Autoritärer Staat: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Richtung auf den autoritären Staat war den radikalen Parteien in der bürgerlichen Ära seit jeher vorgezeichnet. In der französischen Revolution erscheint die spätere Geschichte zusammengedrängt. Robespierre hatte die Autorität im Wohlfahrtsausschuß zentralisiert, [[das Parlament zur Registrierkammer von Gesetzen herabgedrückt]]. Er hatte die Funktionen der Verwaltung und Beherrschung in der jakobinischen Parteileitung vereinigt. Der Staat regulierte die Wirtschaft. Die Volksgemeinschaft durchsetzte alle Lebensformen mit Brüderlichkeit und Denunziation. Der Reichtum war fast in die Illegalität gedrängt. Auch Robespierre und die Seinen planten, den inneren Feind zu enteignen, der wohl dirigierte Volkszorn gehörte zur politischen Maschinerie. Die französische Revolution war der Tendenz nach totalitär. Ihr Kampf gegen die Kirche entsprang nicht der Antipathie gegen die Religion, sondern der Forderung, daß auch sie der patriotischen Ordnung sich einzugliedern und zu dienen habe. Die Kulte der Vernunft und des höchsten Wesens sind wegen der Renitenz des Klerus verbreitet worden. Der »Sansculotte Jesus« kündet den nordischen Christus an. Unter den Jakobinern kam der Staatskapitalismus über die blutigen Anfänge nicht hinaus. [4] Aber der Thermidor hat nicht seine Notwendigkeit beseitigt. Sie meldet sich in den Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts stets wieder an. In Frankreich haben die konsequent liberalen Regierungen immer nur ein kurzes Leben geführt. Um der etatistischen Tendenzen von unten Herr zu werden, müßte die Bourgeoisie rasch den Bonapartismus von oben rufen. Der Regierung Louis Blancs ist es nicht besser ergangen als dem Directoire. Und seitdem in der Junischlacht einmal die Nationalwerkstätten und das Recht auf Arbeit nur durch die Entfesselung der Generäle zu unterdrücken waren, hat sich die Marktwirtschaft als immer reaktionärer erwiesen. Setzte [[Rousseaus Einsicht, daß die großen Unterschiede des Eigentums dem Prinzip der Nation zuwiderliefen]], schon seinen Schüler Robespierre in [[Gegensatz zum Liberalismus]], so ließ sich das spätere Wachstum der kapitalistischen Vermögen mit dem allgemeinen Interesse nur noch im nationalökonomischen Kolleg zusammenbringen. Unter den Bedingungen der großen Industrie ging dann der Kampf darum, wer das Erbe der Konkurrenzgesellschaft antritt. Die hellsichtigen Lenker des Staates erfuhren nicht weniger als die Massen hinter den extremen Parteien, Arbeiter und ruinierte Kleinbürger, daß sie erledigt war. Die dunkle Beziehung von Lassalle, dem Begründer der deutschen sozialistischen Massenpartei, und Bismarck, dem Vater des deutschen Staatskapitalismus war symbolisch. Beide steuerten zur staatlichen Kontrolle hin. Regierungen und oppositionelle Parteibürokratien von rechts und links wurden je nach ihrer Stellung im Gesellschaftsprozeß [[auf irgend eine Form des autoritären Staats]] verwiesen. [[Für die Individuen freilich ist es entscheidend, welche Gestalt er schließlich annimmt. Arbeitslose, Rentner, Geschäftsleute, Intellektuelle erwarten Leben oder Tod, je nachdem ob Reformismus, Bolschewismus oder Faschismus siegt]].
