlich auch so handeln.  
Das Gericht kam zur Überzeugung, dass die Maßnahme erhebliche gesundheitliche Risiken in sich birgt, was durch die 2 Todesopfer bestätigt wurde. Der Brechmitteleinsatz führe zu Angstzuständen , Demütigungen und vor allem psychischen Leiden bei den Betroffenen. Als zentrales Argument führte der Gerichtshof an, dass man durchhaus auf das mildere Mittel, die natürliche Darmtätigkeit zurückgreifen könnte. Andere Staaten würden schließlich auch so handeln.  




:'''3.4. Strafprozessuale Folgen'''
===Strafprozessuale Folgen===




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'''4. Kriminalpolitische Sichtweise'''
==Kriminalpolitische Sichtweise==




Aus kriminologischer Sicht muss man sich fragen, warum trotz heftiger Kritik und offensichtlicher gesundheitsgefährdender Prozedur am Brechmitteleinsatz festgehalten wurde. Kemper hat in ihrer Untersuchung das Konzept der Punitivität näher beleuchtet, um dieses Phänomen zu erklären. Dabei weist sie insbesondere darauf hin, dass die Vergabe von Brechmitteln auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung stößt und dazu benutzt wird, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu steigern. Durch das harte Durchgreifen in der Drogenpolitik entsteht der Anschein, die Politik hätte alles unter Kontrolle. Der Brechmitteleinssatz lässt sich anscheinend sehr gut dafür gebrauchen, das Strafbedürfnis der Bevölkerung aufzugreifen. Gleichzeitig die eigene Machtstellung zu festigen.  
Aus kriminologischer Sicht muss man sich fragen, warum trotz heftiger Kritik und offensichtlicher gesundheitsgefährdender Prozedur am Brechmitteleinsatz festgehalten wurde. Kemper hat in ihrer Untersuchung das Konzept der [[Punitivität]] näher beleuchtet, um dieses Phänomen zu erklären. Dabei weist sie insbesondere darauf hin, dass die Vergabe von Brechmitteln auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung stößt und dazu benutzt wird, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu steigern. Durch das harte Durchgreifen in der Drogenpolitik entsteht der Anschein, die Politik hätte alles unter Kontrolle. Der Brechmitteleinssatz lässt sich anscheinend sehr gut dafür gebrauchen, das Strafbedürfnis der Bevölkerung aufzugreifen. Gleichzeitig die eigene Machtstellung zu festigen.  
Die Dealer werden exkludiert, was wiederum den Zusammenhalt der vermeintlichen Opfer steigert.  
Die Dealer werden exkludiert, was wiederum den Zusammenhalt der vermeintlichen Opfer steigert.  




==Literatur==






'''5. Literatur'''
*Fall Jalloh v. Germany, EGMR, Urteil vom 11.Juli 2006
 
 
 
Fall Jalloh v. Germany, EGMR, Urteil vom 11.Juli 2006
 
K. Gaede Deutscher Brechmitteleinsatz menschenrechtswidrig:
Begründungsgang und Konsequenzen der Grundsatz-
Entscheidung des EGMR im Fall Jalloh, HRRS 2006 S.241
 
A. Kemper Drogenbekämpfung durch Brechmittelverabreichung
Eine kriminologische Untersuchung im Kontext der
„Neuen Punitivität“ 2006
 
A. Kemper/
H. Pollähne Unmenschliche und erniedrigende Drogenkontrollpolitik
Anmerkung zu EGMR- 54810/00 in: ZJJ 2006
 
K. Schlegel Kriminologische Analyse von Brechmitteleinsätzen
Eine empirische Untersuchung zur Verhältnismäßigkeit
von Brechmitteleinsätzen 2006
 
E. Weßlau Juristische Stellungnahme, Anhang 1, in: Antirassismusbüro
Bremen(Hg), Polizisten, die zum Brechen reizen- Verabreichung
Von Emetika am Beispiel Bremen, Bremen 1995,


*K. Gaede, Deutscher Brechmitteleinsatz menschenrechtswidrig: Begründungsgang und Konsequenzen der Grundsatz-Entscheidung des EGMR im Fall Jalloh, HRRS 2006 S.241


