Antisemitismusbegriff: Unterschied zwischen den Versionen

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Als '''Antisemitismus''' wird eine allgemeine, gelegentlich aber auch speziell die mit Nationalismus, Sozialdarwinismus und Rassismus begründete Judenfeindlichkeit bezeichnet, die seit etwa 1800 in Europa auftauchte. Ältere Formen dieser Feindseligkeit gegenüber Juden werden häufig als Antijudaismus bezeichnet. Als Erfinder des Wortes Antisemitismus gilt der deutsche Journalist Wilhelm Marr (1879). Allerdings sprach Moritz Steinschneider schon 1860 von antisemitischen Vorurteilen (in Bezug auf die Werke von Ernest Renan).
Als '''Antisemitismus''' wird eine allgemeine, gelegentlich aber auch speziell die mit Nationalismus, Sozialdarwinismus und Rassismus begründete Judenfeindlichkeit bezeichnet, die seit etwa 1800 in Europa auftauchte. Ältere Formen dieser Feindseligkeit gegenüber Juden werden häufig als Antijudaismus bezeichnet. Als Erfinder des Wortes Antisemitismus gilt der deutsche Journalist Wilhelm Marr (1879). Allerdings sprach Moritz Steinschneider schon 1860 von antisemitischen Vorurteilen (in Bezug auf die Werke von Ernest Renan). Seit dem Holocaust tritt "antisemitisch" als Selbstbezeichnung deutlich in den Hintergrund und wird zum Vorwurf, bzw. zum stigmatisierenden Etikett, das die Chancen auf gleichberechtigte Interaktion und Kommunikation mit den auf ihre Reputation bedachten Kreisen der Gesellschaft reduziert. Welche Äußerungen oder Handlungen dem Verdikt des Antisemitismus verfallen, ist vor allem wegen der damit verknüpften negativen rechtlichen und sozialen Folgen Gegenstand von öffentlichen Kontroversen.
 
 
 
Welche Äußerungen oder Handlungen dem Verdikt des Antisemitismus verfallen, ist vor allem wegen der damit verknüpften negativen rechtlichen und sozialen Folgen Gegenstand von öffentlichen Kontroversen.