Die Richtung auf den autoritären Staat war den radikalen Parteien in der bürgerlichen Ära seit jeher vorgezeichnet. In der französischen Revolution erscheint die spätere Geschichte zusammengedrängt. Robespierre hatte die Autorität im Wohlfahrtsausschuß zentralisiert, [[das Parlament zur Registrierkammer von Gesetzen herabgedrückt]]. Er hatte die Funktionen der Verwaltung und Beherrschung in der jakobinischen Parteileitung vereinigt. Der Staat regulierte die Wirtschaft. Die Volksgemeinschaft durchsetzte alle Lebensformen mit Brüderlichkeit und Denunziation. Der Reichtum war fast in die Illegalität gedrängt. Auch Robespierre und die Seinen planten, den inneren Feind zu enteignen, der wohl dirigierte Volkszorn gehörte zur politischen Maschinerie. Die französische Revolution war der Tendenz nach totalitär. Ihr Kampf gegen die Kirche entsprang nicht der Antipathie gegen die Religion, sondern der Forderung, daß auch sie der patriotischen Ordnung sich einzugliedern und zu dienen habe. Die Kulte der Vernunft und des höchsten Wesens sind wegen der Renitenz des Klerus verbreitet worden. Der »Sansculotte Jesus« kündet den nordischen Christus an. Unter den Jakobinern kam der Staatskapitalismus über die blutigen Anfänge nicht hinaus. [4] Aber der Thermidor hat nicht seine Notwendigkeit beseitigt. Sie meldet sich in den Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts stets wieder an. In Frankreich haben die konsequent liberalen Regierungen immer nur ein kurzes Leben geführt. Um der etatistischen Tendenzen von unten Herr zu werden, müßte die Bourgeoisie rasch den Bonapartismus von oben rufen. Der Regierung Louis Blancs ist es nicht besser ergangen als dem Directoire. Und seitdem in der Junischlacht einmal die Nationalwerkstätten und das Recht auf Arbeit nur durch die Entfesselung der Generäle zu unterdrücken waren, hat sich die Marktwirtschaft als immer reaktionärer erwiesen. Setzte [[Rousseaus Einsicht, daß die großen Unterschiede des Eigentums dem Prinzip der Nation zuwiderliefen]], schon seinen Schüler Robespierre in [[Gegensatz zum Liberalismus]], so ließ sich das spätere Wachstum der kapitalistischen Vermögen mit dem allgemeinen Interesse nur noch im nationalökonomischen Kolleg zusammenbringen. Unter den Bedingungen der großen Industrie ging dann der Kampf darum, wer das Erbe der Konkurrenzgesellschaft antritt. Die hellsichtigen Lenker des Staates erfuhren nicht weniger als die Massen hinter den extremen Parteien, Arbeiter und ruinierte Kleinbürger, daß sie erledigt war. Die dunkle Beziehung von Lassalle, dem Begründer der deutschen sozialistischen Massenpartei, und Bismarck, dem Vater des deutschen Staatskapitalismus war symbolisch. Beide steuerten zur staatlichen Kontrolle hin. Regierungen und oppositionelle Parteibürokratien von rechts und links wurden je nach ihrer Stellung im Gesellschaftsprozeß [[auf irgend eine Form des autoritären Staats]] verwiesen. [[Für die Individuen freilich ist es entscheidend, welche Gestalt er schließlich annimmt. Arbeitslose, Rentner, Geschäftsleute, Intellektuelle erwarten Leben oder Tod, je nachdem ob Reformismus, Bolschewismus oder Faschismus siegt]].


Die konsequenteste Art des autoritären Staats, die aus jeder Abhängigkeit vom privaten Kapital sich befreit hat, ist der integrale Etatismus oder Staatssozialismus. Er steigert die Produktion wie nur der Übergang von der merkantilistischen Periode in die liberalistische. Die faschistischen Länder bilden eine Mischform. Auch hier wird der Mehrwert zwar unter staatlicher Kontrolle gewonnen und verteilt, er fließt jedoch unter dem alten Titel des Profits in großen Mengen weiter an die Industriemagnaten und Grundbesitzer. Durch ihren Einfluß wird die Organisation gestört und abgelenkt. Im integralen Etatisinus ist die Vergesellschaftung dekretiert. Die privaten Kapitalisten sind abgeschafft. Coupons werden einzig noch von Staatspapieren abgeschnitten. Infolge der revolutionären Vergangenheit des Regimes ist der Kleinkrieg der Instanzen und Ressorts nicht wie im Faschismus durch Verschiedenheiten der sozialen Herkunft und Bindung innerhalb der bürokratischen Stäbe kompliziert, die dort so viel Reibungen erzeugt. Der integrale Etatismus bedeutet keinen Rückfall, sondern Steigerung der Kräfte, er kann leben ohne Rassenhaß. Aber die Produzenten, denen juristisch das Kapital gehört, »bleiben Lohnarbeiter, Proletarier«, mag noch so viel für sie getan werden. Das Betriebsreglement hat sich über die ganze Gesellschaft ausgebreitet. Spielte nicht die Armut an technischen Hilfsmitteln und die kriegerische Umwelt der Bürokratie in die Hände, so hätte der Etatismus sich schon überlebt. Im integralen Etatismus steht, wenn man von den kriegerischen Verwicklungen absieht, der Absolutismus der Ressorts, für deren Kompetenzen die Polizei das Leben bis in die letzten Zellen durchdringt, der freien Einrichtung der Gesellschaft entgegen. Zur Demokratisierung der Verwaltung bedarf es keiner ökonomischen oder juristischen Maßnahmen mehr, sondern des Willens der Regierten. Der circulus vitiosus von Armut, Herrschaft, Krieg und Armut umfängt sie solange, bis sie ihn selbst durchbrechen werden. Wo auch sonst in Europa Tendenzen im Sinn des integralen Etatismus sich regen, eröffnet sich die Aussicht, daß sie diesmal nicht wieder in bürokratischer Herrschaft sich verfangen werden. Wann es gelingt, ist nicht vorher zu entscheiden und auch nachher durch die Praxis nicht ein für allemal ausgemacht. Unwiderruflich ist in der Geschichte nur das Schlechte: die ungewordenen Möglichkeiten, das versäumte Glück, die Morde mit und ohne juristische Prozedur, das, was die Herrschaft den Menschen antut. Das andere steht immer in Gefahr.