*A. Kemper, Drogenbekämpfung durch Brechmittelverabreichung. Eine kriminologische Untersuchung im Kontext der „Neuen Punitivität“ 2006


*A. Kemper/ H. Pollähne, Unmenschliche und erniedrigende Drogenkontrollpolitik. Anmerkung zu EGMR- 54810/00 in: ZJJ 2006


*K. Schlegel, Kriminologische Analyse von Brechmitteleinsätzen. Eine empirische Untersuchung zur Verhältnismäßigkeit von Brechmitteleinsätzen 2006


[[Kategorie:Grundbegriffe der Kriminologie]]
*E. Weßlau, Juristische Stellungnahme, Anhang 1, in: Antirassismusbüro Bremen(Hg), Polizisten, die zum Brechen reizen - Verabreichung von Emetika am Beispiel Bremen, Bremen 1995

Version vom 22. September 2007, 17:19 Uhr

Brechmitteleinsatz


Unter “Brechmitteleinsatz“ wird ein von Polizei und Staatsanwaltschaft eingesetztes Ermittlungsverfahren bezeichnet, bei dem von mutmaßlichen Straßendealern verschluckte Drogencontainer sichergestellt werden sollen. Dabei wird den Beschuldigten ein Mittel verabreicht, was innerhalb kurzer Zeit zum Erbrechen führt.


Vorgehensweise der Ermittlungsmethode

Der Einsatz von Emetika ( wörtlich „das Brechreizende“) dient zur Exkorpuration von verschluckten Drogencontainern ( oder auch Bubbles, Kokainkügelchen oder Betäubungsmittelbehältnisse genannt). Dabei wird hauptsächlich der Sirup der südamerikanischen Brechwurzel Ipecacuanha verwendet. Die so erhoffte Beweisgewinnung erfolgt bei den sog. Straßendealern, da professionelle Drogenkuriere die Drogen Stunden vorher runterschlucken oder direkt in den Darm einbringen. Der Brechmitteleinsatz kann aber nur erfolgreich sein, solange die Drogenkügelchen sich noch im Magen aufhalten und noch nicht im Darm gelandet sind. Daher beschränkt sich das vorhandene Zeitfenster zur Sicherstellung der Drogen auf ungefähr 2 Stunden, bevor die Drogen den Magen passiert haben. Der Brechmitteleinsatz kann angeordnet werden, wenn entsprechende Verkaufsverhandlungen und/oder Drogencontainer im Mund des Betroffenen gesehen wurden und eventuelle Zeugenaussagen dieses bestätigen. Außerdem muss bei der Festnahme eine „typische Schluckbewegung“ gesehen werden. Der Verdacht der Beamten reicht aus, dass der Festgenommene mit harten Drogen gehandelt hat. Der Beschuldigte wird anschließend entweder auf eine Polizeiwache oder auch in ein Rechtsmedizinisches Institut (siehe Hamburg) gebracht, wo dann der Brechmitteleinsatz entweder durch einen Polizeiarzt oder Rechtsmediziner durchgeführt wird. Der Beschuldigte muss sich zunächst vor den Beamten und dem Mediziner komplett entkleiden und wird nochmal auf Drogen in Haaren und Körperöffnungen untersucht. Vor der Brechmittelvergabe hat eine Aufklärung über die Maßnahme stattzufinden, sowie eine Anamese um mögliche Kontraindikationen auszuschließen. Danach bekommt der Beschuldigte die Möglichkeit einen Becher mit 30-60 ml des Sirups und Wasser zu trinken. Teilweise wird auch eine salzhaltige Wasserlösung genommen, um das Erbrechen zu beschleunigen. Schluckt der Beschuldigte nicht freiwillig den Sirup, wird ihm eine Magensonde durch die Nase gelegt und so der Sirup plus Wasser eingeflößt. Wehrt sich der Betroffene kann er durch die Beamten gewaltsam fixiert werden. Nach ca.30 Minuten kommt es dann zu einem heftigen, schwallartigen Erbrechen. Die ganze Prozedur wird solange fortgesetzt, bis die Drogencontainer erbrochen werden oder nach mehrmaliger Wiederholung der Behandlung sich nichts finden lässt. Nach dem Brechmitteleinsatz ist der Beschuldigte zu untersuchen und ca. eine halbe Stunde zu beobachten. Danach wird er auf freien Fuß gesetzt. Der Brechmitteleinsatz dauert somit ungefähr 2 Stunden.