== Begriffsgeschichte ==
== Begriffsgeschichte ==
Der Begriff "Semitismus", im Sinne von Jüdischkeit, wurde erstmals von Wilhelm Marr mit seinem Buch "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum" (1879) in die politische Debatte eingeführt. Noch im gleichen Jahr, am 26.9.1879, gründete Marr in Berlin die Antisemiten-Liga als eine der ersten Vereinigungen von Judengegnern im deutschen Kaiserreich. In § 1 der Statuten des Vereins heißt es: "Der unter dem Namen der 'Antisemiten-Liga' gegründete Verein von nichtjüdischen Männern hat den Zweck, die nichtjüdischen Deutschen aller Konfessionen, aller Parteien, aller Lebenslagen zu einem gemeinsamen innigen Verbunde zu bringen, der, mit Hintansetzung aller Sonderinteressen, aller politischer Differenzen, mit aller Energie, mit allem Ernst und Fleiß dem einen Ziel zustrebt, unser deutsches Vaterland vor der vollständigen Verjudung zu retten und den Nachkommen der Urbrwohner den Aufenthalt in demselben erträglich zu machen" ([http://digital.slub-dresden.de/id313973776/0 slub-dresden.de] [http://judaica-frankfurt.de/download/pdf/177368?name=Statuten%20der%20Antisemiten-Liga judaica-frankfurt.de]). Durch den Namen sollte sie sich offenbar von Adolf Stöckers, ebenfalls judenfeindlicher, Christlich-sozialen Partei unterscheiden. Der Begriff A. war also zunächst eine stolze Selbstbezeichnung derer, die das Germanentum vor dem befürchteten Sieg des Judentums retten wollten. Dementsprechend publizierte Marr ein weiteres Pamphlet mit dem Titel "Wege zum Siege des Germanenthums über das Judenthum" (1880), in welchem er den Begriff A. benutzte. Die Antisemiten-Liga existierte nur ein Jahr (bis Ende 1880). Die Selbstbezeichnung als "Antisemiten" lebte jedoch zunächst in zahlreichen anderen Vereinigungen fort, z.B. dem Antisemitenbund (Österreich, 1919-1938.
Der Begriff "Semitismus", im Sinne von Jüdischkeit, wurde erstmals von Wilhelm Marr mit seinem Buch "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum" (1879) in die politische Debatte eingeführt. Noch im gleichen Jahr, am 26.9.1879, gründete Marr in Berlin die Antisemiten-Liga als eine der ersten Vereinigungen von Judengegnern im deutschen Kaiserreich. In § 1 der Statuten des Vereins heißt es: "Der unter dem Namen der 'Antisemiten-Liga' gegründete Verein von nichtjüdischen Männern hat den Zweck, die nichtjüdischen Deutschen aller Konfessionen, aller Parteien, aller Lebenslagen zu einem gemeinsamen innigen Verbunde zu bringen, der, mit Hintansetzung aller Sonderinteressen, aller politischer Differenzen, mit aller Energie, mit allem Ernst und Fleiß dem einen Ziel zustrebt, unser deutsches Vaterland vor der vollständigen Verjudung zu retten und den Nachkommen der Urbrwohner den Aufenthalt in demselben erträglich zu machen" ([http://digital.slub-dresden.de/id313973776/0 slub-dresden.de] [http://judaica-frankfurt.de/download/pdf/177368?name=Statuten%20der%20Antisemiten-Liga judaica-frankfurt.de]). Durch den Namen sollte sie sich offenbar von Adolf Stöckers, ebenfalls judenfeindlicher, Christlich-sozialen Partei unterscheiden. Der Begriff A. war also zunächst eine stolze Selbstbezeichnung derer, die das Germanentum vor dem befürchteten Sieg des Judentums retten wollten. Dementsprechend publizierte Marr ein weiteres Pamphlet mit dem Titel "Wege zum Siege des Germanenthums über das Judenthum" (1880), in welchem er den Begriff A. benutzte. Die Antisemiten-Liga existierte nur ein Jahr (bis Ende 1880). Die Selbstbezeichnung als "Antisemiten" lebte jedoch zunächst in zahlreichen anderen Vereinigungen fort, z.B. dem Antisemitenbund (Österreich, 1919-1938.


Seit dem Holocaust tritt "antisemitisch" als Selbstbezeichnung deutlich in den Hintergrund und wird zum Vorwurf, bzw. zum stigmatisierenden Etikett, das die Chancen auf gleichberechtigte Interaktion und Kommunikation mit den auf ihre Reputation bedachten Kreisen der Gesellschaft reduziert.
Eine Erweiterung des Begriffs erfolgte im Rahmen des EUMC (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia, 2005).  
 