Die konsequenteste Art des autoritären Staats, die aus jeder Abhängigkeit vom privaten Kapital sich befreit hat, ist der integrale Etatismus oder Staatssozialismus. Er steigert die Produktion wie nur der Übergang von der merkantilistischen Periode in die liberalistische. Die faschistischen Länder bilden eine Mischform. Auch hier wird der Mehrwert zwar unter staatlicher Kontrolle gewonnen und verteilt, er fließt jedoch unter dem alten Titel des Profits in großen Mengen weiter an die Industriemagnaten und Grundbesitzer. Durch ihren Einfluß wird die Organisation gestört und abgelenkt. Im integralen Etatisinus ist die Vergesellschaftung dekretiert. Die privaten Kapitalisten sind abgeschafft. Coupons werden einzig noch von Staatspapieren abgeschnitten. Infolge der revolutionären Vergangenheit des Regimes ist der Kleinkrieg der Instanzen und Ressorts nicht wie im Faschismus durch Verschiedenheiten der sozialen Herkunft und Bindung innerhalb der bürokratischen Stäbe kompliziert, die dort so viel Reibungen erzeugt. Der integrale Etatismus bedeutet keinen Rückfall, sondern Steigerung der Kräfte, er kann leben ohne Rassenhaß. Aber die Produzenten, denen juristisch das Kapital gehört, »bleiben Lohnarbeiter, Proletarier«, mag noch so viel für sie getan werden. Das Betriebsreglement hat sich über die ganze Gesellschaft ausgebreitet. Spielte nicht die Armut an technischen Hilfsmitteln und die kriegerische Umwelt der Bürokratie in die Hände, so hätte der Etatismus sich schon überlebt. Im integralen Etatismus steht, wenn man von den kriegerischen Verwicklungen absieht, der Absolutismus der Ressorts, für deren Kompetenzen die Polizei das Leben bis in die letzten Zellen durchdringt, der freien Einrichtung der Gesellschaft entgegen. Zur Demokratisierung der Verwaltung bedarf es keiner ökonomischen oder juristischen Maßnahmen mehr, sondern des Willens der Regierten. Der circulus vitiosus von Armut, Herrschaft, Krieg und Armut umfängt sie solange, bis sie ihn selbst durchbrechen werden. Wo auch sonst in Europa Tendenzen im Sinn des integralen Etatismus sich regen, eröffnet sich die Aussicht, daß sie diesmal nicht wieder in bürokratischer Herrschaft sich verfangen werden. Wann es gelingt, ist nicht vorher zu entscheiden und auch nachher durch die Praxis nicht ein für allemal ausgemacht. [[Unwiderruflich ist in der Geschichte nur das Schlechte: die ungewordenen Möglichkeiten, das versäumte Glück, die Morde mit und ohne juristische Prozedur, das, was die Herrschaft den Menschen antut. Das andere steht immer in Gefahr]].