Risiken

Laut einigen Rechtsmediziner ist in der Vergabe von Emetika wie bsp. Ipecacuanha überhaupt keine Gefährdung zu sehen. Der Sirup werde schließlich auch schon Kindern verabreicht, wenn diese an einer Vergiftung leiden. Auch die zwangsweise Verabreichung mittels einer Magensonde stelle kein besonderes Risiko dar. Die Schläuche seihen mittlerweile so dünn und biegsam, dass es zu keinen Komplikationen kommt. Dem stehen Berichte von Betroffenen und Einschätzungen von Ärzten entgegen. So wird von einem immer wieder kehrenden Brechreiz, Erbrechen und Durchfall über mehrere Tage hinweg berichtet. Dazu kommen Magenbeschwerden, eventuelle Risse der Magenwand und die Gefahr der Aspiration von Erbrochenem. Die Vergabe von Ipecacuanha mittels einer Magensonde wird aus ärztlicher Sicht sogar überwiegend abgelehnt. Durch die gewaltsame Einführung der Magensonde und der Gegenwehr des Beschuldigten kann es zu Verletzungen der Speiseröhre und der Magenschleimhaut kommen. Fehlsondierungen in die Speiseröhre oder in die Lunge anstatt dem Magen können passieren. Es kann zum Herzstillstand kommen, wenn die Sonde den Vagusnerv streift. Dazu kommen panische Angstzustände und Erstickungsanfälle der Betroffenen.

Leider sind auch in Folge des Brechmitteleinsatzes 2 Todesopfer zu beklagen. Im Jahr 2001 starb in Hamburg der 19 jährige Achidi John an einem Herzstillstand nach der gewaltsamen Verabreichung des Brechmittels. Im Jahr 2005 starb in Bremen der 35 jährige Layle-Alama Conde nach zwangsweiser Vergabe des Brechmittels, weil ihm zuviel Wasser in die Lunge gepumpt wurde, so dass er schließlich ertrank.

Empirische Realität

Nach einer durchgeführten Untersuchung von Schlegel zeigt sich, dass es sich bei dem Brechmitteleinsatz nicht um eine gängige polizeiliche Ermittlungsmethode handelt. Demnach wurde der Brechmitteleinsatz in Berlin, Bremen (nach dem Todesfall 2005 nur noch freiwillig), Hessen und Hamburg durchgeführt. Die anderen Bundesländer sehen den Brechmitteleinsatz teilweise als unverhältnismäßig an oder geben an, dass bei ihnen das Problem der Drogenkriminalität in dieser Form nicht bestehe. Schlegel hat am Beispiel Hamburg herausgefunden, dass in den Jahren 2001-2005 es zu 506 Anordnungen kam von denen 392 ausgeführt wurden. Dabei lag bei keinem der Fälle eine richterliche Anordnung vor. In 33 Fällen wurde unmittelbarer Zwang ausgeübt. 82 % der Beschuldigten waren afrikanischer Herkunft.

Bremen hatte so etwas wie eine Vorreiterrolle inne. In Bremen wurde seit 1991 erstmals der Brechmitteleinsatz durchgeführt. Nach dem Urteil des EGMR ( siehe 3.3.) wurde der zwangsweise Brechmitteleinsatz eingestellt- wobei sich die CDU in Hamburg kurz nach dem Urteil dahingehend geäußert hat, erst mal die übersetzte Urteilsbegründung abzuwarten und dann gegebenenfalls zu entscheiden. Die „freiwillige“ Brechmitteleinnahme wird zumindest in Bremen und Hamburg noch praktiziert.