Auf diese angebliche  Arbeitsdefinition der EU beruft sich auch Samuel Salzborn in seinem Aufsatz "Israelkritik oder Antisemitismus. Kriterien für eine Unterscheidung (2013). Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt das EUMC nicht mehr, da es durch die Fundamental Rights Agency (FRA) abgelöst worden war. Eine Sprecherin dieser EU-Organisation teilte auf Nachfrage der Jerusalem Post mit, dass es keine ofizielle EU-Definition des Antisemitismus gebe und auch keine solche beabsichtig sei. Die Arbeitsdefinition des EUMC sei inzwischen von der Webpage entfernt worden <ref>{{cite news | author = Jewish Telegraphic Agency | title = What is anti-Semitism? EU racism agency unable to define term | newspaper = Jerusalem Post | date = 5 December 2013 | url = http://www.jpost.com/Jewish-World/Jewish-News/What-is-anti-Semitism-EU-racism-agency-unable-to-define-term-334043}}</ref> Die erweiterte Definition lebt jedoch auf einigen NGO-Webseiten fort (z.B. bei der International Holocaust Remembrance Alliance<ref>{{Cite web|url=https://www.holocaustremembrance.com/media-room/stories/working-definition-antisemitism|title=Working Definition of Antisemitism {{!}} IHRA|website=www.holocaustremembrance.com|access-date=2016-08-23}}</ref>.  Die englischsprachige Wikipedia hält sie für die nach wie vor verbreiteteste Antisemitismus-Definition (https://en.wikipedia.org/wiki/Antisemitism#Definition).
Eine Erweiterung des Begriffs erfolgte im Rahmen einer "Arbeitsdefinition" des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (2005). "In 2005, the European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (now [[Fundamental Rights Agency]]), then an agency of the [[European Union]], developed a more detailed [[EUMC Working Definition of Antisemitism|working definition]], which states: "Antisemitism is a certain perception of Jews, which may be expressed as hatred toward Jews. Rhetorical and physical manifestations of antisemitism are directed toward Jewish or non-Jewish individuals and/or their property, toward Jewish community institutions and religious facilities." It also adds that "such manifestations could also target the state of Israel, conceived as a Jewish collectivity," but that "criticism of Israel similar to that leveled against any other country cannot be regarded as antisemitic." It provides contemporary examples of ways in which antisemitism may manifest itself, including: promoting the harming of Jews in the name of an ideology or religion; promoting negative stereotypes of Jews; holding Jews collectively responsible for the actions of an individual Jewish person or group; [[Holocaust denial|denying the Holocaust]] or accusing Jews or Israel of exaggerating it; and accusing Jews of [[dual loyalty]] or a greater allegiance to Israel than their own country. It also lists ways in which attacking Israel could be antisemitic, and states that denying the Jewish people their right to self-determination, e.g. by claiming that the existence of a state of Israel is a racist endeavor, can be a manifestation of antisemitism—as can applying double standards by requiring of Israel a behavior not expected or demanded of any other democratic nation, or holding Jews collectively responsible for the actions of the State of Israel.<ref>{{cite web
|title=Working Definition of Antisemitism
|url=http://fra.europa.eu/fraWebsite/material/pub/AS/AS-WorkingDefinition-draft.pdf
|publisher=European Union Agency for Fundamental Rights
|accessdate=24 July 2010
|archiveurl=http://www.webcitation.org/5mYZH56QA?url=http%3A%2F%2Ffra.europa.eu%2FfraWebsite%2Fmaterial%2Fpub%2FAS%2FAS-WorkingDefinition-draft.pdf
|archivedate=5 January 2010
|deadurl=yes
|df=dmy
}}</ref> Late in 2013, the definition was removed from the website of the Fundamental Rights Agency. A spokesperson said that it had never been regarded as official and that the agency did not intend to develop its own definition.<ref>{{cite news | author = Jewish Telegraphic Agency | title = What is anti-Semitism? EU racism agency unable to define term | newspaper = Jerusalem Post | date = 5 December 2013 | url = http://www.jpost.com/Jewish-World/Jewish-News/What-is-anti-Semitism-EU-racism-agency-unable-to-define-term-334043}}</ref> However, despite its disappearance from the website of the Fundamental Rights Agency, the definition has gained widespread international use. The definition has been adopted by the [[European Parliament|European Parliament Working Group on Antisemitism]],<ref>{{Cite web|url=http://www.antisem.eu/projects/eumc-working-definition-of-antisemitism/|title=EUMC Working Definition of Antisemitism «  EPWG|website=www.antisem.eu|access-date=2016-08-23}}</ref> in 2010 it was adopted by the United States Department of State,<ref>{{Cite web|url=http://www.state.gov/j/drl/rls/fs/2010/122352.htm|title=Defining Anti-Semitism|access-date=2016-08-23}}</ref> in 2014 it was adopted in the Operational Hate Crime Guidance of the UK [[College of Policing]]<ref>{{Cite web|url=https://www.app.college.police.uk/app-content/major-investigation-and-public-protection/hate-crime/|title=Hate crime|website=www.app.college.police.uk|access-date=2016-08-23}}</ref> and was also adopted by the Campaign Against Antisemitism,<ref>{{Cite web|url=https://antisemitism.uk/definition/|title=Definition of antisemitism|date=2015-07-13|language=en-GB|access-date=2016-08-23}}</ref> and in 2016 it was adopted by the 31 member states of the [[International Holocaust Remembrance Alliance]],<ref>{{Cite web|url=https://www.holocaustremembrance.com/media-room/stories/working-definition-antisemitism|title=Working Definition of Antisemitism {{!}} IHRA|website=www.holocaustremembrance.com|access-date=2016-08-23}}</ref> making it the most widely adopted definition of antisemitism around the world" (engl. Wikipedia).


==Benennungskonflikte==
==Benennungskonflikte==
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