In allen seinen Varianten ist der autoritäre Staat repressiv. Die maßlose Vergeudung wird nicht mehr durch ökonomische Mechanismen im klassischen Sinn bewirkt; sie entsteht jedoch aus den unverschämten Bedürfnissen des Machtapparats und aus der Vernichtung jeglicher Initiative der Beherrschten: Gehorsam ist nicht so produktiv. Trotz der sogenannten Krisenlosigkeit gibt es keine Harmonie. Auch sofern der Mehrwert nicht länger als Profit eingestrichen wird, geht es um ihn. Die Zirkulation wird abgeschafft, die Ausbeutung modifiziert. Der auf die Marktwirtschaft gemünzte Satz, daß der Anarchie in der Gesellschaft die straffe Ordnung in der Fabrik entspricht, bedeutet heute, daß der internationale Naturstand, der Kampf um den Weltmarkt, und die faschistische Disziplin der Völker wechselseitig sich bedingen. Auch wenn Eliten heute gemeinsam gegen ihre Völker verschworen sind, bleiben sie immer auf dem Sprung, sich von den Jagdgebieten etwas abzujagen. Wirtschaftsund Abrüstungskonferenzen schieben die Händel immer nur für eine Weile auf, das Prinzip der Herrschaft erweist sich im Äußeren als das der permanenten Mobilisation. Der Zustand bleibt weiterhin absurd. Freilich wird die Fesselung der Produktivkräfte von nun an als Bedingung der Herrschaft verstanden und mit Bewußtsein ausgeübt. Daß zwischen den Schichten der Beherrschten, sei es zwischen Gemeinen und Facharbeitern oder den Geschlechtern oder den Rassen, ökonomisch differenziert, daß die Isolierung der Individuen voneinander mit allen Verkehrsmitteln, mit Zeitung, Kino, Radio, systematisch betrieben werden muß, gehört zum Katechismus der autoritären Regierungskunst. Sie sollen allen zuhören, vom Führer bis zum Blockwart, nur nicht einander, sie sollen über alles orientiert sein, von der nationalen Friedenspolitik bis zur Verdunkelungslampe, nur nicht sich orientieren, sie sollen überall Hand anlegen, nur nicht an die Herrschaft. Die Menschheit wird allseitig ausgebildet und verstümmelt. Mag das Land, zum Beispiel die Vereinigten Staaten Europas, noch so groß und mächtig sein, die Unterdrückungsmaschinerie gegen den inneren Feind muß einen Vorwand in der Drohung mit dem äußeren finden. Wenn Hunger und Kriegsgefahr notwendige, unkontrollierte, wider Willen produzierte Folgen der freien Wirtschaft waren, werden sie vom autoritären Staat der Tendenz nach konstruktiv angewandt.
In allen seinen Varianten ist der autoritäre Staat repressiv. Die maßlose Vergeudung wird nicht mehr durch ökonomische Mechanismen im klassischen Sinn bewirkt; sie entsteht jedoch aus den unverschämten Bedürfnissen des Machtapparats und aus der Vernichtung jeglicher Initiative der Beherrschten: Gehorsam ist nicht so produktiv. Trotz der sogenannten Krisenlosigkeit gibt es keine Harmonie. Auch sofern der Mehrwert nicht länger als Profit eingestrichen wird, geht es um ihn. Die Zirkulation wird abgeschafft, die Ausbeutung modifiziert. Der auf die Marktwirtschaft gemünzte Satz, daß der Anarchie in der Gesellschaft die straffe Ordnung in der Fabrik entspricht, bedeutet heute, daß der internationale Naturstand, der Kampf um den Weltmarkt, und die faschistische Disziplin der Völker wechselseitig sich bedingen. Auch wenn Eliten heute gemeinsam gegen ihre Völker verschworen sind, bleiben sie immer auf dem Sprung, sich von den Jagdgebieten etwas abzujagen. Wirtschaftsund Abrüstungskonferenzen schieben die Händel immer nur für eine Weile auf, das Prinzip der Herrschaft erweist sich im Äußeren als das der permanenten Mobilisation. Der Zustand bleibt weiterhin absurd. Freilich wird die Fesselung der Produktivkräfte von nun an als Bedingung der Herrschaft verstanden und mit Bewußtsein ausgeübt. Daß zwischen den Schichten der Beherrschten, sei es zwischen Gemeinen und Facharbeitern oder den Geschlechtern oder den Rassen, ökonomisch differenziert, daß die Isolierung der Individuen voneinander mit allen Verkehrsmitteln, mit Zeitung, Kino, Radio, systematisch betrieben werden muß, gehört zum Katechismus der autoritären Regierungskunst. Sie sollen allen zuhören, vom Führer bis zum Blockwart, nur nicht einander, sie sollen über alles orientiert sein, von der nationalen Friedenspolitik bis zur Verdunkelungslampe, nur nicht sich orientieren, sie sollen überall Hand anlegen, nur nicht an die Herrschaft. Die Menschheit wird allseitig ausgebildet und verstümmelt. Mag das Land, zum Beispiel die Vereinigten Staaten Europas, noch so groß und mächtig sein, die Unterdrückungsmaschinerie gegen den inneren Feind muß einen Vorwand in der Drohung mit dem äußeren finden. Wenn Hunger und Kriegsgefahr notwendige, unkontrollierte, wider Willen produzierte Folgen der freien Wirtschaft waren, werden sie vom autoritären Staat der Tendenz nach konstruktiv angewandt.
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