Meinungsbild

Das Meinungsbild über Brechmitteleinsätze geht teilweise stark auseinander. Dabei werden unterschiedliche Ansichten von Ärzten, Rechtsmedizinern, Politikern und der Bevölkerung abgegeben.


Positive Einschätzung der Methode

Die Befürworter des Brechmitteleinsatzes sehen diesen als zulässige strafprozessuale Zwangsmaßnahme an, um an Beweise zu gelangen. Es gäbe keine effektivere Methode der Ermittlungsbehörden die Drogenkriminalität und somit den Straßenhandel unter Kontrolle zu bringen. Man müsse weiterhin den Weg einer harten Drogenpolitik beschreiten, zudem es sich um Schwerstkriminelle handelt. Diese würden auch ohne Rücksicht viele Menschen durch den Verkauf der Drogen in die Abhängigkeit treiben. Außerdem sei es eine am wenigsten in die Rechtsgüter der Betroffenen eingreifende Methode. Nicht zuletzt diene der Brechmitteleinsatz dem Schutz der Betroffenen. Es bestehe eine große Gefährdung für die Beschuldigten, wenn eines oder mehrere Bubbles platzen würden.


Kritik an der Methode

Die Gegner des Brechmitteleinsatzes sehen diese Methode als überaus gesundheitsgefährdende Maßnahme an, die sogar schon den Tod zweier Menschen gefordert hat. Es handele sich vielmehr um eine menschenverachtende Maßnahme, die auch nicht verhältnismäßig sei und somit unzulässig. Schließlich könnte man auch als Alternative die natürliche Tätigkeit des Darmes abwarten und somit auf einen Brechmitteleinsatz verzichten. Außerdem sehen die Kritiker in der Maßnahme eine Art „Sofortstrafe“ für die Dealer. Zudem wird eine rassistische Motivation vermutet, weshalb vor allem Schwarzafrikaner Opfer der Methode werden. Das Argument zum Schutz der Dealer sei nur ein vorgeschobenes Argument. Nach ärztlicher Ansicht bestehe beim „Aufplatzen“ der Bubbles keine Lebensgefahr, sondern allenfalls ein ordentlicher Rausch.


Juristische Betrachtungsweise

Die Maßnahme muss sich auf eine rechtmäßige Gesetzesgrundlage stützen und darf nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Dagegen ergibt sich die Zulässigkeit der Maßnahme nicht, wie von einigen behaupten, schon aus der staatlichen Fürsorgepflicht. Es ist nicht Aufgabe der Strafprozessordnung dem Selbstbestimmungsrecht entgegen zu wirken und die Menschen vor sich selber zu schützen.


Ermächtigungsgrundlage § 81a StPO

Als Rechtsgrundlage für die Brechmitteleinsätze kommt § 81a StPO in Frage, der die körperliche Untersuchung eines Beschuldigten gestattet. Nach dieser Vorschrift sind körperliche Eingriffe nur zulässig, wenn sie von einem Mediziner nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen werden. Des weiteren sind körperliche Eingriffe ohne Einwilligung der Beschuldigten nur zulässig, wenn kein Nachteil für die Gesundheit zu befürchten ist. In Absatz 2 wird festgeschrieben, dass nur ein Richter Anordnungsbefugnis hat und lediglich bei „Gefahr im Verzug“ darf eine solche Maßnahme durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten vorgenommen werden. Im Blickfeld steht nun was unter den Regeln der ärztlichen Kunst zu verstehen ist. Und inwieweit eine Gesundheitsgefährdung vorliegt. Laut Montgomery, dem Vorsitzenden des Marburger Bundes, ist eine zwangsweise Einführung der Magensonde schon nicht mit den Regeln der ärztlichen Kunst vereinbar. Ein Berufsgrundsatz der Ärzte besagt; „nihil nocere“ – niemals schaden. Eine solche Gewaltanwendung, wie das Einführen der Magensonde sei in der Medizin ausschließlich nur mit Einwilligung des Patienten möglich. Besondere Bedeutung wird hier vor allem der Anamese zugestanden, um Komplikationen zu verhindern. Allerdings ist hier zweifelhaft wie gründlich diese durchgeführt wird. Der Brechmitteleinsatz steht unter einem großen zeitlichen Druck. Dazu kommen die Sprachschwierigkeiten die meistens bestehen. Dolmetscher werden nicht hinzugezogen. So das schon sehr zweifelhaft von den Regeln ärztlicher Kunst ausgegangen werden kann. Kein Nachtteil für die Gesundheit heißt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Gesundheitsgefährdung vorliegen darf. Sieht man sich die Liste der Risiken an, wird man wohl zu der Meinung gelangen, es handele sich um eine gesundheitsgefährdende Maßnahme. Damit dürfte die Ermächtigungsgrundlage als unzulässig angesehen werden. Des weiteren ist noch festzuhalten, dass die eigentliche Ausnahme, die Anordnung der Maßnahme durch Hilfsbeamte, leider den Regelfall darstellt. Auch wenn die Voraussetzungen des § 81a StPO nicht vorliegen, kann die Verabreichung eines Brechmittels durch eine Einwilligung des Beschuldigten gerechtfertigt sein. Eine Einwilligung ist aber nur rechtmäßig, wenn sie freiwillig erfolgt. Freiwilligkeit ist nicht gegeben, wenn dem Betroffenen für den Fall der Nichteinwilligung eine Maßnahme in Aussicht gestellt wird, die einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit bedeutet. Und das stellt die zwangsweise Verabreichung der Brechmittels mittels einer Magensonde dar. Somit kann auch von keiner Einwilligung die Rede sein.


Verhältnismäßigkeit

Die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln stellt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art.2 II 1 GG dar. Der Eingriff in ein Grundrecht muss sich am Maßstab der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Dabei muss der Eingriff geeignet, erforderlich und angemessen sein. Geeignet heißt, dass der Eingriff für den Zweck geeignet sein muss. Der Brechmitteleinsatz muss also grundsätzlich dazu geeignet sein ein Beweismittel zu gewinnen. Durch das Erbrechen kommen möglicherweise verschluckte Drogencontainer zum Vorschein. Somit ist der Brechmitteleinsatz an sich geeignet. Erforderlich ist ein Mittel immer dann, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, welches den gleichen Erfolg herbeiführt. Hier wird es schon etwas problematisch, da von einigen die „Stuhlhaft“ ( abwarten der natürlichen Darmtätigkeit in einer Zelle) als milderes Mittel angesehen wird. Aber auch hier wird in die Rechte des Beschuldigten eingegriffen durch Freiheitsentziehung. Wenn man die Erforderlichkeit noch bejaht, muss man schließlich eine Interessensabwägung zwischen dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse und der individuellen Rechtsposition vornehmen. Diejenigen, die die Maßnahme befürworten führen ins Feld, dass es sich regelmäßig um Schwerstkriminelle handelt. Drogenkriminalität sei kein Kavaliersdelikt. Daher sei der Eingriff angemessen. Diejenigen, die den Brechmitteleinsatz für eine unangemessene Maßnahme halten, weisen darauf hin, dass meist nur die „kleinen Fische“ geschnappt werden. Oftmals finden sich nur so geringe Mengen an Drogen, dass das Verfahren eingestellt wird. Schließlich muss das Gewicht des Tatvorwurfs mit der Schwere des Eingriffs abgewogen werden. Hier müssen doch erhebliche Bedenken geäußert werden. Da es sich offensichtlich um eine gesundheitsgefährdende Maßnahme handelt, scheint der Eingriff für zum Teil nur 1-2 Bubbles unverhältnismäßig. Hier kann man oder muss man zum Ergebnis kommen, dass der Brechmitteleinsatz unverhältnismäßig ist.

Die deutsche Rechtsprechung ist sich hier nicht einig. Während 1995 das OLG Düsseldorf die Brechmittelvergabe für zulässig erklärte, verweigerte 1997 das OLG Frankfurt die Zulässigkeit. Das BverfG hatte über die Zulässigkeit des Brechmitteleinsatzes noch nicht zu entscheiden. Die von Jalloh gestellte Verfassungsbeschwerde wurde als unzulässig abgewiesen. Eben dieser Jalloh ging dann vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.


Urteil vom EGMR 11.Juli 2006

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in dem Fall Jalloh vs. Deutschland am 11.Juli 2006 entschieden, dass der Brechmitteleinsatz als eine unmenschliche und erniedrigende Handlung zu qualifizieren sei und gegen das absolute Folterverbot von Art.3 EMRK verstößt. Dabei handelte es sich bei dem Kläger um einen typischen Fall eines Brechmitteleinsatzes. Jalloh wurde auf der Straße festgenommen und sollte dann das Brechmittel zu sich nehmen. Als er dies verweigerte, wurde ihm mittels einer Magensonde das Brechmittel verabreicht. Infolge der Behandlung erbrach er 1 Bubble. Noch Tage danach klagte er über Schmerzen. Das Gericht kam zur Überzeugung, dass die Maßnahme erhebliche gesundheitliche Risiken in sich birgt, was durch die 2 Todesopfer bestätigt wurde. Der Brechmitteleinsatz führe zu Angstzuständen , Demütigungen und vor allem psychischen Leiden bei den Betroffenen. Als zentrales Argument führte der Gerichtshof an, dass man durchhaus auf das mildere Mittel, die natürliche Darmtätigkeit zurückgreifen könnte. Andere Staaten würden schließlich auch so handeln.


Strafprozessuale Folgen

Es sei hier nur kurz erwähnt, dass der EGMR auch entschieden hat, dass die zwangsweise Vergabe von Brechmittel gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren gemäß Art.6 EMRK verstoße und die durch die Brechmittelvergabe exkorporierten Beweise einem Verwertungsverbot unterliegen. Allerdings wurde in dem Urteil offen gelassen, ob ein durch Misshandlung und somit Verstoß gegen Art.3 EMRK erlangter Beweis zwangsläufig einem Verwertungsverbot entspreche.


Kriminalpolitische Sichtweise

Aus kriminologischer Sicht muss man sich fragen, warum trotz heftiger Kritik und offensichtlicher gesundheitsgefährdender Prozedur am Brechmitteleinsatz festgehalten wurde. Kemper hat in ihrer Untersuchung das Konzept der Punitivität näher beleuchtet, um dieses Phänomen zu erklären. Dabei weist sie insbesondere darauf hin, dass die Vergabe von Brechmitteln auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung stößt und dazu benutzt wird, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu steigern. Durch das harte Durchgreifen in der Drogenpolitik entsteht der Anschein, die Politik hätte alles unter Kontrolle. Der Brechmitteleinssatz lässt sich anscheinend sehr gut dafür gebrauchen, das Strafbedürfnis der Bevölkerung aufzugreifen. Gleichzeitig die eigene Machtstellung zu festigen. Die Dealer werden exkludiert, was wiederum den Zusammenhalt der vermeintlichen Opfer steigert.


Literatur

  • Fall Jalloh v. Germany, EGMR, Urteil vom 11.Juli 2006
  • K. Gaede, Deutscher Brechmitteleinsatz menschenrechtswidrig: Begründungsgang und Konsequenzen der Grundsatz-Entscheidung des EGMR im Fall Jalloh, HRRS 2006 S.241
  • A. Kemper, Drogenbekämpfung durch Brechmittelverabreichung. Eine kriminologische Untersuchung im Kontext der „Neuen Punitivität“ 2006
  • A. Kemper/ H. Pollähne, Unmenschliche und erniedrigende Drogenkontrollpolitik. Anmerkung zu EGMR- 54810/00 in: ZJJ 2006
  • K. Schlegel, Kriminologische Analyse von Brechmitteleinsätzen. Eine empirische Untersuchung zur Verhältnismäßigkeit von Brechmitteleinsätzen 2006
  • E. Weßlau, Juristische Stellungnahme, Anhang 1, in: Antirassismusbüro Bremen(Hg), Polizisten, die zum Brechen reizen - Verabreichung von Emetika am Beispiel Bremen, Bremen 1995